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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 18 - Nr- 25 (4. März - 29. März)
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„Vielleicht iſt es auch beſſer, ich ſterbe ſchweigend“,
dachte Thymo finſter. „Aufklärungen nützen nur dem
Lebenden, nicht dem Sterbenden, dem Todten! Fahre denn
wohl, Welt — Leben! Ein Wort, ein Abſchiedswort
ſpräche ich zwar noch gern — aber auch dies nützt
nichts. Es verdächtigte ſie nur. Doch noch einmal
ſehen möchte ich ſie — ſei es auch nur von Ferne in
die dunkelblauen Augen ſehen!“
Der Nachrichter trat ein, um ihm bei der Toilette
behilflich zu ſein. —
Mittlerweile lag Engelbrechta zerknirſcht auf den
Knieen und betete für den Unglücklichen, den ſie in den
Tod gebraͤcht. Die Angabe, welche er über ſeinen Na-
men gemacht, beunruhigte ſie lebhaft und auch die an-
dern Glieder der Familie hegten mehr oder minder große
Zweifel an der Ueberzeugung des Gerichts oder des
Rechts überhaupt: es ſei ein frecher Abenteurer, der
ſich in dieſer Weiſe losſchwindeln wolle von dem ver-
diennen Galgen. Der Mann war ihr Gaſt geweſen, gleich
zu hart angefaßt worden und von einer Perſönlichkeit,
die Theilnahme erregte. Hätte ſich nur ein Aufſchub
erlangen laſſen! Aber man machte eben ſtets kurzen
Prozeß. Es war gar nichts Seltenes, daß ein Ver-
brechen an demſelben Tage, an welchem es begangen
worden, durch Verurtheilung und Hinrichtung beſtraft
wurde, wenn der Verbrecher auf friſcher That ergriffen.
Hier fürchtete man überdies, Thymo, der ſoviel Beweiſe
von Kühnheit und Gewandtheit ſchon gegeben, würde ſich
auf irgend eine Weiſe zu befreien wiſſen. wenn ihm Zeit
dazu bliebe. Es war alſo am beſten, ihm keine Zeit
zu laſſen. —
Bleich und hautlos hatte Benigna zu den Füßen der
Aeltermutter des Engernſtein'ſchen Hauſes geſeſſen, bis
ein Diener die Nachuicht brachte: der Gefangene ſei
verurtheilt. Dannn war ſie fortgegengen, Niemand wußte
wohin. — ö
Noch ſtand die Sonne hech am Himmel, als der
zahlloſen Menge, wel che fich am Rathhauſe drängte, der
Anfang des grauſigen und doch ſehnlich enwarteten Schau-
ſpiels ward. Auf die Freitreppe des Rathshauſes führ-
ten Rathsknechte den Delirquenten; er trug ein Wams
von rothem Tuch und Sporen en den Stiefeln. Da er
ein Edelmann zu ſein vorgeb, hatte man ihm aus Spott
das Gewaͤnd und die Zeichen des Ritterthums bewillizt,
mit denen zu ſterben ein Privilegium des Adels war.
Die Glieder adeliger Familien, welche es ſahen, runzel-
ten zwar die Stirn ob dieſes Hohnes an den Vorrechten
ihres Standes, allein die Bürger jubelten darüber und
riefen ſpottend: „Nur das Schwert fehlt dem Junker!
Dafür trägt er aber anderes geſchmiedetes Eiſen — die
Ketten!“ — Ein Ratheherr in ſeiner ſchwarzen Amts-
tracht, mit Degen nnd Goldkette und dem ſchwarzſeide-
nen Mantel, trat, einen weißen Stab in der Hand, auf
die Freitreppe des Rathhauſes, venkündete das Urtheil,
zerbrach den Stab und warf die Stücke ror die Füße
des Verurtheilten. An der Teppe wartete ſeiner ein
Pferd, er beſtieg es und ritt neben dem Zuge her,

welcher den armen Sünder begleitete, während er dieſen
beſchrie, d. h. das Urtheil von Zeit zu Zeit wiederholte.
In den Pauſen zwiſchen ſeinen Worten ward die Trom-
mel gerührt; der ſchrille Klang des Armenſünderglöckchens
begleitete das Beſchreien, miſchte ſich dem Schall des
Kalbfells und durchzitterte die ſonnige Luft ſo lange,
bis — es vorüber war.
Düſter, mit feſtgeſchloſſenen Lippen, ſchaute Thymo
auf die Menge rings, die ihm das Geleite gab, oder
empor an den Häuſern der Gaſſen, ourch welche dieſer
ſein letzter Weg ihn führte. Die Fenſter waren dicht
beſetzt mit Mädchen und Frauen. Viele blickten naſſen
Auges auf den feinen Geſellen — es jammerte ſie das
junge Blut. Aber die Grüße, die ſie ihm zunickten, er-
heiterten ihn nicht; die Thränen, die er um ſich fließen
ſah, gewährten ihm keinen Troſt. Immer tiefer er-
bleichte er, je weiter ſie kamen, je näher dem entſetzlichen
Ziel. Es war ein langer Weg, ihn dünkte er dennoch
kurz!
Schon war man außerhalb der Mauern und im An-
geſicht des Hochgerichts. Da erhellten ſich plötzlich ſeine
Züge, leuchtete das dunkle Auge in wehmüthiger Freude
auf. Er hatte gefunden, was er bisher vergebens geſucht. —
An dem Weg zur Richtſtätte, nicht fern von dieſer,
liegt eine kleine Kapelle, die ihre Erbauung einem glück-
lich verhinderten Gerichtsmord dankt. Einſt, als Herr
Georg Emmerich, ein reicher, gar wohlbekannter Bürger,
der dann das heilige Grab hier erbaute, von ſeiner Wall-
fahrt nach Jeruſalem heimkam, ſandte er zwei ſeiner
Dirner voraus nach Görlitz, um ſeine Ankunft zu mel-
den und vertraute dem einen von ihnen viel Geld nud
edles Geſtein an. Der Andere machte dieſem den Vor-
ſchlag, den Schatz zu theilen und in die weite Welt zu
gehen, wo Niemand ſie ſuchen und finden werde. Der
treue Knecht wies das Anſinnen mit Entrüſtung zurück.
Darauf ritt der tückiſche Geſell ſchleunigſt voran, be-
ſudelte ſich unterwegs Geſicht und Kleider mit Blut und
eilte geradenwegs nach dem Rathhauſe, wo das Gericht
eben dingte. Hier bezüchtigte er den Mitknecht des Mor-
des an ſeinem Herrn, gab an, derſelbe werde in Kurzem
mit dem Vermögen, das er dem Ermordeten abgenom-
men, in die Stadt kommen — er ſelber ſei nur mit
Mühe und Noth ſeiner Mörderhand entronnen. Schnell
wurden Rathsknechte nach dem Diener ausgeſandt und
da man viel Geld und Kleinodien bei ihm fand, die
Em merich gebörten, half die Betheuerung ſeiner Unſchuld
nichts, wurde er zum Tode verurtheilt und zur Richt-
ſtätte geführt. Mittlerweile nahte Emmerich der Stadt,
hörte das Armeſünderglöckchen läuten und erfubr auf
ſeine Erkundigung von Begegnenden: man rechtfertige
eben den Diener Georg Emmerichs, der ſeinen Herrn
erſchlagen und beraubt habe. Voll Angſt und Betrüb-
niß ſpornte er ſein edles Roß zum ſchärfſten Jagen,
ſpornte es unaufhörlich von Neuem, wenn ſeine Ge-
ſchwindigkeit zu erlahmen drohte. Es ſetzte die ganze, die
letzte Kraft ein, bis es endlich niederſtürzte. Aber nicht
umſonft war es zu Tode gehetzt, hatte den Rabenſtein
 
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