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faſt erreicht. Der Herr kam noch zur rechten Zeit bei
dieſem an, um den Schuldloſen vom Strick zu retten,
an den nunmehr gleich der falſche Ankläger und untreue
Knecht geknüpft ward. An der Stelle aber, wo das
Pferd ſank und zum Andenken an dieſe Begebenheit hat
Herr Emmerich die Kapelle aufrichten laſſen.
Hier, vor dem kleinen Altar betete Benigna lange
Zeit inbrünſtig und erhob ſich erſt von den Knieen, als
der Trommelſchlag erklang. Noch immer hatte fie ge-
hofft, vie Herren vom Rathe würden Gnade vor Recht
ergehen laſſen, wenigſtens Aufſchub geſtatten. Jetzt trat
ſie zitternd, nicht minder bleich als der Verurtheilte
ſelber, dem Zuge entgegen und zu dem Rathsherrn, der
den Verurtheilten beſchrie. Die Hand legte ſie auf ſeinen
Steigbügel, das Auge erhob ſie ernſt und entſchloſſen.
„Halt, Herr, Halt! Es gibt ein altes Recht — ich
rufe es an für mich und dieſen armen Sünder.“ Ihre
Stimme bebte zuerſt heftig, ward jedoch mit jeder Silbe
feſter; die Wimpern ſenkten ſich nicht, ſo peinlich es ihr
auch ſein mußte, daß plötzlich Aller Augen ſich auf ſie
richteten. — „Wird ein Junggeſelle zum Tode geführt
und eine Jungfrau will ihn davon erlöſen, ſo ſoll es ihr
geſtattet ſein, wenn ſie ihn zu ihrem Ehegemahl begehrt.
Wohlan, ich begehre das Leben dieſes Mannes für mich.
Ihr werdet mir nicht weigern, was von uralten Zeiten
her Jungfrauenrecht war.“
Der Rathsherr vermochte nicht ſogleich zu antwor-
ten. — Der laute Zuruf des Volkes verſchlang auch
ſeine Worte. Leicht beweglich, wie die Menge iſt, ver-
gaß ſie das Vergnügen, welches die Toveszuckungen des
armen Sünders ihr ſicherlich gewährt hätten, um ſich
ſeiner Rettung zu freuen und ſeiner Retteriu zuzujubeln.
Namentlich that dies der weibliche Theil der Zuſchauer-
ſchaft, geſchmeichelt durch die Gewalt über Leben und
Tod, die das Herkommen in eines Mädchens Hand ge-
legt hat. Wo der Spruch ernſter Richter unwiderruf-
lich entſchieden hatte, nach Recht und Geſetz entſchieden,
wo der Henker ſchon im Begriff war, ſeines grauſigen
Amtes zu warten und das blühende Leben dem kalten
Tode preiszugeben; wo keine Gnade mehr zu hoffen, denn
bei Gott allein — da konnte ſich nach alter geheiligter
Sitte eine unbeſcholtene Iungfrau kommen, wenn ſie
Muth und Hingebung genug beſaß, um das Weib deſſen
zu werden, der ſonſt dem Henkertode unrettear ver-
fallen war. Nur Hohes, Heiliges, ja das Höchſte, Hei-
ligſie ſtand über Necht und Gericht. Die Altäre Gottes
waren früher unantaſtbare Aſyle, ſelbſt für den ſchwer-
ſten Verbrecher. Später ward das Begnadigungsrecht
der ſchönſte Edelſtein der Krone. Der Volksbrauch kanr te
noch eine dritte Art der Sühne von Schuld u. Strafe.
Er bewies, wie hoch unſere Vorfahren die Jungfräulich-
keit ehrten und zugleich, welchen ſittlich reinigenden Ein-
fluß ſie der Ehe beimaßen.
Was Recht und Herkommen war, das durfte nicht
verweigert werden, auch der Schwäche, der Hilfloſigkeit
nicht, oder gerade dieſer am wenigſten. Wiewohl das
Rathsmitglied alles Mögliche lieber geſehen hätte, als
daß dieſer ſo gefährliche Menſch am Leben blieb, ja frei
kam, — die alte Sitte mußte geachtet werden. Er winkte
dem Rathsſchmied, daß er den Gefangenen ſeiner Feſſeln
entledige und verlangte von dieſem nur, daß er Urfehde
ſchwöre, und nimmer der Stadt, noch einem ihrer Bür-
ger nachtragen wolle, daß ihr Gericht ihn vom Leben
zum Tode habe bringen wollen.
(Fortſetzung folgt.)
Vermiſchtes.
(Eine unerhörte Scandalgeſchichte)
hält, ſo ſchreibt die „Schleſ. Preſſe“, im Augenblicke
ſämmtliche adeligen Kreiſe Wiens bis hinauf zum Thron
in Aufregung. Eine ungariſche Dame, die bisher zur
nächſten Umgebung der Kaiſerin gehörte, hat nämlich
ein Buch veröffentlicht, welches das Wort Ben Akiba's,
daß Alles ſchon dageweſen, auf das Entſchiedenſte Lügen
ſtraft. Solche Gemeinheit, ſolche niederträchtige Raſerei,
ſolcher Alles und Alles in den Koth zerrender Unflath
iſt in der Welt beiſpiellos. Die Autorin, die natürlich
vom Hoſe bereits verbannt iſt, heißt Eleonore W.
und iſt die Tochter eines ehemals auch in Deutſchland
wohlbekannten Staatsmannes. Das Motiv zum Scan-
dal iſt Eiferucht. Der Mann, gegen den ſich in erſter
Linie der raſende Angriff kehrt, iſt ein aktiver hoher
Militär von glänzendem Namen. Indeſſen iſt in dem
Buche die geſammte Ariſtokratie der Reihe nach mit an-
ekelndem Cynismus gebrandmarkt. Es werden ſociale
Gebrechen aus der hohen Geſellſchaft erbarmungslos auf-
gedeckt, wie ſolche bisher allerhöchſtens dem Schlamme
und dem Auswurfe der Menſchheit bekannt ſein moch-
ten. Die Krone ſelbſt iſt nicht verſchont geblieben. Die
Ariſtokratie hat ſofort das Buch in den Buchhandlungen
angekauft, aber jetzt wird eine zweite Auflage veran-
ſtaltet, was allerdings die Polizci zu verhüten ſucht.
Von der Auſregurg, die in den hohen Kreiſen herrſcht,
hat man keinen Begriff, der Adel hat ſelbſt die unſchal-
digen Verwandten der raſenden Autorin aus ſeinen Krei-
ſen ausgeſchloſſen; aber der Scandal iſt einmal da und
zwar in einem Maße, daß man die bekannten Vorfälle
mit der berüchtigten Fanny Lear ein wahres Kinderſpiel
dagegen nennen muß.
(Türkiſche Sprüchwörter.) Ein kleiner Stein
macht oft ein groß Geräuſch. — Auf einem mit Ochſen
beſpannten Wagen iſt es ſchwer, einen Haſen zu fangen.
— Ein närriſcher Freund macht mehr Verdruß als ein
weiſer Feind. — Wer einen Freund ohne Fehler will,
verhandelt eine Kröhe für eine Nachtigall. — Iß und
trink mit Deinem Freunde, mache aber keine Geſchäfte
mit ihm. — Um ganz ruhig zu leben, muß man blind,
taub und ſtumm ſein. — Alles, was man gibt, will
man gewiß doppelt wieder nach Hauſe tragen. — Durch
einen Tropfen Honig fängt man mehr Fliegen, als durch
eine Tonne Eſſig. —
faſt erreicht. Der Herr kam noch zur rechten Zeit bei
dieſem an, um den Schuldloſen vom Strick zu retten,
an den nunmehr gleich der falſche Ankläger und untreue
Knecht geknüpft ward. An der Stelle aber, wo das
Pferd ſank und zum Andenken an dieſe Begebenheit hat
Herr Emmerich die Kapelle aufrichten laſſen.
Hier, vor dem kleinen Altar betete Benigna lange
Zeit inbrünſtig und erhob ſich erſt von den Knieen, als
der Trommelſchlag erklang. Noch immer hatte fie ge-
hofft, vie Herren vom Rathe würden Gnade vor Recht
ergehen laſſen, wenigſtens Aufſchub geſtatten. Jetzt trat
ſie zitternd, nicht minder bleich als der Verurtheilte
ſelber, dem Zuge entgegen und zu dem Rathsherrn, der
den Verurtheilten beſchrie. Die Hand legte ſie auf ſeinen
Steigbügel, das Auge erhob ſie ernſt und entſchloſſen.
„Halt, Herr, Halt! Es gibt ein altes Recht — ich
rufe es an für mich und dieſen armen Sünder.“ Ihre
Stimme bebte zuerſt heftig, ward jedoch mit jeder Silbe
feſter; die Wimpern ſenkten ſich nicht, ſo peinlich es ihr
auch ſein mußte, daß plötzlich Aller Augen ſich auf ſie
richteten. — „Wird ein Junggeſelle zum Tode geführt
und eine Jungfrau will ihn davon erlöſen, ſo ſoll es ihr
geſtattet ſein, wenn ſie ihn zu ihrem Ehegemahl begehrt.
Wohlan, ich begehre das Leben dieſes Mannes für mich.
Ihr werdet mir nicht weigern, was von uralten Zeiten
her Jungfrauenrecht war.“
Der Rathsherr vermochte nicht ſogleich zu antwor-
ten. — Der laute Zuruf des Volkes verſchlang auch
ſeine Worte. Leicht beweglich, wie die Menge iſt, ver-
gaß ſie das Vergnügen, welches die Toveszuckungen des
armen Sünders ihr ſicherlich gewährt hätten, um ſich
ſeiner Rettung zu freuen und ſeiner Retteriu zuzujubeln.
Namentlich that dies der weibliche Theil der Zuſchauer-
ſchaft, geſchmeichelt durch die Gewalt über Leben und
Tod, die das Herkommen in eines Mädchens Hand ge-
legt hat. Wo der Spruch ernſter Richter unwiderruf-
lich entſchieden hatte, nach Recht und Geſetz entſchieden,
wo der Henker ſchon im Begriff war, ſeines grauſigen
Amtes zu warten und das blühende Leben dem kalten
Tode preiszugeben; wo keine Gnade mehr zu hoffen, denn
bei Gott allein — da konnte ſich nach alter geheiligter
Sitte eine unbeſcholtene Iungfrau kommen, wenn ſie
Muth und Hingebung genug beſaß, um das Weib deſſen
zu werden, der ſonſt dem Henkertode unrettear ver-
fallen war. Nur Hohes, Heiliges, ja das Höchſte, Hei-
ligſie ſtand über Necht und Gericht. Die Altäre Gottes
waren früher unantaſtbare Aſyle, ſelbſt für den ſchwer-
ſten Verbrecher. Später ward das Begnadigungsrecht
der ſchönſte Edelſtein der Krone. Der Volksbrauch kanr te
noch eine dritte Art der Sühne von Schuld u. Strafe.
Er bewies, wie hoch unſere Vorfahren die Jungfräulich-
keit ehrten und zugleich, welchen ſittlich reinigenden Ein-
fluß ſie der Ehe beimaßen.
Was Recht und Herkommen war, das durfte nicht
verweigert werden, auch der Schwäche, der Hilfloſigkeit
nicht, oder gerade dieſer am wenigſten. Wiewohl das
Rathsmitglied alles Mögliche lieber geſehen hätte, als
daß dieſer ſo gefährliche Menſch am Leben blieb, ja frei
kam, — die alte Sitte mußte geachtet werden. Er winkte
dem Rathsſchmied, daß er den Gefangenen ſeiner Feſſeln
entledige und verlangte von dieſem nur, daß er Urfehde
ſchwöre, und nimmer der Stadt, noch einem ihrer Bür-
ger nachtragen wolle, daß ihr Gericht ihn vom Leben
zum Tode habe bringen wollen.
(Fortſetzung folgt.)
Vermiſchtes.
(Eine unerhörte Scandalgeſchichte)
hält, ſo ſchreibt die „Schleſ. Preſſe“, im Augenblicke
ſämmtliche adeligen Kreiſe Wiens bis hinauf zum Thron
in Aufregung. Eine ungariſche Dame, die bisher zur
nächſten Umgebung der Kaiſerin gehörte, hat nämlich
ein Buch veröffentlicht, welches das Wort Ben Akiba's,
daß Alles ſchon dageweſen, auf das Entſchiedenſte Lügen
ſtraft. Solche Gemeinheit, ſolche niederträchtige Raſerei,
ſolcher Alles und Alles in den Koth zerrender Unflath
iſt in der Welt beiſpiellos. Die Autorin, die natürlich
vom Hoſe bereits verbannt iſt, heißt Eleonore W.
und iſt die Tochter eines ehemals auch in Deutſchland
wohlbekannten Staatsmannes. Das Motiv zum Scan-
dal iſt Eiferucht. Der Mann, gegen den ſich in erſter
Linie der raſende Angriff kehrt, iſt ein aktiver hoher
Militär von glänzendem Namen. Indeſſen iſt in dem
Buche die geſammte Ariſtokratie der Reihe nach mit an-
ekelndem Cynismus gebrandmarkt. Es werden ſociale
Gebrechen aus der hohen Geſellſchaft erbarmungslos auf-
gedeckt, wie ſolche bisher allerhöchſtens dem Schlamme
und dem Auswurfe der Menſchheit bekannt ſein moch-
ten. Die Krone ſelbſt iſt nicht verſchont geblieben. Die
Ariſtokratie hat ſofort das Buch in den Buchhandlungen
angekauft, aber jetzt wird eine zweite Auflage veran-
ſtaltet, was allerdings die Polizci zu verhüten ſucht.
Von der Auſregurg, die in den hohen Kreiſen herrſcht,
hat man keinen Begriff, der Adel hat ſelbſt die unſchal-
digen Verwandten der raſenden Autorin aus ſeinen Krei-
ſen ausgeſchloſſen; aber der Scandal iſt einmal da und
zwar in einem Maße, daß man die bekannten Vorfälle
mit der berüchtigten Fanny Lear ein wahres Kinderſpiel
dagegen nennen muß.
(Türkiſche Sprüchwörter.) Ein kleiner Stein
macht oft ein groß Geräuſch. — Auf einem mit Ochſen
beſpannten Wagen iſt es ſchwer, einen Haſen zu fangen.
— Ein närriſcher Freund macht mehr Verdruß als ein
weiſer Feind. — Wer einen Freund ohne Fehler will,
verhandelt eine Kröhe für eine Nachtigall. — Iß und
trink mit Deinem Freunde, mache aber keine Geſchäfte
mit ihm. — Um ganz ruhig zu leben, muß man blind,
taub und ſtumm ſein. — Alles, was man gibt, will
man gewiß doppelt wieder nach Hauſe tragen. — Durch
einen Tropfen Honig fängt man mehr Fliegen, als durch
eine Tonne Eſſig. —