7.
„Neulich hatte ich nicht Zeit, Dir zu ſagen, wie
ſehr ich mich über das feine Garn freute, welches Du
Wenzel's Braut zur Hochzeit ſchenkteſt.“ Die alte En-
gernſteinin neigte ſich zu Benigna, die wieder zu ihren
Füßen ſaß. „Haarfein und ſo gleichmäßig! Ich konnte
die Fädchen nicht ſehen — blos fuhlen. So ſpinnt man
nur bei reinem, ruhigem Herzen. Klopft es ungeduldig,
dann reißt der Faden und es gibt Knoten, recht häß-
liche Knoten. Gott bewahre Dir dieſen Herzensfrieden
— allezeit ſo lange Du noch ſpinnen kannſt, mein Kind.“
Ein heißes Roth, die Gluth der Scham, hatte Be-
nigne's Antlitz überzogen. Sie dachte daran, daß in
der letzten Woche mehr als einmal ihr Fädchen geriſſen
war; ſie gelobte ſich's zugleich, künftig achtſamer zu ſein
und das böſe Herzklopfen, das daran Schuld, nicht wie-
der aufkommen zu laſſen.
Die Matrone ſah nach dem Fenſter. En gelbrechta
ſtand dort, ſchaute hinaus in das luſtige Gewimmel der
Schneeflocken, die ſchon eine dichte weiße Decke rings
umher gebreitet hatten und dem lebensluſtigen jungen
Volk gar nicht erwünſcht kamen zur Faſchingsmummerei,
bei welcher man gern klaren Froſt hatte. Zuweilen warf
Engelbrechta dann einen Blick auf das kleine Briefchen,
das fie vorſichtig in der Hand barg. Es leſen brauchte
ſie nicht, wußte den Inhalt ſchon auswendig nud zer-
drückte das Blatt endlich, wie in einer Regung von Un-
geduld über d'e Worte der àreiſin.
„Wenn Engelbrechta nur eine einzige Spule ohne
Knoten zu Wege brächte!“ ſeufzte dieſe. „Seit mehreren
Wochen hat ſie ihr Rädchen nicht berührt.“
„Sie hat ja Mägde, die für ſie ſpinnen können“,
entſchulsigte Benigna leiſe.
„Das iſt, als wollte man andere Leute für ſich bie-
ten laſſen, ſtatt es ſelber zu thun. Die Mädchen müſſen
ſpinnen, gerne ſpinnen. Wenn einmal eine Zeit käme,
in der ſie es nicht mehr thäten, das wäre keine gute
Zeit. Ich ſagte ſchon vorhin: au den vielen oder we-
nigen Knoten kann man den ungeſtümen oder ruhigen
Herzſchlag zaͤhlen; nichts Anderes ſonſt verräth ſo deut-
lich, wie es im Innern ausſieht, als das Spinnrad. End-
los, ſtets ebenmäßig und glatt das Fädchen ziehen kann
Keine, deren Seele ruhelos und zerriſſen ift, oder auch
nur ungeduldig hinausdrängt aus dem lieben, alten, ſüß-
gewohnten Kreiſe und Geleiſe — der trauten Heimath
des Weibes. Der Friede des Herzens aber wohnt nur
bei der Unſchuld, im Herzen.“ ö
Engelbrechta verließ das Gemach. „Zum Predigt-
hören gehe ich in die Kirche“, ſprach ſie im Wohnzim-
mer zu threm jüngſten Ohm, dem ihre Erregung auf-
fallen mochte, da er ſie ernſt anſah.
„Ou röͤnnteſt dieſe Predigten immerhin anhören und
beherzigen“, ſagte er in ſanftem Ton, um die Worte
nicht verletzend erſcheinen zu laſſen
(Fortſetzung folgt.)
39
Vermiſchtes.
(Ein Enkel des Herzogs von Braun-
ſchweig.) Der Enkel des verſtorbenen Diamanten-
Herzogs iſt kürzlich in Paris der Erlangung von Geld
unter falſchen Vorwänden und des unrechtmäßigen Tra-
gens der Uniform eines franzöſiſchen Offiziers für ſchul-
dig befunden worden. Er iſt der Sohn der Vicomteſſe
de Civey, die auf Grund des Umſtandes, daß ihre Mut-
ter mit dem Herzog von Braunſchweig rechtmäßig ver-
heirathet war und daß ſie demnach ſeine geſetzliche Er-
bin ſei, einen Prozeß gegen die Korporation von Genf
zur Herausgabe des von dem Herzog dieſer Stadt hin-
terlaſſenen Geldes angeſtrengt hat. Der junge Vicomte,
ihr Sohn, ſcheint durch verſchwenderiſche Ausgaben in
Paris eine günſtige Entſcheidung des Prozeſſes ſeiner
Mutter antizipirt zu haben; aber das Vergehen, deſſen
er beſonders beſchuldigt wurde, iſt, an der Revue, welche
Marſchall Mac Mahon über die franzöͤſiſchen Truppen
im Juni vorigen Jahres abhielt, als Offizier theilge-
nommen zu haben. Um bei dieſer Gelegenheit ſtandes-
gemäß zu erſcheinen, kaufte er ein Pferd auf Credin, zog
die Uniform eines franzöſiſchen Chaſſeur⸗Offiziers an
und ſchloß ſich dem Stabe des Marſchalls an. Als der
Verkäufer des Pferdes ihn um Zahlung anging, ſchrieb
er ihm einen groben Brief und forderte ihn zum Zwei-
kampf auf Tod und Leben heraus. Der Gläubiger nahm
die Heransforderung an, in der Hoffnung, vielleicht et-
was a conto zu erhalten, aber als er bei dem Rendez-
vous erſchien, war ſein Schuldner und Gegner nirgends
zu finden. Er wurde indeß ſpäter von der Polizei ent-
deckt und trotz ſeiner Vertheidigung durch Maitre Lau-
chaud zu 2 Monaten Gefängniß verurtheilt.
(Ein Käfig für hundert Angeklagte.)
Am 1. Februar begann in Ferrara vor dem dortigen
Schwurgerichte ein Prozeß gegen eine Bande von unge-
fähr 100 Dieben und Röäubern. Um nun ſämmtliche
Angeklagte im Gerichtsſaale gehörig zuſammenhalten zu
können, ward für ſie daſelbſt eigens ein Käfig herge-
richtet, in dem ſie alle untergebracht wurden. Der Käfig
hat zwei Abtheilungen, und zwar eine gänzlich aus Ei-
ſen fabricirte, für die Gefährlichſten dieſer Bande, und
die andere aus Holz für die Friedfertigeren derſelben.
Zur gef. Beachtung.
Für das mit dem 1. Januar l. J. begonnene neue
Quartal des „Heidelberger Volksblatt“ können neu
eintretenden Abonnenten die bis heute erſchienenen
Nummern noch nachgeliefert werden. Monatspreis 386
Pfennige. ö
Abonnenten dieſes Blattes erhalten den täglich er-
ſcheinenden „Neuen Heidelberger
ſteſt. Die Expedition.
Anzeiger gratis zuge⸗ *
„Neulich hatte ich nicht Zeit, Dir zu ſagen, wie
ſehr ich mich über das feine Garn freute, welches Du
Wenzel's Braut zur Hochzeit ſchenkteſt.“ Die alte En-
gernſteinin neigte ſich zu Benigna, die wieder zu ihren
Füßen ſaß. „Haarfein und ſo gleichmäßig! Ich konnte
die Fädchen nicht ſehen — blos fuhlen. So ſpinnt man
nur bei reinem, ruhigem Herzen. Klopft es ungeduldig,
dann reißt der Faden und es gibt Knoten, recht häß-
liche Knoten. Gott bewahre Dir dieſen Herzensfrieden
— allezeit ſo lange Du noch ſpinnen kannſt, mein Kind.“
Ein heißes Roth, die Gluth der Scham, hatte Be-
nigne's Antlitz überzogen. Sie dachte daran, daß in
der letzten Woche mehr als einmal ihr Fädchen geriſſen
war; ſie gelobte ſich's zugleich, künftig achtſamer zu ſein
und das böſe Herzklopfen, das daran Schuld, nicht wie-
der aufkommen zu laſſen.
Die Matrone ſah nach dem Fenſter. En gelbrechta
ſtand dort, ſchaute hinaus in das luſtige Gewimmel der
Schneeflocken, die ſchon eine dichte weiße Decke rings
umher gebreitet hatten und dem lebensluſtigen jungen
Volk gar nicht erwünſcht kamen zur Faſchingsmummerei,
bei welcher man gern klaren Froſt hatte. Zuweilen warf
Engelbrechta dann einen Blick auf das kleine Briefchen,
das fie vorſichtig in der Hand barg. Es leſen brauchte
ſie nicht, wußte den Inhalt ſchon auswendig nud zer-
drückte das Blatt endlich, wie in einer Regung von Un-
geduld über d'e Worte der àreiſin.
„Wenn Engelbrechta nur eine einzige Spule ohne
Knoten zu Wege brächte!“ ſeufzte dieſe. „Seit mehreren
Wochen hat ſie ihr Rädchen nicht berührt.“
„Sie hat ja Mägde, die für ſie ſpinnen können“,
entſchulsigte Benigna leiſe.
„Das iſt, als wollte man andere Leute für ſich bie-
ten laſſen, ſtatt es ſelber zu thun. Die Mädchen müſſen
ſpinnen, gerne ſpinnen. Wenn einmal eine Zeit käme,
in der ſie es nicht mehr thäten, das wäre keine gute
Zeit. Ich ſagte ſchon vorhin: au den vielen oder we-
nigen Knoten kann man den ungeſtümen oder ruhigen
Herzſchlag zaͤhlen; nichts Anderes ſonſt verräth ſo deut-
lich, wie es im Innern ausſieht, als das Spinnrad. End-
los, ſtets ebenmäßig und glatt das Fädchen ziehen kann
Keine, deren Seele ruhelos und zerriſſen ift, oder auch
nur ungeduldig hinausdrängt aus dem lieben, alten, ſüß-
gewohnten Kreiſe und Geleiſe — der trauten Heimath
des Weibes. Der Friede des Herzens aber wohnt nur
bei der Unſchuld, im Herzen.“ ö
Engelbrechta verließ das Gemach. „Zum Predigt-
hören gehe ich in die Kirche“, ſprach ſie im Wohnzim-
mer zu threm jüngſten Ohm, dem ihre Erregung auf-
fallen mochte, da er ſie ernſt anſah.
„Ou röͤnnteſt dieſe Predigten immerhin anhören und
beherzigen“, ſagte er in ſanftem Ton, um die Worte
nicht verletzend erſcheinen zu laſſen
(Fortſetzung folgt.)
39
Vermiſchtes.
(Ein Enkel des Herzogs von Braun-
ſchweig.) Der Enkel des verſtorbenen Diamanten-
Herzogs iſt kürzlich in Paris der Erlangung von Geld
unter falſchen Vorwänden und des unrechtmäßigen Tra-
gens der Uniform eines franzöſiſchen Offiziers für ſchul-
dig befunden worden. Er iſt der Sohn der Vicomteſſe
de Civey, die auf Grund des Umſtandes, daß ihre Mut-
ter mit dem Herzog von Braunſchweig rechtmäßig ver-
heirathet war und daß ſie demnach ſeine geſetzliche Er-
bin ſei, einen Prozeß gegen die Korporation von Genf
zur Herausgabe des von dem Herzog dieſer Stadt hin-
terlaſſenen Geldes angeſtrengt hat. Der junge Vicomte,
ihr Sohn, ſcheint durch verſchwenderiſche Ausgaben in
Paris eine günſtige Entſcheidung des Prozeſſes ſeiner
Mutter antizipirt zu haben; aber das Vergehen, deſſen
er beſonders beſchuldigt wurde, iſt, an der Revue, welche
Marſchall Mac Mahon über die franzöͤſiſchen Truppen
im Juni vorigen Jahres abhielt, als Offizier theilge-
nommen zu haben. Um bei dieſer Gelegenheit ſtandes-
gemäß zu erſcheinen, kaufte er ein Pferd auf Credin, zog
die Uniform eines franzöſiſchen Chaſſeur⸗Offiziers an
und ſchloß ſich dem Stabe des Marſchalls an. Als der
Verkäufer des Pferdes ihn um Zahlung anging, ſchrieb
er ihm einen groben Brief und forderte ihn zum Zwei-
kampf auf Tod und Leben heraus. Der Gläubiger nahm
die Heransforderung an, in der Hoffnung, vielleicht et-
was a conto zu erhalten, aber als er bei dem Rendez-
vous erſchien, war ſein Schuldner und Gegner nirgends
zu finden. Er wurde indeß ſpäter von der Polizei ent-
deckt und trotz ſeiner Vertheidigung durch Maitre Lau-
chaud zu 2 Monaten Gefängniß verurtheilt.
(Ein Käfig für hundert Angeklagte.)
Am 1. Februar begann in Ferrara vor dem dortigen
Schwurgerichte ein Prozeß gegen eine Bande von unge-
fähr 100 Dieben und Röäubern. Um nun ſämmtliche
Angeklagte im Gerichtsſaale gehörig zuſammenhalten zu
können, ward für ſie daſelbſt eigens ein Käfig herge-
richtet, in dem ſie alle untergebracht wurden. Der Käfig
hat zwei Abtheilungen, und zwar eine gänzlich aus Ei-
ſen fabricirte, für die Gefährlichſten dieſer Bande, und
die andere aus Holz für die Friedfertigeren derſelben.
Zur gef. Beachtung.
Für das mit dem 1. Januar l. J. begonnene neue
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