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ron wem dieſe himmliche Muſik käme — es war Lilly
Trot! Seinen häßlichen dicken Lippen entſtrömten die
reinſten Töne, und die Melodien aus Figaro, Don Juan
regten meine Sinne zu neuer Lebenskraft auf. Der
herrlichſten Flöte hätten keine ſilberhelleren Laute ent-
lockt werden können; ich träumte mich zurück in die
Zeiten, wo ich in der fernen Heimath die herrliche Muſik
gehört und die eintönige Wirkung entſchwand meinen
Blicken. Noch als mein Begleiter längft aufgehört hatte
zu pfeifen, träumte ich fort; erſt als das heiſere Kräch-
zen eines vorbeifliegenden Krähenſchwarmes mein Ohr
traf, ſah mein Auge wieder die Gegenwart. „Herrlich,
Trot“, ſagte ich und fügte nach einer Pauſe hinzu:
„Ich dächte, wir machten hier Halt!“
„Mir recht“, warf Trot gleichgültig hin, aber ſein
ſcharfes Auge ſpähte durch die tiefe Dämmerung nach
einem poſſenden Platze ſür unſer Nachtlager. Wir ſtie-
gen ab von den müden Pferden und häuften trockenes
Laub und dürre Zweige zuſammen, um uns am wär-
menden Feuer den Thee zu bereiten. Die Arbeit war
bald gethan; das Feuer loderte auf und Trot holte das
nöthige Waſſer aus einem verſteckten kleinen Quell, den
ich mein Lebtag nicht gefunden hätte. Während das
Waſſer kochte, zäumien wir die Pferde ab und bereite-
ten aus den Sätteln und Decken unſer Lager für die
Nacht. Ohne ein Wort zu ſprechen, war dies gethan,
bald lagen wir lang ausgeſtreckt am Feuer und ließen
unſere Gedanken beim Lodern der Flammen wandern,
weit, weit weg. Wir tranken unſern Thee, verzehrten
mit wahrem Waidmannshunger den mitgebrachten Imbiß
und füllten dann unſere kurzen Pfeifen, um das Glück
des Ausruhens in vollen Zügen zu genießen. Selbſt
jetzt wurde bei dieſer erſten Pfeife nicht ein Wort zwi-
ſchen uns gewechſelt; als wir aber die zweite gefüllt
hatten, hielt ich es an der Zeit, meinen langgehegten
Wunſch auszuſprechen und Lilly Trot um eine Erzäh-
lung aus ſeinem wilden Leben zu bitten.
„Lilly“, ſagte ich ſo gleichgültig wie möglich, „Sie
müſſen doch ein ganz abſonderliches Leben geführt haben!“
„O ja“, erwiderte er und that ruhig einen langen
Zug aus ſeiner Pfeife. „Merke wobl, Sie wollen mir
etwas davon abpreſſen. Meineſwegen! Aber was wollen
Sie hören? Ich habe mehr denn zu viel Hallunken
kennen gelernt, vom jungen Taſchendieb an bis zum
raffinirteſten Mordbrenner: wird ſich wohl gleich blei-
ben, was ich Ihnen erzähle. Halt!
etwas ein, das wird Ihnen Spaß machen!“
Er ſtreckte ſich recht bequem auf den Rücken, blies
einige Minuten die Tabakswölkchen in die ftille Luft
und begann: ö ö
„In der allererſten Zeit, als man hier nach Gold
graben ging und die Leute bei ihrem plötzlichen Glücke
noch nicht wußten, ob ſie auf dem Kopf oder auf den
Füßen ſtanden, als ſie alle von Rechtswegen in's Irren-
haus hätten geſperrt werden können, gab es hier ganz
eigene Geſchichten. Gar Mancher ging Goldſuchen und
verſchwand auf ewige Zeiten; er wurde auch nicht ein-
Da fällt mir
mal vermißt. Freunde gab es nicht, Familien auch nicht,
ja die meiſten hatten allen Grund, ihren richtigen Na-
men abzulegen und lebten als Fremde unter Fremden.
Keiner kümmerte ſich um den Andern. jeder hatte mit
ſich ſelbſt, mit ſeinem Golde zu thun. Brachen einmal
zwei Menſchen gemeinſam auf, um im Buſch zu graben,
dann hörte man wohl nach Monaten, daß der eine in
den Gruben von Bendigo und Ballarat geſehen worden
ſei, der andere kam gewöhnlich nie wieder zum Vor-
ſchein. Fragen gab es überhaupt nicht. Was ging es
mich an, wenn ein Mann ſeine Frau verlaſſen hatte,
ſich den Bart ſchor, ſein Haar wachſen ließ, den Namen
wechſelte und dreimal in einem Jahre von Neuem hei-
rathete? Ich war einmal mit einem Menſchen zuſam-
men, der hatte fünfmal geheirathet und war immer
luſtig geblieben; ſchließlich lief er wieder zu ſeiner er-
ſten Frau, ſchlug ihren zweiten Mann todt und blieb
bei ihr; um die andern vier hat er ſich nie wieder ge-
kümmert, die hatten ſich alle zwei⸗, dreimal wieder ver-
heirathet; mit einem ſeiner Nachfolger wurde er ſogar
befreundet und vertrug ſich mit ihm bis an ſein ſeliges
Ende. Nun, ich war ia dieſem Punkte auch gerade
krin Engel.
„Es war, wie Sie wohl glauben werden, ungemein
leicht, der Welt aus den Augen zu kommen, ohne dabei
ſelbſt Schaden zu nehmen. So ein feiner Ladenjüneling
mit gebrannten Haaren und im modernſten Anzuge
brauchte nur nach den Goldfeldern zu gehen; in acht
Wochen war ſein Bart gewachſen, ſeine Haut gebräunt,
der feine Anzug mit einem wollenen Hemde und Hoſen
von engliſchem Leder vertauſcht, er mußte zwanzig Fuß
unter der Erde graben, oder oben im Zugwinde ſtehen,
das Hemde zurückgeſtreift bis an die Schultern, und den
Sand auswaſchen, daß ihm der Schweiß von der Stirn
perlte und die Sonne ſeine Muskeln dörrte, — da ſollte
ihn wohl Jemand wiedererkennen; ſeine eigene Frau,
ja ſeine eigene Mutter hätte es kaum gekonnt.
Das kam oft vor; manchmal kam's auch anders;
man fand ihn vielleicht mit zerſchlagenem Schädel eines
Morgens in der Gold grybe ſchaffte ihn bei Seite, ſteckt
ihn in ein Erdloch, warf es wieder zu und Niemane
ließ ſich auch nur die Zeit, darüber nachzudenken, wid
und durch wen der eigentlich von der Welt befördere
war, und wem die blutige Hacke neben ihm gehört hat
ben könnte.
„In Europa würde man bei einer ſolchen Gelegen-
heit alle Hebel in Bewegung ſetzen, um den Uebelthäter
zu entdecken. Doktoren und Chemiker würden große
Actenſtücke ſchreiben und die berülmteſten Männer ci-
tiren, über die Frage, ob die aufgefundenen Haare von
einem Menſchen oder von einer Ziege abftammen; alle
Zeitungen wären überglücklich, ihren Leſern etwas Pi-
kantes auftiſchen zu können; aber hier iſt es etwas ganz
anderes. Todt iſt todt, ſagen wir, und wer laug und
breit darüber ſprechen wollte, würde als ein altes Weib
ausgelacht werden.
Sch denke jetzt gerade an die Zeit“, fuhr Lill y
ron wem dieſe himmliche Muſik käme — es war Lilly
Trot! Seinen häßlichen dicken Lippen entſtrömten die
reinſten Töne, und die Melodien aus Figaro, Don Juan
regten meine Sinne zu neuer Lebenskraft auf. Der
herrlichſten Flöte hätten keine ſilberhelleren Laute ent-
lockt werden können; ich träumte mich zurück in die
Zeiten, wo ich in der fernen Heimath die herrliche Muſik
gehört und die eintönige Wirkung entſchwand meinen
Blicken. Noch als mein Begleiter längft aufgehört hatte
zu pfeifen, träumte ich fort; erſt als das heiſere Kräch-
zen eines vorbeifliegenden Krähenſchwarmes mein Ohr
traf, ſah mein Auge wieder die Gegenwart. „Herrlich,
Trot“, ſagte ich und fügte nach einer Pauſe hinzu:
„Ich dächte, wir machten hier Halt!“
„Mir recht“, warf Trot gleichgültig hin, aber ſein
ſcharfes Auge ſpähte durch die tiefe Dämmerung nach
einem poſſenden Platze ſür unſer Nachtlager. Wir ſtie-
gen ab von den müden Pferden und häuften trockenes
Laub und dürre Zweige zuſammen, um uns am wär-
menden Feuer den Thee zu bereiten. Die Arbeit war
bald gethan; das Feuer loderte auf und Trot holte das
nöthige Waſſer aus einem verſteckten kleinen Quell, den
ich mein Lebtag nicht gefunden hätte. Während das
Waſſer kochte, zäumien wir die Pferde ab und bereite-
ten aus den Sätteln und Decken unſer Lager für die
Nacht. Ohne ein Wort zu ſprechen, war dies gethan,
bald lagen wir lang ausgeſtreckt am Feuer und ließen
unſere Gedanken beim Lodern der Flammen wandern,
weit, weit weg. Wir tranken unſern Thee, verzehrten
mit wahrem Waidmannshunger den mitgebrachten Imbiß
und füllten dann unſere kurzen Pfeifen, um das Glück
des Ausruhens in vollen Zügen zu genießen. Selbſt
jetzt wurde bei dieſer erſten Pfeife nicht ein Wort zwi-
ſchen uns gewechſelt; als wir aber die zweite gefüllt
hatten, hielt ich es an der Zeit, meinen langgehegten
Wunſch auszuſprechen und Lilly Trot um eine Erzäh-
lung aus ſeinem wilden Leben zu bitten.
„Lilly“, ſagte ich ſo gleichgültig wie möglich, „Sie
müſſen doch ein ganz abſonderliches Leben geführt haben!“
„O ja“, erwiderte er und that ruhig einen langen
Zug aus ſeiner Pfeife. „Merke wobl, Sie wollen mir
etwas davon abpreſſen. Meineſwegen! Aber was wollen
Sie hören? Ich habe mehr denn zu viel Hallunken
kennen gelernt, vom jungen Taſchendieb an bis zum
raffinirteſten Mordbrenner: wird ſich wohl gleich blei-
ben, was ich Ihnen erzähle. Halt!
etwas ein, das wird Ihnen Spaß machen!“
Er ſtreckte ſich recht bequem auf den Rücken, blies
einige Minuten die Tabakswölkchen in die ftille Luft
und begann: ö ö
„In der allererſten Zeit, als man hier nach Gold
graben ging und die Leute bei ihrem plötzlichen Glücke
noch nicht wußten, ob ſie auf dem Kopf oder auf den
Füßen ſtanden, als ſie alle von Rechtswegen in's Irren-
haus hätten geſperrt werden können, gab es hier ganz
eigene Geſchichten. Gar Mancher ging Goldſuchen und
verſchwand auf ewige Zeiten; er wurde auch nicht ein-
Da fällt mir
mal vermißt. Freunde gab es nicht, Familien auch nicht,
ja die meiſten hatten allen Grund, ihren richtigen Na-
men abzulegen und lebten als Fremde unter Fremden.
Keiner kümmerte ſich um den Andern. jeder hatte mit
ſich ſelbſt, mit ſeinem Golde zu thun. Brachen einmal
zwei Menſchen gemeinſam auf, um im Buſch zu graben,
dann hörte man wohl nach Monaten, daß der eine in
den Gruben von Bendigo und Ballarat geſehen worden
ſei, der andere kam gewöhnlich nie wieder zum Vor-
ſchein. Fragen gab es überhaupt nicht. Was ging es
mich an, wenn ein Mann ſeine Frau verlaſſen hatte,
ſich den Bart ſchor, ſein Haar wachſen ließ, den Namen
wechſelte und dreimal in einem Jahre von Neuem hei-
rathete? Ich war einmal mit einem Menſchen zuſam-
men, der hatte fünfmal geheirathet und war immer
luſtig geblieben; ſchließlich lief er wieder zu ſeiner er-
ſten Frau, ſchlug ihren zweiten Mann todt und blieb
bei ihr; um die andern vier hat er ſich nie wieder ge-
kümmert, die hatten ſich alle zwei⸗, dreimal wieder ver-
heirathet; mit einem ſeiner Nachfolger wurde er ſogar
befreundet und vertrug ſich mit ihm bis an ſein ſeliges
Ende. Nun, ich war ia dieſem Punkte auch gerade
krin Engel.
„Es war, wie Sie wohl glauben werden, ungemein
leicht, der Welt aus den Augen zu kommen, ohne dabei
ſelbſt Schaden zu nehmen. So ein feiner Ladenjüneling
mit gebrannten Haaren und im modernſten Anzuge
brauchte nur nach den Goldfeldern zu gehen; in acht
Wochen war ſein Bart gewachſen, ſeine Haut gebräunt,
der feine Anzug mit einem wollenen Hemde und Hoſen
von engliſchem Leder vertauſcht, er mußte zwanzig Fuß
unter der Erde graben, oder oben im Zugwinde ſtehen,
das Hemde zurückgeſtreift bis an die Schultern, und den
Sand auswaſchen, daß ihm der Schweiß von der Stirn
perlte und die Sonne ſeine Muskeln dörrte, — da ſollte
ihn wohl Jemand wiedererkennen; ſeine eigene Frau,
ja ſeine eigene Mutter hätte es kaum gekonnt.
Das kam oft vor; manchmal kam's auch anders;
man fand ihn vielleicht mit zerſchlagenem Schädel eines
Morgens in der Gold grybe ſchaffte ihn bei Seite, ſteckt
ihn in ein Erdloch, warf es wieder zu und Niemane
ließ ſich auch nur die Zeit, darüber nachzudenken, wid
und durch wen der eigentlich von der Welt befördere
war, und wem die blutige Hacke neben ihm gehört hat
ben könnte.
„In Europa würde man bei einer ſolchen Gelegen-
heit alle Hebel in Bewegung ſetzen, um den Uebelthäter
zu entdecken. Doktoren und Chemiker würden große
Actenſtücke ſchreiben und die berülmteſten Männer ci-
tiren, über die Frage, ob die aufgefundenen Haare von
einem Menſchen oder von einer Ziege abftammen; alle
Zeitungen wären überglücklich, ihren Leſern etwas Pi-
kantes auftiſchen zu können; aber hier iſt es etwas ganz
anderes. Todt iſt todt, ſagen wir, und wer laug und
breit darüber ſprechen wollte, würde als ein altes Weib
ausgelacht werden.
Sch denke jetzt gerade an die Zeit“, fuhr Lill y