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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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Heidelberger Volksblatt.

Nr. II.

Mittwoch, den 9. Februar 1876.

9. Jahrg.

erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)

Sie war nicht verletzt, meinte vielmehr mit erzwun-
gnner Munterkeit: „Du ſollteſt Deine zukünftige Ehe-

liebſte zu Deiner Großmutter in die Lehre geben, lieber
Sie hängt noch an der alten Zeit,

Ohm Sigismund.
die auch Du ſo ſchön findeſt — die Zeit, in welcher
die Edelfrauen mit eigener Hand ihr Vieh fütterten und
melkten und die Geſchlechstöchter ſelbſt das zur Mitgift
erforderliche Linnen ſpannen und webten. Heute iſt das
nicht mehr ſo oder gefaͤllt wenigſtens nicht mehr Allen.“
„Leider! Darum wähle ich mir vielleicht auch meine
Gattin nicht aus einer Patrizierfamilie, ſondern aus
einem einfachen Bürgerhauſe. Der verſtöndige Mann
zieht eine Linfache Frau, die nach altem Sprachgebrauch
ſein herzliebſter Hausſchatz iſt, jedenfalls einer bloßen
Putzdecke vor.“
Ihre Augen hafteten ſtarr auf ihm — entrüſtet und
entſetzt zugleich. „Das ſind höchſt ſeltſame Geſinnungen
für einen Geſchlechterſohn. Du haſt freilich immer in
Allem einen ſo gemeinen Sinn gezeigt —! Statt Dich
auf das Studium der Rechte zu legen, traktirteſt Du
die alten Griechen; ſtatt Dich um ein ehrenvolles Amt
bei der Stadt oder gar bei Hofe zu bewerben, was ja
auch viele Magiſter der gelehrten Sprachen thun, jz
alle ehrgeizigen Magiſter — giebſt Du Dich mit der
wſt cb. ab, win 1 r wiht eh Licentiat kann. Du
iſt eben zum Unglück gar nicht ehrgeizig.“ Sie ſpra
mit tiefer Bitterkeit. Hegeuig ſprach
„Nein, nach äußerer Ehre geize ich nicht. Eine nütz-
liche Thätigkeit, die Bücher der Alten, 1 ein liebes
treues, häusliches Weib —“
Spöttiſch lachte ſie auf. „Hierzu kann bald Rath
werden. Ein ſtudirter Mann ſteht gleichſam außerhalb
der beiden Stände, die ſich ſonſt ſo ſcharf ſcheiden nie-
deres Bürgerthum und auf der andern Seite Patrizier
und Adel. Wenn er Glück hat, d. h. hochſtrebend iſt,
kann er gar wohl ein Fräulein heimführen; läßt er ſelber
ſich beſcheiden genügen, ſo iſt die Verbindung mit einer
Handwerkertochter auch nicht ungeziemend. Da iſt alſo

ein großes Feld der Wahl offen. Und Du brauchſt ohne-

dies nicht einmal wählen — drinnen erzieht Dir ſchon
die Großmutter —“ ö
Er unterbrach ſie. „Warum bift Du nicht eine
Handwerkermaid, die man noch erziehen könnte?“
Finſter faltete ſie die Stirn. „Warum kiſt Du ſo
ohne jeglichen Ehrgeiz, ohne alle Strebſamkeit? Ohne
das —“ Raſch kehrte ſie ihm den Rücken und eilte
nach ihrem eigenen Gemach; hier verriegelte ſie hinter
fich die Thür und begann in ihren Kleinodien zu wüh-
len und zu packen. ö
Sigismnund blickte ihr noch nach, als ſie längſt ver-
ſchwunden war. „Was ſie nur haben mag? Seitdem

ihr Vater fort, iſt ſie noch viel ruheloſer und aufge-

regter, aber auch weicher geſtimmt.“ Damit zog er ſich
in ſein Zimmer zurück, um ſich zu einem einſanen Gang
ins Freie zu rüſten. Er liebte dieſe einſamen Gänge,
ſelbſt in dieſer Jahreszeit — zur Verwunderung aller
Leute.
Die Greifin redete indeß weiter: „Und denen, die
reinen Herzens ſind, ward die höchſte Verheißung der
Seligkeit: ſie werden Gott ſchauen. Auch hinieden ſchon
in dem hehren Gottesfrieden, der ihre Bruſt ſelbſt in

Noth und Trübſal erfüllt, der ihnen die Kraft verleiht,

jegliche Noth und Trübſal zu überwinden, wie jeden in-
nern und auch äußern Feind. Keine ſtärkere Waffe und
kein feſteres Schild gibt es hinieden, als die Unſchuld,
als ein reines Herz. Wie oft hat mir meine Mutter
als Kind von den wilden Huſſiten erzählt, die vor Naum-
burg die Mordgewehre ſenkten und friedlich, ohne Scha-
den zu thun weiter zogen, weil der Anbdlick ſchuldloſer
Kinder ihr Herz erweichte und bezwang.“ ö
Stundenlang hatte Benigna als Kind ihr gelauſcht
und hätte es auch jetzt gethan. Doch Enzelbrechta er-
ſchien bald, umarmte die Aeltermutter mit ungewöhn-
licher Zärtlichkeit und bat die Milchſchweſter, ſie zu be-
gleiten. Gleich den andern Gliedern der Familie war
auch ſie in Geſellſchaft geladen — die Verheiratheten zu
Verheiratheten, ſie zu Patriziertöchtern. Da heute, am
Faſchingsmontag, die Dienſtleute gleichfalls ihr Ver-
gnügen haben wollten und das Haus doch nicht ganz
unbewacht bleiben konnte, bedurfte ſie des Dienſtes der-
Jugendgeſpielin. Dieſe wollte ſich auch heimbegeben, be-
vor der Abend zu ſehr hereindunkelte, obgleich das Mas-
kentreiben heute nicht ſo lebhaft war, wie an dem fol-
genden oder vorigen Abend.
Engelbrechta führte ſie auf ihr Zimmer und fragte,
 
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