indeß, ſie würden, auch da er ohne freies Geleit, in die-
ſer Weiſe, vor ihnen erſcheine, ihn anhören und ſo ihm
Gelegenheit zum Frieden geben.
Seine Rede, wie ſein Auftreten, empörte die mei-
gen der geſtrengen Herren außerordentlich; ſie fanden
es unerhört frech, Gegen die Feſſeln hatte er auch pro-
teſtirt, natürlich vergebens. Die Verhandlung nahm ih-
ren Fortgang. Um ſeinen Namen befragt anwortete er
kurz:
Ahhmo, Edler von Keudelitz!“
Entrüſtet ſahen die Schöppen einander an. Wagte
der Unverſchämte noch, ſie zum Beſten zu halten?
Zeugen wurden befragt, der Beſitzer des Schönhofes
und Andere, ob ihnen dieſer Mann bekannt ſei und un-
ter welchem Namen?
Sie ſagten aus, was ſie wußten.
Ein Anflug übermüthigen Lächelns trat in die Züge
des Angeklagten. „Mein Diener Joſt mußte meinen
Namen führen; ich begleitete ihn unter dem eines Ma-
giſters Rächer. Ich hatte dazu meine Gründe.“
„Glanb's wohl“, ſagte der Richter ſtrenge.
dieſe Gründe?“
„Gehören nicht hierher“, war die kecke Antwort.
„Da Ihr ſo wie ſo gehangen werdet, könnt Ihr ſie
immerhin für Euch behalten.“ ö
Thymo erblaßte — ein Schauer durchrieſelte ihn.
Dann blitzten ſeine Augen zornig auf, doch faßte er ſich
bald. Er hatte den Rathsherrn Engernſtein unter Denen
erblickt, die ſich als Kläger, Zeugen oder Zuſchauer her-
umdrängten. ö
„Ich bitte darum, ein Wort mit dem Herrn reden
zu dürfen“, ſagte er dann. „Es handelt ſich um deſſen
Eigenthum, wie um Angelegenheiten ſeiner Familie. Da
ich, wie es ſcheint, lange in Haft gehalten werden ſoll,
heiſcht es ſein Intereſſe, daß
machen darf.“
Die Formen des Rechtsganges waren damals nicht
die heutigen. Der Angeklagte hatte die Familie Engern-
ſtein geſchädigt, er konnte möglicherweiſe etwas thun, um
dieſelben zu en tſchädigen. Kunz Engernſtein trat dicht
zu dem Gefeſſelten, der ihm etwas zuflüſterte. Er nickte
nachdenklich Gewährung, ſandte auch ſeinen Sohn mit
einem Auftrage aus dem Saal. Er mußte nur eine
Kleinigkeit betreffen, denn derſelbe kehrte bald zurück.
Der Rathsherr wurde dann aufgefordert, das Recht an-
zurufen gegen den Verbrecher.
Zu Aller Erſtaunen verzichtete ſer darauf, wollte er
weder wegen des Jungfrauenraubes, noch wegen der
Brandſtiftung klagen. Selbſt der Gefangene blickte über-
raſcht auf. Die Schauluſtigen kamen ſomit um das Ver-
gnügen, eine „Schmäuche“ zu ſehen, denn der Grund-
ſatz galt: „Wo kein Kläger, iſt auch kein Richter.“
Oeffentliche Ankläger, das Inſtitut der Staatsanwalt-
ſchaft, gab es nicht. Selbſt bei Mordthaten konnte der
Mörder ſich vor Gericht mit der Familie des Gemor-
deten „vertragen“, wenn dieſe nicht auf ſeiner „Recht-
fertigung“ beſtand, ſondern zur Annahme des „Wehr-
„Und
ich ihm eine Mittheilung
geldes“ ſich geneigt erwies. Das Walten der Gerichte
entſtammte ja urſprünglich nicht einem Princip, nämlich
der Idee, dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl Genüge
zu thun, ſondern dem Bedürfniß des Einzelnen nach
Sühne, oder vielmehr Rache für eine Unbill, mochte
dieſelbe ihm perſönlich oder ſeiner Familie und Freund-
ſchaft widerfahren ſein.
Die Bürger, welche unter dem Friedensbruch gelitten
hatten, beſtanden auf der Sühne dieſer Unbill. Sie klag-
ten, wie es Brauch, gegen den Gefangenen und bezeug-
ten, daß er derſelbe ſei, der ſie auf der Landſtraße an-
gefallen und geplündert habe. Er konnte es nicht in
Abrede ſtellen, verſuchte es auch gar nicht. Da war
das Urtheil bald gefunden. Es lautete, wie üblich, nach
Karl V. peinlicher Halsordnung bei einem Rarbe über
Gulden werth — auf Tod am Galgen! —
(Fortſetzung folgt.)
Vermiſchtes.
(Vom Thron bis zum Spital.) Die „Ra-
gione“ von Mailand ſchreibt unterm 22. v. M.: „In
der vergangenen Nacht ſtarb im hieſigen großen Spitale
Leon Komnenos, Fürſt von Luſignano, deſſen väterliche
Ahnen unter dem Titel „Kaiſer des Orients“ (Byzanz
und Trapezunt) herrſchten, während die mütterlichen an
dem Kreuzzuge Gottfrieds von Bouillon theilgenommen
und ſpäter die Herrſchaft über die Inſel Cypern inne-
hatten. Leon Komnenos ſelbſt trug vor zwanzig Jahren
noch Krone und Scepter an den Grenzen Choraſſans
und es war der Czaar, der ihm Thron und Unterthanen
genommen. Nachdem er faſt ganz Europa durchgebettelt,
kam er nach Mailand und hier endete er auf einem
Strohſacke, den die öffentliche Mildthätigkeit ihm ange-
wieſen. Leon von Luſignano, der ein muthiger Mann
war und ſein Unglück mannhaft ertrug, läßt ein Weib
und ſechs Söhne zurück, von denen drei noch Kinder
ſind.“ ö
(Telegraphiſche Grobheit.) Von den man-
nigfachen auf Scheffels Jubiläum ſich beziehenden, mit-
unter recht ergötzlichen Epiſoden, ſei hier die eine, durch
den Telegraphen verſchuldete erwähnt: Von Trautenau
in Böhmen erhielt der Dichter ein Telegramm, das unter-
zeichnet war: „Das Kaſino der Flegel.“ Scheffel dankte
brieflich und meinte, er hätte ſchon verſchiedene Flegel
kennen gelernt, aber noch nie in ſeinem Leben ſo an-
ſtändige. Darauf erhielt der Dichter die Aufklärung,
es müſſe ein Mißverſtändniß obwalten; denn das Kafino
beſtehe aus den Groß⸗Induſtriellen der böhmiſchen Lein-
wand⸗Induſtrie und nenne ſich durchaus nicht „Kaſino
der Flegel.“ Der Vorſtand des Kaſinos ſei Dr. med.
Flegel, und der betreffende Telegraphenbeamte habe wahr-
ſcheinlich geleſen: „Das Kaſino der Flegel“, ſtatt: „Das
Kafino, Dr. Flegel.“ Warum heißt aber auch Dr. Flegel
— ODr. Flegel? ö ö
ſer Weiſe, vor ihnen erſcheine, ihn anhören und ſo ihm
Gelegenheit zum Frieden geben.
Seine Rede, wie ſein Auftreten, empörte die mei-
gen der geſtrengen Herren außerordentlich; ſie fanden
es unerhört frech, Gegen die Feſſeln hatte er auch pro-
teſtirt, natürlich vergebens. Die Verhandlung nahm ih-
ren Fortgang. Um ſeinen Namen befragt anwortete er
kurz:
Ahhmo, Edler von Keudelitz!“
Entrüſtet ſahen die Schöppen einander an. Wagte
der Unverſchämte noch, ſie zum Beſten zu halten?
Zeugen wurden befragt, der Beſitzer des Schönhofes
und Andere, ob ihnen dieſer Mann bekannt ſei und un-
ter welchem Namen?
Sie ſagten aus, was ſie wußten.
Ein Anflug übermüthigen Lächelns trat in die Züge
des Angeklagten. „Mein Diener Joſt mußte meinen
Namen führen; ich begleitete ihn unter dem eines Ma-
giſters Rächer. Ich hatte dazu meine Gründe.“
„Glanb's wohl“, ſagte der Richter ſtrenge.
dieſe Gründe?“
„Gehören nicht hierher“, war die kecke Antwort.
„Da Ihr ſo wie ſo gehangen werdet, könnt Ihr ſie
immerhin für Euch behalten.“ ö
Thymo erblaßte — ein Schauer durchrieſelte ihn.
Dann blitzten ſeine Augen zornig auf, doch faßte er ſich
bald. Er hatte den Rathsherrn Engernſtein unter Denen
erblickt, die ſich als Kläger, Zeugen oder Zuſchauer her-
umdrängten. ö
„Ich bitte darum, ein Wort mit dem Herrn reden
zu dürfen“, ſagte er dann. „Es handelt ſich um deſſen
Eigenthum, wie um Angelegenheiten ſeiner Familie. Da
ich, wie es ſcheint, lange in Haft gehalten werden ſoll,
heiſcht es ſein Intereſſe, daß
machen darf.“
Die Formen des Rechtsganges waren damals nicht
die heutigen. Der Angeklagte hatte die Familie Engern-
ſtein geſchädigt, er konnte möglicherweiſe etwas thun, um
dieſelben zu en tſchädigen. Kunz Engernſtein trat dicht
zu dem Gefeſſelten, der ihm etwas zuflüſterte. Er nickte
nachdenklich Gewährung, ſandte auch ſeinen Sohn mit
einem Auftrage aus dem Saal. Er mußte nur eine
Kleinigkeit betreffen, denn derſelbe kehrte bald zurück.
Der Rathsherr wurde dann aufgefordert, das Recht an-
zurufen gegen den Verbrecher.
Zu Aller Erſtaunen verzichtete ſer darauf, wollte er
weder wegen des Jungfrauenraubes, noch wegen der
Brandſtiftung klagen. Selbſt der Gefangene blickte über-
raſcht auf. Die Schauluſtigen kamen ſomit um das Ver-
gnügen, eine „Schmäuche“ zu ſehen, denn der Grund-
ſatz galt: „Wo kein Kläger, iſt auch kein Richter.“
Oeffentliche Ankläger, das Inſtitut der Staatsanwalt-
ſchaft, gab es nicht. Selbſt bei Mordthaten konnte der
Mörder ſich vor Gericht mit der Familie des Gemor-
deten „vertragen“, wenn dieſe nicht auf ſeiner „Recht-
fertigung“ beſtand, ſondern zur Annahme des „Wehr-
„Und
ich ihm eine Mittheilung
geldes“ ſich geneigt erwies. Das Walten der Gerichte
entſtammte ja urſprünglich nicht einem Princip, nämlich
der Idee, dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl Genüge
zu thun, ſondern dem Bedürfniß des Einzelnen nach
Sühne, oder vielmehr Rache für eine Unbill, mochte
dieſelbe ihm perſönlich oder ſeiner Familie und Freund-
ſchaft widerfahren ſein.
Die Bürger, welche unter dem Friedensbruch gelitten
hatten, beſtanden auf der Sühne dieſer Unbill. Sie klag-
ten, wie es Brauch, gegen den Gefangenen und bezeug-
ten, daß er derſelbe ſei, der ſie auf der Landſtraße an-
gefallen und geplündert habe. Er konnte es nicht in
Abrede ſtellen, verſuchte es auch gar nicht. Da war
das Urtheil bald gefunden. Es lautete, wie üblich, nach
Karl V. peinlicher Halsordnung bei einem Rarbe über
Gulden werth — auf Tod am Galgen! —
(Fortſetzung folgt.)
Vermiſchtes.
(Vom Thron bis zum Spital.) Die „Ra-
gione“ von Mailand ſchreibt unterm 22. v. M.: „In
der vergangenen Nacht ſtarb im hieſigen großen Spitale
Leon Komnenos, Fürſt von Luſignano, deſſen väterliche
Ahnen unter dem Titel „Kaiſer des Orients“ (Byzanz
und Trapezunt) herrſchten, während die mütterlichen an
dem Kreuzzuge Gottfrieds von Bouillon theilgenommen
und ſpäter die Herrſchaft über die Inſel Cypern inne-
hatten. Leon Komnenos ſelbſt trug vor zwanzig Jahren
noch Krone und Scepter an den Grenzen Choraſſans
und es war der Czaar, der ihm Thron und Unterthanen
genommen. Nachdem er faſt ganz Europa durchgebettelt,
kam er nach Mailand und hier endete er auf einem
Strohſacke, den die öffentliche Mildthätigkeit ihm ange-
wieſen. Leon von Luſignano, der ein muthiger Mann
war und ſein Unglück mannhaft ertrug, läßt ein Weib
und ſechs Söhne zurück, von denen drei noch Kinder
ſind.“ ö
(Telegraphiſche Grobheit.) Von den man-
nigfachen auf Scheffels Jubiläum ſich beziehenden, mit-
unter recht ergötzlichen Epiſoden, ſei hier die eine, durch
den Telegraphen verſchuldete erwähnt: Von Trautenau
in Böhmen erhielt der Dichter ein Telegramm, das unter-
zeichnet war: „Das Kaſino der Flegel.“ Scheffel dankte
brieflich und meinte, er hätte ſchon verſchiedene Flegel
kennen gelernt, aber noch nie in ſeinem Leben ſo an-
ſtändige. Darauf erhielt der Dichter die Aufklärung,
es müſſe ein Mißverſtändniß obwalten; denn das Kafino
beſtehe aus den Groß⸗Induſtriellen der böhmiſchen Lein-
wand⸗Induſtrie und nenne ſich durchaus nicht „Kaſino
der Flegel.“ Der Vorſtand des Kaſinos ſei Dr. med.
Flegel, und der betreffende Telegraphenbeamte habe wahr-
ſcheinlich geleſen: „Das Kaſino der Flegel“, ſtatt: „Das
Kafino, Dr. Flegel.“ Warum heißt aber auch Dr. Flegel
— ODr. Flegel? ö ö