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nius. zu gleicher Zeit zu Jedem in ſeiner verſtändlichen
Sprache zu reden. Ich für mein Thbeil war neugierig
zu wiſſen, was wohl in der Seele einer großen länd-
lichen Schönheit vorgehen möchte, die ernſthaft und in
ſich verſunken, allein abſeits auf einem Raſenabhang ſaß
und ſchon eine geraume Weile meine Aufmerkſamkeit auf
ſich gezogen hatte.
Obgleich der weibliche Theil der Einwohnerſchaft
von Brohat trotz ihrer groben Arbeiten ſich in auf-
fallender Weiſe durch eine ſeltene Feinheit der Züge und
der Hautfarbe vor den Bäuerinuen anderer Gegenden
auszeichnen, ſo war doch keine Einzige in der ganzen
Verſammlung mit dieſem Mädchen zu vergleichen ge-
weſen. Sie ſchien gannz in Andacht ver ſur ken; das ſaufte
bleiche, etwas gebräunte Geſicht ron dicken blonden Flech-
ten umrahmt, hatte einen unendlich rührenden Ausdruck.
Ihre kirſchrothen Lippen waren halb geöffnet, gleichſam
als welle ſie die Töne mit der Luft einnathmen und
ließen eine Reihe wahrhaft bewunderungswür diger Zähne
ſehen. Ihre Augen tief, unergründlich und wechſelnd
wie das Meer, deſſen Farbe ſie hatten, waren himmel-
wärts gerichtet und ſchienen überharpt auf der Erde
nichts mehr zu ſuchen zu haben. Sie hatte die Alltags-
kopfbedeckung, die den Frauen jener Gegend von den
Engländerianen überkommen mar, nicht mit der Sonn-
tagshaube vertauſcht. Der eigenthümlich geformte grobe
Strohhut, deſſen eigentliche Farbe läugſt nicht mehr zu
erkennen war, ſaß auf einem üppig reichen Haarwuchs,
den die Urgroßmütter dieſer Inſeltöchter ehemals im
Winde bei Fackelſchein flattern ließen, wenn ſie von der
Höhe der Felſen herab ihre Verwünſchungen gegen die
Feinde ſchleuderten und ihr Geſchrei mit dem Toſen des
Elementes vermiſchten.
Dort ſitzt eine Schönheit, bemerkte ich dem Grenz-
wächter.
Die Jeannie? Ja, wenn ſie beſſer gekleidet ginge,
wäre ſie nicht übel.
Jetzt erſt bemerkte ich, daß der Anzug dieſer ſchönen
Statue, obwohl ſehr ſauber, zu dem allerärmlichſten ge-
hörte. Dennoch war ich nicht der Anſicht meines Man-
nes, Putz war ihr vollkommen über flüſſig. In dieſem
Augenhlick kamen Arm in Arm mehrere Reihen junger
Mädchen aus der Kirche. Einige beurlaubte Matroſen
und Burſchen aus den verſchiedenen Theilen der Inſel,
die das Feſt angezog en hatte, luden die Mädchen zum
Tanz ein und Job unterbrach plötzlich ſeine melodiſchen
Phantaſien und ging in die munterſte, ausgelaſſenſte
Tanzmuſik über. Zu meinem größten Erſtaunen erbob
ſich die eben erwähnte Jeannie furchtſam und ſcheu.
Ihre eben noch verk lärten Züge wurden unſäglich traurig
und mit niedergeſchlagenen Augen zog fie ſich zurück,
während die fröhlichen Gruppen, ohne ſie eines Wortes
zu würdigen, an ihr vorbei ſchritten.
Wie ſo, rief ich voll Verwunderung aus, die Schönſte
ſollte nicht tanzen?
Die? rief nun ſeinerſeits der Grenzw eachter nicht
weniger verwundert aus. Wer ſollte denn mit ihr tan-
zen? — Ich will es gelten laſſen, daß man ihr Arbeit
gibt und auf die Art behilflich iſt, denn, nicht wahr,
fügte er halb mitleidig, halb verächtlich hinzu, ſie kann
doch ihr Kind nicht Hungers ſterben laſſen?
Das arme Giſchöpf ſah mit einer Art Angſt zu uns
hin, als ob ſie erriethe, daß von ihr die Rede war.
Sie wurde, frug ich flüſternd, ſicherlich von irgend
einem Matroſen verführt?
Bei dieſen Worten wurde der Grenzwächter roth bis
unter die Haare. Unſere Seeleute, antwortete er, ach-
ten ihre Landsmänninnen. Was ſie ſich außerhalb er-
lauben, iſt ihre Sache, aber ſie ließen es ſich niemals
nachſagen, daß Einer dem guten Ruf eines Mädchens ge-
ſchadet bätte. So etwas find nur Zuaven von der Frem-
denlegion fähig Wir haben einige ſolcher. Müßiggänger
auf der Citadelle. Sie kommen, Nie mand weiß woher,
ſie gehen wieder und Niemand hört mehr etwas von
ihnen, wenn unſere Dirnen nicht auf ihrer Hut wären
. . . . aber fie wiſſen ſich ſchon ſelber zu hüten, das
lönnen Sie verſichert ſain.
Außer dieſe hier. ö ö
Ob die glaubte, er würde ſie heirathen, und die
Heirath wäre auch zu Stande gekommen, denn ihr Lieb-
haber hing ſehr an ihr und nur noch wenige Monate,
ſo war ſeine Dienſtzeit zu Eande, aber Sie begreifen,
daß der Vater des Mädchens dies nicht zugeben wollte.
Im Gegentheil, ich begreife dies nicht im Entfern-
teſten. — ö
Ihr Vater war ein braver Mann und mein Freund.
Ich höre ihn noch, wie er zu ſeiner Tochter ſagte, in-
dem er ihr ſeine Einwilligung abſchlug: Du wirſt durch
Deine Sünde geſtraft werden. — Und ſie wurde ge-
traft!
Der Grenzwächter erzoͤhlte dies mit einer Miene,
welche deut ich zeigte, daß er in demſelben Falle gerade
ſo gehandelt kaben würde. Ich blieb ſprachlos. In
welchem Theil der Erde wird die Ehre eines Mädchens
auf eine ſelche Art verfanden? — Wo fände man
einen Vater, der die Schande nur allein in der began-
genen That und nicht in den Folgen ſehen würde? Und
was ſoll man von dem ſchuldigen Mädchen halten, die
ohne Murren der väterlichen Autorität das Glück ihres
Lebens und die Zukunft ihres Kindes opferte, die frei-
willig auf der Stelle feſtgebannt blieb, die Zeuge ihres
Unglücks und ihrer Schande geweſen und geduldig die
Geringſchätzung und Mißachtung ihrer Umgebung auf
ſich nahm? Das waren die Charaktere, die dieſer Prie-
ſter herangebildet hatte und wagte ich nicht zu entſchei-
den, ob ein ſolcher paſſiver Heroismus, wie ihn dieſes
Mädchen täglich und ſtündlich bewies, mehr Bewunde-
rung oder mehr Tadel verdiente! — In dieſer Be-
trachtung ſtörte mich Schwatzmaul, der ſeine Erzählung
wiener aufnahm und als wäre es die allernatürlichſte
Sache von der Welt, hinzufügte, daß eine Sünderin
nicht ſo gut wie eine ehrliche Frau bezahlt werden könnte,
und obgleich Jeannie die beſte und fleißigſte Arbeiterin
auf der ganzen Inſel ſei, ſo erhalte ſie nur die Hälfte
nius. zu gleicher Zeit zu Jedem in ſeiner verſtändlichen
Sprache zu reden. Ich für mein Thbeil war neugierig
zu wiſſen, was wohl in der Seele einer großen länd-
lichen Schönheit vorgehen möchte, die ernſthaft und in
ſich verſunken, allein abſeits auf einem Raſenabhang ſaß
und ſchon eine geraume Weile meine Aufmerkſamkeit auf
ſich gezogen hatte.
Obgleich der weibliche Theil der Einwohnerſchaft
von Brohat trotz ihrer groben Arbeiten ſich in auf-
fallender Weiſe durch eine ſeltene Feinheit der Züge und
der Hautfarbe vor den Bäuerinuen anderer Gegenden
auszeichnen, ſo war doch keine Einzige in der ganzen
Verſammlung mit dieſem Mädchen zu vergleichen ge-
weſen. Sie ſchien gannz in Andacht ver ſur ken; das ſaufte
bleiche, etwas gebräunte Geſicht ron dicken blonden Flech-
ten umrahmt, hatte einen unendlich rührenden Ausdruck.
Ihre kirſchrothen Lippen waren halb geöffnet, gleichſam
als welle ſie die Töne mit der Luft einnathmen und
ließen eine Reihe wahrhaft bewunderungswür diger Zähne
ſehen. Ihre Augen tief, unergründlich und wechſelnd
wie das Meer, deſſen Farbe ſie hatten, waren himmel-
wärts gerichtet und ſchienen überharpt auf der Erde
nichts mehr zu ſuchen zu haben. Sie hatte die Alltags-
kopfbedeckung, die den Frauen jener Gegend von den
Engländerianen überkommen mar, nicht mit der Sonn-
tagshaube vertauſcht. Der eigenthümlich geformte grobe
Strohhut, deſſen eigentliche Farbe läugſt nicht mehr zu
erkennen war, ſaß auf einem üppig reichen Haarwuchs,
den die Urgroßmütter dieſer Inſeltöchter ehemals im
Winde bei Fackelſchein flattern ließen, wenn ſie von der
Höhe der Felſen herab ihre Verwünſchungen gegen die
Feinde ſchleuderten und ihr Geſchrei mit dem Toſen des
Elementes vermiſchten.
Dort ſitzt eine Schönheit, bemerkte ich dem Grenz-
wächter.
Die Jeannie? Ja, wenn ſie beſſer gekleidet ginge,
wäre ſie nicht übel.
Jetzt erſt bemerkte ich, daß der Anzug dieſer ſchönen
Statue, obwohl ſehr ſauber, zu dem allerärmlichſten ge-
hörte. Dennoch war ich nicht der Anſicht meines Man-
nes, Putz war ihr vollkommen über flüſſig. In dieſem
Augenhlick kamen Arm in Arm mehrere Reihen junger
Mädchen aus der Kirche. Einige beurlaubte Matroſen
und Burſchen aus den verſchiedenen Theilen der Inſel,
die das Feſt angezog en hatte, luden die Mädchen zum
Tanz ein und Job unterbrach plötzlich ſeine melodiſchen
Phantaſien und ging in die munterſte, ausgelaſſenſte
Tanzmuſik über. Zu meinem größten Erſtaunen erbob
ſich die eben erwähnte Jeannie furchtſam und ſcheu.
Ihre eben noch verk lärten Züge wurden unſäglich traurig
und mit niedergeſchlagenen Augen zog fie ſich zurück,
während die fröhlichen Gruppen, ohne ſie eines Wortes
zu würdigen, an ihr vorbei ſchritten.
Wie ſo, rief ich voll Verwunderung aus, die Schönſte
ſollte nicht tanzen?
Die? rief nun ſeinerſeits der Grenzw eachter nicht
weniger verwundert aus. Wer ſollte denn mit ihr tan-
zen? — Ich will es gelten laſſen, daß man ihr Arbeit
gibt und auf die Art behilflich iſt, denn, nicht wahr,
fügte er halb mitleidig, halb verächtlich hinzu, ſie kann
doch ihr Kind nicht Hungers ſterben laſſen?
Das arme Giſchöpf ſah mit einer Art Angſt zu uns
hin, als ob ſie erriethe, daß von ihr die Rede war.
Sie wurde, frug ich flüſternd, ſicherlich von irgend
einem Matroſen verführt?
Bei dieſen Worten wurde der Grenzwächter roth bis
unter die Haare. Unſere Seeleute, antwortete er, ach-
ten ihre Landsmänninnen. Was ſie ſich außerhalb er-
lauben, iſt ihre Sache, aber ſie ließen es ſich niemals
nachſagen, daß Einer dem guten Ruf eines Mädchens ge-
ſchadet bätte. So etwas find nur Zuaven von der Frem-
denlegion fähig Wir haben einige ſolcher. Müßiggänger
auf der Citadelle. Sie kommen, Nie mand weiß woher,
ſie gehen wieder und Niemand hört mehr etwas von
ihnen, wenn unſere Dirnen nicht auf ihrer Hut wären
. . . . aber fie wiſſen ſich ſchon ſelber zu hüten, das
lönnen Sie verſichert ſain.
Außer dieſe hier. ö ö
Ob die glaubte, er würde ſie heirathen, und die
Heirath wäre auch zu Stande gekommen, denn ihr Lieb-
haber hing ſehr an ihr und nur noch wenige Monate,
ſo war ſeine Dienſtzeit zu Eande, aber Sie begreifen,
daß der Vater des Mädchens dies nicht zugeben wollte.
Im Gegentheil, ich begreife dies nicht im Entfern-
teſten. — ö
Ihr Vater war ein braver Mann und mein Freund.
Ich höre ihn noch, wie er zu ſeiner Tochter ſagte, in-
dem er ihr ſeine Einwilligung abſchlug: Du wirſt durch
Deine Sünde geſtraft werden. — Und ſie wurde ge-
traft!
Der Grenzwächter erzoͤhlte dies mit einer Miene,
welche deut ich zeigte, daß er in demſelben Falle gerade
ſo gehandelt kaben würde. Ich blieb ſprachlos. In
welchem Theil der Erde wird die Ehre eines Mädchens
auf eine ſelche Art verfanden? — Wo fände man
einen Vater, der die Schande nur allein in der began-
genen That und nicht in den Folgen ſehen würde? Und
was ſoll man von dem ſchuldigen Mädchen halten, die
ohne Murren der väterlichen Autorität das Glück ihres
Lebens und die Zukunft ihres Kindes opferte, die frei-
willig auf der Stelle feſtgebannt blieb, die Zeuge ihres
Unglücks und ihrer Schande geweſen und geduldig die
Geringſchätzung und Mißachtung ihrer Umgebung auf
ſich nahm? Das waren die Charaktere, die dieſer Prie-
ſter herangebildet hatte und wagte ich nicht zu entſchei-
den, ob ein ſolcher paſſiver Heroismus, wie ihn dieſes
Mädchen täglich und ſtündlich bewies, mehr Bewunde-
rung oder mehr Tadel verdiente! — In dieſer Be-
trachtung ſtörte mich Schwatzmaul, der ſeine Erzählung
wiener aufnahm und als wäre es die allernatürlichſte
Sache von der Welt, hinzufügte, daß eine Sünderin
nicht ſo gut wie eine ehrliche Frau bezahlt werden könnte,
und obgleich Jeannie die beſte und fleißigſte Arbeiterin
auf der ganzen Inſel ſei, ſo erhalte ſie nur die Hälfte