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hervorginge und ibm weder ein heimliches Einverſtändniß
mit dem gewiſſenloſen Lieferarten noch eine ſtroͤfliche Rach-
ficht aus verwar diſchaftlichen Rückfichten nachgewieſen wer-
den könnte. 2
Ebenſo beſtritt der Vertheidiger die Behauptung des
Staatsar walts, daß der Einſturz des Tumels durch die
Unwiſſenheit oder Nachläſſigkeit des Angeklagten erfolgt
ſei. Weder der Auſſeher des Tunnels noch der Schacht-
meiſter legten anfänglich den geringen Sprünzen an dem
Giwölke eine beſondere Bedeutung bei, ſondern ſchrieben
dirſe uech dim Urtzeil dor Sachverfändigen bei naſſer
Witterung nicht ſelten vorkommende Erſcheinung der vor-
bandenen Fruchti keit und den Eluflüſſen des ſchnellen
Temperatur wechſels richtig zu. Dagegen bekundeten ſo-
wohl die in dem Tunnel beſchäftiften Arbeiter wie auch
dee Ack⸗rbürzer Krauſe einen Rnall gehört zu haben,
der die Anzahme rechtfertiat, daß ſich das zur Sprengung
verwendete Dynemit ent veder von ſelbſt oder durch eine
nach unbekaunte Veraulaſſung er tzündet kabe. Dtie Ge-
waͤlt einer derartigen Exploſion ſei allein ſcho hinreichend,
das feſteſte Mauerwerk zu zerflören und ein ſo bꝛrauernrs-
erthes Unglück herbeizuführen. Wozu nech einem
Schultigen noch fuchen, wo nur der Zefall arzuklagen
ſei? Uabeirrt von falſchen Mitleid und von der öffent-
lichen Meinung, welche in einem ſolchen Falle ein Sühn-
opfer verlange, müſſe der Gerichtshef den Angeklagten
vog der ihrn zur Laft gelegten Beſchuldieung frei ſprecher.
Begen dieſe meift begründeten Ausföhrungen des Ver-
tkeidigers erhod ſich von Neuem der Staatsanwalt, der
ſeine Arkaße mit allen ihm zu Gebote fiehenden Mit ⸗
teln aufrecht hlelt urd die Beſtrafung des Schuldizen
im Namen der öffen lichen Sicherheit und zum warnen-
den Exempel für alle pflich tver eſſene Beamte forderte.
Wenn er auch zugeben wollte, das der Angellagte nach
erfolgter Kateſtropze mit eigener Lebensgefahr die ver-
ſchüteten Arbiter gerettet habe, ſo könnte ihn dits gute
Verhalten nicht von der wohlverdien ten Strafe befreien
und der Vorwurf der Nachläſſigkeit und fahrläſſigen
Tödturg dreirr Menſchen entkräften. Für die Entzünd-
usg des Dynsmits fehlte der röthige Beweis, dagegen
wären die von dem Schachtmtiſter Schubert wahrgenom-
meen Sprünge und die Senkung der Mauer hinlänglich
fefigeſtellt und an ſich ſchon genügend den Eiuſturz des
Tunvels zu erklären; auch hätte der Angeklagte ſelbſt
zugeſtanden, daß er in letzter Zeit den Tunnel nicht ſo
oft geſehen und ſo genav unterſucht habe, wie es ſeine
Pflicht verlang tꝛ. Aus dieſen Gründen beantragte der
Staatsanwalt in Anbetracht der Größe des verurſachten
Unglücks und der Wichtigkeit des Falls eine zweijährige
Gefängvißſtrafe, Tragung ſämmtlicher Koſten und Un-
terſagung der bisherigen Thät'gkeit für den Schuldigen.
Wachdem der Präſident noch einen unparteiiſchen
Ueberblick der vorgeführten Thatſachen gezeben und an
den Angeklagten die Frage gerichtet hatte, ob er noch
etwas zu ſeiner Vertheidi ung vorzubringen habe, zog ſich
der Gerichtshof zu einer längeren Berathung zurück.
Während dieſer Pauſe in den Verhandlungen herrſchte
in dem Saal eine erwartungsvolle Aufregung, indem das
Publikum mit getheilter Meinung dem Urtheil entgegen-
ſah. Je nach den Verhältniſſen und verſchiedenen Be-
ziehungen hofften, bezweifelten, wünſchten oder fürcteten
die Anweſenden die Freiſprechung oder Verurtheilung
Roberts.
Trotz der geheuchekten Rohe vermochte Natalie nicht
eire nervöſe Reizbarkeit zu verbergen und ihre Beſorg-
niſſe zu unterdrücken, da ihr keintswegs der Umſchlag
der öͤffentichen Meinung zu Gunſten Roberts entgangen
war. In ihrer nächſten Nähe konnte ſie Aeußerungen
und Bemerkungen hören, die vichts weniger als ſchmei-
chelbaft füe ſie waren. Nicht nur Fränlein Adele,
welche ihr Flunkers Abfall nicht berzeihen konnte, ſon-
dern auch andere Damen fanden ihr Benehmen ebſcheu-
lich und warfen ihr verächtliche Blicke zu. Auch Herr
Bandem ier ſpielte heute eine klägliche Rolle und es
fehlte nicht an Stimmen, welche ihn für den eigentlichen
Schuldigen erklärten und ihn an Stelle ſeiges Schwie-
gerſohnes auf der Anklagebank zu ſehen begehrten, vei
all ſeiner Frechheit fühite ſich Frenrd Flunker in dieſer
Geſellſchaft nicht gann wohl und hätte ſich gern von
Natalie zurückgezogen, wenn dies, ohne Aufſehen zu er-
regen, möglich gewelen wäre.
Natüͤrlich verfolgte das Schwarzkopf'ſche Ehepaar
mit der größten Theilzahme den Verlauf des Prozeſſes
und erwartete mit gröſter Spannung das Urtheil des
Gerichts. Aber mehr als Alle, ſelbſt als Roberts nachſie
Ver wandte, betete im Stillen für ſeine Freiſprechung ein
armes, bleiches Weib, das im Hintergrunde wit gefalteten
Händen tief bewegt daſaß und mit thränenfeuchten Augen
auf den Gefangenen von der Gallerie herniederſah, ohne
daß er eine Ahnung von ihrer Nähe hatte, obtleich er
unwillkürlich an ſie denken mußte. ö
Durch die Bekanntſchaft des Ackerbürgers mit einem
Gerichtsdiener hatte Roſa mit ihrer Freundin, der gu-
ten Gemüſehändl'rin, einen Platz erhalten. Bi dem
Anblick des Unglücktichen erwachte ihre ſchlummernde
Liebe mit verdoppelter Gewalt; ſie vergaß Alles, was
er an ihr verlrochen, und vergab ihm ſeine Treuloſig-
keit, ſeine Schuld. Ein unarsſprechlicher Schmerz er-
faßte ihre Stele, als ſie den einſt ſo geliedten Mann
auf der Anklagebank erblickte, einſam, verlaſſen, mit
eingefallenen Wangen und eingefallenen Augen. Wie
gern kätte ſie ſein Schickſal getheilt, das Unglück mit
ihm getragen und die ihm drohende Strafe für ihn ge-
duldet. ö ö
Die Rede dies Staatsarwalts und die Wirkung der-
ſelben auf die Zuhöͤrer erfüllten ſie mit bange: Furcht
uvd tiefer Trauer. Wenn auch alle Welt den armen
Robert verdammte, ſie glaubte feſt an ſeine Unſchuld und
zweifelte keinen Augenblick an ſeir er Tüchti keit. Wie
ſchlug ihr Herz, wie ftrahlten ihre Augen von nener
Hoffuung belebt, als der ehrliche Krauſe Brandt's Muth,
Selbfiloſigkeit und Hingebung bei der Rettang der Ver-
ſchütteten rühn te und zu Gunſten des Gefangenen zeugte!
Mit welcher ängſtlichen Spannung erwartete ſie das
hervorginge und ibm weder ein heimliches Einverſtändniß
mit dem gewiſſenloſen Lieferarten noch eine ſtroͤfliche Rach-
ficht aus verwar diſchaftlichen Rückfichten nachgewieſen wer-
den könnte. 2
Ebenſo beſtritt der Vertheidiger die Behauptung des
Staatsar walts, daß der Einſturz des Tumels durch die
Unwiſſenheit oder Nachläſſigkeit des Angeklagten erfolgt
ſei. Weder der Auſſeher des Tunnels noch der Schacht-
meiſter legten anfänglich den geringen Sprünzen an dem
Giwölke eine beſondere Bedeutung bei, ſondern ſchrieben
dirſe uech dim Urtzeil dor Sachverfändigen bei naſſer
Witterung nicht ſelten vorkommende Erſcheinung der vor-
bandenen Fruchti keit und den Eluflüſſen des ſchnellen
Temperatur wechſels richtig zu. Dagegen bekundeten ſo-
wohl die in dem Tunnel beſchäftiften Arbeiter wie auch
dee Ack⸗rbürzer Krauſe einen Rnall gehört zu haben,
der die Anzahme rechtfertiat, daß ſich das zur Sprengung
verwendete Dynemit ent veder von ſelbſt oder durch eine
nach unbekaunte Veraulaſſung er tzündet kabe. Dtie Ge-
waͤlt einer derartigen Exploſion ſei allein ſcho hinreichend,
das feſteſte Mauerwerk zu zerflören und ein ſo bꝛrauernrs-
erthes Unglück herbeizuführen. Wozu nech einem
Schultigen noch fuchen, wo nur der Zefall arzuklagen
ſei? Uabeirrt von falſchen Mitleid und von der öffent-
lichen Meinung, welche in einem ſolchen Falle ein Sühn-
opfer verlange, müſſe der Gerichtshef den Angeklagten
vog der ihrn zur Laft gelegten Beſchuldieung frei ſprecher.
Begen dieſe meift begründeten Ausföhrungen des Ver-
tkeidigers erhod ſich von Neuem der Staatsanwalt, der
ſeine Arkaße mit allen ihm zu Gebote fiehenden Mit ⸗
teln aufrecht hlelt urd die Beſtrafung des Schuldizen
im Namen der öffen lichen Sicherheit und zum warnen-
den Exempel für alle pflich tver eſſene Beamte forderte.
Wenn er auch zugeben wollte, das der Angellagte nach
erfolgter Kateſtropze mit eigener Lebensgefahr die ver-
ſchüteten Arbiter gerettet habe, ſo könnte ihn dits gute
Verhalten nicht von der wohlverdien ten Strafe befreien
und der Vorwurf der Nachläſſigkeit und fahrläſſigen
Tödturg dreirr Menſchen entkräften. Für die Entzünd-
usg des Dynsmits fehlte der röthige Beweis, dagegen
wären die von dem Schachtmtiſter Schubert wahrgenom-
meen Sprünge und die Senkung der Mauer hinlänglich
fefigeſtellt und an ſich ſchon genügend den Eiuſturz des
Tunvels zu erklären; auch hätte der Angeklagte ſelbſt
zugeſtanden, daß er in letzter Zeit den Tunnel nicht ſo
oft geſehen und ſo genav unterſucht habe, wie es ſeine
Pflicht verlang tꝛ. Aus dieſen Gründen beantragte der
Staatsanwalt in Anbetracht der Größe des verurſachten
Unglücks und der Wichtigkeit des Falls eine zweijährige
Gefängvißſtrafe, Tragung ſämmtlicher Koſten und Un-
terſagung der bisherigen Thät'gkeit für den Schuldigen.
Wachdem der Präſident noch einen unparteiiſchen
Ueberblick der vorgeführten Thatſachen gezeben und an
den Angeklagten die Frage gerichtet hatte, ob er noch
etwas zu ſeiner Vertheidi ung vorzubringen habe, zog ſich
der Gerichtshof zu einer längeren Berathung zurück.
Während dieſer Pauſe in den Verhandlungen herrſchte
in dem Saal eine erwartungsvolle Aufregung, indem das
Publikum mit getheilter Meinung dem Urtheil entgegen-
ſah. Je nach den Verhältniſſen und verſchiedenen Be-
ziehungen hofften, bezweifelten, wünſchten oder fürcteten
die Anweſenden die Freiſprechung oder Verurtheilung
Roberts.
Trotz der geheuchekten Rohe vermochte Natalie nicht
eire nervöſe Reizbarkeit zu verbergen und ihre Beſorg-
niſſe zu unterdrücken, da ihr keintswegs der Umſchlag
der öͤffentichen Meinung zu Gunſten Roberts entgangen
war. In ihrer nächſten Nähe konnte ſie Aeußerungen
und Bemerkungen hören, die vichts weniger als ſchmei-
chelbaft füe ſie waren. Nicht nur Fränlein Adele,
welche ihr Flunkers Abfall nicht berzeihen konnte, ſon-
dern auch andere Damen fanden ihr Benehmen ebſcheu-
lich und warfen ihr verächtliche Blicke zu. Auch Herr
Bandem ier ſpielte heute eine klägliche Rolle und es
fehlte nicht an Stimmen, welche ihn für den eigentlichen
Schuldigen erklärten und ihn an Stelle ſeiges Schwie-
gerſohnes auf der Anklagebank zu ſehen begehrten, vei
all ſeiner Frechheit fühite ſich Frenrd Flunker in dieſer
Geſellſchaft nicht gann wohl und hätte ſich gern von
Natalie zurückgezogen, wenn dies, ohne Aufſehen zu er-
regen, möglich gewelen wäre.
Natüͤrlich verfolgte das Schwarzkopf'ſche Ehepaar
mit der größten Theilzahme den Verlauf des Prozeſſes
und erwartete mit gröſter Spannung das Urtheil des
Gerichts. Aber mehr als Alle, ſelbſt als Roberts nachſie
Ver wandte, betete im Stillen für ſeine Freiſprechung ein
armes, bleiches Weib, das im Hintergrunde wit gefalteten
Händen tief bewegt daſaß und mit thränenfeuchten Augen
auf den Gefangenen von der Gallerie herniederſah, ohne
daß er eine Ahnung von ihrer Nähe hatte, obtleich er
unwillkürlich an ſie denken mußte. ö
Durch die Bekanntſchaft des Ackerbürgers mit einem
Gerichtsdiener hatte Roſa mit ihrer Freundin, der gu-
ten Gemüſehändl'rin, einen Platz erhalten. Bi dem
Anblick des Unglücktichen erwachte ihre ſchlummernde
Liebe mit verdoppelter Gewalt; ſie vergaß Alles, was
er an ihr verlrochen, und vergab ihm ſeine Treuloſig-
keit, ſeine Schuld. Ein unarsſprechlicher Schmerz er-
faßte ihre Stele, als ſie den einſt ſo geliedten Mann
auf der Anklagebank erblickte, einſam, verlaſſen, mit
eingefallenen Wangen und eingefallenen Augen. Wie
gern kätte ſie ſein Schickſal getheilt, das Unglück mit
ihm getragen und die ihm drohende Strafe für ihn ge-
duldet. ö ö
Die Rede dies Staatsarwalts und die Wirkung der-
ſelben auf die Zuhöͤrer erfüllten ſie mit bange: Furcht
uvd tiefer Trauer. Wenn auch alle Welt den armen
Robert verdammte, ſie glaubte feſt an ſeine Unſchuld und
zweifelte keinen Augenblick an ſeir er Tüchti keit. Wie
ſchlug ihr Herz, wie ftrahlten ihre Augen von nener
Hoffuung belebt, als der ehrliche Krauſe Brandt's Muth,
Selbfiloſigkeit und Hingebung bei der Rettang der Ver-
ſchütteten rühn te und zu Gunſten des Gefangenen zeugte!
Mit welcher ängſtlichen Spannung erwartete ſie das