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Heidelberger Volksblatt (34) — 1901

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Nr. 38 (Montag 20. Mai)
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Heidelberger Volksblatt.

Nr. 38.

Montag, den 20. Mai 1901.

3 n

Erſcheint jeden Montag und Donnerstag als Beilagezum „Heidelberger Lokal⸗Anzeiger“ (Neuer Heidelberger Anzeiger.)

Drei Frauenherzen.
Roman frei nach dem Amerikaniſchen.
Von Erich Frieſen.

(Fortſetzung.)
ö (Nachdruck verbo ten.

Am Vormittage des Maskenballes überbringt der
Poſtbote einen großen Carton. Erwartungsvoll öffnet
ihn Helene.
lange, bis zur Schulter reichende Glaceehandſchuhe, eine
ſchwarze Halbmaste, ein entzückender, kunſtvoll gemalter
Elfenbeinfächer und ein vergoldetes Riechflacon mit dem

herrlichſten Veilchen⸗Parfum — lauter kofibare Kleinig-

keiten, die ſie in ihrem Leben noch nie beſeſſen.

Als ſie am Abend in den eleganten Domino geſchlüpft

iſt und die Maske vorgebunden hat, beſieht ſie ſich lachend
im Spiegel. Wie drollig ſie ausſieht! Schnell zieht ſie
die Handſchuhe über, ergreift Fächer und Flacon und ſteigt
gefolgt von Georg, in den unten harrenden Wagen.
In nervöſer Erregung betritt ſie den Ballſaal. Sie
hat die Empfindung, als ob alle Augen auf ihr ruhen.

Leiſes Gemurmel, unterdrücktes Lachen, verſtellt Stimmen

allüberall.
Die grellen Dominos, alle verſchieden in Farbe und
Schnitt, die ſchwarzſeidenen Masken, durch welche die

Augen wie Kohlen glühen, das gedämpfte Licht unzähliger
Flammen, welche durch Gazeſchleier gemildert ſind —
alles dies übt auf Helene einen eigenen Einfluß aus.
Die ſanften Orcheſterklänge, das Tropfen der Spring-

brunnen, das Stimmengemurmel vermiſcht ſich in ein ein-

ziges brauſendes Geräuſch, welches ihre Sinne völlig ge
fangen nimmt.
Ihr Bruder iſt ſogleich beim Eintritt verſchwunden. Ein
ſam, ſtill, wie berauſcht ſteht ſie da.
Sie freut ſich deſſen. Sie iſt noch zu befangen, um
ſogleich auf eine neckende Unterhaltung eingehen zu können.
Sie will nicht ſprechen, nur ſehen und hören und das bunt-
farbige Bild auf ſich wirken laſſen.

Domino, genau wie der ihre. Doch nicht ganz genau ſo;
auf der Schulter ihres eigenen Gewandes iſt ein ſchwarzes
Malteſerkreuz aufgeſtickt. Aber dies iſt auch der einzige
Unterſchied.
gleicht der ihren.
Wer mag die Dame ſein d

Nonchalant lehnt ſie an einer Säule, umgeben von

mehreren mäſnlichen Dominos. Die ſchwa zſeidene Maske
verdeckt auffallend ſforgſam das ganze Geſicht.
Helene beobachtel ſie mit wachſendem Intereſſe.

Jetzt hebt die Dame die Hand, und Helene weiß, daß
es Nora iſt.

Wieder wundert ſie ſich über die Glei ichheit der Dominos.
Aber iſt es nicht ganz beſonders liebens würdig von Nora,

ihr ein ebenſo koſtbares Koſtüm zu ſchenken, wie das, welches
ſie ſelbſt trägt? Freilich, blau würde ſie vorzieheu. Doch
ein Blick in die Runde belehrt ſie, daß rote und roſa und

Neben einem gelbſeidenen Domino liegen

erhitzten Geſicht Kühlung zu.

aufzuſchlagen.

Selbſt die Figur, welche der Domino bedeckt

blaue Dominos in Hülle und Fülle vorhanden, alſo ent-
ſchieden weniger elegant find.

Die Hitze bedrückt ſie. Faſt unbewußt bewegt ſie ſich
der offenen Thür zu, welche auf die Terraſſe führt. Sie
merkt nicht, daß eine männliche Maske ihr folgt.
Tief aufatmend lehnt ſie ſich auf die Baluſtrade und
blickt hinunter in den mondſcheinerfüllten, ſtillen Park.
„Wollen Sie mir ein Wort gewähren ꝛ⸗ fragt eine
leiſe Stimme dicht an ihrem Ohr.
Sie ſchreckt zuſammen. Wer iſt der Mann an ihrer

Seite? Iſt er ſchlank, unterſetzt, ſehr groß oder nur

mittelgroß? Der weite, ſchwarze Domino läßt ſie im Un-
klaren darüber. Auch kann ſie in der Dunkelheit die
Augen nicht erkennen. Doch glaubt ſie, trotz der ver-
ſtellten Stimme ein leiſes Beben in derſebben zu ver-
nehmen.
Ihr Herz beginnt heftiger zu ſchlagen.
nur Lilienſtröm ſein!
Das Glück macht fiegesgewiß. Ihr Mut wöächſt
„Ein Wort nur?“ erwidert ſie neckend, wenn auch
etwas vefangen. „Das iſt wenig. Ein alter Freund
dürfte ſchon mehr verlangen!“ ö ö ö
Er ſchüttelt den Kopf.
„Die Hoffnung iſt mir genommen.
„Kleinmütiges Herz!“
Sie blickt von ihm fort in's Weite und fächelt ihrem
Sie füht ſich befangen und

Das kann

doch froh.
Da der ſchwarze Domino ſchweigt, faͤhrt ſie leiſe
ort:
„Ich glaube, ein wahrhaſt ſtarker Geiſt hofft ſtets.
Die Zeit taut ſelbſt das kälteſte' Herz auf“ ö
Wie glücklich macht ſie der Gedanke, daß er ſo de-
mütig um ſie wirbt, daß er noch gar nicht ahnt, wie er
bereits ihr Herz beſitzt.
Noch immer antwortet der Domino nicht. Sein Blick
ruht feſt und durchdringend auf ihr. Sie fühlt dies
mehr, als ſie es ſieht: denn ſie wagt kaum, die Augen
Das magiſche Licht des Mondes, die Nähe
des Geliebten ſeine myſtiſchen Worte — alles zuſam men

ö wirkt berauſchend auf die ſchlichte Mädchennatur.
Zwiſchen all' den Masken erblickt ſie auf einmal einen 5 knatt ſe

In halb ſtolzer, halb demütiger Haltung ſteht ſie vor

ihm, den Kopf geſenkt, die Hände verſchlungen.

„Hoffnung ?“ flüſtert er 2ch mit vibrierender Stimme.
„Sie raten mir zu hoffen? ... Wiſſen Sie, was Sie
thun
In ſeiner tiefen Erregtheit vergißt er bei den uetten
Worten ſeine Stimme zu verſtellen.
Wier fährt zurück.
Sie ſind es?“ murmelt ſie angſtool.
Der Mann neben ihr ſieht, wie ihr Blick dem ſeinen
ausweicht, wie ihre Bruſt ſich in raſchen Atemzügen hebt
und ſenkt und er begreift ſofort, daß jene aufmunternden
Worte für einen Andern beſtimmt waren.
Inzwiſchen hat Helene ſich ſoweit gefaft, daß fie euhio
ſprechen kann.
wWer hätte gedacht, Sie heute auf dem Maskenball
zu ſehen Herr Doktor!“ verſucht ſie zu ſcherzen. „Um
das Vergnügen poll zu machen müßte man eigentlich ſtets
 
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