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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0726
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Karlsruhe, 29. Decbr. Der Staatsanzeiger für das
Großherzogthum Baden Nr. 45 vom 28. December enthält:
1) Unmittelbare Allerhöchſte Entſchließungen Sr.
Königl. Hoheit des Grozßherzogs, Ordens⸗ und Me-
daillenverleibungen, Erlauhniß zur Annahme eines fremden
Ordens, Dienſtnachrichten betreffend; 2) Nachrichten über
das Poſt⸗ und Telegrapheuweſen; 3) Verfügungen
und Bekanntmachungen der Staatsdehörden, und
zwar a. des Miniſteriums der Juſtiz, des Kultus und Unterrichts
wegen des Gerichtsvollzieherdienſtes beim Amtsgericht Müllheim
und der Aenderung von Familiennamen; d. des Miniſteriums
des Innern über die Ernennung der Bezirksrathsmitglieder für
den Amtebezirk Durlach; e. des Miniſteriums der Finanzen be-
züglich der Tilgung des 3 proz. Eiſenbahnanlehens vom Jahr
1842, der Einziehung der 3½ proz. Rentenſcheine und der Til-
gung des 4proz. Eiſenbahnanlehens vom Jahr 1880; 4) die Mit-
theilung eines Todesfalls.
Aus der bad. Pfalz wird der Bad. Landesztg. un-
term 28. Dezember geſchrieben: Ueber die Weihnachtsfeier-
tage bildete das Verhalten der Reichstagsabgeordneten,
welche die Militärvorlage abgelehnt haben, und die Be-
mängelungen, mit denen die Herren Richter und Genoſſen
gegen eine Erhöhung unſerer Militärſtärke aufzukommen ſich
bemühten, allenthalben den Gegenſtand der Geſpräche ern-
ſter Männer. Ohne Ausnahme und von Männern in den
verſchiedenſten Lebensſtellungen und aller Parteifarben hörte
man nur Aeußerungen der Verwunderung, wenn nicht
der Entrüſtung über das ungqualifizirbare Benehmen der
Reichstagsmehrheit. Wir in Baden haben beſonders Ur-
ſache, mit allen Kräften dafür einzuſtehen, daß unſer Heer
dem weſtlichen Nachbar überlegen bleibe; denn wer hat
mehr als wir gelitten unter den Kriegsverwüſtungen der
Franzoſen und dieſen ihren feindlichen Einfällen? Wer iſt
mehr als wir in faſt unmittelbarer Nähe des Erbfeinds
und mit nnſerer langgeſtreckten offenen Grenze der Gefahr
einer feindlichen Ueberſchwemmung, den Drangſalen und
Nöthen ausgeſetzt, wie ſie von den Franzoſen zu erwarten
ſind, wenn es ihnen gelingt, unſere Heere zu ſchlagen? Haben
nicht ſchon im Jahre 1870 öffentliche Stimmen in Frank-
reich ausgeſprochen, in Baden werde man nicht ein-
mal die Frauen ſchonen? War nicht damals beabſichtigt,
den Schwarzwald anzuzünden? Wenn alſo unſere erſten
Kriegsmänner, wie der große Generalſtab und Moltke, das
Kriegsminiſterium, ja der Kaiſer und die verbündeten Re-
gierungen ſelbſt eine Stärkung unſerer Militärkraft für ge-
boten erklären, können wir in Baden ruhig bleiben gegen-
über der Abſtimmung des Reichstags, welcher ſolchen Auto-
ritäten gegenüber Parteimanöver und kleine Nörgeleien
in's Treffen führt. Wird uns in der Stunde der Gefahr
Herr Richter mit ſeiner freiſinnigen Zeitung und ſeinem
Zahlenmaterial etwas helfen können! Wahrlich, es iſt nicht
zu verwundern, daß der einfache Bauersmann dem ganzen
Parlament nicht viel Werth beilegt und, wie man in die-
ſen Tagen oft vernehmen konnte, meint: „Der Bismarck
ſoll dreinfahren.“ Daß Bismarck ſchließlich helfe, iſt eine
Hoffnung, die unter der Landbevölkerung allenthalben be-
ſteht und laut wird. Hat doch ſchon bei der jüngſten
Reichstagswahl ein Bauer auf ſeinen Wahlzettel geſchrieben:
„Ich laß den Fürſten Bismarck walten, der wird das
Reich uns ſchon erhalten.“
Berlin, 28. Dec. Ein römiſcher Korreſpondent der
„Voſſ. Ztg.“ meldet: Die kirchenpolitiſchen Ver-
handlungen nehmen, wie ich aus beſter Quelle mitzu-
theilen in der Lage bin, gegenwärtig erfreulichen Fortgang
— erfreulich in dem Sinne, daß von beiden Seiten mit
der aufrichtigen Abſicht, die Schwierigkeiten aus dem Wege
zu räumen und zu einer Verſtändigung zu gelangen, ge-
arbeitet wird. Alle Nachrichten von angeblich neu aufge-
tauchten Schwierigkeiten, von einem Stillſtande der Verhand-
lungen, von Unterſtützung des klerikalen Widerſtandes in
Preußen (und Bayern) durch den Papſt ſind aus der Luft
gegriffen. Der Kardinalſtaatsſecretär Jacobini hat krank-
heitshalber auf die Leitung der Geſchäfte faſt ganz verzichten
müſſen. Er wird nur deshalb im Amte gelaſſen, weil er
ſehr an ſeiner Stellung hängt und eine Entfernung als
ein ſchwerer Schlag von ihm empfunden werden würde.
Namentlich die faſt bis zur Taubheit geſteigerte Schwerhörigkeit
ſetzt ſeinem Verkehr mit dem Papſt und den Diplomaten,
wie ſeiner ſonſtigen amtlichen Thätigkeit die größten Hinder-
niſſe entgegen. Er fährt fort, in den Kongregationsſitzungen
den Vorſitz zu führen, ohne verſtehen zu können, was ge-
ſprochen wird. Dem Papſte iſt die dadurch herbeigeführte
Erſchwerung der Geſchäfte unangenehm. Er läßt ſich per-
ſönlich die Förderung der Verhandlungen mit Preußen an-
gelegen ſein und verkehrt viel mit Herrn v. Schlözer.
Berlin, 29. Dez. Zu dem achtzigjährigen Mi-
litär⸗Dienſtjubilänm des Kaiſers am Neu-
jahrstage werden vorausſichtlich ſämmtliche commandirende
Generäle aller deutſchen Armeecorps ſowie die Comman-
deure aller Regimenter, deren Chef der Kaiſer iſt, zur Be-
glückwünſchung hier eintreffen. — Der Reichskanzler
gedenkt in der erſten Jan uarwoche nach Berlin zu
kommen. — In ſonſt gut unterrichteten Kreiſen verlautet,
daß au ßer Bunge auch Giers und der ruſſiſche
Juſtizminiſter demiſſioniren würden.
Stettin, 29. Dez. Der dritte große Reichspoſt-
dampfer iſt heute Mittag 12 Uhr auf der Werft des
„BVulcan“ glücklich vom Stapel gelaſſen worden. Die
Taufe vollzog die Gemahlin des ſächſiſchen Geſandten in
Berlin, Gräfin v. Hohenthal und Bergen. Der Dampfer
erhielt den Namen „Sachſen“.
München, 28. Decbr. Der deutſche Kronprinz
hat als Weihnachtsgeſchenk und zugleich als Erinnerung an
die jüngſt in Berlin verlebten Tage dem Prinzen Ludwig
einen prächtigen Ehren degen zugeſandt. Derſelbe führt
auf der Klinge folgende Widmung: „Friedrich Wilhelm,
Kronprinz des Deutſchen Reiches und von Preußen, ſeinem
lieben Freunde Ludwig, Prinz von Bayern.“
Darmſtadt, 29. Dezbr. Zur Beglückwünſchung des
Kaiſers reiſt morgen Prinz Heinrich nach Berlin.

Oeſterreichiſſche Monarchie.
Wien, 29. Dezbr. Wie der Polit. Corr. aus War-
ſchau gemeldet wird, ſoll diesmal die Einberufung der
Militärpflichtigen auf höhere Weiſung früher als
ſonſt ſtattfinden. — Die Weichſelbahn hat den Auftrag er-
halten, im Betriebsdienſte nur Nationalruſſen an-
zuſtellen. ö
Wien, 29. Dec. In einem Telegramm an die Neue
fr. Preſſe bezeichnet v. Villaume, der deutſche Militär-
bevollmächtigte in Petersburg, alle über ihn umlaufenden
Gerüchte als böswillige Erfin dungen.
Ausland.
Paris, 28. Dec. Mit ſtarrem Entſetzen hat ein fran-
zöſiſcher Abrüſtungsvorſchlag die Herren Boulanger, Cle-
menceau, Rochefort, Deroulede und Genoſſen ſammt den
Gemeinderäthen der Seineſtadt erfüllt. Ein Leitartikel des
Gaulois, vom 22. December, trägt nämlich die Ueberſchrift:
Wir wollen abrüſten. Es wird darin hingewieſen
auf die Unmöglichkeit, das Gleichgewicht im franzöſiſchen
Budget herzuſtellen, wie Herr Goblet es verſprochen hat;
alle Miniſterien würden an dem ungeheueren Ausfall
ſcheitern müſſen. Niemand aber habe den Muth, die wahre
Urſache der finanziellen Verlegenheiten Frankreichs zu ent-
hüllen und zu beſeitigen. Dieſe Urſache aber ſei die wahn-
witzige Uebertreibung der Militärausgabe. Der Gaulois
ſtellt feſt, daß Frankreich in Folge dieſes ſeines „militäri-
ſchen Wahnſinns“ weit mehr Summen aufwendet, als
irgend eine andere Nation; dann heißt es weiterhin
wörtlich:
„Weiß man, daß Frankreich für ſeine Rüſtung Jahr ein
Jahr aus 944 Millionen ausgibt? Freilich weiß man Das,
denn jene Rieſenziffern machen ſich in jedem Budget breit. Die
fremden, Völker ſind weit davon entfernt, ähnliche Aufwendungen
zu machen. Frankreich ſchreitet an der Spitze bei dieſer Kriegs-
raſerei, welche Europa erſchüttert, ihm das Blut entzieht und es
zum Grabe führt, ſo zwar, daß bei der Fortdauer des gegenwär-
ligen Verhältniſſes Frankreich vor allen anderen Völkern zum
Bankbruch, Elend und Verderben kommen müßte. Um uns zu
ſchlagen, brauchte Deutſchland ſeine Regimenter nicht zu mobiliſiren;
es brauchte nur mit gekreuzten Armen — bei ſeinen. 505 Millionen
Kricgsbudget und ſeiner Schuldenlaſt von 5½ Miilliarden — zu
warten, daß das Kriegsbudget von 944 Millionen und die Zins-
zahlung unſerer Rieſenſchuld von 26 Milliarden uns erſchöpft hat.
Wir haben 26½ Milliarden Staatsſchulden, welche wir, weit ent-
fernt, ſie zu tilgen, Jahr für Jahr noch um rund 700 Millionen
erhöhen, und faſt eine Milliarde geben wir für Kriegsrüſtungen
aus. Das iſt unſere Lage. Kein Volk iſt je ſo gefährdet und ſo
überbürdet geweſen, und wir leben weiter als große Narren,
die wir in der That ſind, ohne nur ein Auge auf die beredten
Rieſenziffern zu werfen. Abrüſten mutz man oder den Krieg
ſofort beginnen und zwiſchen Frankreich und Deutſchland
das militäriſche Räthſel löſen, welches dieſe beiden Völker
hindert, freundnachbarlich nebeneinander zu leben. Wir
ſind ja bereit, bereiter, als wir je ſein werden. Elſaß und
Lothringen zurückgewinnen oder die Wiedereroberung verſuchen,
iſt ſehr rühmlich; aber an Auszehrung ſterben neben jenen Pro-
vinzen, ohne ſie zu erlangen und ohne auf ſie zu verzichten —
nein! Nun wohl! Angeſichts einer ſolchen Lage, Angeſichts die-
ſer unzweifelhaft feſtſtehenden Wahrheit, daß die Rüſtung Frank-
reich tödtet, gibt es nur ein einziges Hilfsmittel: die Abrüſtung.
Frankreich muß mit der Abrüſtung den Anfang
machen!“ — Die Redaktion des Gaulois dürfte vor dem Ge-
ſteinigtwerden kaum noch ſicher ſein!
Paris, 29) Dez. Miniſter Goblet erklärte einer
Abordnung des Pariſer Gemeinderaths, er lehne jeden An-
trag auf Schaffung einer Centralmairie und die
Trennung der General- und Municipalräthe ab und gedenke
lediglich die Befugniſſe des Gemeinderathes zu erweitern.
— Der ſocialiſtiſche Deputirte Boyer wird in der erſten
Kammerſitzung einen auf all gemeine Abrüſtung in
Europa zielenden Antrag einbringen. — Der „Temps“
ſchreibt: Der Berichterſtatter des „Standard“ in Philippo-
pel meldete, der franzöſiſche Militärattache in Konſtantino-
pel, Oberſt Caffarel, habe ſich nach Bukareſt, Belgrad
und Sofia begeben, um eine Aufſtellung über die Zahl der
Truppen zu liefern, die Rumänien, Serbien und Bulgarien
ſtellen können. In dieſer Form iſt die Nachricht aber un-
zutreffend. Richtig iſt, daß die Pforte Frankreich erſucht hat,
ihr einen höheren Offizier zur Inſpection einiger ihrer
Truppentheile zuzuweiſen; hiermit iſt ſodann Caffarel be-
traut worden. Der „Temps“ ſagt ferner: Mehrere
Blätter bringen die Nachricht, es ſei ein Vertrag zwiſchen
Deutſchland, Holland, Luxemburg und Frankreich betreffend
Maßregeln gegen die Arbeitseinſtellungen und die
hieraus entſtehenden Unordnungen unterzeichnet worden.
Wir ſind ermächtigt, dieſe Nachricht, ſoweit ſie Frankreich
betrifft, als durchaus unbegründet zu erklären. Frank-
reich hat mit ſolchem Antrage nichts zu thun. Es haben
nicht einmal Verhandlungen in dieſer Beziehung ſtattge-
funden.
London, 28. Dec. Der Rücktritt Lord Chur-
chills vom Miniſterium, welcher die Geſammtpolitik des
Miniſteriums Salisbury in Frage geſtellt hat, gibt der
öffentlichen Meinung reichlich Stoff zu Erwägungen und
Unterſuchungen. Wie der „Obſerver“ ausführt, war in
dem von Lord Randolph Churchill entworfenen Budget
eine ſehr bedeutende Steuerermäſßigung geplant. Die
Einkommenſteuer ſollte auf 5 Pence im Pfunde herab-
geſetzt, der Thee⸗ und Tabakszoll weſentlich ermäßigt und
die Bürde der Lokalſteuern um etwa 2 Millionen Pfund
Sterling erleichtert werden. Das ſo ausgearbeitete Budget
erforderte nothwendigerweiſe eine Verminderung anſtatt
eine Vermehrung der Flotten⸗ und Heeres⸗Voranſchläge
und war folglich unvereinbar mit den von der Admira-
lität und dem Kriegsminiſterium unterbreiteten Etats.
Die Meinungsverſchiedenheit, welche zu dem Austritt des
Schatzkanzlers aus dem Cabinet führte, war indeß nicht
auf die Budgetfrage beſchränkt. Lord Randolph war ent-
ſchieden der Meinung, daß, ſelbſt falls die Verwicklungen
in Bulgarien und anderwärts zu einem continentalen Kriege
führen ſollten, die auf dem Spiele ſtehenden Fragen nicht
ſolche wären, um die thätige Einmiſchung Eng-
lands zu erheiſchen. Er mißbilligte demnach jedwede Er-

höhung der Flotten⸗ und Heeresetats aus dem Grunde,

daß ſie nicht nur unnöthig, ſondern dazu angethan wären,
die Gefahr einer Verwicklung Euglands in einen continen-
talen Krieg zu vergrößern. Anderſeits war das Miniſterium
der Anſicht, daß die geplante Ausgabe nothwendig ſei, um
im Falle des Ausbruches eines allgemeinen Krieges auf
dem Continent das Land in einen gehörigen Vertheidigungs-

zuſtand zu berſetzen. In Betreff der iriſchen Frage, ſowie
der bereits ergriffenen oder künftighin zu ergreifenden Maß-
nahmen für die Aufrechthaltung von Geſetz und Ordnung
war Lord Randolph Churchill gänzlich im Einverſtändniß
mit ſeinen Collegen.
Belgrad, 29. Decbr. Die bul gariſch⸗ſerbiſche
Bregowo⸗Commiſſion hat das ſtreitige Bregowo-
gebiet Serbien zuerkannt. Sämmtliche Mitglieder unter-
zeichneten das bezügliche Protokoll und theilten die Ent-
ſcheidungen ſofort den beiderſeitigen Regierungen mit.

Aus Stadt und Land. ö
Hridelbers, 29. Dez. In der heutigen Sitzung des hieſigen
Stadtratys wurden u. A. folgende Gegenſtände zur Kenntuiß
bezw. Erledigung gebracht: 1) Die Schenkung der Herren Ge-
brüder Reis zum Waiſenhaus mit 100 Mark wird dankend an-
genommen. 2) Jun den nächſten Voranſchlag ſollen die Koſten
für die Herſtellung eines weiteren gepfläſterten Straßenübergangs
vor dem Theatergebäude und für eine Neupfläſteruug des unteren
Theiles der Klingenthorſtraße nächſt dem Eiſenbahnübergang auf-
genommen werden. 3) Vorbehaltlich der Genehmigung des Bür-
gerausſchuſſes werden bei dem Großh. Oberſchulrathe Schritte
zur Erlangung der Zuſtimmung der competenten Staatsbehörden

zu einer Aenderung der Satzungen der hieſigen höheren Mädchen-

ſchule in der Richtung gethan werden, daß die Selecta der
höheren Mädchenſchule mit dieſer Anſtalt in organiſche Verbin-
dung gebracht wird.
+T Heidelberg, 30. Dez. Mit Rückſicht auf die große Mitglieder-
zahl, welche das Vereinslokal auf einmal bei Weitem nicht zu
faſſen vermag, veranſtaltet der Liederkranz zwei Weihnachts-
aufführungen, damit es ſo ſämmtlichen Mitgliedern ermöglicht
wird, ſich an der Feier zu betheiligen. Beiden Aufführungen
liegt das gleiche Programm zu Grunde. Geſtern Abend fand die
erſte derſelben ſtatt, die nach Maßgabe der ausgegebenen Billets
von etwa 350—400 Perſonen beſucht war. Der erſte Theil des
Abends brachte Vorträge des vereinigten Stadt- und Haus-
orcheſters, des Männerchors, ein Baritonſolo und ein Duett für
Tenor und Baß. Der Chor legte wiederum von ſeiner vortreff-
lichen Schulung Zeugniß ab; ganz ausgezeichnet wurde insbe-
ſondere das herrliche „Am Ammerſee“ geſungen. Auch der Ba-
riton⸗Soliſt, wie die Duettſäuger boten treffliche Leiſtungen und
wurden durch freigebigſten Beifall belohnt. Der zweite Theil
mit ſeinen lieblichen Weihnachtsbildern gab der eigentlichen Be-
deutung der Feier Ausdruck. In einem Cyclus von Chören und
Melodramen, componirt von Herrn E. Halven, ſowie leben-
den Bildern fand die ſchöne Weihnachtszeit ihre Verherrlichung
und weihevolle Würdigung. Die Chöre waren gut einſtudirt, ſo
daß die ſtimmungsvollen Compoſitionen mit tiefer, ernſter
Wirkung zu Gehör gebracht wurden. An lebenden Bildern
wurde „Die heilige Nacht“, „Die Weihnacht der Armuth“ und
„Glückliche Weihnacht“ vorgeführt. Die Arrangements hierzu
waren mit feinem künſtleriſchem Geſchmack getroffen; einen herr-
lichen Anblick boten auch die Dekorationen des Hintergrundes.
In dem Schlußchor „Heilige Nacht mit tauſend Kerzen“ klang
die erhebende Feier in ernſter, weihevoller Stimmung aus. Die
heute Abend ſtattfindende zweite Aufführung dürfte wiederum ein
zahlreiches, andächtig und befriedigt lauſchendes und ſchauendes
Publikum vorfinden.
— geidelberg, 30. Dez. Geſtern Vormittag ſtellte ein Haus-
burſche in der Bergheimerſtraße bei dem Verbrauchsſtenererhe-
bungshäuschen einen Korb mit einem Zuckerhut ab, um ſich, da
er einige Commiſſionen zu beſorgen hatte, zu erleichtern; als er
wieder zurückkehrte, war der Korb mit Inhalt verſchwunden. Der
Beſchädigte lief in den Straßen herum und erkundigte ſich nach
ſeinem Korb und Zuckerhut, worauf ihm eine Frau mittheilte,
daß ſie in der Eppelheimerſtraße einem Menſchen begegnet ſei.
der einen Korb mit einem Zuckerhut getragen habe. Der Dieb,
der den Zuckerhut auf freiem Felde zerklopfte, wurde von vor-
übergehenden Cementarbeitern geſehen, welchen dies Treiben ver-
dächtig erſchien, ſie nahmen denſelben mit, worauf ihnen bald
der Hausburſche begegnete und erklärte, daß der Zucker ihm ent-
wendet worden ſei. Der Thäter, ein dieſer Tage entlaſſener
brahtt lnn wurde verhaftet und in's Amtsgefängniß ver-
racht.
O Heidelberg, 30. Dec. Die hier vor einigen Wochen angeregte
Subfkription zur Beſchaffung von biographiſchen Denkſchrifteln
des militäriſchen Dienſtlebens des Kaiſers, um ſolche anläßlich
des 80jährigen Dienſtjubiläums an das hieſige Bataillon auszu-
händigen, hat einen ſehr guten Erfolg gehabt. Die Betheiligung
iſt eine ſolche geweſen, daß nicht allein die Mannſchaften des hie-
ſigen Bataillons, ſondern auch die beiden Mannheimer Bataillone
des 110. Regiments mit derartigen Denkſchriften von hier aus
bedacht werden können. Das Schriftchen iſt von Dr. Hottinger in
Straßburg verfaßt.
Rohrbach b. H., 27. Dez. Unſere Pfarrkirche iſt wiederum
um einen neuen Schmuck reicher geworden. Die Mitglieder des
Lebendigen Roſenkranzes haben derſelben laut Pf. B. ein neues
Hochaltarbild zum Geſchenke gemacht, welches vor den Weih-
nachtsfeiertagen in den Altar eingefügt wurde.
Farlsrnhe, 28. Decbr. In einer der letzten Strafkammer-
ſitzungen kam ein Fall zur Verhandlung, welcher einen ſchla-
genden Beweis liefert, wie manche Leute ihr Wahlrecht heutzutage
noch ausüben. Im Gerichtsſaal zu Karlsruhe kam es an die
Oeffentlichkeit, wie ſchon ſeit althergebrachter Zeit die Gemeinde-
wahlen in Bietigheim, Amts Raſtatt, zu Stande kamen: Der-
jenige, welcher am meiſten bezahlt, wird gewählt. Unter der Au-
klage des Stimmenkaufs ſtanden daher der Gaſtwirth J. Maiſch,
Johann Matz, Karl Hartmann, Xaver Matz, Joſeph Schmidt u.
Joſeph Dürrſchnabel, welche das Bier in Strömen theils bezahlt,
theils getrunken haben. Der als Zeuge vorgeladene Gendarm
des Ortes eröffnete zum allgemeinen Staunen, daß bei der letzten
Gemeinderathswahl wohl an die dreitauſend Liter Bier
„gratis“ verzapft worden ſein mögen. Der Staatsanwalt wendete
ſich in ſeinem Plaidoyer energiſch gegen eine ſolche Art von
Wählerei, bei der nicht auf die Fähigkeit des Candidaten, ſondern
auf deſſen Freigebigkeit geſehen werde. Das involvire eine grobe
Verletzung des Geſetzes Von Seiten der Vertheidigung wurde
betout, daß es Sache der Verwaltungsbehörde ſei, derartigen
Wahlunſug zu vberhindern. In der That ſprach das Gericht
die Angeklagten auch frei, da zwar eine ſehr verwerfliche
Handlungsweiſe vorliege, ein eigentlicher Stimmenkauf aber nicht
nachgewieſen ſei.
Jarlornhe, 29. Dec. Die Karlsruher Nachrichten erhalten unter
Bezugnahme auf § 11 des Preßgeſetzes nachſtehende Zuſchrift zur
Veröffentlichung: „Es iſt unwahr, daß ich mit Frau Hirſch
ein Geſpräch geführt habe. Dieſelbe hat, bevor ich in dem Schuh-
waarenladen, den ich als Vertheidiger betreten mußte, mit irgend
Jemand ein Wort geſprochen hatte, mit Beleidigungen ſo lang
mich überhäuft, bis ich durch einen Schlag mit der behandſchuhten
Hand ihren Redeſtrom unterbrach. Da die anweſenden Kriminal-
beamten der Frau Hirſch nicht begreiflich machten, daß es nicht
angehe, einen Vertheidiger, der dem Augenſchein anwohnen mußte,
zu beſchimpfen, ſo hatte ich keinen Ausweg, mich vor weiteren
Beſchimpfungen der unmittelbar vor mir ſtehenden Frau zu wehren,
als zur Thätlichkeit zu greifen. Süpfle, Rechtsanwalt.“
 
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