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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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X

Nr. 306.

Donuerstan, den 30. Dezember

1886.

* Politiſche Umſchau.
Heidelberg, 30. December.
Man hat in den letzten Jahren erlebt, daß das Cen-
trum, trotz der geſpreizten Oppoſitionsmacherei ſeines
Führers, allen Regierungsforderungen, deren Ablehnung bei
der obwaltenden Volksſtimmung hätte von gefährlicher Wir-
kung ſein können, zur Bewilligung verholfen hat. So iſt
es beim Socialiſtengeſetz, bei der Dampferſubvention, beim
dritten Director im Auswärtigen Amte geſchehen. Möchte
das Centrum bei einer Auflöſung um dieſer Fragen willen
für ſeinen eigenen Beſtand immerhin nicht viel zu fürchten
gehabt haben, um ſo mehr war die demokratiſche Partei
gefährdet, und die möglichſt ungeſchwächte Erhaltung der
letzteren iſt eine Vorbedingung der gegenwärtigen Macht-
ſtellung des Centrums im Reichstage. Darum mußten jene
Forderungen bewilligt, darum muß auch jetzt die Militär-
vorlage angenommen werden. So denkt man ſich in den
weiteſten Kreiſen den Standpunkt des Centrums. Und man
wird wohl Recht darin haben. Einſtweilen träumt das
Centrum noch von einem Abkommen, das allem Anſcheine
nach darin beſtehen ſoll, daß die Regierung die geforderten
Rahmen unbedingt, und die Präſenzziffer in voller Höhe
auf 3 Jahre bewilligt erhält; zur Noth würde man auch
wohl 5 Jahre bieten. Die Regierung wird unſeres Er-
achtens, meint die Nationall. Corr., weder auf das Eine,
noch auf das Andere eingehen; ſie hat es gar nicht nöthig,
das bereits eingelebte Septennat aufzugeben. Und ſo
ſchließlich vor die Wahl geſtellt, die unveränderte Militär-
vorlage anzunehmen oder abzulehnen, wird das Centrum
ebenſo verfahren, wie beim Socialiſtengeſetz.
Aus der Reihe unerledigter Vorlagen, welche dem
Reichstage wieder zugegangen ſind, ſcheint der Entwurf,
welcher eine andere Zuſammenſetzung der Schwurgerichte
betraf, vorläufig geſtrichen oder doch in den Hintergrund
getreten zu ſein. In juriſtiſchen Kreiſen, wie in der Preſſe,
haben ſich gewichtige Stimmen ernſtlich gegen die Vorlage
erhoben, und es ſcheint, daß man in maßgebenden Kreiſen
die ganze Frage noch nicht als ſpruchreif erachtet. Dazu
kommt aber auch, daß Seitens der Bundesregierungen,
namentlich ans Süddeutſchland, erhebliche Bedenken dagegen
geäußert worden ſind.
Gegenüber den ſenſationellen Meldungen von plö tz-
licher Verſchiebung der Stellung der europäi-
ſchen Mächte wird in Wiener diplomatiſchen Kreiſen auf
die unveränderte Gleichmäßigkeit der Politik des Grafen
Kalnoky hingewieſen. Man ſchließt aus der bisherigen
Politik Oeſterreichs und der übrigen Mächte auf die künf-
tige und beſtreitet, daß in den letzten Wochen ein neuer
Umſtand, außer dem Rücktritt des Lord R. Churchill, hin-
zugekommen ſei, welcher die Lage weſentlich verändert. Der
Rücktritt Churchills könnte allerdings dadurch, daß etwa
das Cabinet Salisbury gefährdet erſcheine, nicht unweſent-
liche Folgen haben. Oeſterreich konnte zufolge ſeiner Poli-
tik der Nichteinmiſchung in die inneren Angelegenheiten
Bulgariens gar nicht daran denken, ſeinerſeits eine Candi-
datur aufzuſtellen. Der Coburger wäre ja ſelbſtver-
fländlich Oeſterreich genehm, aber wenn die Bulgaren ſo
ungeſchickt ſind, anſtatt ſich zuerſt der Zuſtimmung der

Mächte und in erſter Linie Rußlands zu vergewiſſern, die

ſchwerlich Oeſterreich für die Folgen einzutreten geneigt ſein.
Ueberhaupt machen die Bulgaren nicht zum erſten Male
den Fehler, daß ſie ſich ſelber in irgend eine Ungelegenheit
hineinbegeben und dann erwarten, ein anderer ſolle ihnen
heraushelfen. Auch mit dem Mingrelier haben die
Bulgaren, wie man in Wien vielfach glaubt, den Fehler
gemacht, gegen dieſen. Candidaten Rußlands die öffentliche
Meinung ſehr feindlich zu ſtimmen, ehe man noch genaueres
über den Mann wußte. In neuerer Zeit gilt der Dadian
in Wien nach Schilderungen perſönlicher Bekannten deſſel-
ben für bei weitem nicht ſo ſchlimm, daß ſich nicht ein
Bulgarenfürſt aus ihm ſchnitzen ließe. Hierzu bemerkt die
Köln. Ztg.: Die Nachrichten, die wir aus nichtbulgariſchen
Quellen über die perſönlichen Verhältniſſe des Dadian er-
halten haben, ſind derart, daß ſie ſich zur Zeit der Oeffent-
lichkeit entziehen. Immerhin iſt aber der Umſchwung, der
ſich in der Wiener Stimmung über dieſe wunderliche Candi-
datur anſcheinend leiſe vorbereitet, als politiſches Wetter-
zeichen beachtenswerth.
Der Temps, die Republique Francaiſe und einige an-
dere opportuniſtiſche Blätter ſind ungehalten darüber, daß
der Kriegsminiſter Boulanger bei der mehrerwähn-
ten Feier in der Sorbonne das Wort ergriff. Gegen ſeine
Rede ſelbſt haben ſie zwar nichts einzuwenden; er habe ge-
nau den Gedanken des franzöſiſchen Volkes ausgedrückt,
aber der Miniſterpräſident oder der Unterrichtsminiſter und
nicht der Kriegsminiſter hätten bei dieſer Gelegenheit nach
ihrer Anſicht die Feſtrede halten müſſen. Der Temps findet
es ſeltſam, daß der Kriegsminiſter ſich in Friedensworten
ergehe; ſeine Rolle beſtehe nicht darin, den Frieden zu
predigen, ſondern ſich in Stand zu ſetzen, ihn zu be-
ſchützen, wenn er durch auswärtige Gefahren bedroht
ſei; der Friede könne aber auch durch Unklugheiten, die von
innen kämen, bedroht werden, und die größte ſei die her-
vorragende Stellung, die man in dem frühern, und noch
mehr in dem heutigen Cabinet der Perſon des Generals
Boulanger eingeräumt habe; man habe ihn bereits als
Miniſter des Aeußern, als Miniſter des Innern auftreten
ſehen, und jetzt ſpielte er den Conſeilspräſidenten! Die Ge-
fahr beſtehe nicht in dem, was er ſage, ſondern in der ihm
bewilligten Freiheit, es zu ſagen, denn er habe Collegen,
deren Rolle, und einen Chef, deſſen Recht es ſei, ſtatt
ſeiner zu ſprechen. — Boulanger wird es ſchwer fallen,
nachdem er ſo lange ſein Redebedürfniß ungeſtört befriedi-
gen und ſeine Kuunne Talente zur Geltung brin-
gen durfte, als ſtumme Perſon mehr in den Hintergrund
zu treten.
Die antiklerikale Bewegung in Italien verſchärft ſich
von Tag zu Tag und zieht immer weitere Kreiſe. In
nächſter Zeit wird der italieniſchen Kammer ein Geſetzent-
wurf vorgelegt werden, durch welchen den kirchlichen Orden
in Italien die letzten Reſte ihres Vermögens entzogen wer-
den ſollen. Des Ferneren hat die Regierung die Schließung
der mit den Prieſterſeminarien verbundenen Gymnaſien ver-
fügt, eine Maßregel, welche die in den vatikaniſchen Krei-
ſen herrſchende Verſtimmung bedeutend verſchärft hat. Dieſe
Vorgänge rufen in den vatikaniſchen Kreiſen lebhafte Er-
regung hervor und beſtändig wird die Frage erörtert, in
welcher Weiſe die Curie gegen die anwachſende kirchen-
feindliche Bewegung Stellung zu nehmen habe.

Die „Köln. Ztg.“ veröffentlicht einen längeren Bericht
über eine Unterredung, die einer ihrer Berichterſtatter
mit den Mitgliedern der gegenwärtig in London weilenden
bulgariſchen Abordnung hatte. Danach äußerte
Herr Grekow u. A. Folgendes: „Nach der Entfernung
des Fürſten Alexander waren wir alle in Bulgarien davon
überzeugt, daß der Czar eine elementare Grundkraft vor-
ſtelle, gegen welche ein kleines Land, wie Bulgarien, an
und für ſich nicht vorgehen könne. Unſer politiſcher Baro-
meter war gedrückt; wir waren zu allem bereit: und wenn
die ruſſiſche Regierung nach Sofia einen wirklichen Diplo-
maten, einen ruhigen, berechnenden und beſonders einen
höflichen Mann geſandt hätte, ſo ſehen wir nicht ein, wie
die Wiederherſtellung der früheren Machtſphäre hätte ver-
mieden werden können. Statt deſſen langt ein Strafcom-
miſſar an, der alles überſtürzt, uns zu Hörigen erniedrigt
und die Grundlagen unſerer verfaſſungsmäßigen Ordnung
überſieht. Denn ſchließlich haben wir doch eine Verfaſſung;
wir ſtehen unter der Oberaufſicht der Mächte und wir
ſollen einem ſelbſtändigen Daſe in entgegenleben. Nichts
wäre uns Abgeordneten daher erwünſchter geweſen, als
wenn wir in Petersburg ſelbſt unſere Anſichten hätten zur
Geltung bringen können. Wir ſind durchaus nicht ver-
ſtockt: wir möchten nur wiſſen, was der Czar will. Aber
man hat uns, ſelbſt als Privatreiſende, den Eintritt in
Rußland verweigert. Hier in England erwarten wir von

der Demokratie dieſes Landes, die ein Ohr und
ein Herz für junge aufſtrebende Völkerſchaften be-
ſitzt, (22) eine entgegenkommende Aufnahme. Man

hat uns vorgeworfen, als wenn wir uns der Abſicht
Rußlands widerſetzten, aus uns den Trittſtein für Konſtan-
tinopel machen zu laſſen. Ich bitte Sie, was geht uns
Konſtantinopel an? Es gibt ſo viele mächtige Staaten, die
an Konſtantinopel ein Intereſſe haben ſollen; wie ſollen
wir, die kleinen Bulgaren, denn Rußland oder irgendwelche
andere Macht an der Beſitzergreifung Konſtantinopels hin-
dern können? Wir wünſchen nur Frieden diesſeits des Bal-
kans, im höchſten Falle eine Vereinigung mit Oſtrumelien;
darüber hinaus iſt alles für uns Chaos. Kleine Staaten
haben im heutigen Europa nur mehr eine Selbſterhaltungs-
politik. Zeigen Sie uns daher einen Weg, wie wir dieſe
Politik mit unſerer Dankbarkeit gegen den Czaren vereinigen
können, und wir werden Ihnen dankbar ſein.“ In dieſem
Sinne zog ſich unſere in franzöſiſcher Sprache geführte
Unterhaltung, bemerkt der Berichterſtatter, noch eine Zeitlang
hin. Von einem Haſſe gegen Rußland war ich nicht im
Stande, auch nur eine Spur zu entdecken. Die Herren ver-
urtheilten deſſen Werkzeug, den General Kaulbars, und was
über ihn bekannt iſt, kann auch den eingefleiſchteſten Ruſſen
nicht zu ſeinen Gunſten einnehmen. Aber über den Czaren
und das ruſſiſche Volk ſelbſt ſprachen ſie mit dem Ausdruck
ſchmerzlichen Bedauerns.

Deutſches Reich.

Karlsruhe, 29. Dec. (Amtlich.) Se. Königl. Hoheit
der Großherzog haben den Rechnungsrath Wilhelm
Kiefer bei der Generaldirection der Staats⸗Eiſenbahnen
bis zur Wiederherſtellung ſeiner Geſundheit in den Ruhe-
ſtand verſetzt.



Candidatur in den Zeitungen auszutrommeln, ſo wird

Stadttheater.

A bridelber, 30. Dec. „Ein Engel“, Schwank in 3 Akten
von Inl. Roſen. Die Beſucher der geſtrigen Vorſtellung dürften
höchſt überraſcht geweſen ſein. Wir möchten wetten, daß ſo ziem-
lich ein jeder ſich unter dem verſprochenen „Eugel“ etwas ganz
anderes vorſtellte, als was er daun fand. Man durfte wohl an-
nehmen, daß es ſich um ein reizendes, vielumworbenes Mädchen
handele, dem nur die Flügel fehlten, um in die Regionen der
Seligen zu entſchweben, oder um eine edle Gattin, die ihren
Mann beglücke, überall Frieden ſtifte und die Paare zuſammen
führe. Man war nicht wenig erſtaunt, einen gefallenen — Klafter
tief gefallenen — Engel zu finden, der nach Schwefel und Pech und
dem Moſchus ſeiner zweifelhaften Excurſionen roch. Der Engel
iſt ein Commerzienrath Saldau, fünfzigjähriger Ehewilderer par
excellence, der nicht davor zittert, Lilien und auch weniger un-
ſchuldsweitze Blüthen zu knicken, die an ſeinen verbotenen Wegen
ſproſſen. Der Schwank zeigt uns in höchſt komiſcher und ergötz-
licher Weiſe, wie er auf ſeinen verbotenen Bahnen wandelnd un-
bewußt dem Sohn eine Braut und der Tochter einen Bräutigam
in die Arme führt und dafür am Schluſſe ols liebender Vater
bewundert und belohnt daſteyt. Roſen hat ſtark nach Kotzebue
gearbeitet, namentlich ſind ihm „die beiden Klingsverg“ vorge-
ſchwebt. Die Moral des Schwanks iſt mehr als lax, ſie iſt an-
rüͤchig. Aber bei den Stücken iſt es wie bei den Menſchen, die
leichtfertigſten ſind gewöhnlich die amuſanteſten. So wenig gut
die Moral iſt, ſo gut iſt der Schwank.
in dem letzteren shocking fiuden — amuſant und erheiternd
war er doch, wie es die Pflicht eines reſpektablen Schwankes
iſt. Es wurde ſehr munter geſpielt. Herr Roloff bat
die Hauptfigur, den lüſternen alten Schwerenöther, ſehr glück-
lich mit ſcharf zugeſpitzter Komik wiedergegeben. Man könnte die
Leiſtung als vorzüglich bezerchnen, wenn er nicht in Mienen-
ſpiel und Geſten etwas zu viel gethan, namentlich zu ſehr mit
den Händen gearbeitet hätte. Ebenſo hat Fran Schäfer die
Arabella anſprechend gehalten. Frl. Bart war in ihrer kleinen
Backfiſchrolle recht liebenswürdig. Eine ſehr wirkungsvolle Partie

Man mußte vieles

T di dee Dienr Arton Her SDmN Dob Diſlor i

richtig angefaßt — er hätte den pfiffigen Kerl mehr durchblicken
laſſen müſſen. Die übrigen Rollen ſind höchſt unintereſſant und
undankbar. Es iſt anzuerkennen, wenn die Darſteller wie Frl.
Albinus und Herr Fichtler auch auf einem verlorenen Poſten
wacker ſtand halten und nicht wie Herr Lettinger ſo ſichtlich
gleichgiltig ſpielen, daß ſie vom Heirathen und Lieben in einem
Ton ſprechen, als handle es ſich um einen Käſehandel. Bei der
Heiterkeit, die das Stück bei dem allerdings nicht ſehr zahlreichen
Publikum hervorrief, konnte man wirklich nicht merken — daß

ein Engel durchs Haus ging. Dr. S.

Verſchiedenes.

Zarmſtadi, 27. Dez. Am 23. d. M. iſt durch das rechtzeitige
Eingreifen zweier Locomotivführer ein ſchreckliches Unglück ver-
hütet worden. Durch die ſtarken Schneefälle war die Odenwald-
bahn unfahrbar geworden. Nach 24 ſtündigem Warten gelang es
indeſſen, von Erbach einen Zug nach Darmſtadt abzulaſſen, wel-
cher mit zahlreichen Paſſagieren beſetzt war. In dem Angen-
blicke — ſo erzählt nun ein Augenzeuge in den N. H. V. — als
der Zug zwiſchen Höchſt und Wiebelsbach in den Tunnel einlaufen
wollte, ertönte das Nothſignal. Die mit Schneeſchöpfen beſchäf-
tigten Arbeiter ſchrieen aus Leibeskräften und winkten mit den
Geräthen, um die Gefahr zu bezeichnen, die unheilvoll zu werden
drohte. Es kam nämlich gerade ein Zug von Wiebelsbach durch
den Tunnel geſauſt und es lag die höchſte Gefahr des Zuſammen-
ſtoßes vor, als die Locomotivführer noch rechtzeitig bremſten. Die
Entfernung der beiden Züge, deren jeder mit zwei Maſchinen be-
ſpannt war, betrug nur noch eine Wagenlänge. Unter dem
ſchrecklichen Wimmern des Nothfignals machte nun der Oden-
waldzug Kehrt und fuhr in ſauſender Eile nach Höchſt zurück, wo
ein zweites Geleiſe iſt. Die in Todesangſt befindlichen Fahrgäſte
beider Züge dankten thränenden Auges den Zugführern, die ſo

viel Geiſtesgegenwart beſeſſen hatten, und veranſtalteten ſofort
eine Sammlung für dieſelben. Das Unglück im Tunnel wäre
ein entſetzliches geweſen.

Mainz. 29. Dezbr. Kapellmeiſter Emil Stein bach ſoll zum
werbin des Hofkapellmeiſters Mottl in Karlsruhe ernannt
werden.

— Folgendes Geſchichtchen hat ſich vor Kurzem in Wien ab-
geſpielt. Die Tochter eines dort ziemlich bekannten Pro-
feſſors iſt ſeit langer Zeit wegen ihrer tollen Streiche der
Schrecken ihrer ganzen Umgebung. Die Dame zählt 18 Jahre,
hat vollſtändige Gymnaſialbildung genoſſen und iſt wüthend, daß
die Frauen⸗Emancipation in Oeſterreich noch nicht ſo weit vor-
geſchritten iſt, daß ſie ungehindert den Vorleſungen an der Uni-
verſität beiwohnen könnte. Endlich fand ſie ein Mittel. Sie legte
Männerkleider an, und ihre ſonore Altſtimme war ihr bei
dieſer Maskerade ſehr dienlich. Mit den Männerkleidern ſchien
die junge Dame auch vollſtändig die Neigungen eines Studenten
erhalten zu haben, und namentlich das Schlägerfechten machte
ihr ungeheure Freude. Sie paukte trotz einem alten Burſchen,
der ſeine zehn Menſuren hinter ſich hat. Ihr Partner war dabei
ihr Vetter, gegenwärtig Beſucher der ſiebenten Gymnaſial-
klaſſe. Eines Tages nun trat das junge Mädchen an ihn heran
mit der Forderung, einmal „ſcharf“ loszugehen, weil ihr das
Schuleſchlagen ſchon zu langweilig ſei. Der junge Mann wäre
gern dabei geweſen, denn nichts lieber hätte er gehabt, als einen
tüchtigen Schmiß im Geſichte — aber mit einem Mädchen los-
gehen, da zauderte er denn doch. Das Bäschen wußte ihn aber
nur zu bald herumzukriegen, ſcharfe Klingen waren raſch beſchafft,
der nöthige „Paukdoktor“ war auch aufgetrieben worden, und vor
wenigen Tagen hat dieſe ſeltſamſte aller Menſuren, die je ge-
ſchlagen worden, thatſächlich ſtattgefunden. Die junge Dame be-
kam gleich im zweiten Gange einen „Durchzieher“ über bie Wange,
und es mußten drei Nadeln geſetzt werden.
 
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