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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0551

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Caſcheint
täglich Sonntags
ausgenommen.

Vrei-
mit Familien-
paeättern viertel-
ührlich 24.60
ausſchl. Poſtauf-
ſchlag u. Träger-
Lohn.

Irſertiorsgebähr
15.3fürdie 1ſpal-

9 ‚
tige Petitzeile oder
deren Raum. Für
hieſ. Geſchäfls-
u. Privatanzeigen
4* bedeut. ermäßigt.
Gralis⸗Aufnahme

d. Inſerate in den
Placat⸗Anzeiger.

Tagblatt und Verkündiger für die Stadt Heidelberg. —

Dienstag, den 16. Rovember

1886

V. ..

* Politiſche Umſch au.
Heidelberg, 16. November.
Die letzten Tage ſchütteten ein Füllhorn von Wahlver-
ſammlungen und Programmreden über die Reichstagswähler
des 11. Wahlkreiſes aus. Alle ſelbſtändig vorgehenden
1 Parteien waren auf dem Platze, um den Kreis ihrer An-
hänger aufzumuntern und womöglich zu erweitern. Der
Kandidat der nationalliberalen Partei, Hr. Commerzienrath
Diffené, ſprach am Sonntag in Weinheim u. Großſachſen.
Die Verſammlungen waren außerordeutlich gut beſucht und
lieferten den Beweis, daß die Nationalliberalen mit beſtem
Erfolge wirken. Die Ausführungen des Hru. Commerzien-
rath Diffené ernteten rauſchenden Beifall. Der Kandidat
der Konſervativen ſprach in Laudenbach, in Käferthal und
„Seeckenheim fanden ultramontane Wählerverſammlungen ſtatt
und auch die Sozialdemokraten entfalteten in verſchiedenen
Orten ihre agitatoriſche Thätigkeit.
hueober das namentlich in der ungariſchen Preſſe ſo oft
beargwöhnte Verhältniß zwiſchen Oeſterreich und
Deutſchland äußerte ſich Graf Kalnoky in ſeiner
Samatagsrede, um unſern geſtrigen Bericht hierin noch zu
ergänzen, folgendermaßen: Es taucht die Frage auf, in
wie weit die Freundſchaft ſich praktiſch bethätigen werde;
es iſt ſelbſtverſtändlich, daß bei zwei Großſtaaten von
ſolcher Ausdehnung jeder auch Sonderintereſſen hat; es iſt
undenkbar, daß ein Großſtaat, ohne jede Selbſtſtändigkeit
ſeiner Aktion aufzugeben, ſich verpflichten könnte, für jed-
wedes Intereſſe ſeines Bundesgenoſſen einzuſtehen. Das
Verhältniß, wie es zwiſchen Oeſterreich und Deutſchland

treten, wenn es ſich um vollkommen ſolidariſche, gemein-
ſame Intereſſen beider handelt. In der jetzigen Conſtella-
tion läßt ſich Deutſchlands Stellung kaum denken, wenn
ein mächtiges Oeſterreich an ſeiner Seite fehlen würde,
gleichwie wie wir größtes Intereſſe an dem Fortbeſtehen
ines ſtarken Deutſchlands haben. In dieſem Sinne iſt
ie Gemeinſamkeit der Stellung Deutſchlands und Oeſter-
eichs ſtärker und unerſchütterlicher, als wenn man ſich die-
lbe als lediglich auf Paragraphen gegründet vorſtellen
ollte. Die deutſche Regierung machte nie ein Hehl dar-
aus, daß ſie Bulgarien nur ſoweit intereſſire, als damit
er Friede in Verbindung ſteht, deshalb machte Bis marck
icht für die Wünſche einer oder der andern
Macht, ſondern für den Frie den ſeine vermit-
elnde Thätigkeit geltend und es geſchah dies in
einer für den Frieden und unſere eigenen Intereſſen er-
ſprießlichſten Weiſe.
In der engliſchen Preſſe wird die Rede Kal-
oky's lebhaft beſprochen. Die Morning Poſt bemerkt,
ie ſtrenge Aufrechterhaltung des Berliner Vertrags werde
u Kalnoky's Rede als weſentliche Bedingung für die Er-
baltung des Friedens hingeſtellt. Daß Oeſterreich⸗Ungarn,
Deutſchland, Italien und England über dieſen Punkt voll-
mmen einig ſeien, darüber könne kein Zweifel obwalten.
Das Beſtehen dieſer Verſtändigung bildet die ſicherſte Ge-
ähr für die Erhaltung des europäiſchen Friedens. Die
imes verſpricht ſich von der Rede die Wirkung, daß die-

liche Meinung ſei noch immer mächtig genug, um den an-
briffsluſtigen Ehrgeiz einer Macht zu zügeln. In Bulgarien
werde der Muth der Bevölkerung wieder aufleben; die

elbe in Europa den Eindruck hervorrufen werde, die öffent-

eſteht, iſt berufen, nur dann praktiſch in volle Kraft zu

Deutſchlands und Italiens, wie dieſelbe von dem Grafen
Kalnoky dargelegt worden ſei, gewähre weſentliche Bürg-
ſchaften für die Erfüllung des von der ruſſiſchen Regierung
gegebenen Verſprechens der Nichteinmiſchung.
Eine vom allgemeinen Urtheil ganz abweichende Be-
urtheilung findet die Rede Kalnokys in ruſſiſchen
Blättern. Hier hält man eben die Thaten des General
Kaulbars für das Non plus ultra aller politiſchen Weis-
heit, und wer das nicht anerkennt, iſt Rußlands Feind.
So äußert ſich das Journal de St. Petersbourg bedauernd
über die Ausführungen Kalnokys. Jede Regierung, ſagt
das Blatt, ſei Richter über ihre eigenen Intereſſen, wenn
aber zwei benachbarte Reiche ein gutes Einvernehmen wollen,
ſo ſchulden ſie ſich auch eine freundſchaftliche und billige
Würdigung ihrer beiderſeitigen Intereſſen. Graf Kalnoky
habe die Anſichten Oeſterreich⸗Ungarns dargelegt; es er-
übrige jetzt, in Erfahrung zu bringen, wie er dieſelben mit
dem Ideen⸗Austauſch, der beſtimmt ſei, dieſes gute Einver-
nehmen herbeizuführen, ſowie mit der beſondern Stellung,
die Rußland auf Grund ſeiner für Bulgarien gebrachten
Opfer einnehme, in Einklang zu bringen gedenke. Es ſeien
dies Fragen, die der Diplomatie angehörten. Das Blatt
will deshalb von weitern Beurtheilungen Abſtand nehmen,
um das Verhältniß nicht zu verbittern. Auch die Neue
Zeit und die Nowoſti beurtheilen die Rede Kalnokys abfällig
und meinen, der doppelſinnige Ton derſelben könne keine
feſte Bürgſchaft für den Frieden gewähren.

Deutſches Reich.
Karlsruhe, 15. Novbr. Der Erbgroßherzog
und die Erbgroßherzogin ſind Sonntag Mittag 12
Uhr wohlbehalten und bei ſchönſtem Wetter in Cannes
eingetroffen und im Hotel du Pavillon abgeſtiegen. Der
Aufenthalt in Paris wurde um einen Tag verlängert, um
den nur einmal die Woche gehenden ſchnellſten Zug am
Samſtag Abend 7 Uhr zu benützen. Ihre Königlichen Ho-
heiten nahmen am Freitag ein kleines Diner bei dem
deutſchen Botſchafter Grafen Münſter an und wohnten
in dem Hotel Briſtol, Place Vendöme.
Die Wahrnehmung der konſulariſchen Funktionen in der

ſüdafrikaniſchen Republik (Transvaal) iſt dem deutſchen
Generalconſul Dr. Bieber in Capſtadt einſtweilen mit-

übertragen.
=⸗ Weinheim, 15. Novbr. Die in dieſem Blatte
jüngſt angekündigte Hauptverſamm lung der national-
liberalen Partei in Betreff der Reichstagswahl am 26. d.
Mts. fand geſtern dahier ſtatt und war der dazu beſtimmte
Saal zur Eintracht vollſtändig beſetzt. Herr Apolheker
Klein eröffnete als Vorſtand des Ausſchuſſes die Verſamm-
lung in üblicher Weiſe und ertheilte ſodann dem Reichs-
tagscandidaten Herrn Diffen é aus Mannheim das Wort,
deſſen Erſcheinen mit Jubel begrüßt wurde. In 1¾ ſtün-
diger überaus trefflicher Rede legte derſelbe ſein politiſches
Glaubensbekenntniß vor ſeinen Wählern ab. Nach einigen
einleitenden Worten wies Herr Diffené die unwahren Be-
ſchuldigungen zurück, welche Seitens anderer Parteien gegen
ihn erhoben ſeien, wonach er als Städter, Kaufmann und
Freihändler nicht als Vertreter der allgemeinen Intereſſen
geeignet ſein ſolle. Er führte aus, daß er als ſtädtiſcher
Kaufmann ganz gewiß auch die Intereſſen der Land-
bewohner zu wahren habe und auch wahren werde, da ein
Berufszweig auf den andern angewieſen ſei und das Wohl

des einen mehr oder weniger vom Wohl des andern ab-
hänge. Die Begriffe „Freihändler und Schutzzöllner“ wur-
den ebenfalls näher präcifirt, wobei Redner betont, daß
ein einſeitiges Feſthalten an dem einen oder andern Prin-
zip verwerflich ſei; es müſſe vielmehr auf die Wirkung der
beſtehenden Zölle und Steuern Rückſicht und dann Stellung
nach der einen oder andern Seite genommen werden. Auch
hier gelte Einhaltung der goldenen Mittelſtraße; nicht ex-
treme Anſchauungen ſeien durchführbar und heilſam. Die
extremen Freihändler haben nur eigene, nicht die allge-
meinen öffentlichen Intereſſen im Auge. Selbſtverſtändlich
ſtehe ihm (Redner) der deutſche Bauer näher als der in
Ohio oder Kentucky, weshalb ſ. Z. bei Einführung der
Tabakſteuergeſetze die Mannheimer Handelskammer dem
Camphauſen'ſchen Projekt für höhere Beſteuerung entgegen-
getreten ſei, wodurch bewirkt wurde, daß der inländiſche
Tabak ſtatt mit 30 nur mit 18 M. Steuer und der aus-
ländiſche ſtatt mit 12 mit 20 M. Eingangszoll belegt
wurde. Aus ſeiner Landtagsthätigkeit weiſt Redner ſchla-
gend nach, wie gerade er mitgewirkt habe an den verſchie-
denen Geſetzen zur Hebung der Landwirthſchaft, als welche
bezeichnet werden: Herabſetzung der Grundſteuer von 28
auf 26 Pf., die Feldbereinigung, Wieſenbewäſſerung, He-
bung der Viehzucht, höhere Entſchädigung für Einquartie-
rungen u. ſ. w. Pflicht eines Abgeordneten ſei, die Ge-
ſammtintereſſen ſeines Kreiſes zu wahren. Uebergehend nun-
mehr zur ſocialen Frage äußert Redner, daß es Aufgabe
des Staates ſei, jedem Theil in der menſchlichen Ge-
ſellſchaft aufzuhelfen. Daß dies geſchehe und man
auch dem Arbeiterſtande heifend zur Seite ſtehe, bewieſen
die Kranken⸗ und Unfallverſicherungsgeſetze, die Einſetzung
von Fabrikinſpectoren, welche Einrichtung auch das Aus-
land (Schweiz) nachzuahmen beabſichtige. Alle dieſe Ver-
beſſerungen hätten aber bei der ſocialen Partei nur wenig
Anerkennung gefunden. Die Lage des Handwerker-
ſtandes bezeichnet Redner allerdings in Folge der großen
Concurrenz als eine gedrückte; der Handwerker dürfe aber
der Thätigkeit der Maſchinen, die nun einmal nicht zu be-
ſeitigen ſeien, nicht feindlich gegenüberſtehen, ſondern müſſe
dieſelbe mehr zu ſeinem Bundesgenoſſen machen. Daß die
Steuerſchraube feſt angezogen ſei, gibt Redner zu, ſtellt
aber feſt, daß man hiefür auch der Wohlthaten viele genieße.

Unter denjenigen Objecten, welche noch einer Steuererhöhung

unterzogen werden könnten, bezeichnet Redner den Brannt-
wein; andere Länder hätten den 4⸗ und 5fachen Betrag an
Steuer zu zahlen; außerdem werde dadurch eine Verminde-
rung des Conſums herbeigeführt, welche nur zu wünſchen
ſei. Nachdem Redner noch über Colonialpolitik und die
Erhaltung eines ſchlagfertigen Heeres geſprochen, appellirt
er ſchließlich in patriotiſchen Worten an die Vaterlands-
liebe und endigt ſeine glänzende Rede mit einem Hoch auf
unſern Heldenkaiſer, das den ſtärkſten Wiederhall fand.
Sodann empfahl Rechtsanwalt Baſſermann den Candi-
daten der Partei in eindringlichen Worten, der ſich nach
ſeiner politiſchen, kirchlichen und wirthſchaftlichen Geſinnung
vortrefflich als Reichstagsvertreter empfehle. Hr. Klein
ſchließt endlich, ebenfalls in kräftigen Worten zur Wahl
des Hrn. Diffené auffordernd, die Verſammlung, welche
den glänzendſten Verlauf nahm. Am Sonntag Abend
wurden noch Verſammlungen in Großſachſen und Leuters-
haufen abgehalten, welche ebenfalls ſehr zahlreich beſucht

geweſen ſein ſollen. Heute ſind Wahlverſammlungen unſerer


Daltung Oeſterreichs und Englands, ſowie die Stellung

Stadttheater.

E2 geidelberg, 16. Novbr. „Pariſer Leben“, komiſche
Opereite in 5 Akten nach dem Franzöſiſchen der Herren Meilhac
E Haleuy von Carl Treumann. Muſik von Jacques Offenbach.
3 hat uns herzlich gefreut, daß Offenbach einmal wieder mit
hatem ſeiner größeren Werke auf unſerer Bühne Einzug gehalten
zat. Wo die Operette eine ſo hervorragende Rolle ſpielt, da hat
Wo. gewiß ihr Entdecker und genialſter Meiſter das Recht, ein
50 ort mitzureden. Kein Componiſt iſt mehr geſchmäht, mehr von
der Kritik und den ernſten Leuten zerriſſen worden als er, und
och hat er durch Jahrzehute einen glänzenden Siegeszug gehalten,
und auch heute haben alle ſeine ſchwächlichen Nachahmer ihn nicht
„odt componiren können. Die Librettiſten haben heute eine
andere Richtung eingeſchlagen, man nähert ſich wieder der Oper
und verläßt den Boden der muſikaliſchen Poſſe. Aber darum
45 chl die letztere noch lange nicht ſo ſchlecht, als man ſie heute
Ulecht machen möchte. Wer nur einmal eine Aufführung des
„Pariſer Lebens“ an einer erſten Bühne zumal einer franzöſiſchen
IHlbt hat, wird ein ganz anderer Artbeil uber das mufikaliſche
Hlaſtiwiel fällen als, wer es nur von mittelmäßigen Wiedergaben
ittiner Theater kennt. In der bunten, karnevaliſtiſchen Emballage
ſo viel feiner Humor und Witz eingepackt, daß man, wenn
Nan nur fein genug hört, ſelbſt an den ſo oft als „blödſinnig“
128 Fß brieenen Texten ſeine Freude finden kann. Zum guten Theil
ö d an dem ſchlechten Renommé die Aufführangen ſchuld. Im
droßen Ganzen geht eben den deutſchen Schauſpielern der „Chich,
wa feine grazizſe Humor ab, der bei Offenbach abſolut noth-
Oendig iſt. Da wird Alles mit dem gröbſten Pinſel ſo bunt und
Lel als möglich angeſtrichen und der Effekt iſt dann danach.
4* mufikaliſcher Beziehung iſt Offenbach unerreicht geblieben.
*

ſteckt in dem „Pariſer Leben“ mehr intereſſante Muſik als
. Gaſparone, Bettelſtudent und Don Ceſar zuſammen-
„genommen. Da finden ſich lauter Vollblutmelodieen, die Race
aben, da findet ſich der wirkliche muſikaliſche Humor, der Mil-
cker ſo bollſtändig abgeht. Wo gäbe es in der ganzen Operetten-

literatur wohl noch Nummern, die an geiſtreicher muſikaliſcher
Erfindung dem Briefeouplet Metellas, oder deren Walzerrondo,
mit der originellen Begleitung der Bläſer, oder dem Lied vom
Oberſtcommandant mit dent urkomiſchen Effekt der geſtopften Hörner
gleich kämen? Wir haben uns wie geſagt herzlich gefreut, dieſe
witzigen, prickelnden Klänge wieder einmal zu hören und es ſchien
das Publikum dieſes Gefühl zu theilen, denn ſo überfüllt haben wir
das Theater in dieſer Saiſon noch nicht geſehen. Auch war das
Auditorium in der denkbar beſten Stimmung. Das alte Plaudite
amici! wäre überflüſſig geweſen, das Publikum gab ſeinen Bei-
fall aus freien Stücken und in reichſtem Maß. Die Direction
hatte, um den prüden Gemüthern Rechnung zu tragen, das „Pa-
riſer Leben“ gehörig zuſammengeſtrichen. Das Schlimmſte — es
iſt leider bei Offenbach oft das Beſte — war weggefallen. Ob
damit ſo ſehr viel gewonnen war, wollen wir dahin geſtellt ſein
laſſen. Wenn man aus dem „Caſſanova“ oder aus Blumauer's
Aeneis ein paar „ſtarke“ Seiten herausreißt, moraliſche Bücher
werden darum nicht daraus, und das „Pariſer Leben“ wird durch

alles Caſtriren doch nicht ad usum delphini geeignet, büßt aber

manchen pikanten Effekt ein. Bei Offenbach müßte man eigent-
lich ſagen: „wenn ſchon, dann ſchon“, und der Beſucher muß ſich
das, ehe er ſein Billet löſt, eben auch ſagen. Unſere Aufführung
war zum Theil eine vorzügliche und im Ganzen eine flotte, des
lebhaften Beifalls würdige. Die reizenden, zum Theil glänzenden
Koſtüme, ſowie das hübſche ſeeniſche Arrangement trugen das
ihrige bei, die Wiedergabe zu einer gelungenen zu machen. Von
den Einzelleiſtungen ſei die der Frau Director Heinrich in erſter
Linie genannt. Liebenswürdig und anziehend in Erſcheinung und
Kleidung, gab die Dame als Sängerin und Darſtellerin ein aller-
liebſtes Bild der feſchen Handſchuhmacherin. Ihre virtuoſe Ge-
ſangs⸗ und Vortragsweiſe zeigte ſich im ſchönſten Lichte und er-
reichte in dem Lied vom ſodten Oberſtrommandant ihren Höhe-
punkt. Daß ſie die Figur jo zurückhaltend und decent als möglich
— wohl etwas gegen die Intention des Componiſten — geſtaltete,
braucht wohl nicht erwähnt zu werden. Frl. Möbus hätte ihre
Metella mit etwas pikanterem Nimbus umgeben, ihr etwas mehr

Patſchouliduft verleihen dürfen. Ihr Briefconplet ſang ſie ganz
charmant, der Walzer, bei welchem die Begleitung zu dick aufge-
tragen wurde, gelang ihr weniger. Recht angenehm hat Fräul.
Albinus in der Rolle der Baronin überraſcht. Sie hat ent-
ſchieden muſikaliſches Feingefühl und weiß ihre kleine Stimme
mit Geſchick zu verwerthen. Ihr Rondo (Geblendet war mein
Auge) fand verdienten Beifall. Nicht ohne Humor war die
Pauline der Fräulein Carlo, die flott ſang und degagirt
ſpielte. Wenn ſie ſich nur zur rechten Zeit auf den Text
beſinnen könnte. Frau Lippe hat als Heldin von der
Feuerkluft den Lachmuskeln reichliche Arbeit gegeben. Herr
Päts hatte verſchiedene Tenorpartien in ſich vereinigt —
ein üblicher Theatercoup. — Als Schuſter war er vorzüglich in
Geſang wie Spiel. Der Braſilianer gelang ihm weniger gut,
namentlich gebrach es ſeinem Antrittslied an Kraft. Auch hat
er die verſchiedenen Rollen ein bischen zu ſehr aus einer. Farbe
geſpielt, man hätte einfach an eine Verkleidung glauben können.
Den Baron von Gondremark kann man entweder als ſtupiden
„alten Schweden“ oder als ſchlauen Kopf ſpielen, der ſich düpiren
läßt und doch ſeine Rechnung dabei findet. Herr Roberti hat
keinen der beiden Wege eingeſchlagen, war nicht Fiſch nicht Fleiſch.
Er hat zwar weit muſikaliſcher und hübſcher geſungen als ſonſt,
aber ſein Spiel war matt. Die Stutzer Herr Höflich und Herr
Fichtler waren recht ergötliche Erſcheinungen, und ebenſo Herr
Männel, welch letzter namentlich in der Uniform von draſtiſcher
Komik war. Die Regie hatte ſehr geſchickt und ſorgfältig die ver-
ſchiedenen Bilder arrangirt, nur in das erſte dürfte mehr Beweg-
lichkeit und Leben kommen. Muſikaliſch war die Operette ſehr
gut einſtudirt — wir erinnern nur an die glatte Wiedergabe der
ſchwierigen Champagnerſcene und verdient Herr Knöfler volle
Anerkennung. Das Orcheſter war auffallend dünn beſetzt. In
einem Zwiſchenakte wurde als „Theater im Theater“, eine Komödie
„Der Mann mit dem Hut“ oder „Urſachen und Wirkungen“ ge-
ſpielt. Es war recht ſpaßig zu beobachten, wie man unter dem
Schein, den Anſtand aufrecht erhalten zu wollen, ihn ſelbſt beinahe
verletzen kann; da war le remède pire que le mal. Or. S.
 
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