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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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Irfrrliorsgebihr

Crſchrint
täglich Sonntags 9 15.½fürdie 1ſpal-
ausgenommen. tige Petitzeile oder
deren Raum. Für

Irie * hiel. Geſchäfls-
mit Familien⸗ — u. Privatanzeigen
Rn 2 — 4* bedeut. ermäßigt.
—.——

aubſcl Vofanf ö Gralis⸗Aufuahur
d. Inſerate in den
ſras er Placat⸗Anzeiger.

Lohn.

Dagblatt und Verkündiger für die Stadt Heidelberg.

Nr.

Dienstag, den 9. Rovember

1886

Auf die „Heidelberger Zeitung“, — Haupt-
ö nr und Kreisvertündigungsblatt
für den Kreis Heidelber« werden für die
Monate November und Dezember
bei allen Poſtanſtalten, den Briefträgern, dei den Trägern
in der Stadt, ſowie bei der Expedition. Umere Neckar-
ſtraße Nr. 21, Beſtellungen angenommen.

Die Aufſicht über die Fabriken.
Unter den Kräften, welche auf die ſociale Verſöhnung
hinarbeiten, nimmt die ſtaatliche Fabrikaufſicht einen höheren
Rang ein, als man ihr gewöhnlich zuerkennt. Eine ſociale
Reformgeſetzgebung, welche den Arbeiter wirthſchaftlich einiger-
maßen ſicher zu ſtellen ſucht, wird ſich lange gedulden müſſen,
ehe ſie den Dank der Arbeiterbevölkerung erntet. Sie kann
in ihren Erfolgen mit den Verſprechungen der Socialdemo-
kratie nicht konkurriren, und ihre Früchte reifen zu langſam,
ſie fallen den Begehrlichen zu ſpärlich in den Schooß, als
daß Erbitterung und Mißtrauen davor ſo bald weichen
ſollten. Die wirthſchaſtliche Lage iſt es auch nicht allein,
was den Arbeiter drückt und gegen den Arbeitgeber ein-
nimmt. Auf dem Gebiete der Fabrikordnung, in der Art
der Beſchäftigung, in der oft mangelnden Rückſichtnahme
auf Leben und Geſundheit des Arbeiters — man verfolge
nur in den Berichten der Fabrikinſpektoren das erſchreckende
Kapitel von den „geſundheitsſchädlichen Einflüſſen“ zahl-
reicher Induſtrien! — da liegen auf Schritt und Tritt die
Anläſſe zur Vergiftung des Verhältniſſes zwiſchen dem Ar-
beiter und ſeinem Brodherrn und zur Entzweiung der un-
teren Volksklaſſen mit einer ſocialen Weltordnung, in welcher
ſie ſcheinbar machtlos dem Egoismus einer begünſtigten
Klaſſe preisgegeben ſind.
Hier erwachſen einer ſchützenden, berathenden, vermit-
telnden Thätigkeit des Staates ſchöne und dankbare Auf-
gaben. Eine richtig geübte Beaufſichtigung der Fabriken

giebt dem Arbeiter das Gefühl, daß man ſich ſeiner an-

nimmt, ihn gegen Unrecht ſichert; ſie belehrt zugleich den
Unternehmer über ſeine Pflichten, wie über ſeinen wahren
Vortheil; und dies iſt das Wichtigſte. Denn wie auch der
Staat ſich um die Löſung der ſocialen Frage bemühen
möge, immer wird die Hauptfache des Werkes der ſocialen
Verſöhnung von der freien, einſichtsvollen Humanität, von
dem Gerechtigkeits⸗ und Pflichtgefühl der Arbeitgeber zu
leiſten ſein. Hierzu die Unternehmer immer mehr heranzu-
ziehen, iſt neben der aufklärenden Thätigkeit ſocialer Vereine
vor Allem die ſtaatliche Fabrikaufſicht berufen. ö
Leider iſt dieſe ſegensreiche Einrichtung noch nicht ſo
ausgebildet, wie man es wünſchen möchte, und die ſocial-
politiſche Geſetzgebung, welche neue Ordnungen geſchaffen hat,
ſcheint die Schwierigkeiten in dieſer Hinſicht noch zu ver-

mehren. Erfreulich aber iſt es, aus den Berichten der

Fabrikinſpektoren zu ſehen, daß bei den Arbeitgebern ſo-
wohl, wie bei den Arbeitern das Vertrauen zu dieſen Auf-
ſichtsbeamten und die Werthſchätzung ihrer Thätigkeit von
Jahr zu Jahr zunimmt. Fälle, in denen Arbeitgeber den
Fabrikinſpektor zu täuſchen ſuchen oder ſeiner Wirkſamkeit
Schwierigkeiten bereiten, gehören mehr und mehr zu den
Ausnahmen. Die Arbeiter ſchaden ſich ſelbſt noch oft da-
durch, daß ſie die zu ihrem Beſten getroffenen Anordnungen
des Fabrikinſpektors vernachläſſigen, aber die Berichte heben
doch hervor, daß ſich die Arbeiter immer häufiger mit ihren
Angelegenheiten an die Aufſichtsbeamten wenden und Rath

Einſicht in den Werth der Einrichtung auch ferner in gleicher
Weiſe zunehmen. Vor Allem möchte man wünſchen, daß
die Berichte, in denen die Fabrikinſpektoren ihre oft ſehr
lehrreichen Erfahrungen mittheilen, von denen, die es an-
geht, von ſtaatlichen und communalen Behörden, von ge-
werblichen Corporationen und von den Arbeitgebern fleißiger
ſtudirt würden, als bisher. Man wird dadurch auf manchen

Schaden aufmerkſam und auf manches Mittel ihm abzuhelfen;

man lernt Einrichtungen für die Wohlfahrt der Arbeiter
und vieles Andres kennen, was Beachtung und Nachahmung
verdient. Wenn die neue praktiſche und billige Ausgabe der
Berichte dazu beitrüge, daß die Mittheilungen der Fabrik-
inſpectoren bekannt würden und mehr Berückſichtigung fänden,
dann wäre ſchon viel erreicht.
Ihren vollen Nutzen aber — das muß immer wieder
betont werden — wird die ſtaatliche Fabrikaufſicht erſt dann
bringen können, wenn ſie eine beſſere Ausbildung erhält.
Was daran zu beſſern und zu vervollkommnen wäre, das
zu unterſuchen, iſt hier nicht der Ort. Es genügt uns,
auf die Bedeutung hinzuweiſen, welche eine wohlgeordnete
und durchgreifende Beaufſichtigung des gewerblichen Lebens
von ſeiten des Staates für die Förderung des ſocialen
Friedens haben kann, und die Hoffnung auszuſprechen, daß
die Reichsgeſetzgebung die ihr in dieſem Punkte geſtellte
Aufgabe nicht aus dem Auge verlieren wird.

* Politiſche Umſchau.
Heidelberg, 9. November.
Am Sonntag Nachmittag fand in Maunheim die
erſte große nationalliberale Wählerver ſammlung ſtatt,
in der der Kandidat des 11. Wahlkreiſes, Herr Kommer-
zienrath Diffené, ſein Programm entwickelte. Auch die
politiſchen Gegner haben, wie ſich aus ihren Preßorganen

daß ſie eine impoſante Manifeſtation der nationalen und
liberalen Sache geweſen ſei. Und in der That, wer die
Rede des Herrn Kommerzienraths Diffené nachliest, wird
ſich einem ſolchen Eindruck nicht entziehen können. Insbe-
ſondere mögen aber die Landwirthe und Handwerker jenem
Theil der Rede Beachtung ſchenken, welcher ihnen gewidmet
iſt. Hier tritt Herr Diffen den Entſtellungen und An-
griffen des konſervativen Wahlflugblattes wirkſam entgegen,
nach deſſen Angaben ja die Nationalliberalen dem Klein-
gewerbe und der Landwirthſchaft gleichgültig und herzlos
gegenüber ſtehen ſollen. Es iſt nicht daran zu zweifeln,
daß die Worte des nationalliberalen Kandidaten auch in
dieſen Kreiſen ihre Schuldigkeit thun werden, die ſich von
gewiſſer Seite nur zu leicht verblüffen laſſen.
Die Landpoſt macht ihrem Unmuth, daß wir kürzlich
ſo hart mit ihr ins Gericht gegangen, in einigen ſehr
ſchwachen Bemerkungen Luft. Wir wollen nur den Vor-
wurf erwähnen, daß wir allezeit „den Reichstagsabgeord-
neten Menzer durch gehäſſige perſönliche Angriffe ein-
zuſchüchtern ſuchen“. Eine ebenſo dreiſte wie unbegründete
Behauptung! Der Landpoſt natürlich gilt jede irgend-
wie gegneriſche Betrachtung der öffentlichen Thätig-
keit ihrer Freunde als perſönliche Gehäſſigkeit! Uebri-
gens dürfte Herr Menzer auch wohl nicht ſo ſchüch-
tern ſein, wie die Landpoſt glauben machen will. Dann
verdreht das Blatt arg unſere neulichen Worte, mit denen
wir conſtatirt, daß Herr Conſul Menzer bei ſeiner letzten
Rundreiſe durch den Wahlbezirk ganz und gar von den
Ultramontanen in Beſchlag genommen worden ſei. Wir

ergiebt, von dieſer Verſammlung den Eindruck empfangen,

haben nicht gefragt, „ob Herrn M. wegen der katholiſchen
Stimmen, die auf ihn fielen, nicht ſchwül werde“, ſondern
die von ultramontaner Seite gefallene Aeußerung zur
Sprache gebracht, daß die Wahl des Herrn Menzer einen
Sieg der Grundſätze des Centrums bedeutete. Halte
man es mit der Wahrheit doch etwas genauer.

Der Umfang der Reichstagsarbeiten geſtaltet ſich
nach und nach anſehnlicher, als man bis jetzt anzunehmen
berechtigt war, und die Annahme, daß die Seſſion nur
von kurzer Dauer ſein würde, kommt bereits ins Wanken.
Schon bei dem Schluß der letzten ordentlichen Seſſion galt
es als feſtſtehend, daß die unerledigten Gegenſtände wieder
vorgelegt werden ſollten, daß namentlich auch das Hinter-
bliebenengeſetz wieder erſcheinen würde. Wenn von dem
Entwurf betreffs Errichtung eines Seminars für die orien-
taliſchen Sprachen an der Univerſität Berlin noch nicht
weiter die Rede geweſen iſt, ſo liegt dies an Zufällig-
keiten; daß auch dieſe Vorlage erſcheinen wird, ſteht zweifel-
los feſt. Andere Angaben, wonach noch weitere Entwürfe
im Reichsjuſtizamt für die nächſte Seſſion vorbereitet wür-
den, bedürfen der Beſtätigung.

Deutſches Reich.

Maunhtin, 8. Nov. Die nationalliberale Partei hatte
auf geſtern Nachmittag 3 Uhr eine allgemeine Wählerver-
ſammlung in den Saalbau einberufen, in welcher der für die
am 26. d. M. ſtattfindende Reichstagswabl aufgeſtellte Candidat,
Herr Commerzienrath Ph. Diffen é ſein Programm entwickeln
ſollte. Auf ergangene Einladung war auch Herr Reichstags-
abgeordneter Dr. Bürklin erſchienen, um über die allgemeine
politiſche Lage und über die letzte Reichstagsſeſſion zu ſprechen.
Der Beſuch der Verſammlung war außerordentlich zahlreich und
zwar waren nicht blos nationalliberale Parteigenoſſeu, ſondern
auch Anhänger der Demokratie und ſelbſt ein Häuflein Sozial-
demokraten erſchienen. Letztere remonſtrirten während der Rede
des Orn. Dr. Bürklin mehrmals, was jedoch ſtets mit einem
Beifallsſturm der Verſammlung beantwortet wurde. Herr Bank-
director Eckhard begrüßte die Erſchienenen, gab einen kurzen
Ueberblick über die Vorverhandlungen bei 236 der
Candidatur Diffené und konnte conſtatiren, das ae
männer des ganzen Wahlkreiſes in Friedrichs
gutgeheißen haben. Herr Diffené werde
ſeine Grundſätze d arlegen und daraufhin köiß
meſſen, ob er ſeine Stimme für Herrn Diß
oder nicht. Bevor jedoch letzterer das Wortterhreiſe. n
Dr. Bürklin einen Vortrag halten. Wenn Herr Bürklin auch
nicht mehr in Baden lebe, ſo ſei er doch kein Fremdling; er war
früher Mitglied des badiſchen Landtages, er iſt Reichstagsabge-
orduneter und lebt jetzt in der benachbarten Pfalz, iſt alſo mit
ſeinen Parteifreunden im Wahlkreis Mannheim⸗Schwetzingen-
Weinheim eng verbunden. Es betrat nun die Tribüne Herr
Reichstagsabgeordneter Dr. Albert Bürklin, von der Verſamm-
lung ſtürmiſch begrüßt. Redner iſt um ſo lieber über den Rhein
gekommen, als in der Pfalz die Theilnahme an den dortigen
politiſchen Beſtrebungen ſeitens der Mannheimer, überhaupt der
Pfälzer dieſſeits des Rheins in beſter Erinnerung ſteht. Auf die
praktiſchen Arbeiten des Reichstages übergehend, erwähnt Redner
flüchtig den Antrag auf Verlängerung der Legislaturperioden.
Die Sache iſt im Sand verlaufen, wäre aber am beſten gar
nicht angeregt worden. Der 11. badiſche Wahlkreis habe vor
zwei Jahren doppelt gewählt, er ſtehe vielleicht wieder vor einer
doppelten Wahl und das nächſte Jahr iſt die Wahl abermals zu
vollziehen. Eine beneidenswerthe Lage ſei dies keineswegs, und

für die politiſche Bildung ſowohl als für die öffentliche Sitte

ſpringe bei dieſem faſt permanenten Bürgerkrieg gewiß nichts
Erſprießliches heraus. Die beſten Geſchäfte machen dabei die
Sozialdemokraten, denn deren Weizen blühe am ſchönſten, wenn
es recht drunter und drüber gehe. Deshalb hätten dieſe dem Au-
trag auf fünfjährige Legislaturperioden einen ſolchen auf alljährige
Wahl eutgegengeſtellt. Die eigentlichen Aufgaben des Reichstages
beſtanden in der Behandlung wirthſchaftlicher und ſozialpolitiſcher
Fragen. Im Vordergrunde ſtanden die Steuervorlagen, für

und Unterſtützung bei ihnen ſuchen. Hoffentlich wird die

4¹0 Frauenloos.
Von S. v. d. Horſt.
(Fortſetzung.)
Eine Nacht voll Schrecken folgte dem ſchlimmen Tage.
Pauline fieberte, ohne ſchlafen zu können, ſie ſah bald die

todte Mutter ihres Geliebten, bald dieſen ſelbſt, ſie fuhr

auf bei dem Klange ihrer eigenen Stimme und trocknete
immer wieder von der Stirn den eiskalten Schweiß. „Alle
Umſtände ſprechen gegen Sie!“ — gleich einem Todes-
urtheil ſchwebte der ſchreckliche Ausſpruch des Beamten vor
ihrem Gedächtniß.
Dann kam am nächſten Morgen das Verhör. Mehrere
Herren in ſchwarzer Amtstracht waren zugegen, auf dem
Tiſche des Unterſuchungsrichters lagen Rudolfs beide Briefe,
der Protokolliſt war bereit, jedes Wort, das die Angeklagte
ſprechen würde, niederzuſchreiben. Eine drückende Stille be-
herrſchte den ganzen, großen Raum.
Zunächſt folgte eine Zuſammenſtellung aller, bereits
erwieſenen Einzelheiten. Die Angeklagte hatte ſich der Ba-
ronin auf jede Weiſe zu nähern geſucht, ſie hatte es ver-
ſtanden ſich ihr unentbehrlich zu machen und war in der
Nacht des plötzlichen Todes mit der Kranken ſtundenlang
allein geweſen, — aus welchen Gründen wohl? Doch nur,
weil ſie die zerrütteten Familienverhälmiſſe kannte, weil ſie
wußte, daß es dem, aus dem Elternhauſe verſtoßenen
Sohne lieb ſein mußte, in der Heimath Jemand zu beſitzen,
der gelegentlich ſeine Sache zu führen verſtand. Die Be-
eiebungen zwiſchen ihr und dem Abweſenden wurden ſorg-
fältig verheimlicht, die Correſpondenz verſteckt, und das
Terrain ſondirt. Ein unbezähmbarer Groll gegen den

Freiherrn, als Rudolfs Feind, blitzte jederzeit durch das
Benehmen der Angeklagten, die nun von der wachſenden

(Verſuchung Schritt um Schritt vorwärts gedrängt wurde.

Die Hoffnungen ihres Geliebten gingen nicht in Erfüllung,
er fand keine zuſagende Beſchäftigung, ſah ſich vielleicht ſo-
gar dem Mangel ausgeſetzt, — ſein letzter Brief ſagte un-
verhüllt, daß es über alle Erwartung ſchwierig ſei, in
Amerika eine Stellung zu finden, daß vielleicht nichts weiter
übrig bleiben werde, als die Schaufel in die Hand zu neh-
men und auf irgend einer Farm als Knecht zu arbeiten.
Unter dem Drucke dieſer trüben Vorſtellung geſchah dann
das Verbrechen, deſſen ſtrengere oder mildere Beurtheilung
lediglich von dem offenen Eingeſtändniß der Angeklagten ab-
hängen werde.
Eine Pauſe folgte dem Vortrage dieſer langen, er-
drückenden Kette von Belaſtungsmomenten; der Unterſuchungs-
richter forderte jetzt eine directe Antwort: „Bekennen Sie
ſich ſchuldig, Fräulein Teubner? Sie ſollten ohne Rück-
halt ſprechen.“
Vauline rang die Hände. „Wie kann ich denn?“ rief
ſie. „Die Anklage iſt ein Wahnwitz, ein eben ſo ſchweres
Verbrechen, wie der Mord ſelbſt! Ich bin ſchuldlos, ich
weiß von nichts.“
„Aber weshalb verheimlichten Sie in dieſem Falle ſo
ſorgfältig die Beziehungen, in denen Sie zu dem jungen
Arnſtein ſtanden? Weshalb ging die Correſpondenz durch
dritte Hand?“
Jetzt erröthete Pauline.

haben würde,“ ſagte ſie ſeufzend.

„Weil ich glaubte, daß man
die Braut des verſtoßenen Sohnes nicht im Hauſe geduldet

Der Richter nickte. „Es lag Ihnen aber daran, zu
bleiben, um zu beobachten, nicht wahr 2“
„Ja, das gebe ich zu.“
Eine Handbewegung des Beamten ſchien zu ſagen: Da
haben wir es ja! Dann wurde Pauline in das Gefäng-
niß zurückgeführt, und wieder vergingen Tage und Nächte,
ehe irgend ein Menſch in die Zelle kam, ehe irgend eine
Stimme zu der Verlaſſenen ſprach. Sie fühlte ein Brennen
und Stechen im Kopfe, wie nie zuvor, ihre Kräfte ſchwan-
den dahin, die Augen blieben faſt immer geſchloſſen; ein
troſtloſer Gedanke beherrſchte mehr und mehr alle Vorſtellungen:
Rudolf wird irre werden an mir, — ich habe ihn verloren.
Dann lag die Unglückliche ſtundenlang wie eine Todte,

regungslos, ohne zu weinen oder die Hände zu ringen, in

dumpfer Verzweiflung da.
Am vierten Tage öffneten ſich wieder die Kerkerthüren;
man kam, um das junge Mädchen dem Unterſuchungsrichter
vorzuführen, ganz zu ungewohnter Stunde, „auf beſondere
Veranlaſſung hin,“ wie die Wärterin ſagte.
Pauline hielt ſich kaum aufrecht; es galt ihr gleich, was
jetzt geſchehen würde. Mochte der Schlag fallen, deſto eher
mußten alle ihre Kräfte erſchöpft ſein.
Langſamen Schrittes ging ſie mit dem Gerichtsdiener
bis zum Verhörzimmer. Heller Sonnenſchein fluthete ihr
entgegen; im Hintergrunde des Gemaches ſaß eine in tiefſte
Trauer gekleidete Dame, deren Blicke voll Mitleid das
junge Mädchen erfaßten, — Hedwig Günther, dieſelbe, mit
der Pauline nie ein Wort oder einen Gruß gewechſelt, die
Erbin des koloſſalen Vermögens, das dem einfachen Rechte
nach ihr gehört haben müßte. (Fortſ. folgt.)

W
 
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