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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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d. Inſerate in den
Placat⸗Anzeiger.



Nr. B0.

Montag, den 25. Ohtober

1886

Auf die „Heidelberger Zeitung“, — Haupt-
r und Kreisverkündigungsblatt
für den Kreis Heidelberg — werden fur die
Monate November und Dezember ö
bei allen Poſtanſtalten, den Briefträgern, ver der Trägern
in der Stadt, ſowie bei der Expedition, Uniere Neckar-
ſtraße Nr. 21, Beſtellungen angenommen.
Neu eintretende Abonnenten erhalten das Blatt bis
Ende Oktober gratis zugeſtellt.

* Politiſche Umſchau.
Heidelberg, 25. Ottober.
Die Reichstagswahl in dem weſtpreußiſchen Wahl-
kreiſe Graudenz⸗Straßburg hat ein höchſt erfreu-
liches Ergebniß gehabt. Der geſammtdentſche Candidat
Herr Hobrecht (nationalliberal) iſt gewählt und den Polen
iſt das Mandat entriſſen. Die wenigen noch ausſtehenden
Bezirke werden an dem Reſultat, daß Herr Hobrecht mit
nahezu 1000 Stimmen Mehrheit geſiegt hat, nichts ändern.
Der Wahlkreis war bis zum Jahre 1881 durch National-
liberale vertreten. Bei den Wahlen von 1881 und 1884
ſiegten die Poleu. In letzterm Jahre waren zwei deutſche
Candidaten, ein Nationalliberaler, der 5987, und ein
Deutſchfreiſinniger, der 2336 Stimmen erhielt, aufgeſtellt.
Diesmal vereinigten ſich die deutſchen Parteien von Anfang
an auf einen Candidaten mittlerer Richtung und der Erfolg
hat bewieſen, wie richtig dieſe Taktik in ſolchen Wahlkreiſen
iſt, wo die nationalen Gegenſätze den Ausſchlag geben.
Nur die Parteileitung der deutſchen Ultramontanen hatte in
bekanntem Patriotismus und mit Zuſtimmung der Kreuz-
zeitung die Mahnung an die deutſchen Katholiken ergehen
laſſen, für den polniſchen Candidaten zu ſtimmen. Die
deutſchen Katholiken haben dieſer Mahnung augenſcheinlich
nicht oder doch nur zum Theil Folge geleiſtet.
Am Samstag hatte der neue franzöſiſche Bot-
ſchafter ſeine Antritts⸗Audienz beim Kaiſer. Nach den
hierbei gewechſelten Worten zu urtheilen, die wir an an-
derer Stelle mittheilen, hat das erſte Auftreten des Herrn
Herbette einen recht freundlichen Eindruck gemacht. Be-
merkenswerth ſind in dieſem Augenblick die nachſtehenden
Auslaſſungen der Berl. Pol. Nachr., welche anſcheinend
auf den Empfang Herbettes Bezug haben:
„Der Lärm, welcher von franzöſiſchen Preßorganen ſeit einiger
Zeit wegen Egyptens in Sceue geſetzt worden iſt, nimmt einſt-
weilen noch ſeinen Fortgang und treibt, wie die vom Journal
des Debats angeſchlagene Tonart zeigt, in den Zeitungsredaktionen
die Wellen der Erregung ſogar ziemlich hoch. Das iſt aber auch
eigentlich alles. Die Volksſtimmung in Frankreich reagirt auf
das Gebahren der Publiciſtik kaum und noch weniger die Re-
gierung. Man muß ſich überhaupt in Acht nehmen, bei den je-
weiligen Senſationscampagnen der franzöſiſchen Preſſe gleich an
amtliche Triebfedern zu denken. Gerade wir in Deutſchland haben
ſeit den letzten ſechrzehn Jahren Gelegenheiten geung gehabt,
Studien über den großen Unterſchied zwiſchen den in
der Pariſer Publieiſtit ſich breit machenden Tendenzen und
en Anſchauun gen der maßgebenden Kreiſe zu machen.
Der von erſterer ſtets gepflegte Deutſchenhaß hat letztere nicht ge-
hindert, ſich zu der Reichsregier ung aufcorrecten Fuß
zu ſtellen. Die franzöſiſche Preſſe hat ihre ſpecielle Privatver-
gnügungen, die man am beſten ruhig gewähren lätt. Ihr Sen-
ſationsdrang inſonderheit folgt periodiſch wiederkehrenden Ebbe-

und Fluthſtrömungen. Der jetzige, wegen Egyptens vollführte'

antiengliſche Zeitungsſpektakel iſt nichts anderes, denn eine ſolche
anſteigenbe Flathwelle welcher im gegebenen Moment der Rück-
ſtau folgen wird. In gut unterrichteten Kreiſen hält man ſich
überzeugt, daß aus den beregten Anzapfungen der franzöſiſchen
Preſſe kein eruſter Conflict zwiſchen den Kabineten von
London und Paris ſich entwickeln werde.“

Herr v. Benda, der greiſe Parlamentarier und her-
vorragende Führer der Nationalliberalen, hat eine Denk-
ſchrift veröffentlicht, welche die Stellungnahme der national-
liberalen Partei zu einer Anzahl wichtiger politiſcher undwirth-
ſchaftlicher Fragen behandelt. In ſeinen Betrachtungen über die
Frage der Branntwein beſteuerung, die Hauptfrage
der letzten Reichstags⸗Campagne, ſagt Herr v. Benda be-
züglich der Stellung der nationalliberalen Partei Folgendes:
Was das Branntweinmonopol anlangt, ſo entſpricht die
ablehnende Haltung der nationalliberalen Partei ihrem
alten, gegen alle Monopole gerichteten Programm. Eine
höhere Heranziehung der Steuer auf den Branntweingenuß
in dem Maße des nachweisbaren Finanzbedürfniſſes oder
behufs Beſeitigung drückender Steuern hat ſie dagegen
immer befürwortet, und ihre Delegirten haben daher in
vollem Einverſtändniß mit ihren Auftraggebern bei den
ſpätern Berathungen über Einführung einer Branntwein-
Conſumtionsſteuer an Stelle des Monovols ſich bemüht,
mit den andern Parteien und der Regierung zu angemeſſe-
nen Vereinbarungen zu gelangen; die nationalliberalen
Mitglieder der Commiſſion haben ſich dabei zu Steuerſätzen
bereit erklärt, welche vorausſichtlich die der Branntwein-
ſteuer geſtellten Aufgaben in genügendem Maße erfüllt
haben würden. Der ſchließliche Ausgang der monatelang
geführten Verhandlungen, das reſultatloſe Ergebniß der
Abſtimmungen vom 26. Juni darf als präjudiciell für die
Zuknnft nicht angeſehen werden. Die Einbringung einer
neuen Vorlage, welche die höhere Beſteuerung des Brannt-
weingenuſſes in Ausſicht nimmt, iſt, wenn man das Finanz-
bedürfniß anerkennt, kein Gegenſtand der Willkür, ſie iſt
ein Gegenſtand der Nothwendigkeit. Die Thatſache, daß
kein anderes Steuerobjekt ſich darbietet, welches erheblich
geſteigerte Finanzbedürfniſſe im Reiche und den Einzeln-
ſtaaten in dem Maße zu befriedigen im Stande ſind, wie
der Branntwein, iſt nicht bloß die Ueberzeugung der Re-
gierung, ſondern dieſe Ueberzeugung iſt nachgerade Gemein-
meingut auch der Steuerzahler geworden. Die Annahme,
daß die Regierung von der Wiedereinbringung einer wenn
auch modifizirten Conſumtionsſteuervorlage Abſtand nehmen
wolle, wird ſich vorausſichtlich als ein Irrthum erweiſen.
Es iſt nur zu wünſchen, daß dieſer Vorlage eine genauere
Feſtſtellung des Bedarfs, den ſie zu decken beſtimmt iſt,
des Ertrags, auf den ſie rechnen kann, und der Bedingun-
gen ihrer Erhebung zur Grundlage dienen möge.

Die ſceſchlangenartige Entwickelung der bulgariſchen
Angelegenheit, welche nachgerade geeignet war, ganz
Europa in Gähnen zu verſetzen ſcheint ihrem Ende nahe zu
ſein. Das energiſche Vorgehen der bulgariſchen Regent-
ſchaft, welche unbekümmert um die türkiſche und ruſſiſche
Verzögerungs⸗ und Proteſtpolitik die große Sobranje am
27. October zuſammentreten laſſen wird, muß der Sache nach
der einen oder andern Richtung hin eine entſchei dende Wendung
geben. Die Regentſchaft iſt bereits nach Tirnowa aufge-
brochen. Noch im letzten Augenblicke ſuchte der türkiſche
Bevollmächtigte ſie davon abzuhalten, aber vergeblich. In-
deſſen erklärte Gadban Effendi, daß er gleichwohl in ver-
ſöhnlichem und vermittelndem Sinne zwiſchen der bulga-
riſchen Regierung und Rußland wirken wolle. Vielleicht
führen die Ausſöhnungsverſuche, wenn ſie ernſt gemeint
ſind, zu dem Ergebniß, daß Rußland angeſichts der vorge-
ſchrittenen Sachlage ſeinen Starrſinn aufgiebt und die
Nationalverſammlung durch Vorſchlag eines Thronkandidaten

indirekt anerkennt. Bezüglich der Sobranje wird noch mit-
getheilt, daß dieſelbe durch eine Botſchaft eröffnet werden
ſoll, welche die jüngſten Ereigniſſe ſkizziren und dem Fürſten
Alexander warme Dankesworte widmen, ſodann in ſchwung-
voller Rede an den Patriotismus der Sobranje appelliren
wird.

Deutſches Reich.
Karlsruhe, 23. Oct. Der Großherzog hat ſich heute
früh ½¼½8 Uhr hierher begeben, wo derſelbe dem feierlichen
Eröffnungsakt des Winterkurſes der Techniſchen Hochſchule
anwohnte, und kehrte gegen 12 Uhr wieder nach Baden-
Baden zurück.
Berlin, 23. Oct. Die verſchiedentlich aufgetauchte Be-
fürchtung, daß England verſuchen könne, durch Ränke-
ſpiele deutſchen Intereſſen in Oſtafrika entgegen-
zuarbeiten, wird heute aus guter Quelle vollauf beſtätigt.
Man gebraucht die ſchattenhaften Anſprüche des Sultans
von Zanzibar, um womöglich die Conſolidirung unſerer
deutſchen Colonialbeſtrebung in jenen zukunftsreichen Ge-
bieten noch in letzter Stunde zu hintertreiben, und grade
in dieſem Augenblick ſchweben zu London Verhandlungen
über dieſen Punkt. Die Köln. Ztg. ſchreibt hierzu: Die
öffentliche Meinung in Deutſchland würde es nicht ver-
ſtehen, wenn durch übelangebrachte Nachgiebigkeit auch ferner
in Oſtafrika die Möglichkeit eines eigenen deutſchen Co-
lonialreiches im erſten Keime erſtickt würde. Sie ver-
langt, daß das, was durch kühnes Vorgehen patriotiſcher

deutſcher Männer gewonnen iſt, nicht im Stich gelaſſen

werde aus Rückſicht auf eine Macht, welche Deutſchlands
Einfluß überall nöthig hat zur Deckung ihres gegenwär-
tigen Beſitzſtandes und etwas Beſſeres thun ſollte, als die
Stimmung des deutſchen Volkes durch dem Neid entſprun-
gene Umtriebe noch mehr ſich zu entfremden. Falſche,
ſchwächliche Nachgiebigkeit gegen England in Bezug auf Oſt-
afrika würde die geſammte deutſche Colonialpolitik aufs
äußerſte gefährden, und wir ſind auch feſt überzeugt, daß
das deutſche Reich wenigſtens an dieſem Punkte die Aus-
ſichten auf eine großartige Eutwicklung unbeirrt und rück-
haltlos feſthalten wird.
Berlin, 24. Oct. Der Kaiſer nahm geſtern Vor-
mittag die Vorträge des Kriegsminiſters und des Chefs
des Militärcabinets entgegen und machte darauf eine
Spazierfahrt. Nach der Rückkehr empfing er im Beiſein
des Staatsſecretärs Grafen Herbert v. Bismarck den
neuen franzöſiſchen Botſchafter Herbette in
feierlicher Audienz. Der Botſchafter hielt hierbei fol-
gende Anſprache:
„Sire, indem ich zu der hohen Ehre berufen bin, die franzö-
ſiſche Republik bei Ew. kaiſerlichen und königlichen Majeſtät zu
vertreten, faſſe ich mit einem tiefen Bewußtſein der mir obliegen-
den Pflichten den Gegenſtand dieſer hohen Miſſion ins Auge.
Deutſchland und Frankreich haben zahlreiche gemeinſame Intereſſen

und werden, wie ich überzeugt bin, mehr und mehr in denſelben
den Boden für eine beiden Ländern vortheilhafte Verſtändigung

finden. Mit gutem Willen dieſe Elemente erhalten und fortent-

wickeln iſt das meinen Bemühungen vorgezeichnete Ziel. Ich
werde dasſelbe mit um ſo mehr Eifer und Vertrauen verfolgen,
als ich tief durchdrungen bin von den Ideen des Friedens, der
Arbeit und der Stabilität, welche die franzöſiſche Nation beſeelen
und die Politik ihrer Regierung durchdringen. Ich wage zu hoffen,
daß Ew. Majeſtät geruhen wird, mir die Erfüllung dieſer Auf-
gabe zu erleichtern, indem mir fortgeſetzt das Wohlwollen zu Theil
wird, mit welchem Allerhöchſtdieſelben meine Vorgänger beehrt
haben, und von welchem ich ſelbſt in früheren Zeiten meiner
dienſtlichen Laufbahn koſtbare Beweiſe empfangen habe. I

Va heidelberg, 24. Okt. (Concert des Herrn Litzinger
und der Frau Paur.) Leider haben die genannten Künſtler
ſich nicht, wie angekündigt, in dem großen Saale hören laſſen, ſondern
haben ſich genöthigt geſehen, mit dem kleinen Saale fürlieb zunehmen.
Es war das für ſie wie für das Publikum gleich bedauerlich.
Denn jene haben damit den Kampf mit der muſterhaft ſchlech-
ten Akuſtit aufnehmen müſſen, dieſes hat das Gebotene durch
die Ungunſt der lokalen Verhältniſſe geſchmälert empfangen. Denn
abgeſehen davon, daß der Ton ſich in dem langen ſchmalen Raum
nicht entfalten kann, läßt letzterer auch keine richtige Concert-
ſtimmung aufkommen. Man hat einmal das Gefühl, man
brauche einen weiten fernen Raum, um den Tönen folgen zu
können, und dieſes Gefühl iſt ein erklärliches, berechtigtes. —
Trotzdem haben die Concertgeber einen erfolgreichen Abend zu
verzeichnen. Der aute Ruf, den Herr Litzinger in der Concert-
welt genießt, hat ſich geſtern anf's Beſte bewährt. Der Sänger
hatte ſich die Aufgabe geſtellt, den ganzen Cyclus der Schubert-
ſchen „Schöne Müllerin“ an einem Abend zu abſolviren, ein
Experiment, in dem ihm gottbegnadete Schubertſänger wie Stock-
hauſen und Andere vorangegangen find. Dasſelbe hat ſein ernſt-
liches Für und Wider. Es iſt erfreulich, wenn man die Blüthen,
die man ſonſt einzeln bewundert, einmal als Kranz gereicht be-
kommt, wenn man der Müllerliebe vom Erblühen vis zum Ver-
welken, dem mufikaliſchen Bächlein in ſeinem ganzen Laufe ſol-
gen, die Einheitlichkeit in dem herrlichen iederkreiſe bewundern
Kkann. Aber das Unternehmen hat auch ſein Bedenkliches. Wo
iſt der Sänger, dem alle die Lieder, um mich. des techniſchen
Ausdruckes zu bedienen, „liegen“? Das gilt nicht nur von der
Tonlage, das gilt namentlich von dem Charakter der einzelnen
Nummern. Wenn der Künſtler ſich nicht mehr ausſuchen kann,
was ſeiner Individualität paßt, ſo muß er eben immer Kled ber-
ſein, daß er den Eindruck, den ein gut vorgetragenes Lie Und
vborruft, durch ein minder gut durchgeführtes ab chwächt. Un
wie oft findet ſich eine Stimme, die ohne Ermüdung, ohne nach-
Zulaſſen, die Rieſenaufgabe, die gerade am Schluſſe eine unge-
ö wächte Kraft fordert, zu erledigen vermag? Herr Litzinger hat
die Löſung, freilich nicht ohne die Schwierigkeiten zu em-
pfinden, ehrenvoll und in dankenswerther Weiſe gelöſt. Er

beſitzt keinen übermäßig großen, aber in Klang und Farbe
ſympathiſchen Tenor, der ſich für den Concertgeſang vor-
züglich eignet. Die Stimme iſt ſehr ſchön ausgeglichen,
in der Tiefe etwas ſchwach, in der Höhe mauchmal im
Forte ſcharf. Sein Vortrag iſt in muſikaliſcher wie deklamato-
riſcher Beziehung vorzüglich, die Tonbildung und ⸗Verbindung,
die klare, deutliche Ausſprache und die Phraſirung ſind muſter-
gültig. Er iſt frei von jeder Manierirtheit im Geſang, von allem
Geſuchten in der Auffaſſung. Daß er ein Lied wirkungsvoller
geſtaltet als das andere, daß ihm z. B. die ſentimentalen und
einfach heiteren Nummern beſſer gelingen als die ſtürmiſch be-
wegten, und daß die Stimme gegen Ende etwas müde klang,
iſt nach dem oben Geſagten erklärlich. In dem Vortrag der bei-
den nicht componirten Gedichte, die mit einer geſchickt zuſammen-
geſtellten muſtkaliſchen Begleitung ausgeſtattet ſind, hat er ſich
als fein nüancirender Declamator bewieſen. Der Künſtler, der

von Frau Paur mit innigem Eingehen auf ſeine Intentionen

begleitet wurde, fand eine ſehr warme Aufnahme. — Frau Paur
hat außerdem eine Reihe von Clavierpiecen vorgetragen. Bei
der Wahl derſelben hatte ſie, offenbar in Anbetracht deſſen, daß
es ſich um einen Liederabend handelte und daß ſie durch die Be-
gleitung ununterbrochen an den Flügel gefeſſelt war, nicht gerade
in das volle Virtuoſenmaterial von heute hineingegriffen, ſondern
Stücke ausgeſucht, die, wenn man ſo ſagen darf, in der muſika-
liſchen Welt populär ſind. Der bewieſene Muth iſt lobenswerth.
Es wäre eine erfreuliche Rückkehr zum Rationellen, wenn man es
nicht mehr als Privilegium eines Rubinſtein, d Albert u. ſ. w.
anſehen wollte, Werke wie die Cis-moll-Sonate, die Pathetique ꝛc.
im Concertſaal zu bringen. Aber vorläufig iſt es ein Wagniß.
Jeder beſſere Dilettant hat dieſelben ſeinem Repertoir eingereiht
und, wenn ſte ihm in dem Concertſaal entgegentreten, ſo verlangt
er, daß ihnen hier eine neue Scite abgewonnen werde, eine geniale

Auffaſſung aus ihnen ſpreche. Das war nun allerdings bei der

Wiedergabe der As-dur-Sonate durch Frau Paur nicht der Fall.
Sie ſpielte den erſten Satz correkt und mit verſtändnißvoller
Auffaſſung und den Schlußſatz mit vieler Verve. Dagegen konnte
uns das Scherzo des überraſchen Tempos wegen, nicht gefallen
und ebenſo der Trauermarſch, welcher namentlich in Folge des

übermäßig markirten Rhythmus und der ſcharfen Staccati der
richtigen düſtern Färbung entbehrte. Reizend wiedergegeben wur-
den dagegen die beiden Lieder ohne Worte und die Rubinſtein'ſche
Romanze und das Chopin⸗Lisztſche Stück. Hier traten weicher
Anſchlag und die ſaubere Technik auf's Beſte hervor. Das Spinn-
lied rollte ſo glatt und ſauber dahin, daß es ſeinen ganzen Reiz
übte; auch das pikante Scherzo von Moskowski wurde elegant ge-
geben, dagegen befremdete die Ausſührung des moment musical
von Schubert, der in Folge des unmotivirten ruckweiſen Hervor-
tretenlaſſens des erſten Viertels und des unberechtigten Ritardirens
in vollſtändig verſchobenem Rhythmus erſchien. Dr. S.

88 „Ruperto⸗Carola“, *
illuſtrirte Teſtchronik der V. Sähularfeier der Aniverſität
Heidelberg.
Mit der uns vorliegenden ſoeben ausgegebenen neunten Num-
mer der „RupertoCarola⸗ wird aufs Neue die Freude an dem
ſchönen Unternehmen geweckt und getkräftigt, welche die in tert-

licher und künſtleriſcher Hinſicht gleich ſchön ausgeführte Feſt-

chronik ſofort bei ihrem Erſcheinen und in jeder weiteren Num-
mer den Freunden der Jubel-Univerſität bereitet hat. An der
Spitze dieſer neunten Nummer ſteht ein Aufſatz des berühmten Straß-
burger Theologen H. Holtzmann, welcher ein ſcharf umriſſenes
und geiſtvoll ausgeführtes Bild Karl Daubs giebt, der volle vierzig
Jahre in Heidelberg ſowohl durch wiſſenſchaftliche Bedeutung, wie
durch Größe des Charakters hervorragendſte Stellung und Wirk-

ſamkeit erlangt hatte. Arthur Kleinſchmidt führt in ſeinem

Schlußartikel die wunderſamen Schickſale der Princesse Palatine,
Anna Gonzaga, zu Ende. Eine kurze aber intereſſante Skizze
über Paul Meliſſus, den bekannten Dichter des 16. Jahrhunderts,
nebſt einem in Heidelberg entſtandenen deutſchen Gedichte desſelben
bringt Karl Bartſch. Alberta v. Freydorf ſchildert eine
dem Meiſter Joſ. Victor v. Scheffel ſinnig dargebrachte Huldi-
gung auf der Mettnau, welche, wie ein hierbei mitgetheiltes Ge-

dicht beweiſt, den Dichter ganz beſonders erfreute. Ein Stück
 
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