Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0381

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
örint
Allich Sonntags

eſcl. Poſtauf-
ſhlag u. Träger-
Lohn.

ausgenommen.
ürei 3
W. Familien-
nättern viertel-
ſihrlich 24.60.3

— Tagblatt und Verkündiger für die Stadt Heidelberg.

Zaſertiorsgebũhr
15. 5fürdie iſpal-
tige Petitzeile oder
deren Raum. Für
hieſ. Geſchäfts-
u. Privatanzeigen

6 bedeut. ermäßigt.
Eralis⸗Aufuahme

d. Inſerate in den
Placat⸗Anzeiger.

V.

Treitag, den 1. Oktober

1886

Auf die „Heidelberger Zeitung“, — Haupt-
lokal⸗- und Kreisverkündigungsblatt
für den Kreis Heidelberg — werden für das
IV. Quartal
* allen Poſtanſtalten, den Briefträgern, bei den Trägern
à der Stadt, ſowie bei der Expedition, Untere Neckar-
Nr. 21, Beſtellungen angenommen.

* Zur Schulreform. II.
Wir haben im geſtrigen Artikel in kurzen Umriſſen die
ſtmbewegung auf dem Gebiete des höheren Schulweſens
cae mnzeichnet, wie ſie in Deutſchland in die Erſcheinung
Wir wollen heute noch darauf hinweiſen, daß die
culreform auch in anderen Ländern auf der Tagesordnung
t, ja, wie beiſpielsweiſe in Ungarn, bereits thatſächlich
ngriff genommen iſt. In dieſer Beziehung wie auch
ones ſonſtigen Inhalts wegen iſt ein Aufſatz intereſſant,
ſechen der ungariſche Unterrichtsminiſter Tre-
rt neulich im Budapeſti Szemb veröffentlicht hat. Herr
efort ſchreibt:
Je größer der Kreis iſt, in welchem der Glaube ſich
übürgern wird — ich ſage abſichtlich: der Glaube —,
3die Wiſſenſchaft auch im praktiſchen Leben eine Macht
um ſo größer wird die Bedeutung ſein, die man der
, elſchule beilegen wird, d. i. jener Schule, welche für
e wiſſenſchaftliche Laufbahn vorbereitet.
. ch erachte es für eine erfreuliche Erſcheinung, daß
5 Frage, die in ganz Europa auf der Tagesordnung
ht, auch bei uns auf's Tapet gelangt iſt.
Wenn wir unſere gegenwärtige Kultur analyſiren, ſo
en wir einſehen, daß ohne Griechenland und Rom dieſe
ultur nicht exiſtiren würde, — vielleicht würde eine ganz
adere Civiliſation ſich entwickelt haben; aber was wir
te ſind, iſt ein Werk der griechiſchen und römiſchen
prache und Literatur, Wiſſenſchaft und Kunſt. Aus dem
ſtigen Leben der Renaiſſance haben ſich die neuen Litera-
zen, die Wiſſenſchaft und die neue Kunſt entwickelt. Die
unzendſte Seite der Kultur der alten Welt aber iſt die
Lende Kunſt, beſonders Skulptur und Architektur, in der
teratur die Vollendung der Form. — Die Wiſſenſchaft,
ſozialen und politiſchen Inſtitutionen, die Volkswirth-
Aft waren im Kindesalter; die Humanität aber, welche
u der Urbanität weſentlich verſchieden iſt, kommt in der
n Welt nur in ſeltenen Beiſpielen vor. Vergleicht man
nach die alte Kultur mit der neuen, ſo iſt die neue Kultur
turlich höher und intenſiver als die alte, gleichwie ein
eißigjähriger Mann reifer und entwickelter iſt und auf
nem höheren Niveau der geiſtigen und Gemüthsbildung
tals ein fünfzehnjähriger Jüngling — immer gleiche
hältniſſe und Dispoſitionen vorausgeſetzt.
Wir können daher lernen von der alten Kultur, aber
Inſt nicht unſere Aufgabe, dahin zurückzukehren, wo die
— rechen und Römer geſtanden; die Alten, die mit Recht
kwühmt werden, auf Koſten der Neueren zu preiſen, iſt
ue Ausgeburt der Unwiſſenheit oder einer korrupten Schul-
ſter⸗Phantaſie.
4. Wenn wir nun fragen, wo iſt der Werth und Nutzen
32 klaſſiſchen Bildung für uns, ſo wird Jeder, der Latein
18 5, an ſich ſelber die Erfahrung gemacht haben, daß das
4* lein alle ſeine Bildungsbeſtrebungen gefördert hat —

—.

Vuders hinſichtlich der Aneignung derweſtlichen Sprachen —

und ich gebe zu, daß auch die griechiſche Sprache und Li⸗ in jeder Beziehung Leute comme il faut —, die dem Be-

teratur von großer Wirkung find, obgleich ich in dieſem
Betracht nicht aus eigener Erfahrung ſprechen kann, weil
ich zwar Griechiſch gelernt habe, aber heute nichts mehr
davon weiß.
Allein, es genügt nicht, mit klaſſiſchen Studien Jahre
zu verbringen, man muß dieſelben auch beſitzen — in dieſer
Hinſicht haben wir ſehr traurige Erfahrungen —, und da-
rum bin ich ganz der Anſicht Du Bois⸗Reymond's, daß
man auch ohne ſolche Studien auf der Univerſitäts⸗Lauf-
bahn fortkommen kann. Es iſt eine beſchränkte
Schulauffaſſung, zu glauben und zu verkün-
den, daß man ohne die klaſſiſchen Sprachen,
mit Hilfe der neueren Literaturen, einen
höheren Grad der Bildung nicht erreichen
könne.
Nach alldem iſt die große Frage die: Was haben wir
zu thun?
Es iſt nichts Neues, wenn ich ſage, was ich ſchon un-
zählige Mal geſagt habe, daß bei uns wenigſtens eine
Frage entſchieden iſt, die anderwärts noch in der Schwebe
iſt, daß nämlich Jünglinge, welche die Real-
ſchule abſolvirt und dort die Maturität er-
langt haben, zu allen Fakultäten der Univer-
ſität übergehen können, wenn ſie nachträglich
aus der lateiniſchen Sprache Prüfung machen.
Wer alſo zu den klaſſiſchen Studien keine Neigung fühlt,
mag in die Realſchule gehen; damit Solche aber in der
Lage ſeien, zu einer anderen Laufbahn überzugehen, will
ich ihnen auch darin Erleichterung ſchaffen; ich werde
nämlich in den Realſchulen ordentliche Lehr-
kanzeln für die lateiniſche Sprache — natür-
lich nicht als obligaten Gegenſtand — er-
richten.
Ferner werde ich, ſo lange ich Miniſter bin, ſtets be-
ſtrebt ſein, je mehr Spezial⸗Fachſchulen zu errichten, welche
gleichſam als Blitzableiter gegenüber den
Gymnaſien dienen können, damit das geſchulte
Proletariat nicht überhandnehme. In den Gym-
naſien ſollen Jene bleiben, die Talent und Luſt zur höheren
Bildung haben und die der klaſſiſchen Bildung bedürfen.
Ich ermahne daher die Directoren, in den unteren Klaſſen
mit der nöthigen Strenge vorzugehen, damit die armen
Kinder, die kein Talent und keinen Fleiß beſitzen, rechtzeitig
eine andere Laufbahn betreten, wobei ich draſtiſch genng
wiederhole, daß das Kind eines noch ſo armen Vaters, ja
eines Straßenbettlers, Miniſter⸗Präſident, Judex Curiae,
Kardinal, General werden könne, wenn es Verſtand und
Talent hat. Allein arme Eltern ſollen ihre talentloſen
Kinder nicht in das Gymnaſium ſchicken.
Aber ſchließlich, wenn wir von der klaſſiſchen Erziehung
einen Erfolg erwarten, ſo darf man die Gymnaſien nicht
nur mit ſchlechtem Material nicht überbürden — und in
dieſer Beziehung hat keinerlei Raſſe oder Konfeſſion ein
Privilegium —, ſondern es muß hauptſächlich für gute
Profeſſoren geſorgt werden, beziehungsweiſe es müſſen ſolche
erzogen werden.
In dieſer Hinſicht muß ich, mag ich mich nun welchem
Groll immer auch ausſetzen, mit voller Offenherzigkeit mich
äußern. Ich hatte Zeit, Erfahrungen zu ſammeln; ich
kenne viele Profeſſoren — unter dieſen ſehr viele gebildete,

griffe entſprechen, daß ſie in den Gymnaſien die Humaniora
vortragen, aber es gibt auch viele ſolche, die in dieſer
Beziehung eine wahre Satire auf die Humaniora ſind.“
Wie man ſieht, iſt in Ungarn die Gleichberechtigung
der Gymnaſial⸗ und Realſchul-Abiturienten bereits durch-
geführt. Wenn in den letztern beiden Abſchnitten der Ar-
tikel auch ſpeciell nur von ungariſchen Verhältniſſen ſpricht,
ſo ſind ſeine Ausführungen im Allgemeinen aber ſicher der
größten Beachtung werth.

Deutſches Reich.
Karlsruhe, 30. Sept. (Amtlich.) Se. Königl. Hoh.
der Großherzog haben den Medizinalreferenten des
Miniſteriums des Innern für Veterinärangelegenheiten Me-
dizinalrath Dr. Auguſt Lydtin zum „Oberregierungsrath“
ernannt, dem Grafen Friedrich von Berlichingen-
Roſſach hier und dem Miniſterialrath Bela Tormahy
im Königlich Ungariſchen Ackerbauminiſterium in Budapeſt
das Commandeurkreuz 2. Klaſſe, dem Vorſtande des Ge-
werbevereins Karlsruhe, Fabrikant Louis Schwindt das
Eichenlaub zum bereits innehabenden Ritterkreuz 1. Klaſſe,
dem Profeſſor an der techniſchen Hochſchule zu Karlsruhe
J. H. Richard und dem Oeconomen J. B. Roder in
Meßkirch das Ritterkreuz 1. Klaſſe, und dem Secretär des
Gewerbevereins Karlsruhe, Kaufmann Wilhelm Berb-
linger, das Ritterkreuz 2. Klaſſe des Ordens vom Zäh-
ringer Löwen verliehen.
Karlsruhe, 30. Sept. Heute Vormittag /.11 Uhr
begaben ſich der Großherzog, die Großherzogin, der
Erbgroßherzog, die Erbgrobherzogin, der Großherzog von
Sachſen, der Prinz Heinrich von Preußen, Prinz Ludwig
Wilhelm, der Großfürſt und die Großfürſtin Michael von
Rußland, ſowie Großfürſt Michael Sohn und der Fürſt
von Hohenzollern zu dem Kaiſer und der Kaiſerin. Auch
der König der Belgier kam um dieſe Zeit zur Gratulation.
Die Kaiſerin nahm die Glückwünſche und Geſchenke der
ſämmtlichen Herrſchaften entgegen und empfing dann den
geſammten Kaiſerlichen und Großherzoglichen Hofſtaat, ſo-
wie die Hofſtaaten der übrigen Höchſten Herrſchaften. Um
1 Uhr fand ein Frühſtück im Großherzoglichen Schloß ſtatt,
dem der Kaiſer und die im Schloß wohnenden Herrſchaften
anwohnten, worauf dann eine gemeinſame Spazierfahrt
folgte. — Der König der Belgier gedenkt heute Abend
wieder von Baden abzureiſen.
Berlin, 30. Sept. Der Kaiſer wird am 20. Oct.
hierſelbſt zum Winteraufenthalt zurückerwartet. — Ueber
die Reichstagswahl im 1. Berliner Wahlkreis ſchreibt
die Nat.⸗Lib. Corr.: Wir hören, daß zwiſchen Conſerva-
tiven und Nationalliberalen noch Verhandlungen über eine
gemeinſam aufzuſtellende Candidatur von gemäßigter Rich-
tung ſchweben. Der Erfolg dieſer Verhandlungen muß
dahingeſtellt bleiben, ebenſo wie die Entſchließungen im Falle
des Scheiterns eines Ausgleichs. Auch die Fortſchritts-
partei iſt zu einer endgiltigen Auswahl unter den zahl-
reichen ihr zur Verfügung ſtehenden Candidaten noch nicht
——n—— Die Wahl wird wohl erſt im November ſtatt-
nden.
Nürnberg, 29. Sept. Der Prinzregent Lu it pold
übernahm geſtern das Rektorat der Erlanger Uni-
verſität.

—.

18
Frauenloos.
Von S. v. d. Horſt.
(Fortſetzung.)
üvdedwig hatte ſich erhoben, ſie ſtützte die linke Hand
4N er auf das Inſtrument, die rechte hing wie leblos herab,
x dend das Geſicht alle Farbe verloren hatte. Blaß wie
Tod ſah ſie zu dem Oberförſter hinüber.
„»Hermann!“
„Nun, meine Kleine?“
16 »Hermann, könnteſt Du das thun? Könnteſt Du je
fremde Frau heirathen und hierherbringen? Hierher?“
Wonda ſah er auf, ſelbſt blaß, aber ruhig; ſeine Ant-
war ſehr kurz, ſie beſtand nur aus einer einzigen
ö „Nie!“
Iz. Aber es klang, wie wenn der Menſch ſchwört: Bei dem
endigen Gotte, ich ſpreche die Wahrheit.
Aandedwig glitt aus dem Zimmer wie ein Schatten, es
ö Wl zwiſchen den beiden Zurückgebliebenen ſehr ſtill, bis
ch Hermann das ungeleſene Zeitungsblatt ziemlich
leh. weglegte und den Kopf plötzich erhob. „Bitte,
I We Paſtorin, weshalb ſehen Sie mich ſo unaus-
Ian?“
Rin eigenthümlich weicher Ton klang ihm entgegen.
blten Sie meinen Blick, Herr Oberförſter?“
e ch glaube ja!“ ſagte er beinahe rauh, „aber ich
Wren vergeblich, mir ſeinen Zweck einigermaßen zu
Sie ſchwieg und über dem ganzen Tage ſchien ſpäter
Gewitterwolke zu hängen. Hermann und der Aſſeſſor

wechſelten ſpitzige Worte, die Paſtorin ſprach gar nicht, und

Hedwig ging mit verweinten Augen umher. Das alles
glich ſich freilich langſam wieder aus und an dem Geburts-
tage des jungen Mädchens herrſchte ſogar heller Jubel.
Hermann hatte ihr eine Ponyequipage geſchenkt, ſie war

außer ſich vor Freude; mit wehenden Locken, im weißen

Morgenkleide fuhr ſie um den großen vorderen Raſenplatz
herum und konnte nicht müde werden, immer wieder die
Pferde zu liebkoſen und den eleganten kleinen Wagen zu
bewundern. Lindberg biß ſich auf die Lippen, daß ein
rother Blutstropfen zurückblieb; ſein eigenes Geſchenk, ein
koſtbares Bouquet, war achtlos bei Seite gelegt und wie
etwas recht Ueberflüſſiges behandelt worden, das erfüllte
ihn mit bitterem Groll. Die Entſcheidung zwiſchen ihm
und ihr mußte kommen, er fühlte es, ſagte es ſich täglich
und dennoch verbrachte er jede freie Stunde auf dem
Gute, dennoch hoffte er gegen die Ueberzeugung ſeines Ver-
ſtandes.
Für den heutigen Abend war eine größere Geſellſchaft
geladen, Familien aus der Stadt und von den benach-
barten Gütern, junge Herren und Damen, die luſtig im
Tanze durcheinander wirbelten, Mütter, die ihre ſtille Be-
obachtungen blinzelnd und flüſternd weitergaben, Väter, die
den Weinvorräthen des Oberförſters mit lebhafter Aus-
dauer zuſprachen. Man amüſirte ſich, man beneidete all-
gemein das ſchöne ſiebzehnjährige Mädchen mit den braunen
Locken und dem Lächeln des ſtrahlendſten Glückes. Wie
reizend ſie war, wie Jung und Alt ihr huldigten; —
Hermann eröffnete mit ihr den Ball, — nun, nun, er be-
trachtete ja wohl dieſe kleine Stiefſchweſter faſt wie ſein

Kind und ſo mochte es denn hingehen, aber daß die bei-
den Leutchen auch ferner noch fünfmal zuſammen tanzten,
das ſchien doch etwas ſtark. War es, um den Aſſeſſor zu
verſcheuchen?
Der Arme! Die Geſchichte von dem Bougquet hatte ſich
längſt herumgeſchwatzt, — zum Dank für ein ſo zartes
Geſchenk bekam er am ganzen Abend kaum einen flüchtigen
Blick und als er fie zu engagiren verſuchte, da war der
Tanz bereits vergeben.
Er ſelbſt fühlte die ganze Nichtachtung, mit welcher ſie
ihn behandelte. Ohne ſich um die Gunſt irgend einer
andern Dame zu bemühen, lehnte er meiſtens in der Thür
und ſah finſteren Blickes über das Gewoge der Tanzenden
hinweg. Ehe dieſe Nacht zu Ende ging, ſollte die Ent-
ſcheidung kommen.
Seine Blicke beobachteten das junge Mädchen unaus-
geſetzt. Es war zu Ehren des Geburtstagskindes mancher
Flaſche Sekt der Hals gebrochen worden, die Augen glänz-
ten heller, die Herzen ſchlugen ungeſtüm den kleinen Freu-
den der günſtigen Stunde entgegen; überall ertönten luſtige
Scherzworte, tiefer und tiefer brannten die Wachskerzen in
den Armleuchtern herab, es war faſt Morgen geworden.
Wenn eine neue Weiſe erklang, wenn ſich die Paare
ordneten, dann tanzte Hedwig in Hermanns Armen, — er
ſchien ſie faſt zu tragen, ſchien an ſeiner breiten Bruſt die
zarte Geſtalt feſthalten zu wollen für immer. Und wie die
Beiden flüſterten, alle Leute bemerken es!
„Sonderbar!“ ging es durch die Reihen der Mütter.

(Fortſ. folgt.)


 
Annotationen