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Heidelberger Zeitung — 1886 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.52470#0257

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täglich Sonntags
ausgenommen.

Freis
mit Familien-
blättern viertel-
lährlich 24%½60 ½
ausſchl. Poſtauf-
ſchlag u. Träger-
Lohn.

9
ö tige Petitzeile oder
deren Raum. Für
hieſ. Geſchäfts-
u. Privatanzeigen
4 bedeut. ermäßigt.
Gralis⸗Aufnahme

Dagblatt und Verkündiger für die Stadt Heidelberg.

Inſertionsgebũhr
15 H fürdie Iſpal-

d. Inſerate in den
Placat⸗Anzeiger.

N. 20.

Montag, den 30. Auguſt

1886



Auf die „Heidelberger Zeitung“, — Haupt-
lokal⸗ und Kreisverkündigungsblatt
für den Kreis Heidelberg — werden für den
ö Monat September
bei allen Poſtanſtalten, den Briefträgern, bei den Trägern
in der Stadt, ſowie bei der Expedition, Untere Neckar-
ſtraße Nr. 21, Beſtellungen angenommen.

* Die bulgariſchen Ereigniſſe.
Fürſt Alexander iſt am Samstag Nachmittag von
Lemberg abgereist, um wieder nach Bulgarien zurückzukehren.
Er dürfte es wohl kaum gethan haben, ohne vorher von
den Großmächten dazu in irgend einer Form ermuntert
worden zu ſein, wenngleich auch die Stimmung des bul-
gariſchen Volkes nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben ſein
wird. In der That wird auch aus Lemberg berichtet,
daß der Fürſt den Entſchluß zur Rückkehr nach Bulgarien
faßte, nachdem ihm ſein Bruder Prinz Ludwig Depeſchen
einhändigte, die dieſer aus Deutſchland mitgebracht. Geſtern
Vormittag iſt der Fürſt in Bukareſt eingetroffen und von
den dort anweſenden Bulgaren begeiſtert begrüßt worden.
Inzwiſchen hal er bereits in Ruſtſchuk bulgariſchen Boden
betreten und dürfte ſich demnach bald wieder in ſeiner Re-
ſidenz Sofia befinden. Wie ſich die Dinge dann weiter
entwickeln werden, nachdem Fürſt Alexander wieder ſeine
alte Poſition eingenommen, dürfte weſentlich von Abmachungen
abhängen, die eventuell inFranzens bad zu Stande gekommen
ſind. Man ſvricht auch davon, daß eine Annäherung zwiſchen
Fürſt Alexander und dem Czaren in Ausſicht ſtehe. Ob

Ueber die Abreiſe des Fürſten Alexander von Lemberg
gibt folgende Meldung Auskunft: Lemberg, 28. Auguſt.
Die Abfahrt des Fürſten Alexander erfolgte um 2 Uhr.
Vor dem Hotel hatte ſich eine große Menſchenmenge ange-
ſammelt, die unabläſſig „Hurrah“ rief. Auf dem Haupi-
bahnhof hatte ſich ebenfalls eine große Menge, der Polizei-

enge, die große Begeiſterung hervorriefen.
Seiten der Straße hatten ſich lange Reihen von Daseen
mit Blumenſträußen aufgeſtellt. Es wurde jedoch plötzlich
bekannt, daß die Abfahrt geändert ſei und daß der Fürſt
vom Czernowitzer Bahnhofe abfahre. In Bukareſt wird
Fürſt Alexander mehrſtündigen Aufenthalt nehmen, jedoch
ſteht der Uebergang über die Donau nicht vor den erſten
Nachmittagsſtunden in Ausſicht. ö
Die Ankunft in Bukareſt meldet folgendes Telegramm:
Bukareſt, 29. Aug. Fürſt Alexander iſt heute Vor-
mittag um 11 Uhr hier eingetroffen und von den hier
-wohnenden Bulgaren am Bahnhof begrüßt worden. Der
Fürſt ſetzte ſeine Reiſe über Giurgewo nach Ruſtſchuk un-
verzüglich fort.
Ueber die Stellung der Mächte zur Rückkehr des Fürſten
Alexander geht dem Frankf. Journ. aus London folgendes
Telegramm zu: London, 29. Aug. Von beſtunterrich-
teter Seite wird mir verſichert, daß auf Grund der Franzens-
bader Berathungen ein Einvernehmen der Berliner Vertrags-
mächte allerdings erzielt worden, aber nur ſoweit reicht,
daß ſämmtliche Mächte die Wiederherſtellung des
Zuſtandes, wie er vor dem 21. Auguſt geweſen, ohne

gemeldet, daß Zankoff frei in Sofia weilt und nur ſtreuge

jedoch etwas Wahres daran, iſt bis jetzt nicht feſtzuſtellen.

director und andere angeſehene Perſönlichkeiten eingefunden.
Einige alte Polen in Nationaltracht hielten Reden an die
An beiden az eide ſchimen milit
Ireil ‚ Kimeater, boelche dem Fürſten treu ergeben daren, wurden von

und Faß Bulgarien, u.

gefügt werden, daß Fürſt Alexander ſelbſt, obwohl es
nicht im Wunſche der Familie des Fürſten ge-
legen, auf das beſtimmteſte entſchloſſen war, dem Willen
ſeines Volkes zu entſprechen, ſobald ihm in Lemberg voller
Ueberblick über den Umſchlag der Dinge gegeben worden
war. Die von Berlin hierher gemeldete Nachricht, daß ein
Verſuch unternommen worden, den Fürſten und den
Czaren wieder auszuſöhnen, wird mir beſtätigt,
mit dem Hinzufügen jedoch, daß dieſer Verſuch ein verein-
zelter zu bleiben ſcheine und, wenn er auch von ſehr hoher
Stelle ausgehe, doch ſchwerlich einen für die weitere Ent-
wicklung der Orient⸗Angelegenheiten bedeutſamen Erfolg
haben dürfte. Die engliſche Verwandtſchaft des Fürſten
ſcheint alſo an dem Verfuche keinen Antheil zu nehmen.
Bezüglich der Stimmung des bulgariſchen Volkes wird
berichtet, daß wiederholt Volksverſammlungen ſtattfanden,
die ſich ſtürmiſch für den vertriebenen Fürſten erklärten.
Die Wuth gegen die Verräther iſt groß, und es ſcheinen
zuverläſſige Meldungen zu ſein, welche mittheilen, daß
Zankoff vom Volke gelyncht worden iſt. Außer-
dem wird aber gemeldet, Zankoff und Gruew ſeien zum
Tode, der Metropolit Clement zu lebenswieriger Zwangs-
arbeit verurtheilt worden. Drittens wird aber auch noch
bewacht wird.
Ueber den Verlauf und Ausgzang der Ver-
ſchwörung vom 21. und 22. Auguſt eutnehmen wir aus
der Köln. Zig. noch die folgenden näheren Angaben:
Der geiſtige Urheber der Revolution iſt Oberſt Zacharoff,

Milttärattach' bei dem ruſſiſchen Conſuntte in Softa. Er hat
im Rämen des Katſers von Rußland den Dfftzieren des Kriegs-
miniſteriums verſprochen, im Falle ſie den Fürſten verjagten und
duldeten, daß ruſſiſche Stabsoffiziere nach AAlgarien kämen, werde
der keaiſer ſie, die balgariſchen Offiziere ſelbſt, in demſelben
Range nach Kußland übernehmen. Schon ſeit fünf Monaten iſt
dieſe Virſchwörung im Gauge und mehr als 60 Offiziere ſind in
dieſelbe verwickelt. Die unmittelbare Eüßleitung des Putſches
geſchah durch die Erfiudung der ſerbiſchen Kriegsgerüchte. Der
bulgariſche Kriegsminiſter, der jedenfalls win in der Verſchwörung
mar, hutte bem Färiten Alexander hai⸗ 91.

hen, ſcine deſten Ti
chäh denn; gerade die Re-

an ditKerritzr ſchigen minſe. Das geſ
Sofia weg an die ſerbiſche Greuze geſchickt; in Sofia ſelbſt blieb
nur das unſichere Regiment von Küſtendil — und mit dem haben
dann die Herren Zankoff und Genoſſen ihr Stückchen in der
Nacht von Freitag auf Samstag fertig geſpielt. Der Fürſt hatte
Freitag mit einem der Conſuln geſpeiſt und kam ſpät in den Konak.
Um halb 3 Uhr früh wurde er vom Diener mit der Nachricht
geweckt, der Palaſt ſei von Militär umſtellt, welches den Fürſten
ermorden wolle. Als der Fürſt die Gartenthür öffnete, knallten
ihm Schüſſe entgegen. Er ſchloß die Thür wieder und ging zu
einer andern. Da begann gleichzeitig ein ganzes Regiment ein
Salvenfeuer auf das Palais abzugeben. Als der Fürſt in die
Vorhalle trat, kam ihm ein Offizier entgegen und ſagte: Sie ſind
abgeſetzt! Der Fürſt glaubte einen Irrſinuigen vor ſich zu ſehen
und befahl ihm, den Palaſt zu verlaſſen. Darauf drangen drei
andere Offiziere, Grueff, Patſoff, Dimitrieff, mit Revolvern in
der Fauſt, gefolgt von 30 Cadetten, in den Saal und verlangten
die Abdankung. Der Fürſt wandte ſich ruhig an Grueff mit der
Frage, was er wolle. Grueff ſagte, der Fürſt müſſe abdanken,
weil er gegen Rußland ſei. Den Fürſten erfüllte beim Blick auf
die ehrloſen Offiziere und Cadetten liefer Schmerz und Entrüſtung.
Die Offiziere riſſen ein Blatt aus dem auf dem Tiſch der Vor-
halle liegenden Einſchreibebuch heraus und der betrunkene Grueff
kritzelte darauf mit vielen Klexen uuleſerliche Zeichen. Der Fürſt
ſah das Blatt an, erklärte, er könne das dort Geſchriebene nicht
leſen und ſchrieb dann auf das Papier die Worte: „Bog da spasi
Bolgaria, Alexander.“ („Gott ſchütze Bulgarien, Alexander.“)
Es gibt keinerlei Abdankungsurkunde. — Mau befahl dem Fürſten,

Zarhe; Juß.Srohien rüſte
Trüppen

eine bürgerliche Kleidung anzulegen, welche man bereit gehalten
hatte; da der Hut nicht paßte, wurde der Fürſt barhäuptig weg-
geführt. Vom Palaſt wurde der Fürſt von Offizieren und
Junkern unter Abſpielung der ruſſiſchen Hymne nach dem nahen
Kriegsminiſterium escortirt. Dort verlangte er ſofort abzureiſen;
dies wurde ober nicht geſtattet, erſt nach 5 Uhr früh konnte er
nach dem Kloſter auf Eſtrobol im Balkan abreiſen, wo er den
ganzen Samstag verbleiben mußte. Am Sonntag ging es weiter.
Im erſten Wagen ſaß die Escorte, im zweiten der Fürſt und Prinz
Franz Joſeph mit einem Junker auf dem Bock, dem folgten weitere 4
Wagen mit Escorte. Unterwegs ſchon waren andere Abtheilungen der
Escorte aufgeſtellt. Die Escorte hatte Befehl, beim geringſten

Zeichen von Annäherung des Fürſten an die Soldaten, ſogar bei

jedem Wort oder ſelbſt verdächtigen Zeichen ihn niederzuſchießen,
ſo daß die Erhaltung ſeines Lebens ein halbes Wunder bleibt. Da-
egen iſt es unrichtig, daß der Fürſt beſondere Beforgniſſe wegen
Vergiftung hatte. Im Zickzack wurde der Fürſt mit Vermeidung
der bewohnten Städte escortirt, nur wurde die Ortſchaft Brazza
paſſirt, wo aber jedem Einwohner bei Todesſtrafe verboten war,
am Fenſter oder auf der Straße zu erſcheinen. Montag Abend
laugte der Fürſt in Rahowa an der Donau an, wo ihn die
Hacht erwartete. Die Yacht war beſetzt von 40 Junkern und et-
lichen Officieren und hatte Befehl, den Fürſten nach Reni (Ruß-
land) zu bringen. An jedem Fenſter des Salons ſtand ein Doppel-
poſten, an der Thür ſtanden zwei Doppelpoſten. ö
Der Fürſt ſprach den Wunſch aus, man möge ſtromaufwärts
fahren, und man willfahrte ihm zuerſt; ſobald der Fürſt jedoch
wohlbewacht in der Cajüte ſaz, wandte man das Schiff. Der
Commandant Carabaroff war nämlich von den Verſchwörern ge-
zwungen worden, den Fürſten nach Reni zu bringen. Die Haupt-
leute Cadjeff, Vankoff und Bibanoff traten dem Fürſten gegen-
über ſehr roh auf. Die Hitze war ſo furchtbar, daß ſchließlich
der Fürſt den Kopf zum Fenſter hinausſteckte, worauf ihn zwei
Soldaten mit dem Bajonnet zurückſtiezn und ſofort die Wache
alarmirten. Die Bitte, nur wenige Minuten friſche Luft ſchöpfen
zu dürfen, wurde rundweg abgeſchlagen, Das Schiff langte mit
18. Km. Geſchwindigkeit Dienstag Nachmittag 4 Uhr in Reni an,
mußte zuerſt einige Stunden warten, bis die ruſſiſche Erlaubniß
zum Landen kam, dann wurde der Fürſt unter Gendarmerie⸗Escorte
zum Come (Maire), welcher zufällig ein Bulgare war, gebracht.
Der Fürſt verblieb dort mit ſeinem Bruder unter Gendarmerie-
bedeckung bis Donnerstag. Der Fürſt wünſchte durch Rumänien
zu reiſen, aber zwei Telegramme des Generalſtabschefs Obrecheff
verweigerten die Erlaudniß; es blieben dem „Prinzen Alexander
von Battenberg“ laut Telegramm des ruſſiſchen Miniſters nur
zwei Routen über Lemberg und über Warſchau frei. Donnerstag
früh reiſte der Fürſt mit Sonderzug von Rasdelnaja (Station
der Lahn Odeſſa⸗Lemberg) unter Gendarmeriebegleitung ab. Der
Sönderzug war von der rußſiſchen Regierung beſtellt, da man
dem Fürſten nicht erlauben noollte, einen gewöhnlichen Zug zu
benutzen. In dem Zug waren ein Polizei⸗Lieutenant und mehrere
Gendarmen. An der zweiten Station hielt der Zug, ein höherer
Beamter, Staatsrath und Vertreter des Gouverneurs, trat zu
dem Fürſten und verlangte Bezahlung des Extrazuges mit
ſechshundert Rubeln, ſonſt werde nicht weiter gefahren. Der Fürſt
hatte ungefähr ſo viel gerade noch zufällig bei ſich und zahlte.
In Bender, wo der Zug anderthalb Stunden halten mußte,
ſandte der Gouverneur von Kiſcheneff einen Staatsrath, Arjineff,
der dem Fürſten die Freundlichkeit erwies, ihm die Diener zu er-
ſetzen, hingegen ſollen ſich die Offictere des dortigen Dragoner-
regiments, deſſen Chef der Prinz Alexander von Heſſen iſt, höhniſch
und lümmelhaft gegen den Fürſten benommen haden.

Deutſches Reich.
Karlsruhe, 28. Aug. (Amtlich.) Se. Königl. Hoh.
der Großherzog haben den Profeſſor Philipp Auguſt
Meiß am Gymnaſium in Lörrach in gleicher Eigenſchaft an
das Gymnaſium in Wertheim verſetzt.
Karlsruhe, 28. Aug. Geſtern, den 27. ds., empfing
die Großherzogin auf Schloß Mainau den Beſuch des
Erzherzogs Karl Ludwig von Oeſterreich und deſſen
Gemahlin der Erzherzogin Maria Thereſia, Infantin
von Portugal, nebſt deren Sohn Erzherzog Ferdinand.
Berlin, 26. Auguſt. Die Nordd. Allg. Ztg. erklärt

——


— —

Widerſtand geſchehen laſſen wollen. Es darf indeſſen hinzu-

Die Jungferſchlucht.
Geſchichtliche Novelle von H. Engelcke.
(Fortſetzung.)
Als eines Tages im Frühjahr der Schnee geſchmolzen,
habe ein Forſtmann das Gerippe entdeckt, dasſelbe aus der
Erde gezogen und in dem Skelett den Pfeil gefunden.
Aber der Mörder ſei lange todt geweſen, unbeweibt und
Llinderlos ſei er geſtorben, die Güter ſeien an eine entfernte
Linie gefallen und ſehr bald ſei das Gras über der Er-
zählung gewachſen, um ſo ſchneller, als nach keiner Rich-
tung wirklich feſtgeſtanden, ob das gefundene, ſelbſtverſtänd-
lich ganz unkenntliche Gerippe der verſchwundenen Gräfin
angehört habe.
Die Erzählung wäre im Volke wahrſcheinlich ganz ge-
ſchwunden, wenn nicht die drei Benennungen der Jungfer-
chlucht, des Jungferſteines und des Jungferbaumes fort-
beſtanden hätten.
Schauer des dunkeln immer feuchten Weges thaten in Ver-
ö bindung mit jenem Namen das ihrige, um die Erinnerung
Leidlich feſtzuhalten. ö
„Da wurde die letztere durch einen Umſtand ganz be-
ſonders wieder aufgefriſcht. Die Regulirungscommiſſion
beſchloß nämlich, die neue Landesgrenze gerade durch die
— Doppelbuche hindurch und über die Mitte des Steins zu
ähren, um die Unverrückbarkeit deſto beſſer auf lange
Vahre zu ſichern. ö
„Gedacht, gethan! Zwiſchen den beiden Buchenſtämmen
zog man in einer Höhe von vielleicht zehn Fuß eine ſchwere,

ihrer Arbeit geſtört und ſomit zum Theil faſt verarmt,

Der rothe Fleck auf dem Felſen und die

Büchſenſchuß vom Jungferſtein entfernt, erreichte der Forſt

eiſerne, loſe hängende Kette, die in ihrer Mitte einen dicken
eiſernen Knopf mit einer Doppelkrone trug. Auf dem
Stein aber grub man von unten nach oben mit dem Meißel
eine breite und tiefe Linie ein. Neben der letzteren zeich-
nete man die Buchſtaben K. P. und K. 8. tief in den
Felſen und es war ſomit in der Jungferſchlucht die Grenze
beider Königreiche feſtgeſtellt und iſt dies noch bis auf den
heutigen Tag.
Es war gar nicht zu verwundern, daß die ſonderbare
Arbeit, die ein Schloſſer und ein Steinmetz zu verrichten
hatten, eine Menge neugieriger Perſonen an ſich zog. Jedes
der umliegenden Dörfer geſtellte Jung und Alt. Meiſt
ſchweigend, niedergedrückt durch die Schwere der Zeit, in
ihren Beſitzungen durch den Krieg ſchwer geſchädigt, in

ſahen die Landbewohner der Arbeit der Handwerker zu,
welche ſie fortan von einander politiſch trennen ſollte.
Standen nun auch die Altſachſen und die Neupreußen, wie
man ſie damals nannte, am Stein und an der Buche dicht
gedrängt in der Jungferſchlucht neben der Arbeit durchein-
ander, ſo ſchien es doch faſt, als ob die von Tag zu Tag
mehr vorrückende Einmeißelung des Grenzſtriches auf dem
Felſen ihre Wirkung that und den Dorfbewohnern begreif-
lich machte, daß ſie fortan räumlich und ſtaatlich ge-
trennt ſeien.
Bald aber gewann die Neugierde der umwohnenden
Bevölkerung noch ein anderes Intereſſe. Vielleicht einen

ſein Ende, oder er wurde vielmehr in ſeiner Ausdehnung

durch einen Bruch unterbrochen, der wohl eine Meile im

Umfange beſaß, wenige ſaure Gräſer trug und nur den

Jägern ein Intereſſe abgewann, die an Schnepfen und
anderm Waſſergeflügel ihr reichliches Vergnügen fanden.
Auch durch dieſen ſonſt öden und mit wenigen, halb ver-
krüppelten Erlen verſehenen Sumpf mußte die Commiſſion
die neue Grenze ziehen und ſo beſchloß ſie, ſchon im In-
tereſſe einer möglichen Trockenlegung des weiten Bruches,
die Landesgrenzen durch einen langen zwar ſchmalen aber
ſehr tiefen Graben zu bezeichnen. Vermöge der Frohn-
dienſte, welche damals noch in beiden Königreichen Geltung
hatten, dauerte die Arbeit nur wenige Wochen. Der ſchnur-
gerade Graben war fertig und verband die beiden Aus-
läufer des Forſtes mit einander. In der Mitte des viel-
leicht eine Viertelſtunde langen Grabens wurde eine Brücke
angelegt, um den Weg zu erleichtern, der ſeit langer Zeit,
wenn auch nur im Sommer bei hoher Trockenheit paſſirbar,

durch den Bruch hindurchführte und zwei kleine Walddörfer,

Wartenberg und Seehof, mit einander für Fußgänger ver-
band. Mitten in den neuen Graben ſenkte man neben dem
Stege einen hohen Stein, um deſſen Ränder das Waſſer
ſich herumdrängen mußte, als Grenzzeichen der beiden
Reiche.
ů .— wie die benachbarte Jungferſchlucht ſtand der
große Sumpf im allerbedenklichſten Rufe. Man wußte,
daß im Frühjahr, Sommer und Herbſte am Abende ein
grauer Nebel ſich ballte, der in wilden Wogen über die
kahle Fläche zog und ſonderbare, grauſige Gebilde ſchuf.
(Fortſ. folgt.)


 
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