Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

DOI chapter:
Nr. 203 - 228 (1. September 1898 - 30. September 1898)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42070#0293
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
D Erscheint täglich.
^VNntagI ausgenommen.

Preis
Et Familienblättern

, monatlich bO Pf.
iiei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
vierteljährl. I W
N'Mließlich Zustellgebühr.

^Vhon-Anschluh Nr. 82.
219.


Insertionsgebühr
IS Pf. für die Ispaltige
Nctitzeile oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Dicusilis, den 20. September

Telephon-Anschluß Mr. 82.
W8?

, Bestellungen
die Heidelberger Zeitung für das IV. Quartal
erden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Mriten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
^kdediticn, Untere Neckarstraße Nr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 5V Pfg., frei in's Haus
Nbracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich
Zustellgebühr Mk. 1.65.
.Neu eintretenden Abonnenten liefern wir das Blatt
^Wunsch bis Ende dieses Monats gratis.
Vvm deutschen Juristentag.
Der deutsche Juristentag, der soeben in der
tadt Posen getagt und fast ein halbes tausend Ver-
ger des deutschen Juristenstandes auf dem Felde des
Zonalen Ringens zwischen Deutschthum und Polenthum
-Einigt hat, ist allen Erwartungen gerecht geworden, die
/'seiner Einberufung in fachmännischen Kreisen und der
. Steren Oeffentlichkeit auf ihn gesetzt worden sind. Als
. uhcher Zuristentag hat er ein erfreuliches Zeugniß
"sicher Geistesarbeit und deutschen Zusammengehörigkeits-
guhls abgelegt, indem er zahlreiche Landsleute aus dem
x/^en und Süden nach dem Osten geführt und sie im
.chatten der Gastfreundschaft, die in besonderem Maße
di? ^deutschen auszeichnct, mit lebendigem Interesse für
die ^^urken erfüllt hat und für die Stammesgenossen,
H.°°rt als Pioniere deutscher Kultur auf vorgeschobenem
Achten thätig sind. Und was die eigentliche Aufgabe des
"sitentages anlangt, die verschiedenen juristischen Berufs-
En zu einer wirksamen Vertretung ihrer Standesinteressen
verbinden und sie in fruchtbarerKritik des geltenden Rechtes
v zur «Einwirkung auf die Weiterbildung des Rechts zu
»einen, so bekunden die Beratungen und die mit über-
Sender Einmütigkeit gefaßten Beschlüsse, daß auch in
ier Richtung die Tagung eingelöst hat, was ihr Pro-
versprach.
Beratungen vollzogen sich in einzelnen Abthei-
b 8EU, von denen die einzelnen Themen so erschöpfend
" wurden, daß zum Schluß die Plenarberathung
Erstattung der Referate darüber nur noch auf zwei
tr ""e zurückzukommcn brauchte, die D ep ortations-
s. "8 e, welche die Kolonialfreunde in den letzten Jahren
?bhaft beschäftigt hat, und das H eim st ä tt c n re ch t,
tzj ^ssen gesetzlicher Regelung in dem letzten Jahrzehnt
d "erholte Anläufe genommen worden sind. In der De«
"'wnsffrage blieb es bei dem von der betreffenden Ab-
gefaßten Beschluß, die Deportation sei als
^'ttel nicht geeignet, such sei ein Versuch mit
he^Eportation nicht zu empfehlen. Insbesondere wurde
^"""gehoben, daß sie große Kosten verursache und an
den Verbrecher nicht bessere, daß aber weiter in die
derben, wo Missionare die Segnungen der Kultur zu
"Eiten bemüht sind und viele tüchtige Leute Beschäfti-
suchen, Verbrecher nicht geschafft werden dürften. —
Zachen des Heimstättenrechts kam man zu
Rs? Klärung; alle dazu gestellten Anträge wurden dem
^'EN Juristentag überwiesen.
Kebrinen ratifizirte das Plenum einfach, was die
iibx^""gen beschlossen hatten. Zunächst die Resolution
i>er sogenannten „äolus 6V6n.trna.Ii8", der vielfach in
tzj^Effentlichkeit als ein strafrechtlicher „Kniff" angesehen
' "w einem Angeklagten beizukommen, dem man auf
einfachen Thatbestandes nicht beikommen kann,
liibxr auf den Umfang, den die Erörterungen da-
vlg" ""genommen, lassen wir die Resolution wörtlich
den „ckolns 6V6ntua.lis" wie folgt umschreibt:

1. Der Erfolg einer Handlung, auf den der Wille des
Thäters nicht direkt gerichtet war, aber vom Thäter als
möglich erkannt war, ist strafrechtlich dem Thäter als vor-
sätzlich von ihm versucht anzurechnen, wenn er die That
auch für den Fall wollte, daß sie diesen Erfolg haben
werde. 2. Desgleichen ist der Thäter, der das Vorhanden-
sein eines zum Thatbestande der strafbaren Handlung ge-
hörenden Merkmales nicht kannte, aber für möglich hielt,
wegen vorsätzlicher Begehung der strafbaren Handlung zu
verurtheilcn, wenn er die That auch für den Fall gewollt
hat, daß dieses Thatbestandsmerkmal vorliegt."
Als typisches Beispiel wurde angeführt: das Werfen
einer Bombe auf der Straße, welche gegen irgend einen
politischen Feind gerichtet ist, um ihn zu tödten. Wenn
der Thäter gleichzeitig wußte, daß auch noch mehr Menschen
auf der Straße sein konnten, die getödtet werden konnten,
so ist der Thäter nicht nur wegen versuchter Tödtung der
Person, gegen die die Bombe gerichtet war, sondern auch
wegen beabsichtigter Tödtung derer, die sich zufällig auf
der Straße befanden, zu bestrafen. Damit ist über die
Berechtigung des „äolus 6V6n.tua.Il8" Klarheit geschafft.
Sache der praktischen Rechtsprechung ist die richtige An-
wendung, die nicht immer erfolgt ist und die auch die
Kritik stellenweise auf den Abweg geführt hat.
Von den weiteren Beschlüssen ist hervorzuhcben, daß
bezüglich der Verjährung, die jetzt durch eine richterliche
Handlung unterbrochen werden kann, empfohlen wurde:
Der seit Verübung einer Strafthat erfolgte Ablauf einer
gesetzlich bestimmten Frist solle zur Verjährung der Straf-
verfolgung genügen, und ein Endtermin auch für unter-
brochene Verjährungsfristen festgesetzt werden. Zum Schutze
der Bauhandwerker wurde es für Wünschenswerth er-
achtet, daß der Bauunternehmer eine Baukaution bestelle,
daß die Bauerlaubniß von der Eintragung eines Bau-
vermerks im Grundbuch abhängig gemacht werde und daß
der Unternehmer Kaution zur Sicherstellung der Bau-
forderungen leisten solle, falls die vor dem Bauvermerk
eingetragenen Belastungen den zu taxirenden Baustellenwerth
überschreiten. Der vor einigen Monaten im Reichs-Anz.
veröffentlichte Gesetzentwurf über die reichsgesetzliche Re-
gelung des Hypothekenbankwesens wurde, unbeschadet
einzelner Mängel „sympathisch begrüßt."
So ist der Posener Juristentag auch in juristischer Be-
ziehung anregend verlaufen; dies und der herzliche Empfang
seitens der Staats- und Kommunalbehörd'en und der
deutschen Bevölkerung gaben den Anlaß, daß zahlreiche
Gäste ihren Aufenthalt in der Provinz noch um einige
Tage verlängerten.
Deutsches Reich.
Berlin, 19. September.
— Den immer wiederkehrenden, willkürlichen, über-
triebenen Schätzungen des vom Fürsten Bismarck
hinterlassenen Vermögens und den dazu beliebten Kom-
mentaren entgegenzutreten, ist die Nationalztg. von best-
unterrichteter Seite zu der Mittheilung ermächtigt, daß das
ganze Kapitalbaarvermögen des Nachlasses noch nicht 2'/,
Million Mark betrage. An Pretiosen sind nur mehrere
Orden in Brillanten, sowie eine Anzahl unveräußerlicher,
silberner Schaustücke vorhanden, deren Geldwerth insge-
sammt wesentlich unter 150 000 M. angenommen wird.
Bade«. Karlsruhe, 18. Sept. Seine Excellenz
der Minister des Großh. Hauses und der auswärtigen
Angelegenheiten, Herr von Brauer, hat einen mehr-
wöchigen Urlaub angetreten und sich nach der Schweiz
und Italien begeben.

Karlsruhe, 18. Septbr. Wie dem Schwäb. Merk,
zufolge in Beamtenkreisen verlautet, steht die Wiederbesetzung
des durch den Rücktritt des Geh.-Raths Schupp ans dem
aktiven Dienst erledigten Postens eines Betriebsdirektors
bei der Generaldirektion der Staatseisenbahnen noch nicht
unmittelbar bevor. Direktor Schupp ist bereits außer
Dienst getreten und beabsichtigt seinen Wohnsitz nach Frei-
burg zu verlegen. — Nachdem seit mehreren Jahren das
Bedürfniß nach Jngenieurkräften im Lande hervor-
getreten ist, haben sich Badener wieder in größerer Zahl
diesem Studium zugewendet. An der bevorstehenden Prüfung
sollen 11 Kandidaten Theil nehmen. Inzwischen sind auch
im Budget, bezw. in der Gehaltsordnung, die Bezüge für
die Angehörigen der technischen Fächer verbessert worden.
In den Jahren der Noth wurden Ausländer in ziemlicher
Zahl im badischen Jngenieurdienst verwendet, weil es ein-
fach unmöglich war, badische oder überhaupt deutsche In-
genieure zu gewinnen. Auch hatte die Eisenbahnverwaltung
bei lebhaft ausgesprochenen Wünschen nach Beschleunigung
für dringlich erkannte Eisenbahnbauten wiederholt zu er-
klären, daß sie wegen Mangels an technischem Personal
nicht in der Lage sei, eine rasche Erfüllung jener Wünsche
in Aussicht zu stellen.
Karlsruhe, 18. Sept. Wie der Obers chulrath
bekannt gibt, hat das Unterrichtsministerium mit
Ermächtigung des Großherzogs für angemessen erklärt, daß
die Schuljugend in entsprechender Weise auf das Hinschei-
dcn des Altreichskanzlers Fürsten v. Bismarck besonders
hingewiefen wird und daß ihr dabei die hohen persönlichen
Eigenschaften des Verewigten, sowie seine unvergänglichen
Verdienste um die Einigung der deutschen Stämme und die
Machtstellung des deutschen Reiches vor Augen geführt
werden. Die Direktion und die Vorstände der Mittelschulen
und der Lehrerbildungsanstalten sind angewiesen worden,
eine entsprechende Feier abzuhalten. Bezüglich der Volks-
schulen bleibt die Abhaltung der Feier der Entschließung
der Ortsschulbehörden überlassen.
L. 6. Karlsruhe, 19. Sept. Die Mannheimer
Volks stimme, das Organ des Herrn Dreesbach,
beschäftigt sich seit einigen Tagen mit der Anarchistenfrage, oder,
wie sich der sozialistische Publizist geschmackvoll ausdrückt,
mit dem „Anarchistenrummel" und sucht nachzuweisen, daß
die Ziele der Sozialdemokratie und des Anarchismus him-
melweit von einander verschieden sind. Das ist ohne Wei-
teres zuzugeben. Vielleicht ist es sogar richtig, daß die
heutigen Mitglieder der deutschen Sozialdemokratie kaum
zu einer Gewaltthätigkeit hinEgen, denn dafür ist die
wirthschaftliche Lage zu günstig. Die Bosheit der Masse
kommt ja bekanntlich, wie der Deutsche Aristophanes meint,
vom Hunger und daran leiden unsere Arbeiter, gottlob,
nicht. Eine andere Frage aber ist es, ob die aufreizenden
Reden der Führer nicht auf gewaltthätig veranlagte Ele-
mente eine bedenkliche Wirkung ausüben und wir meinen
sogar ganz unmaßgeblich, daß in dieser Hinsicht Hr. Drees-
bach nicht ganz ohne Schuld und Fehle ist. In der 60.
Sitzung der zweiten Kammer hielt er seine bekannte Revo-
lutionspauke, die den Minister Etsenlohr zu dem Hinweis
auf das tragische Geschick der standrechtlich verurtheilten
Aufständischen des Jahres 1849 veranlaßte. Seine Ver-
herrlichung der gewaltthätigen Instinkte und das künstliche
Ä6Q6 to^ol einer zum Ausbruch gelangenden Volksleiden-
schaft, das sind Agitationsmittel, die für gefährlich gehal-
ten werden. Im klebrigen hat der neueste Artikel der
Volksstimme noch eine Musterleistung ersten Ranges ge-
bracht, die nicht niedrig genug gehängt werden kann. Es
heißt dort: „Luccheni und Bismarck! Der eine ein
Meuchelmörder, der andere sebnte sich nach einem Blut-

y Mein Ludchen.
Erzählung von F. Arnefeidt.
N.. (Fortsetzung.)
unter diesen Worten die leichte Last des jungen
ch den Wagen befördert, ließ das Handgepäck folgen
icher^Ederholte: „Nun fahr' aber zu, Johanni" Der Kut-
Gra?" ?tzt den Widerstand ausgegeben: er gehorchte-
Utz- Uend legte der Inspektor die Hand an die rothe Dienst-
«ahw Klunge Reisende rief ihm ein Paar Dankesworle zu, und
. Ei«E das leichte Gefährt.
U s„n>daar Minuten dachte Las junge Mädchen noch über
U ei« Mk" Zwischenfall nach, dann aber kam es über sie
Ä h-j-daib traumartiges Behagen. Nach der langen Fahrt
K «uw überfüllten Eisenbahnwagen dritter Klasse, in dem
Nacht zugebracht, war es für sie eine wohlige
Mg//sichg, von den zwei schnellen Rossen in dem in Federn
M der n>ME.nen Wagen dahingetragen zu werden, umfächelt
Uz? ,,„?sichLig und kühl von den Bergen wehenden Luft,
sie wi-5" laben an den reizvollen Landschaftsbildern,
wltend M,»luge an ihr vorüberzogen. Die kleinen Hände
./'siMerte sie:
ßliicklick^sil'.wie schön, wie herrlich ist Deine Welt und wie
Us!^ °ul lch, daß ich ein so liebliches Stück davon schauen
-t- *
Tv El
Keder Bürgermeister Mühlenbruch stand auch heute
?chgtz "sif dem Balkon, hatte wiederum die Hand zum
"E-r di-a?"" d'e röthliche Strahlen werfende Abendsonne
dem Ä^en ^legt und schaute unverwandt auf den sich
»Der " emporwindenden Weg.
Munst Ziagen kommt!" rief sie ihrem Sohn zu, der der
??sie-„.„ erwarteten Gastes mit geringerer Spannung
in e-^E"sah, es sich im Zimmer in der Nähe der Balkon-
Kch d»r^E? Schaukelstuhl bequem gemacht hatte und sich
Keitum, "lesen Ausruf der Mutter nicht im Lesen der
die er vor sich ausgebreitet hatte, stören ließ.

„Willst Du nicht hinuntergehen, Ernst?" fragte die Mutter
nach wenigen Minuten.
„Ich komme schon noch zur rechten Zeit," antwortete er,
stand aber doch auf, legte das Blatt bei Seite und wollte sich
durch die entgegengesetzte Thür entfernen. Ein Ausruf der
Mutter veranlaßte ihn, umzukehren und auf den Balkon hin-
auSzutreten.
Der Wagen war jetzt so nabe herangekommen, daß seine
Insassin von der ihm Entgegensetzenden wahrgenommen
werden konnte, und die Frau Bürgermeister, deren Sehkraft
noch ungeschwächt war, sagte voll Verwunderung:
„Aber was ist denn das? Wen bat denn Johann da auf-
geladen? In dem Wagen sitzt ja kein junger Mann, sondern
eine weibliche Gestalt."
„Du wirst Dich täuschen, Mutter!" entgegnete Ernst neben
sie iretend.
„Ach nein, ich habe es ganz genau gesehen," behauptete sie,
„ich werde doch das unterscheiden können. Sieh selbst."
Sie deutete hinunter auf den Wagen, der durch eine
Windung des Weges auf kurze Zeit ihren Blicken entzogen
gewesen, jetzt aber wieder zum Vorschein gekommen war, und
nun mußte sich auch der Doktor überzeugen, daß die Mutter
recht gesehen hatte und der Gast, der soeben in Schloß Wilden-
stein seinen Einzug halten wollte, ein weiblicher war.
„Da muß ich doch sogleich selbst sehen, was das zu be-
deuten hatl" riet Frau Mühlenbruch, und sie eilte hinunter
ganz entgegen dem von ihr entworfenen Programm, wonach
Ernst den ankommenden Gast am Wagen empfangen und ihr
zufübren sollte; langsam folgte ihr der Sohn.
„Gnädige Frau, der junge Herr ist nicht gekommen, der
Herr Inspektor in Kahla bestand aber darauf, ich müsse das
Fräulein da mitnehmen," entschuldigte sich, sobald er seiner Herrin
ansichtig ward, der Kutscherund wies mit dem Stiel der Peit-
sche rückwärts aus das junge Mädchen, der bei dieser Erklärung
wieder recht bänglich ums Herz ward, so daß sie gar keine
Anstalt zum Aussteigen zu machen wagte.
Inzwischen batte die Bürgermeisterin bereits den Schlag
geöffnet, übersah mit schnellen Blicken das dürftige Gepäck,

den bescheidenen Anzug und das verängstete Gesicht der An-
gekommenen, und sofort ward ihre Theilnahme rege.
„Steigen Sie doch aus, mein liebes Fräulein," sagte sie
freundlich, „wenn Sie uns auch unerwartet kommen —"
„Unerwartet?" wiederholte das junge Mädchen verwundert,
während sie sich leicht aus dem Wagen schwang. „So haben
Sie mein Telegramm nicht erhalten?"
„Ein Telegramm ist allerdings angekommen, es war aus
Nakel," versetzte die Bürgermeisterin.
„L. Petermann — Ludovica Petermann, die bin ich!"
Frau Müblenbruch stieß einen Schrei aus und verlor,
was ihr im Leben nicht oft begegnete, für einen Augenblick
alle Geistesgegenwart; Ludovica Petermann stand ihr aber
ganz fassungslos gegenüber und wußte nicht, was sie aus
diesem Empfang machen sollte. Das Weinen war ihr näher
als das Lachen und sie batte beinahe Lust, sofort umzukehren,
nur wußte sie auch nicht recht, wie sie das bewerkstelligen solle.
Ihre Stimmung ward nicht verbessert, als Plötzlich im
Rücken der Dame, die sie so eigenthümlich begrüßt, das laute,
herzliche Lachen aus einer jugendlichen Männerkehle hörbar
ward, das ansteckend zu wirken schien; Frau Mühlenbruch
stimmte mit ein. Als sie aber das verdutzte, betrübte Gesicht
der Angekommenen sah, ergriff sie deren Hand und sagte in
der gewinnendsten Weise:
„Verzeihen Sie, liebes Fräulein, aber die Geschichte ist zu
drollig. Wir erwarteten einen jungen Mann. Doch kommen
Sie, kommen Sie!" Sie ergriff Ludovicas Arm und führte
sie schnell die zum Schloßportal aufsteigenden Stufen hinan.
„Aber wie konnten Sie?" fragte Ludovica im Treppenhause
stehen bleibend, wo Dr. Mühlenbruch sich ihr mit kurzer
Verbeugung vorstellte.
„Ihr Telegramm war mit L. Petermann unterzeichnet."
„Aber meine Mutter —"
„Hat immer nur von ihrem Ludchen geschrieben!" fiel ihr
der Doktor in's Wort-
„Ach. das ist so ihre Art!" Zum erstenmale huschte ein
Lächeln um die Lippen des jungen Mädchens, „sie nennt mich
stets so." (Fortsetzung solgt.)
 
Annotationen