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Heidelberger Zeitung — 1898 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 306 (1. Dezember 1898 - 31. Dezember 1898)
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Telephon-Anschluß Nr. 82.

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

Freitag, de« 18. Dklmber

1898.

Politische Umschau.
Heidelberg, 16. Dezember.
Gestern ist der Reichstag in die Weihnachtsferien
gegangen. Am 6. war er zusammengetreten, sein erster
Anlauf zur Arbeit ist also nur kurz gewesen. Allgemein
wird konstatirt, daß sich eine Kampfesstimmung in dem
neuen Reichstag bisher nicht gezeigt habe. Selbst die
Sozialdemokraten und Freisinnigen haben zu dem Budget
verhältnißmäßig ruhig gesprochen. Man prophezeit deßhalb
einen ruhigen und sachlichen Verlauf der Session.
Vom Empfang des Reichstagspräsidiums
durch den Kaiser wird dem Berliner Tageblatt noch be-
richtet : In seiner längeren Rede an das Präsidium habe
der Kaiser besonders die kolonialen Verhältnisse der Fran-
zosen und Engländer in Afrika erläutert; er habe seine
Erörterungen an ausführlichen Karten erläutert. Bezüg-
lich Faschodas habe er bemerkt, obgleich die Angelegenheit
regulirt sei, so dürfe man doch, ohne schwarzseherisch zu
sein, eine große Rivalität zwischen den Englän-
dern und den Franzosen nicht übersehen.— Das Vor-
handensein dieser Rivalität ist neuerdings durch die in
London sehr bemerkte Thatsache bezeugt worden, daß
Frankreich die sechsmonatliche Frist für Ratifikation des
Nigerabkommens hat ablaufcn lassen, ohne daß es
Miene gemacht hätte, den Vertrag durch die Kammern ge-
nehmigen zu lassen, oder im Wege eines Protokolls mit
England eine Verlängerung zu vereinbaren. Bei dem Ab-
schluß des Abkommens, bezw. bei der Verhandlung da-
rüber hatten beide Staaten ihre Truppen aus dem stritti-
gen Gebiet zurückgezogen. Jetzt, da Frankreich den Ver-
trag nicht definitiv werden läßt, gewinnen beide Theile
ihre Aktionsfreiheit wieder. Frankreich ist augenscheinlich
ärgerlich; ob es dieser seiner Stimmung praktischen Aus-
druck durch eine That geben wird, bleibt abzuwarten. In
England nimmt man anscheinend das Scheitern des Niger-
abkommens gleichmüthig hin, zumal dasselbe Frankreich
zwei Enklaven am Niger zugestand, was seit der Faschoda-
angelegcnhcit bei den Engländern einige Bedenken erregte.
Die Petersburger Nowosti schließen ans der Ansprache
des deutschen Kaisers an das Präsidium des Reichs-
tages und aus der Reichstagsrede des Staatssekretärs
v. Bülow, daß die auswärtige Polctik Deutschlands sich
nicht geändert habe, sondern noch fester und konse-
quenter geworden sei. Auf sein vorzügliches Heer und den
Dreibund gestützt, strebe Deutschland nach Sicherung seiner
Weltinteressen, da es jetzt eine Weltmacht sei. Staats-
sekretär v. Bülow habe seine Gedanken an der Stelle
seiner Rede, die England gewidmet ist, vortrefflich
zum Ausdruck gebracht; in vielen Fragen könne England
und Deutschland Hand in Hand gehen; von einem Bündniß
sei kein Wort gesprochen worden. — Es ist sehr angenehm,
daß das Petersburger Blatt die Worte v. Bülow's über
unser Berhältniß zu England sachlich auffaßt und sie vor-
trefflich findet, denn bekanntlich ist man in Rußland sehr
empfindlich in Bezug auf Deutschlands Stellung
zu England. Fürst Bismarck äußerte einst zu
einem Vertreter der Hamburger Nachrichten hierüber:
„Man hat bisher, mit Recht oder mit Unrecht, ange-
nommen, daß England am meisten interessirt sei, den russ.
Absichten bezüglich des schwarzen Meeres und des Orients
entgegenzutreten; in der Konjekturalpolitik figuriren Ruß-
land und England als Zukunftsgegner auf der Basis ihrer
qegenseitigen Beziehungen im Orient im Allgemeinen und
zur Türkei im Speziellen. Eine stärkere Hinneigung der
deutschen Politik zu England als bisher stattgefunden hat,
wird also immer den Charakter eines Avertissements für

Das „Bischen."
2) Weihnachtserzähluna von Zoö v. Reuß.
(Fortsetzung.)
„Guck mal einer an l Was Sie alles beobachtet haben,
Hannchen! Man traut Ihnen das gar nicht zu!" lachte Olga,
indem sie ein verwelktes Rosenbouquet ergriff und den pikant
säulnißdustenden Geruch prüfte. Papa halte es ihr gestern
selbst mitgebracht als Ballbouquet. „Die schönste Rose fehlt
-- ich habe sie verloren!" schloß sie bedauernd.
„Nein, Fräulein Olgachen, verloren haben Sie die
Nose nicht!"
„Woher wissen Sie?"
„O, ich weiß alles, alles!" sagte Hannchen mit Plötzlichem,
tiefen Ernst. „Als Sie mir gestern das bischen Vanilleeis,
nein, es war viel, in die Garderobe brachten — es war zu
lieb von Ihnen, und schmeckte herrlich! — trugen Sie die
Rosen in der Hand. Sie vergaßen sie aber —"
„Möglich!"
„Gleich darauf trat der Herr Doktor in die Herrengarde-
wbe und auch herüber zu mir, weil der Lohndiener nicht an.
wesend war. Er suchte Jemand, der ihn entschuldigen sollte,
Weil er abgerusen wurde zu einem kranken Kinde, in der Vor-
nadt. Und als er Ihre Rosen bemerkte, brach er eine heraus
Und verbarg sie. Ich glaube — er hat sie ein bischen ge-
küßt . . . ."
„Behüte Hannchen!" wehrte Olga erröthend ab.
„Doch Fräulein Olgachen! — Darf ich noch ein bischen
Wehr erzählen? Diesmal ist's aber nichts vom Doktor und auch
— nichts Gutes."
„Sie erschrecken mich. — Aber sprechen Sie!"
. „Als der Doktor gegangen war, traten zwei andere Herren
w die Garderobe. Der eine war bildschön und wenigstens
on Graf. Der andere war ein Offizier. Sie erzählten sich
d.vm Balle. Als ick Ihren Namen nennen hörte, lauschte ich
On bischen. Fünf Einladungen heute, sagte der Graf zu dem
^ifizier, ich glaube wenigstens, daß es ein Graf war . . . ."

Rußland und einer zukünftigen Konstellation haben, die
ihre Schatten in die Gegenwart zurückwirft. Es läßt sich
deshalb annehmen, daß die Besorgniß Rußlands vor den
freundnachbarlichen Absichten der deutschen Politik einiger-
maßen abhängig ist von unseren Beziehungen zu England
und von der Schärfe, mit der sich die deutsch-englische
Intimität am politischen Horizont abzeichnet. Das russische
Mißtrauen gegen die zukünftige Haltung dec deutschen
Politik wird einigermaßen Schritt halten mit der Ver-
tiefung der deutsch-englischen Intimität und noch mehr mit
dem Scheine derselben, der sich momentan der diplomati-
schen Beobachtung entzieht." Die Thatsache nun, daß das
Petersburger Blatt die ehrlichen und offenen Worte des
deutschen Staatssekretärs als vortrefflich würdigt, ist ein
erfreulicher Beweis dafür, daß man die Loyalität der
deutschen Politik in Rußland anerkennt.

Deutsches Reich.
— Von Seiten der nationalliberalen Fraktion
sind weiterhin folgende Initiativanträge eingebracht
worden:
Antrag der Abgg. Dr. Blankenhorn, Dr. Deinhard
und Dr. P a asch e: Die verbündeten Regierungen zu ersuchen,
möglichst bald dem Reichstag eine Novelle zu dem Gesetze vom
20. April 1892 betreffend den Verkehr mit Wein, wein-
haltigen und weinäbnlichen Getränken vorzulegen,
durch welche ein wirksamer Schutz der Interessen des Weinbaues,
des reellen Weinhandels und der Konsumenten herbcigeführt,
namentlich die gewerbsmäßige Herstellung sowie der gewerbs-
mäßige Ein- und Verkauf von Kunstwein verboten wird. An-
trag der Abgeordneten Dr. Paasche, Bassermann und
Rimpau: Im Zolltarifgesetz die Bestimmung aufzunehmen:
Belricbsstätten oder Theile von Betrieb sst ä t t e n,
welche unter ständiger Aufsicht der Zollbehörden ausschließlich
für den Absatz im Ausland arbeiten, gelten in Bezug auf die
von ihnen bezogenen und von ihnen ausgeführlen Rohstoffe,
Halb- und Ganzfabiikate als Zollausland. Uebel die noth-
wendigen Kontrolmaßregeln trifft der Bundesrath Bestimmung.
Antrag des Abgeordn. Münch-Ferber: Die verbündeten Re-
gierungen zu ersuchen, auf dem Wege der Verordnung oder der
Gesetzgebung baldigst dafür zu sorgen, daß zur Veredlung zoll-
frei eingelassene reinseidene Gewebe, die nach erfolgter
Veredelung in eine unter Zollverschluß stehende Niederlage ge-
bracht werden, zur Verzollung gelangen sollen nach dem bet der
Abmeldung sich ergebenden Gewicht; ferner, daß rein-
seidene Gewebe, welche in einem vom deutschen Mcistbegünsti-
gungsrecht ausgeschlossenen Lande erzeugt und innerhalb des
deutschen Zollgebietes veredelt worden sind, bei der Verzollung
den vertragsmäßigen Zollsätzen unterliegen.
— Die Interpellation des Frhrn. v. Wangenheim:
„Ist der Reichskanzler bereit, Auskunft über die Ergeb-
nisse der Enquete mitzutheilen, die in verschiedenen Bundes-
staaten über die angebliche Flei sch noth stattgcfunden
haben?", ist mit 106 Unterschriften dem Reichstage zuge-
gangen.
— Das Reichsgesetzblatt veröffentlicht die Militär-
strafgerichtsordnung vom 1. December 1898, das
Einführungsgesetz dazu vom gleichen Tage, das Gesetz be-
treffend Dienstvergehen von richterlichen Militärjustizbeamten
und ihre unfreiwillige Versetzung in eine andere Stelle
oder in den Ruhestand vom 1. December 1898.
— Gegenwärtig werden, wie die Allg. Ztg. mittheilt,
über etwaige Bedürftigkeit von Inhabern des Eisernen
Kreuzes Ermittelungen angestellt, die vom Wunsche aus-
gehen, denjenigen, die es nöthig haben, einen Eh r e nso ld
zu gewähren. Sobald die Ermittelungen abgeschlossen vor-
liegen, soll eine Vorlage für den Reichstag ausgearbeitet
werden. Man schätzt die Zahl dieser Inhaber auf 20 000.
Deutscher Reichstag. Berlin, 15. Dec. Ein An-
trag auf Einstellung der gegen die socialistischen Abgeord-
neten Molkenbuhr, Stadthagen, Thiele, Schmidt-Frankfurt
a. M., Bueb (Mülhausen) und Schmidt-Aschersleben

„Trug er ein Monocle. ein Augenglas?" frug Olga
athemlos.
„Ja, Fräulein Olgachen! — „Drei Einladungen habe ich
abgesagt," erzählte er also. „Ich konnte es aber nicht übers
Herz bringen, Fräulein Olga Gerber durch mein Nicht-
kommen zu betrüben. Sie war schon ganz auseinander we-
gen des Kotillons. Pardon, Herr Hauptmann! .... Ich gehe
jetzt noch auf ein paar Stunden zu Baron Heyn. Er bat
eine Nichte bei sich, Waise, etwas Elefantenküken, aber Er-
bin! . . Ich bin immer der Ansicht gewesen, daß es die be-
sten Schwiegereltern sind, welche in Barokorahmcn über dem
Sopha hängen .... Wollen Sie mich nicht von dem Firle-
franz befreien?" wandte er sich an einen Diener, um sich die
Ballorden vom Frack lösen zu lassen . . . ."
Es war äußerst drollig, Hannchen ihren Bericht erstatten
zu hören — um so greller klang der Weheschrei aus Olgas
Munde- Es war ein einziger Aufschrei, aber er enthüllte ihr
ganzes Empfinden.
„Fräulein Olgachen, was ist Ihnen denn?" frug Hannchen
Hocherschrocken und sah sich nach Hilfe um ... . Plötzlich
schien ihr eine Ahnung zu kommen. „Ich bin zu unglücklich!"
stöhnte das junge Mädchen. Dann kehrte die Besinnung zu-
rück, und sie begann sich vor Hannchen zu schämen. Was wußte
diese von ihrem Leid? .... Sie schien ihr plötzlich äußerst
beneidenswerth. Sie saß auf ihrem Platze und war immer
so vergnügt, daß sie sogar zuweilen mit dem Kanarienvogel
um die Wette sang, trank ungezählte Tassen Kaffee und
stippte Kuchen. Dabei arbeitete sie mit größter Emsigkeit.
Doch schien ihr alles, was sie that, nur „ein Bischen" zu
sein — Olgas Bruder, der Student, hatte sie darum „das
Bischen" getauft. Ja, was wußte sic von Liebesleid?
„Ich möchte Ihnen wohl auch ein bischen von mir er-
zählen, Fräulein Olgachen," begann Hannchen wieder mit
tiefstem Ernst, durch den die Äehmulh hindurchschimmerte
„Ich — war auch einmal jung!"
Olga sah die kleine Näherin verwundert an.
„Ich fiel als Kind sehr unglücklich, davon-"
Jetzt nickte Olga, weil sie sich erinnerte, daß Hannchen

schwebenden Strafverfahren wird für die Dauer der Session
angenommen.
Das Haus erledigt sodann eine Reihe Rechnungs-
sachen und überweist sie ohne erhebliche Verhandlung der
Budgetcommission.
Es folgt die Weiterberathung der ersten Lesung
des Etats.
Abg. Bebel (Soc.): Er wolle über die Militärvorlage jetzt
nicht sprechen. Die Großmächte hätten vor Kreta eine große
Blamage erfahren. Erfreulich sei die Wiederherstellung der guten
Beziehungen zu England. Dte ganzen wirthschaftltchen Ein-
nahmen würden von Heer und Flotte verschlungen. Aber je
mehr vom Reichstage verlangt werde, desto mehr werde be-
willigt, zumal vom Centrum. Dabei soll an einflußreicher
Stelle die Absicht bestanden haben, schon diesem Reichstag einen
neuen Flottenplan von noch größerem Umfange vorznlegen. Die
Ausgaben für die Colonien, deren Ertrag gleich Null sei, seien
zu hoch. Die Ausweisungen seien der reine Hohn auf die Worte
des Kaisers in Jerusalem, daß das Evangelium Liebe und Dul-
dung für alle Menschen bedeute. (Als Redner, von lauten Zu-
rufen unterbrochen, eine weitere Kritik an den Worten des
Kaisers übt, wird er zur Ordnung gerufen unter dem Beifall
des Hauses.) Wie sei der Erlaß des Ministers v. d. Recke über
das Scharfschießen mit dem Bestreben zu vereinen, für die Auf-
rechterhaltung der Ordnung im christlichen Staate zu sorgen?
Ebenso der kürzlich ergangene Erlaß über die Verwendung des
Militärs bei Unruhen und der vom früheren Kriegsminister
Bronsart v. Schellendorff und .dem General v. Hahnke unter-
zeichnete Erlaß betreffend die vorläufige Festnahme socialistischer
Führer bei Unruhen? Die Worte „von anscheinend revolutionärem
Charakter" in diesem Erlaß erinnerten an den Belagerungs-
zustand. Wer entscheide denn, wann ein Zustand revolutionär
sei? Ein Grund zum Einschreiten gegen die Sozialdemokratie
bestehe nicht mehr. Tnese habe die Oeffentlichkeit nicht zu scheuen.
Sie habe auch ihren Höhepunkt noch nicht überschritten, wie die
Zunahme bei den letzten Wahlen zeige, namentlich in Ost- und
Westpreußen, wo die Verhältnisse unter den Taglöhnern grauen-
haft seien. Die Socialdemokratie könne ihre Ansichten ändern,
aber niemals sich der Rechten nähern. Die weiteren Aus-
führungen des Redners, der mehr als zwei S tunden sprach, wur-
den mit großer Unruhe ausgenommen.
Kriegsminister v. Goßler: Ihm sei von einer Sitte, über
die Köpfe der Empörer htnwegzuschießen, nichts bekannt. Das
Militär gehe stets nach dem Gesetz vor. Wer auf Grund des
Gesetzes bei Unruhen sich entschließe, von der Schußwaffe Gebrauch
zu machen und dann über die Köpfe hinwegschieße, gehöre vor
ein Kriegsgericht. Er habe den von Bebel erwähnten Erlaß über
die Festnahme sozialistischer Führer in seinen Akten nicht finden
können. Es sei auch aus äußeren Gründen unmöglich, daß von
diesen beiden verschiedenen Ressorts solch gemeinsame Erlasse unter-
zeichnet werden. Bebel sei augenscheinlich getäuscht worden.
Staatssecretär Ur. Graf v. Posadowsky: Die soziale Ge-
setzgebung sei nicht zum Stillstand gekommen. Weitere Arbeiter-
schutzgesetze würden vorbereitet, z. B. eines für die Spinnereien.
Der sozialdemokratische Zukunftsstaat sei nicht ernst zu nehmen.
Vor ihm würden die eigenen Genossen wie vor einem Medusen-
haupt zurückschrecken, wenn sie ihn unter dem Schleier, der ihn
verhüllte, sehen könnten, aber sie würden wohl nicht zurückschrecken,
weil dahinter — nichts sei. (Heiterkeit. Beifall rechts.) Das
Bestehen der Sozialdemokratie sei der beste Beweis dafür, daß
Deutschland ein freiheitlicher Staat sei.
Abg. Dr. Lieber: Er sei fest überzeugt, daß ein neuer
Flottcnplan ganz und gar nicht zu erwarten sei. Es sei
wünschenLwerth, daß jährlich ein Schuldentilgungsgesetz ein-
gebracht, aber nicht durch erhöhte Anleihen illusorisch gemacht
werde. Erst nach Erfüllung der berechtigten Forderungen der
Arbeiter lasse sich die Sozialdemokratie wirksam bekämpfen.
Namentlich müßten die Arbeitervereine zu einer Waffe der
Ordnungsparteien gegen die Sozialdemokratie geschaffen werden.
Bei aller feiner Volksthümlichkeit, auf die das Centrum stolz sei,
bei aller Entschlossenheit, die Volksrechte zu wahren, will das
Centrum stets Mitarbeiten zur Wohlfahrt, Ehre und Größe des
Reiches. Alles, was der Abg. Fritzen am Montag über das
Protektorat sagte, sagte er in einmüthigem Einverständniß aller
seiner politischen Freunde. (Beifall.) Wir sind genau so deutsch,
wie wir katholisch sind. Der Voce della Verita ist Fritzen keine
Rechenschaft schuldig. Er hoffe, daß das zurückkehrende Ver-
trauen in die deutsche Gesinnung das Centrums dazu führen
möge, daß man die Katholiken in Deutschland frei und un-
behindert leben und sterben lasse. (Beifall im Centrnm.)
Abg. Liebermann v. Sonnenberg (d. Reformp.):
Die beste Waffe gegen die Sozialdemokratie sei die Reichs-

Werther für eine Mißgestalt galt, wegen des schiefen und ver-
krümmten Rückgrates. Wenn sie ihr gegenüber saß, sah sie
immer nnr in das sanfte und liebe Gesicht, mit den leuchten-
den Augen, dem zierlich ausgesteckten dunklen Haar, dem
weißen Hälschen, den zart angehauchten Permutterfarben-
tönen an den zarten Schläfen. Ja, Hannchen mußte ein
hübsches Mädchen gewesen sein! Olga hatte oft an ein
Schwälbchen denken müssen, wenn sie Hannchen ansah.
„Ich arbeitete einmal in einem schönen Hause, auch im
Hinrerzimmer," begann Hannchen wieder, nur war es nicht so
hübsch wie hier. Im Hofe wurde gebaut.... Plötzlich flog
eine Rose auf meinen Schoß, durchs Fenster- Der ,unge
Zimmermann hatte sie im Munde getragen. Ich erschrack,
nickte aber.... Und bald stand er vor dem Fenster, und
wir plauderten — lauter Späßchen. Nach einigen Tagen
kam er Abends zum Besuch — auch Mutter freute sich, wenn
er kam. Er sprach auch von der Heirath und kaufte mir ei-
nen Ring. Als wir ein verlobtes Paar waren, gingen wir auch
miteinander zum Ball. Ick wollte nicht aern, aber er drang
darauf. Dort fiel mir's plötzlich wie Schuppen von den
den Augen. Ich sah, wie er mit andern Mädchen verkehrte,
wie sic ihm entgegenkamen, besonders eine Schulfreundin
von mir, die mich längst um meinen hübschen Schatz beneidet
hatte, und die ihm auch gut zu gefallen schien. Es war
nicht sowohl Eifersucht — die gehört ja immer ein bischen
zum Lieben, denke ich. Ja, die geht vorüber, und dann ist
es erst recht wunderschön! Es war mir die richtige Er-
kenntniß gekommen. Ick gefiel ihm wohl, und unser rein-
liches Stübchen und mein bischen Aussteuer gefielen ihm
erst recht. Aber sein inneres Wesen blieb wie es war, und
ich — war ein Krüppel! Meine Mutter wollte es mir aus-
reden. Aber ich erkannte, daß er niemals glücklich sein
würde mit mir und ich wäre dann erst recht unglücklich ge-
wesen. Ich verging fast vor Jammer und hätte ihn am
liebsten todt gesehen!" setzte sie schmerzlich hinzu, indem sich
zwei Thränen ms Auge drängten, schamhaft, aber aus über-
quellendem Herzen. „Aber ich behielt meinen Stolz! ....
Fräulein Olgachen, wenn es bei Ihnen auch anders ist, ganz
 
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