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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 1-26 (2. Januar 1902 - 31. Januar 1902)
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Dicnstag, 7. Jamiar 1902

Ckstes Blatt.

44. Jahrgang. — U. 5,

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post be.

zogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

Anzeigenpreis: 20 Pfg. die Ispaltige Petitzcile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Mg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen aü bestimmt
Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulen. — Fernsprech-Anschluß Nr 82

Iie Krneuerung des Areiöundes.

Die Retwn Prinettis, Barreres und Delcasses über
Len italienisch-sranzöfischen Tripolisvertrag und die aus
demselben sprechenden sehr herzlichen Beziehungen zwi-
schen Frankreich und Jtalien haben die Frage erweckt,
ob vielleicht Jtalien den Dreivund nicht wieder zu er°
neuern gedenkt. Jni allgemeinen geht die Aufsassung
dahin, datz Italien die Gelegenheit benutzen will, um
einige Vorteile einzuheimsen, aber im Ernst nicht da-
ran denke, vom Dreibund zum Zweibund überzutreten.

Ueber das Tripolisabkommen ckrhält die „Neue
Freie Presse" authentische Nachrichten und zwar erstens
die ganz feste Zusicherung, dah das Abkommen wirklich
besteht, und dann nähere Mitteilungen über die Um-
siände, wie es zustande gekommen ist: Als vor drei
Jahren zwischen England und Frankreich eiu Abkoin-
men betreffs des sudan abgeschlossen wurde, ist in
Italien das Bedenken aufgestiegen, datz das Hinterland
Tripolis nun vollständig den Westmächten Preisgegeben
sein werde. Der damalige Minister des Aeußern Graf
Visconsi Venosta äußerte Bedenken bezüglich der Ab-
machung mit England und versuchte von der englischen
Regierung Garantien zu erhalten, datz Tripolis von
keiner Macht je besetzt werden würde. England lehnte
es ab, diese Garantien zu geben, da wandte sich Visconti
Venosta an die französische Regierung und fand hier
ein größeres Entgegenkommen; nur verlangte Frank-
reich die Erklärung von Seiten Italiens, datz es ihm
volle Akrionssreiheit in Marokko gewähre, so kam das.
französisch-italienische Rlittelmeerabkommen zustande.
Italien wurdc durch dasselbe verpflichtet, Frankreich volle
Freiheit in Ällarokko zu lassen, andererseits hat sich
Frankreich verpflichtet, niemals Hand auf Tripolis zu
legen.

Ist nun zu hoffen, datz Jtalien dem Dreibund
treu bleibt, so gilt dies ebenso für O e st e r r e i ch - ll n-
garn, wenngleich auch dort Elemente vorhanden sind
— nian denke an die Polen — denen eine Verbindnng
wit Deutschland nichts weniger als sympathisch isi. Auf
volnische Kreise mag die nachstehende beunruhigende
Meldung zurückzuführen sein, die der deutschen Korre-
Ipondeuz in London zugegangeu ist. Tas genannte Or-
gan schreibt:

Ein sonst als durchaus zuverlässig erprobter Ge-
währsmann, der sehr gute Beziehungen zu leitenden
katholischen Kreisen in England unterhält, teilt uns
wit, daß ein hoher Kirchenfürst zum Jahreswechsel aus
Tien einen Brief eines österreichifchen Staatsmanns
erhalten habe, in dem in klaren und unzweideutigen
Sätzen die Behauptung enthalten fei, es werde an den
watzgebenden Stellen der Staatsleitung Oestcrreich-IIn-
garns die Erneuerung des Bündnisvertrages mit Deutsch-
land als fast a u s g e s ch I o s s e n erachtet . . . Wir
geben diese Meldung mit allem Vorbehalt, betonen aber
Nochmals die bisherige Zuverlässigkeit ihrer Provenienz.

Temgegenüber sei daran erinnert, daß das Wiener
:,Fremdenblatt" soeben noch anlätzlich des Zwischenfalls
wi galizischen Landtage hochoffiziös versicherte, datz es
vei der Innigkeit der b e i d e r s e i t i g e n B e-
Ziehungen zwischen Oesterreich-llngarn und
Deutschland keine Zwischenfälle gicbt, die Schwierig-
Eeiten bereiten könnten, oder deren Plötzliches Auftauchen
Zu fsirchten wäre.

Aie Wückkehr des chinestschen Koses nach
Ueking.

London, 6. Januar. Wie dem Bureau Laffan
aus Peking uach einer Depesche der „Frankfurter
eitung" gemeldet wird, luden die chinesischen Behörden
die Damen der Gesandtschaften ein, von einem Seiden-
laden in der Chinnenstraße aus deni Einzuge des Hofes
zuzuschauen. Die Gesandten sind ebenfalls eingeladen,
aber es heißt, daß nur ihre Familien und die anderenMit-
glieder der Gesandtschasten die Einladung annehmen
werden. Nur wenige Ausländer sahen der Prozession
des Hofes auf deni Wege nach Honan zu. Auf jedem
Halteplatze gab es grotzes und anhaltendes Gedränge,
aber sonst herrschte völlige Ordnung. Acht Tage nach
dem Abzuge des Hofes aus Kaifengfu war die Stratze
noch mit Gefolge desselben vollgedrängt. Jn Chengtefu
wurde der Zug photographiert. Jn Fangvin zehrten
die Vorläufer des Hofes alle für den Kaiser berekt ge-
haltenen Speisen auf und die Jntendanturbeamten begin-
gen deshalb Selbstmord. Jn Chengtefu ließen sich die
300 Köche, welche die Ällahlzeit für den Hof herrichten
sollten, den Lohn ini Voraus bezahlen und als sie
sahen, datz sie der Aufgabe nicht gewachsen waren, ver-
schwanden sie eiligst und nahmen alles, was sie tragen
konnten, mit sich. In Tschili wurden drei höhere Be-
amte entlassen, weil sie keine Nahrnngsmittel beschaffen
konnten. Zwei Regimenter mit Schaufeln und Besen
sollen deni Hofe vorausgehen. Der Kaiser sah me-
lancholisch und teilnahmslos aus und nahm von den
knieenden Mengen, die ihm Erfrischungen darboten,
keine Notiz. Viele verbrannten zu Ehren
der Kaiserin-Witwe Weihrauch. Vor den Ausländern,
die am Wege standen, verbengte sich die Kaiserin-Witwe
lächelnd. _

Deutsches Reich.

— Der Gewährsniaun der „Potsdamer Zeitung",
der die sensationelle Mitteilung von der Ansprache
machte, welche der K a i s e r am 1. Dezember im Re-
gimentshause in Potsdam an die anwesenden Ofsiziere
gerichtet haben sollte, ist, wie „Die Welt am Montag"
anf Grund zuverlässiger Mitteilung versichern kann,
eine fingierte Persönlichkeit. Es soll ein höherer Be-
amter sein, dessen Sohn Reserveleutnant beim l. Garde-
regiment zu Futz ist.

— Wie der römische Korrespondent des „Tageblatt"
meldet, beklagte sich die preußischc Rcgicrnng brim
Vatikan icher die Förderung, die der Polnische Klcrus
der polnischen Vewegung angedeiheu lasse, und zwar
wies die prenßische Regierung auf die korrekte Haltung
hin, die der Vatikan gegenüber Rußland einnehme, wo
Kardinal Rampolla jede Agitatiou des Klerus gegen
die Regierung aufs strengste untersagt habe. ^Jn Rom,
Turin und anderswo bilden sich Damenkomitees zu
Gunsten der „Opfer der Prenßischen Tyramiei". Ebenso
richtet der Abgeordnete Pollini in Form einer Inter-
pellation die Äufforderimg an die Regierung, die ver-
bündete Macht ani die schändlichkeit (!) ihres Vorgehens
gegenüber den Polenkindern anfmerksam zu machen
und sie zu einer hunianeren Behandlnng der nnglück-
lichen Polennatioii anzuhalten. Das ist ein starkes
Stück!

— Äus B erli n wird gemeldet: Am Dienstag. fands
im Hanse des Professors Dr. Gustav Schmoller ein
Festessen für den Ministerialdirektor Dr. Althoff statt.
Unter auderen waren zugegen die Prosessoren v. Bezolch
^Delbrück, Diels, Dilthey, Fischer, Harnack, Kekulö von
Stradonitz, Schmidt, Sering, L>tumpf, Waldeyer, War.
biirg, Weiß und Freiherr von Wilümowitz. Professor
Schmoller feierte Althoff in längerer Rede und führte
aus, die, die ihn genauer kennten, wützten seine Ver-
dienste um die Wissenschaft und die Preutzischen Uni»
versitäten zu würdigen; er habe ohne jedes Vorurteil
mit innerem Verständnis und mit großem Weitblick
dem Vortschritt des wisscnschaftlichen Lebens den Wes
bereitct. Nachdem Ministerialdirektor Dr. Althoff ge»

. dankt hatte, wies Professor Diels die verletzenden An--
griffe des Straßburger Professors Adolf Michaelis auf
die Akadeinie zurück, die Althoff einstimmig zum Mt»
gliede gewählt habe. Ohne die Jnitiative Althoffs wäre
die Verbindung der Akadetnicn Europas nicht zustande
gekonimen. Professor von Bezold feierte Althoff danir
als den Förderer der großen naturwissenschaftlichen An-
stalten in Potsdam und Berlin.

— Der ehemalige Kommandant von Johannes-
burg, Tr. Krause, der vor einem englischen Gerichte ange--
klagt ist, zur Ermordung einesHerrnForster aufgeforderk
zu haben, sich aber gegen Stellung einer Kaution auf
freiem Futze befindet, hat sich einige Tage in Berlin
aufgehalten. Derselbe ist nun, wie die „Tägliche Rund-
schau" mitteilt, nach London zurückgereist. Die Mutten
Dr. Krauses befindet sich in Bc)rlin. Frtzunde der
Burensache hatten die Summe von 80 000 Mark im
Baar zur Versügung gestellt, um die Londoner Bürgeir
Dr. Krauses zu befriedigen und den Rest ihm selbst anS-
zuhändigen. Dr. Krause hat dieses Anerbieten abge-
lehnt, mit Recht, denn die Annahme desselben wäre
gleichbedeutend mit einem Schuldbekenntnis gewefen.

— Die Verletzungen, die Professor Virchow bek
dem llnfall erlitt, besteht in einem nicht komplizi-
zierteu Bruch des Schenkelhalses. Das Befinden ist
z. Zt. daS beste.

— Der Zentralkirchenvorstand in W o r ms richtete
an den Kaiser ein Telegramm, worin er begeisterten Dank
ausspricht für die erhebenden Worte, welche der Kaiser an
dic Protestantischen Kirchen Dentschlands gerichtet habe.
In den Reihen der rheinischen Protestanten hat das
Wort, den engeren Anschluß dcr deutschen p r o°
testantischen Landeskirchen anzustreben,
begeistertcn Widerhall gefunden, indem dieselben in der
Aufrichtiiiig der deutschen Nasionalkirche die Vollendung
des in Deutschland geborenen Reformationswerkes für
die Dentschen erkeiinen.

Bade«.

* Der zwei SteriieManii dcs „Veob." will iiicht
gelten lassen, daß zwischen dem Zentrum u»d den Sozial-
demokraten ein Tischtuch bestanden habe. Auf den Hin--
weis der „Heidelb. Ztg.", doß Zentriimsleutc nnd Sozial-
demokratcn gemeinsamc Siegesfeiern begangen hätten, cr--
widcrt er:

„Es ist möglich, daß Zentrumsleute und Soziol-
demokraten schon bci „Siegesfeiern" zusammengekommeir
sind. Dagegen wäre es eine LLge, wenn Jemand be-
haupten wolltc, Zentrum und Sozialdemokratie bätten schoir
e!nc „aemeiniame Sieaesieier" gehalten. Nicht minder

Wie ein Wur stirbt.

Ueber die letzten Ssimdeu eines zum Tode verurteil-
^n jungen KaP-„Rebellen" veröffentlicht die durch ihre
Broschüre über die südafrikanischen Zufluchtslagen in
pen weitesten Kreisen bekannt gewordene Miß Hobhouse
Gi „Bcanchester Guardian" eine tief ergreifende Skizze.
Aenn zunächst die Schrecken, die die Verhängung des
^elagerungszustandes in der Kapkolonie gezeitigt, dar-
?us mit flammenden Lettern sprechen, so kann man aber
Mch anch sich des Gedankens nicht erwehren, daß solche
vute, wie der Held dieser Geschichte, dem unverkennbar
kiiie siefo Religiosität innewohnt, schwerlich darnach ge-
Mwt scheinen Hie Grausamkeiten uud Gewaltthaten zu
?fgeheu, die ihnen von der englischen Jingopresse ange-
Pchtet werden. Der standrechtlich erschossene Kapbur,
Sohn eineS bejahrten Predigers in Paarl, war
?tn Farmer im Colesberg-Distrikt. Er stand iin dreitzig-
Mi Lebensjahre und sollte neben der Ergreifung der
^affei, gegen die Briten sich auch verschiedener anderer
Fkrgehen schuldig gemacht haben. Willie Louw, das
^t der Name dieses Mannes, büßte diese Thaten am 23.
Zoveniber vorigen Jahrös mit dem Tode. Ueber die
^bten Bcsnche bei dem standrechtlich Hingerichteten berich-
?te seine Schwester, Frau Reinecke, aus Colesberg, unter
?s,n November 1901, an die so jähe ihres Sohnes
^taubten Eltern: „Jhr werdet schmerzlich auf einige
V^ilen gewartet haben, die euch über die letzten Stun-
enres geliebten Jungen Kunde geben. Jch suchte
z'st gesiern Morgen imi ^ll Uhr auf und verblieb
At ihm eine halbe Stunde in der Zelle. Meine beiden
' wder waren auch da und nabm er sie während der
^^tizen Zeit auf seine Knie. Willie war so gerührt, daß

wir gekommen waren, aber auch ebenso beglückt und
voll Gottvertrauens. Er sprach von der großen Güte
des Allmächtigen, der mich und die Kinder ihm in seinen
letzten Ssimden gesandt habe . Ich hatte ihm Blumen
gebracht und liebevoll schweifte sein Blick von dich'en
auf die auf dem Tische liegende Bibel. Er sprach von
dem Frieden und der Gottergebenheit in seineni Herzen,
erwähnte jedoch mit keinem Worte seine Ankläger, die
den Stab über sein Leben gebrochen hatten. Als uns
der Bescheid wurde, datz die Zeit um sei, sprang er be-
hende auf umarmte mich und die Kinder und sagte: „Lebt
wohl, meine Lieben, lebt wohl: grüßt mir die Eltern
und Freunde!" Ich war aufs höchste bewegt und sprach
von einem Wiedersehen, da ich immer noch unmöglich
glauben konnte datz das grausame llrtcil vollstreckt wer-
den würde. Er antwortete nicht, sondern suchte schnell
einige Habseligkeiten und Angäbinde zusaininen, die
er yiir übereichte . . . Als wir zn Hause anlangten, hör-
teii wisi die Nachbarn einander zuflustern, daß um
halb zwölf ein Todesurteil auf dem Marktplatz verlesen
werden würde. Alles war nengierig, wer wohl der
Arme sei und so versamelten sie sich denn zur gegebenen
Stunde in den Straßen. die der Zug passieren mutzte.
Auch ich begab mich dorthin. Wie ward ich ergriffen,
als ich meineii eigenen Bruder inmitten der englischen
Wache dahin schreiten säh. Tapfer und festcn Schrittes
cin wahrer Mann, ging es des Weges das Auge fest
und ungebeugt vorwärts gerichtet. Nicht eine Spur
von Erregung war anf seincm Antlitze zu bemerken:
er war ein ganzer Held. Die Verlesimg des llrteils
dauerte nur wenige Minuten; mir wollte das Herz
bnpchen. Doch er blieb unbewegt, nicht einmal die
Farbe des Antlitzes wechselte .... Ter Zug trat darauf

wieder den Rückweg nach dem Gefängnis an. Am
Nachmittage follte die Vollstreckung des llrteils erfolgen.
Jch eilte nach Hause, nm meinen Gatten zu benachrich-
tigen. Wir erhielten die Erlaubnis, ihn nochmals um
2 llhr zu sehen. Jch warf mich sofort beim Eintritt
in die Zelle um seinen Hals und schluchzte. Doch er
versuchte mich zu trösten und begann mit deni Bibel-
verse: „llnd ob ich auch wanderte im tiefen Thal,
fürchte ich kein llnglück, du bist bei mir . . . ." Wir
sprachen imr wenige Minuten mit einander. Er blieb
auch beim Abschied ruhig, während uns schier der Boden
unler den Füßen wankte. Euer Sohn ist nicht mehr.
Wie stets, so zeugte er sich auch im letzten Augenblicke
unerschütterlich fest und gottesfürchtig."

(Mit eineni Feinde von solcher inoralischer Stärke
wird England schwerlich fertig wcrden!)

Erinneruna aleickit einem Sveicker,

M!t jedem Tog füllt er stck neu —

Au Weizen lecr Ist üderreich cr
Gar oft en inhaliloser Sprcn.

Um jede Thmheit sortzubrinpe.i,

Brauckt'.es der Säcke Leqlon —

Die Körnlein von aedicg'nen Dlngen,

Die trüge lsicht ein Spatz davon.

Drei ve-sckulden >hr Unalück selber: wer Geld ausleiht obne
Zkuaen, wer sich von keiner Frau bkherrscken läht, uud wcr stck
freiwillkg in Sklaveret b-gibt. WaS iü wit dnn letz eren aeweint?
Wer scin ganzes Verwözcn noch bei Lebzeiten seinen Kindern ver-
schreibt. (Talwud.)
 
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