Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

DOI chapter:
Nr. 1-26 (2. Januar 1902 - 31. Januar 1902)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0075
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Monttlg, 13. Januiir 1902.

Grstes Blatt.

44. Jahrgang. — U. 10.

Erschcint täglich, Sonntags ausgenommcn. — Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweigstellen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post b«.

zogen vierteliährlich 1.35 Mk. auMließlich Zustellgebühr.

A»zeigcnpreis:20 Pfg. die Ispaltige Petitzeilc oder dcren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesiac Geschäfts- und Privatanzciaen ermäßigt. — Für dic Aufnahme von Anzeigen anzbestimmt
vorgeschriebenen Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Auschlag der Jnserate auf drn Plakattafcln dcr Heidelberger Zeitung und den Plakatsäulcn. — Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

England und Deutschkünd.

In Dcurschlond hat mon die Empfindung, daß der
Reichskanzler Graf Bülow in seiner Rcde am Mittwoch
den anmaßlichen Herrn Chamberlain zwar entschicdcn,
^ber i>-, der dcnkbar mildesten Form abgescrtigt hat. Wenn
deshalb engiische Blätter jetzt davon sprechen, daß Gras
'-öülow den Minister beleidigt habe, und wcnn ste gar die
Erwartung aussprcchen, Deutschland werde schleunigst A b.
ditte leisten, so geht denn das doch über das erlaubte
Moß an Dreistigkeit hinaus. Was bilden sich dcnn diese
-nglischcn Blätter eigentlich ein? Soll vicüeicht Graf
Bülow sich noch bcdanken, wenn Chamberlain das Ver-
drennen von Farmcn und das Zusammentreibeu von
Frauen und Kindern in Kouzentrationslagern als eine
Sachc bezeichnet, die noch lauge nicht an die Thaten des
deuischen Heercs in Fiankreich heranreicht?!

Bemerksnswert ist, daß geradc dcr „Standar d", der,
^jsher wenigstcns, als das bcvorzugte Sprachrohr Lord
Salisburys galt, mit dem eigentümlichen Verlangen her-
dorrrat, doß Graf Bülow dcm Kabinet von St. James
Segenübcr Abbitte leisten solle. DaS konservative englische
Blatt erklärt, daß der Chambcrlain-Zwischenfall mit der
Bülow'schen Redc keineswegs abgeschlossen sei und bemerkt:

»Cinen privaten, nicht aulortsirten Angriff auf unsere
Humanitäl können wir ignorieren, selbst wevn er die Grenzen
dcs gcwöhnlichcn Anstandes üb e r s ch r eit e t,
"ber eüre förmlichc, mic allem möglichen Vorbedacht
Seoußerte Beleidigung jeilcns des ersten Ministcrs
kines frcmden, uomincll freundlichen Staates tst etwas ganz
anderes. Die Engländcr habcn Gladstones geschichtliche
Äbbitte an Ossterrcich-llngarn wegen einer unüberlegten
^ieußerung, die er gemacht, aie er nicht im Amtc war, nicht
vtrgesscn. Die Minister des Königs Eduard habcn cbenso.
^el Recht, auf die nationale Ebre eifersüchtig zn sein, als die
Rotgeber des Kaisers Kranz Joscph. Sr. Majcstät Regierung
^>erde erwägen müssen, wclche Schrittc ergriffen wcrdcn sollten,
um jhre Ansicht über diese grobe Verletzung inter-
"arionaler Höflichkeit, der wir ausgesetzl gewcsen
ünd, zu üdermitteln. Jn einer oder der auderen Weise
werden ohne Zweifel Viitrel ausfindig gemacht wcrden,
nm dem Berliner Hose zu verstehen zu geben, daß irgend
eine Genugthuung füglich gefordert werden
wüsse. Wenn dies eine Spannung zwischen zwei Mäch-
Etn, welche die bestmöglichen Gründe habcn, auf freund-
üchem Fuße zu bleiben, herbeiführen sollte, so würden
wff dies aufrichlig bedauern, aber die Schuld dafür wird
Bülow, nicht wir, tragen. Wir können nur hoffen, daß
me deulsche Regierung die Angcmessenheit, eine schlcunige
°efrte d iegendc Abbitte zu leisten, anerkennen
mird.«

Jnzwischen hat Herr Liebcrmann v. Sonnen-
^krg durch seine Beschimpfung Chamberlains im öffent-
-'chen Reichstaz die Süuation für die deutsche Diplomatie
icider crheblich verschlechtert. Er zwang durch seinc maß«
^osen Worte dcn Reichskanzler, denselbcn Chamberlain mit
bem Schild zu dccken, dem er zwei Tage vorhcr deutlich
genug selbst die Meinung gesagt hatte. Es sollte unsgar.
^'cht wundern,wenn öem >ächst dic Engländer sagen, daß Bülow,

Kenossenschaftliche Kausyattungen.

Der Gebanke der genossenschaftlichm Hanshaltungen
üewinnt, wie dcr „Voss. Ztg." gcschrieben wird, immer
wehr Anhängcr. Zn Paris tritt die Fraucnrechterin Frau
^eane Schmahl dafür ein; in Nordamerika befindet sich
Frau Charlorte PerkinS Stetson aus einer großen Vor-
^agsreise, um für die Sache Propagonda zu machen, und
"euerdings hat sich ihr noch Frau Colman Stucket hinzu-
bescllt. Auch der kürzlich in Berlin gegründele Verein sür
Hauswirtschaftsgeiiossenschasten erregr allgemeines Jnteresse.
f^eber seine Bestrebungcn herrscht jedoch die größte Unklar-
Jn Kürze zusammcngcfaßt, lassen sie sich folgender-
waßen darstcllen: Der Vcrein will in Wort und Schrift
°chür agitieren, daß Genossenschaften geglündct werden,
Hauser mieten oder bauen, in denen eine Zentralküche
uriter dcr Leitung ciner erfahrenen Wirtschaftcrin dic Eruäh-
^ung der Bcwohner übernimmt. Selbstverständlich wird
°adurch das individuelle Familjenleben, das sich nach wie
fwr in der eigenen abgeschlossenen Wohnung abspiclt, nicht
'w mindesten gcstört, da selbst die Mahlzeitcn im eigenen
-oirnmcr eingenommen wcrden können. Der Vortcil dieses
^Üems besteht in der rationcllereii, bedcutend billigereu
^srtschaftssührung und in der Entlastung dcr berufs-
hatigen Frou. Die Thaisache, daß verheiratete Fraucn
u steigendem Maße zum Erwerb gczwungen sind, und
»war sowohl in proletarischcn wie in bürgerlichen Kreiscn,
no anßerstande sind, ihren Haushalt gut zu führcn,
yar der Bewcgung in Dcutschland den Anstoß gegeben.

a!s cr von dem Abbitte-Artikel des „Standard" Kenntnis
erfuhr, Angst bekommen habe und dann schleuntgst für
Chamberlatn ins Feuer gegangen sei, als v. Liebcrmann
ihn angriff.

Augenblicklich noch stehen die englischen Blätter auf
dem Standpunkt, daß dte Abwehr Bülows uicht kräftig
genug gewesen sei. „Daily Chronicle", das Rose-
berys Richtung vertritt, bcmerkt, man habe keinen Grund.
dem Kanzler für die kärgliche Anerkennunz zu danken, daß
es im britischen Heere auch Leute gebe, die für ihr Vater-
land zu sterben wüßten, und macht den Grafen Bülow
indirekt mit für die Ausdehnung des maßloscn Hasses und
für die Bcschimpfung des englischen Hceres veranlwortlich.

Die „Times" äußert sich wieder im Leitartikel mit
großer Schärfc. Selten, wenn überhaupt jemals, so
schreibt sie, ist eine befreundete Nation in einem fremden
Parlament so gröblich beschimpft worden.
Niemals hat, soweit wir uns erinnern könncn,
eine Beleidigung eiue so milde Zurückweisung
von dew Vertreter einer fremden Macht crfahren, wie es
die Zurückweisung war, die Graf Bülow gegenüber dem
Abgeordneten von Liebermann für ansreichend erachtete.
Was .oir von einem Minister cines befieundeten Staates
erwarten könneu, ist die bündige Abweisung der Schmähungen,
die vor seinen Ohren ausgcsprochen worden sind, nicht
nur mit Rücksicht auf die englischen Soldaten, die ge-
fallen sind, sondern auch auf diejenigen, die noch leben."
— Zum Schluß, ruhiger werdcnd, führt die „Times"
aus: „Wir sind bereit, die schwierige Lage anzuerkermen,
in die die deutsche Regierung auf der Strömung des Eng-
länderhasses hineingelricben ist, wir könnten sogar den über-
triebenen Nachdruck verzeihen, den Graf Bülow auf Ver-
sicherungen gelegt hat, die ihm in dem angedeuteten Sinne
sicher nicht zugegangen sind. Wir müssen aber offen und
sehr bestimmt erklären, daß das Maß britischer Geduld
und Ertragens überschritten wird, wcnn cr glaubt, er könne
um die Freundschaft unsercs Landes werben und zu gleicher
Zeit des Königs Rock, die Uniform, die unsere Freuude
und Stammesgenossen gegenwärtig im Kampfe tragen und
die nie mit mehr Ehre getragcn worden ist, dazu benutzeu,
sich scine parlamcntarischen Fnße abzuputzen.

Aer Wrozeß Krostgk in der Wevistonsinstanz.

Bcrlin, 11. Jan. Hcute Vormittag 10 Uhr begann
vor dem Reichsmilitärgericht unter dem Vorsitz des
Generalmajors v. Kaltenborn-Stachau die öffentliche
Revision svcrhandlung in Sachen dcs Krosigk-
Prozesscs gegcn Martcns und Hickel. Letzterer
ist erschienen. Leiter der Vcihandlung ist Senatspräsident
Dr. Weissenbach; dic Anklage vcrtritt Obermilitäranwalt
Frhr. v. Pechmann. Die Verteidigung führen für
Martens Rechtsanwalt v. Simson, ein Enkcl dcs vcr-
storbenen ersten Reichsgerichtspräsidenlen, für Hickel Rechts-
anwalt Bieber. Die Verhandlung begann mit Verlesuug
des Urteils dcs Oberkriegsgcrichies und der Revisions-
grnnde.

Jn diescm Prozeß handelt es sich, wie erinnerlich, um
die Ermordung des Riltmejsters v. Krosigk vom 11. Dragoner-

Kleine Zeitung.

— Dr. Sigl soll, wie der „Allg. Zig." mitgeteilt
wird, ein Vermögen vou 250000 Mark hinterlassen haben,
das seiner Frau und den beiden Töchtern zufällt. Gegen
den Verkauf des „Vaterlandes" um den Preis von
20 000 Mark an die jetzigeu Besitzer hat die Frau des
Verstorbenen Einspruch crhoben, ist aber damit abgewiesen
worden. Sie beabsichtigt nun den Klageweg zu beschreiten,
da der Betrag in keinem Verhältnis z» den Renten steht,
dcn das Blatt bisher abgeworfen hat.

— Jena, 11. Januar. Leutnant Thieme, der
iufolge des bckannten Rcnkontres am Neujahrsmorgen den
Studenten Hcld im Duell erschossen hat, wurde heure vom
Kriegsgericht zu 2 Jahren 3 Monaten Festungshaft
verurteilt. Dcr Kartcllträger Hauptmaun v. Seebach
erhielt 14 Tage Festungshaft.

— Magdeburg, 7. Jan. Gemütlich ging es vor
einigen Tagen hier bei einer Hochzeit zn. Der noch sshr
jugendliche Ehemann gcriet abends infolge Eifersucht mit
seincr noch nicht 18jährigen Frau in Streit und behandelte
sie mit den Fäusten derart zärtlich, daß sie aus Mund
und Nase blutete. Den seiner Tochter zu Hilfe eileuden
Schwiegcrvater crcilte das gleiche Schicksal, und selbst die
übrigen Hochzeitsgäste mußten, da der „angehende Fami-
lienvater" die Hochzeitsg'eschenke klein zu machen aofing,
Reißaus nehmeu.

— Ein verstümmeltes Telegramm und seine Folgen.

Die Frau eiucs Amlsvorstehers aus dcr weiteren Um-
gebung Berlins erhielt dieser Tage aus einer hiesigen

Regiment in Gumbinnen, die am 21.Januar 1901 in der
Reitbahn erfolgtc. Als der Begehung dicses VerbrechenS
verdächtig, wurde Unteroffizier Martens und dessen
Schwager Sergeant Hickel verhaftet, indessen vom Kriegs-
gericht der zweiten Division, dessen Hauptocrhandlung zu
Gumbinnen stattfand, am 3. Juni 1901 von der Ao-
klage des Mordes freigcsprochen und nur Martens wegen
Fahnenflucht zu einem Jahre Gefängnis sowie Degradatio«
verurteilt. Gegen dieses Erkenntnis legte der Gerichtsherr,
der kürzlich zue Disposilion gestellte Kommandeur der
2. D'vision, Generalleutnant v. Alten, das Rechtsmittel
der Berufung cin. Das Oberkriegsgericht des 1. Armee-
corps, dessen Verhandluug ebcnfalls zu Gumbinnen statt-
fand, verurteilte am 20. August 1901 Martens wegen
Mordes und Meuterei zum Tode, sowie zum Verlust der
bürgcrlichen Ehrenrechte und Ausstoßung aus dem Heere„
sprach aber Hickel frei. Gegen dieses Urteil haben sowohl
Marteys als auch der Gerichtsherr, letzterer wegen der
Freisprechung Htckels, Revision eingelegt. Die Rcvision
Martens wird hauptsächlich darauf begründet, daß das
Oberkriegsgericht nicht ordnungsgemäß besetzt gcwcsen sei„

Der Obermilitäranwalt Pechmann beantragt Auf»
hebung des Gesamturteils nebst den thatsächlichen
Feststellungeri nnd Zurückverweisun g an dic Beru-
fungsinstanz zu anderweitiger Aburteilung.

Das Reichsmilitärgericht erkannte auf AufhebunK
beider Urtcile dcs Obcrkriegsgerichts und Zurücö
verweisung dcr Sachc an die Berufungsinstanz.

Deutsches Reich.

— Dic Kaiseryacht „Ho h enzoll e rn" erhielt Befehl,
sich mit Beschleunigung in Stand zu sctzen und für zehrr
Wochen au 8 zurüsten. Reiseziel noch unbekannt. (s.Neueste).

— Jnfolge andauerndcn Andrangs zum juristischerr
Studium hat das weimarischc Staatsministcrium, der
„Voss. Ztg" zufolge, die Direktoren der Gymnasten des
Landes aufgefordert, die Abiturienten vor dem Studium
der Rechte zu warnen.

Kadr».

* Der Zwei-Sterne-Mann des „Beob." kommt noch
einmal auf die gemeinsame Siegesfeier zurück und
behauptet, daß nur ein zufälliges Zusammentreffen
einzelner Zentrumsleute mit Sozialdemokraten bei einer
öffentlich abgehaltenen Siegcsfeier stattgefunden habe, was
noch lange nicht cinc gemeinsame Siegcsfeier des ZentrumS
und der Sozialdemokraten sei. Es mag ja dem Zwei-
Sterne-Mann unangcnchm sein, wenn an diese Feiern er-
inncrt wird, aber wcnn er jetzt den Znfall vorschützt,
so ist das doch eine gar zu kindische Ausrede. Die
Feiernden haben gemeinsam gekämpft, gcmeinsam

gesiegt und sich gemeinsam des mit vereinten Kräften er-
fochtenen Sieges gefreut. Es war durchaus kein
Zufall was sie zusammenführte, sondcrn daS
gemeinsame Gefühl der Freude über einen errungenen
Erfolg. Dies ist einc Thatsache, an der alle künstlichen
Auslegungen zwschellen.

Klinik, iu der ihr Gatte ciner nicht ungefährlichen aber
gut verlaufenen Operation unterzogen worden war, folgende
Depesche: „Jhr Mann entschlafen, Bitte abholen."
Die bestürzte Dame legte Trauerkleider an, traf für die
Beerdigung Vorkehrungen und fuhr dann eiligst nach Berlin
zur Klinik, wo sie ihren Gatten wohlgemut als Rckon-
valcszenten antraf. ES stellte sich heraus, daß das Tele-
gramm verstümmelt war und lauten sollte: „Jhr Mann
cntlassen. Bitte abholen."

— Budapest, 11. Januar. Großes Aufsehen erregt
der heute begangene Selbstmord des Ohrenarztes
Tomka, bei welchcm jüngst ein großer Kas seneinbruch
begangen worden ist und 180 000 Kronen gestohlen wurden.
Der Seibstmord wird mit dem Verdacht der Polizei, daß
Tomka selbst am Einbruch beteiligt gewesen sei, in Zu-
spmmenhang gcbracht, um die Summe von 200 000 Kronen,
mit der Tomka gegen Einbruch versichert ist, zu bekommen.
Die fehlenden Wertpapicre wurden, wie polizeilich konstatiert
wurde, schon am 27. Dezember in zwei Wiener Wechsel-
stuben vcrkaust. Tomka geuoß als Ohrenarzt einen vor-
züglichcn Ruf, galt abcr als Sonderling. Ec heiratete
vor drei Jahrsn sehr reich.

— Nachsteheude heilere Geschichte erzählt eiu englischeS
Blatt: Ein armes junges Paar kommi zum Priester und
will geiraut sein, reich an Liebe, aber arm an Geld. Die
nöthigen Silberlinge zur Eutlohnung drs Kopulators hatten
sie iiichr bei sich, und der Mann, ohne dessen Segen sie
ihren Ehestand nicht beginnen wollten, war hart. „Kein
Geld, keine Hochzeit!" das waren seine Worte. „Laffen
Sie mich nach Hause gehen, ehrwürdiger Vater," hob die
 
Annotationen