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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-74 (1. März 1902 - 29.März 1902)
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aufgegebcn hat. Es ist cin Einbruch iu die autonomen Ver-
hältnissc, wcnn eine auslmrdische Regicruirg verlangt, wir
sollen unsere Zölle herabsetzcn. Er Wfe, daß der Reichstag
einer Herabsetzung der Zuckerprämien nicht zustimme; thue
er das, so bcsiegle er dcn Untergang der Zuckerinduftrie.
England hat alle Ursache, mit uns gut zu stehen.

Staatssekrctär bon Thielemann entgegnct: Auch
wir haben Ursache, mit England gut zu stehen. Jch gebe
Jhnen dic Vcrsicherung, datz die kaiserliche Regierung kcinen
Vertrag unterschreiben wird, in welchcm wir uns England
gegenüber betrcffs unserer Nusfuhrprämien in unserer Zucker-
produklion binden, währcnd England freie Hand behält, um
den Rohzuckcr seiner ostindischen Kolonien frci einzuführcn.
Jch kann auch mirteilen, datz Oesterreich irgendwclcher Vor-
zug gcgenübcr Deutschland nicht in Aussicht gestellt wurde.
Bczüglich Rutzlands, das bermutlich der Konvention nicht
beirrirr, betönc ich, datz dieses sich wird Ausgleichs-
zölle gefallcn lasscn müsscn, so datz wir anch in dicser Richtung
gedeckr sind. Datz unscre Produktion wcit über das eigene
Bcdürfnis hinausgeht, brauche ich nicht weiter zu belegen.
Zur Erhöhung des eigenen Verbrauchs in Deutschland gehört
in ersrcr Linie Verbilligung des Zuckcrs im Kleinhandel. Wenn
der Verbranch Deutschlands nicht einmal ein Halb der Pro-
dukrion beträgt, so müssen wir den Jnlandskonsum steigern.
andererseits für einen ruhigen und sicheren Abschlutz der
übrigen Produktion nach antzen sorgen. Dazu soll die Konverr-
tion dicnen, ivclche, tvie ich hoffc, dicscr Tage abgcschlosscn
wird. (Bcifall links.)

Abg. Wurm (Soz.) mcint, die Ucbcrproduktion werde
dahinführen, datz wir den Markt des Auslandes vcrlicren.
Kcnnzeichnend für die Haltung der Rechten ist der Vorschlag,
die Zuckcrvorräte zu vcrnichtcn, um später durch Erhöhung
der Preise den Verlnst wicder einzuholen.

Abg. Paasche (natlib.) ist von der Erklärung des
Staarssekretärs bezüglich der Abschaffung der Prämren nicht
befriedigt. Dre Folge der Herabsetzung der Zölle würde eine
schwere Krisis für die Landwirschaft bedeuten. Die französische
Landwirtschast wehrt sich mit allcr Entschiedenheit dagegen,
ibre indirekten Prämien abzuschaffen. Auch England traue
ich nicht.

Abg. Kardorff (Rcichspartci): Das Kartell ist die
Folge der Ueberproduktion, nicht umgekehrt. Die Ueberpro-
dukrion rührt von Caprrvi hcr, der die Getreidezölle so heruntcr-
setzte, datz der Körnerbau sich nicht mehr lohnte, und man
zum Rübcnban übergehen mutzte.

Landwirtschaftsminister v. Pcndbielski 'erklärt, es
ist kein Zweifel, datz die Landwirtschaft und die Zuckerindustrie
sich in eincr sehr schwicrigen Lage befinden. Klar ist auch,
daß der Körnerbau in weiten Distrikten sich nicht mehr renticrt.
(Hörr! Hörtl rechts.) Der Zucker ist ein wcsentliches Volks-
nahrungsmittek; darnm müssen Sie die Konsequenz zrehcn,
datz das Volk nicht durch künstliche'Sützmittel getäuscht wird.
(Obol links.) Wenn die Konvention zu Stande kommt, müssen
alle Konventionsländer sich darübcr einig werden, wre man
dcn Prämienländern gegenüber vorgcht. Als Vertreter der
landwirtschaftlichen Intcressen bin ich unausgesetzt bestrebt ge-
wcsen, dabin zu wirken, datz nicht kurzer Hand der Stab ge-
brochen wird und man sagt, morgen früh tritt alles in Kraft.
Absolute Paritat ist das crste Bcdürfnis des Zustandekommens
der Konvention.

Abg. Richter (freis. Vp.) ist nicht im Klaren darüber,
ob Podbrelski im Sinne des Staatssekretärs v. Thielemann
oder im Sinne .Kardorffs sprach. Podbielki hat die Konven-
tion ungefähr als eineu Sprung ins Dunkle bezeichnet, das
Schlimmste, was man von ihr sagen kann. Er begrütze mit
Freudcn, datz die Konvention so gut wie abgcschlossen sei.

Aba. S t a u d v (kons.) polemisiert gegen Richter. Der
Landwirtschaft müsse Zeit gelassen wcrden, in die neuen
Verhällnisse sich einznleben.

Abg. Barth (frcis. Vgg.) meint, Kartellprämicn scien
biel gefährlicher Ivie Staatsprämien. Der grötzte gesetzgebc-
rische Schwabenstreich wärc der, der Znckerproduktion währcnd
dcr schwcren Zeit der Sanierung der Zuckerverhältnisse ctiva
dnrch Erhöhung der Gctreidezölle aufhelfen zu wollen.

Abg. Schrempf (kons.) bemerkt, auf der Rechten
sitzen keineswegs die Vertreter der Zuckerkartelle. (Ohol
links.) Dre Linke sei Freund der Landwirtschaft wic der Metz-
ger Freund der Kälber.

Abg. Herold (Zentr.) ist seinerseits mit der Abschaff-
ung der Präinrcn einberstanden, wenn die andcrcn Länder »n-
serem Beisprel folgen.

Nach cinigcn Bemcrkungen bon Rösicke -Kaiserslautern
und Paasche wird der Titel genehrnigt, ebenso die Reichs-
stemvelabgabcn.

Montag: Eftrt für die Erpedition nach Ostasien. Etat
des Ausivärtigen Amtes.

Schlutz llhr.

Berliu, 28. Febr. Die Bndgetkommission des Reichs-
tages beendigte den Etat für Ost- und Südwestafrika,
nachdem mit atten gegen eine Stimme die seitens der Re-
gierung geforderten 1550 000 Mk. znr Weiterkührnng der
Usambara-Bahn bon Korogwe nach Mombo und dann
der Antrog Arendt, dafür 950 000 Mk. zu bewilligen,
abgelehnt worden war.

Bade«.

— Die „Köln. Volksztg." ist in der Lage, über das
Testament des verstorbenen Professors Franz Xaver
Kraus einige Mitteilungen zu machen, die nicht ohne
Jnteresse sind. Wir entnehmen denselben Folgendes: Der
schon bekannten Verfügung, daß aus der Hinterlassenschaft
von Kraus ein Jnstitut für christliche Archäologie, ver-
bunden mit einer Lehrkanzel für dieses Fach in der
theologischen Fakultät an der Universität Freiburg i. B.,
gegründet werden soll, ist dte Bemerkung angehängt: „Der
zu berufende Dozent soll kathollscher Priester, aber an
keiner vonJesuiten geleiteten Anstalt gebildet sein". Der
theologischen Fakultät solle das Vorschlagsrecht zustehen;
Kandidaten aus der Stadt Trier oder dem ehemaligen
Kurfürstentum Trier sollen den Vorzug haben. Die ganze
Schenkung will Kraus angesehen wissen als „Ausdruck
des Dankes", welchen er seinem gnädigsten Landesherrn
Großherzog Friedrich von Baden zollet; ferner als „Aus-
druck der Sympathie für das Land, welches ihm eine
zweite Heimat geworden ist". Jn erster Ltnie tst die
Schenkung gemacht zu „Gunsten der thcologtschen Fakultät",
der Kraus den größten Teil seines Lebens gewidmet hatte.
Würde die Schenkung nicht angenommen werden können
(oder würde die Universität Freiburg jemals aufgehoben),
dann soll das Vermögen nach Trier fallen. Aus den
Zinsen sollen zwei Stipendien für Studierende der christ-
lichen Archäologte gebildet und zwecks der Verlethung dte
Fakultäten der kstholischen Lheologie zu Freiburg t. B.,
Bonn und Breslau zu Vorschlägen aufgefordert werden.
Geborene Trierer wären tn erster Linie zu berücksichtigcn;
Jesuitenschüler sollcn auch hier ausgeschlossen sein.

Batzern.

München, 28. Februar. Das Abgeordnetenhaus ge-
nehmigte einstimmrg die im Etat vorgesehenen Forde-
rnng von 120 000 Mark fnr Oesfnung der Kaisergräber
im Dom zu Speyer nnd den damit znsammenhängenden
baulichcn und wissenschaftlichen Maßnahmen.

München, 27. Februar. Der Prinzregent wird
sich Mitte Iuni zur Feier des 50jährigen Bestehens
des Germanischen Mnseums nach Nnrnberg begeben und
hat den deutschen Kaiser zur Teilnahme an der Jubi-
iäumsfeier nach Nürnberg eingeladen.

Ausland.

Oesterreich-Ungarn.

Wien 28. Febr. Nach der „Neuen Freien Presse" wird
auf der Brüsscler Zuckerkonferenz eine Emigung auf
folgender Grundlage erfolgen: Alle Staaten verzichten auf
alle direkten und indirekten Prämien, auch Frankreich verzichtet
also auf sämtliche Prämieu. Die Prämien werden am 1.
September 1903 abgeschafft und zugleich wird der Zucker-
zoll auf 6 Fr. festgesetzt. Für den Fall starkcr Zuckereinfuhren
in die Festlandstaaten wird eine Erhöhung des Zuckerzolles
vorausgehen. Die Abmachungen bedürfen der Genehmigung
der Regierungen, die morgen, Samstag, crfolgen dürfte-
Türkei.

Konstantinopel, 26. Febr. Der Museumsdirektor
Wiegand trrg heute tn der dcutschen Gesellschaft Teutonia
über die Ausgrabungen in Milet vor und berichtete
znm ersten Mal ausführlich übcr die Entdcckung cines
Rathauses aus dem drilten Jrhrhundert v. Chr. Der
Sitzungssaal bildete ein Halbrund und nahm 600 Senatoren
auf. Das Haus ist von Säulenstellungen umgebcn; vor
dcm Hauptportal steht ein riestger zweistöckiger Altar mit
Marmorrelicfs, zu dem cin Prachtthor führte. Die
Entdcckung ist außerordcntlich wichltg und ein würdiges
Gegcnstück zu früheren Funden in Milet, besonders zu dem
römischen Prachtbrunnen.

ZSitte der Kemeinden der öadischen ISergstraße
um Kröaunng einer direkten Kauptöahn von
Weinheim nach Ketdelöerg.

Als man seiner Zert die im Rl)einthal aufwärts führende
Bahulinre barrte, welche deu Mai» mit dem Neckar durch einen
Schienenstrailg verbinden sollte, hat mau imrerhalb der Gren-
zen unscres badischen Landes dcn Wcg längs der Bergstratze
wclcher durch die Natur und dic Geschichte angezeigt war, ver-
lasscn. Anstatt dem Abhange des Odenwaldes in gerader Linicn-
fnhrirng zrr ftlgen bis zum Südende der Bcrgstratzc, suchte
mau diesen Punkt dadurch zu errcichcu, datz man die nerre
Bahn von Weinheim ab in einem grohcn Bogen südwestwärts
dnrch die Cbcne nach dem bisher ganz nnbelannten Orte Fried-
richsfeld und von hier flußaufwärts tvieder nach Herdelberg
znrückführte.

Eincm grotzen Teile dcr badischen,Bergstratze wurde damit
vorenthalten, Ivas anderen Gcgenden unseres Landes, die nach
ihrer Bedcutnng nicht dic gleichen Ansprüche crheben konnten,
bald darnach in vollem Matze zn Terl wurde.

Es dauerte denu auch nicht lange, so machte sich bei dcn
bctciligtcn Gcmeinden dic bittere Empfindnng fühlbar, batz
man durch die erwähnte Linienführung der Main-Neckarbahn
schwer geschädigt sei und mit dcr steigenden Entwickelung
allcr wirtschaftlichen Verhältnisse wurde das Verlangen immer
dringender und lebhafter, es möge dasjenrge nachgeholt wer-
den, ivas man seiner Zert, als die Verhältnisse noch cinfachcr
Ivaren, glaubte entbchren zu kömrcu: dre Herstcllung ciner bi-
rekteu Verbindung von Weinheim der Bergstratze entlang nach
Heidclbcrg.

Jcnc Empfnrdung trat nicht nur in den zahlreichen Ort-
scliaften dcr badrschen Bcrgstratze hervor, deren Wein- und
Obsthandel schon seit vielen Jahrzehnten eine Lo bedeutende
Stellung einnimmt, in denen sich auch schon frühzeitig die Jn-
dustrie niedergelassen hattc, sondern vor allcm auch in der
damals allein auf dcm linkeu Neckarufer gelegeuen Stadt
Hcidclbcrg. Derselben fchlte einmal die uaturgemätze Ver-
biiidiing mit den nordwärts in der schönsten Landesgegend
gelegenen Ortschaften und mit den sich anschlrehenden Seiten-
thälern des südwcstlichen Odenwaldes. Sodann aber tauchte,
nachdem inzivischen die Rheinthalbahn crbaut worden, dre
trübc Anssicht auf, datz diesc neueste — allcrdrngs angeblrch
nrrr für den Güterverkehr bestimmte Bahn von >,der
Station Schwetzingen aus nach dcm nerr geschaffenen Knotcn-
prmft Friedrichsfeid hinübergreifen und dann erne Lrnre her-
stcllen werde, tvelche eine kürzere Verbindung zwychen Frcmk-
fuÄ-Darmstadt und dem badischcn Oberlande ergeben werde,
als die alte Bahnlinie über Heidelberg-Bruchsal.

Äkelche Bebeutung eine derartige Ausgestalrung unseres
Bahnnctzes aber für erne Stadt von der Art Heidelbergs
haben mntzte, lag auf der Hand.

Dem drinqenden Wunsche der betiligten Gemernden und
dcr Stadt Herdclberg wurde erstrnals rn einer im Dezember
des Jahres 1671 an das Grotzherzogliche Sandelsminrsterium
und arr die beiden hohcn Kammern der Ständeversammlung
gerichteten Vorstellung Ansdruck gegebcn.

Jn dieser Eingabc wurde insbesondcre auch darauf hrnge-
wiesen, tvie die Nachbarstab't Maunheim durch die zahlreichen
in der Folgc vorgenommenen Bahnbauteir in die Lage gesetzt
worden sci, die auch ihr serner Zert berm Bau der Main-Neckar-
bahn widerfahrene schlechte Behandlung wieder anszugleichen.
Auch tvurde damals schon bctont, datz die Führrmg der Marn-
Neckarbahnzüge über Friedrichsfeld-Heidelberg einen Umweg
von sechs Krlömeter bedeute.

Die Pefttion der Gemernde fand in beiden Kammern frermd-
liche Anfnahmc. Von der hohen 1. Kammer wurde drcselbe
mit allen gegen eine Stimme der Großherzoglichen Regierung
vorbehaltslos cmpfehlend übertviesen. Eine besonders tvarme
Vertreftmg tvurde ihr dnrch den Berichterstatter Graf von
Berlichmgen zu Teil (Bericht vom 11. Februar 1872). Dre
hohe zweite Kammer bcdiente sich damals zwar nicht des
Ausdrncks „cmpfehlend", weil sie den richiigen Zeitprmkt für
die Ausführrmg der betreffenden Bahn noch nicht als gekom-
men ansah. Sre erkannte aber dercn Notwendigkeit in gteichem
Matze wie hohe erste Kammer an und betonte insbesondere
datz der fragliche Zeitpunkt jedenfalls dann eintreten werde,
wann nnd bevor der Bahnbau von Schtvctzingen nach Friedrichs-
seld zur Ausführung kommcn sollte (vergl. Kommissionsbericht
des Abgcordnetcn Gertvig vom 12. März 1872).

Dcr Anspruch der Heidelberg-Weinheimer Linie auf Priori-
tät gegcnüber der Linie Schwetzingen-Frredrichsfeld tvurde in
der Folge noch zn Iviederholtenmalen ausdrücklich eingeräumt.
Das thaffächliche Ergebnis war aber, wie bekannt, eiir anderes.
Daran vermochte auch eine unterm 7. Dezember 1873 nochmals
an das Großherzogliche Handelsministerium gerichtete Eingabe
nicksts zu ändern; ebensowenrg wie eine im Jahre 1876 den
hohen Kammern unterbreitete abermalige Petitron der beteilrg-
ten Gemeinden. Friedrichsfeld-Schwehingerr wurde gebaut;

der Ausbau der Hauptlinie längs der Bergstraße aber untcr-
blieb. Auswcislrch der bezüglichen Verhandlungen der
Ständekammer tvaren hierfür vor allem finanzielle Erwä-
gungen maßgebend. Dieser Ansgang war für die nicht be-
rücksichftgte Lcmdesgegend und für Heidelberg insbesondere
umso schlimmer, als man die Linie Friedrichsfeld-Schwetzingen
in der deutlich ausgesprochenen Absicht baute, damit eine bessere
Schnellzugsverbindnng für den durchgehen-en Verkehr zu
schaffcn, indem man zugleich der früher nur als Güterbahu
gedachten Rheinthalbahn die Bedeutung erner großen, durch-
gehenden Personenlinie verlreh.

Der betrübende Ausgang dieser wiederholten Versrrche wal
geeignet, bei den beteiligten Gemeinden eine gctvisse Niederge-
schlagenheit hervorzurufen. Sie nahmen deshalb nicht nur von
wciteren Schritten bei den gesetzgebenden Faktoren Urn-
gang, sondern ließen sich auch, als mit Beginn des nächsteu
Jahrzehntcs das Prrvatkapital sich heranmachte, um die
oorhandene Lücke unseres Bahnnetzes auszufüllen, bewegen,
den betreffenden Unternehmern in verschiedeuer Hinsicht ent-
gegenzukommen. Lreber als gar nichts, tvollten sie wenigstens
eine solch kleine Abschlagszahlurrg vorerst mrnehmen; immer
aber in der sichcren Hoffnnng, datz ihrem altcn Herzeustvuusche
endlich doch cinmal die Erfüllung zu Teil wcrdc.

Jnfolge dieser Verhandlungen, welche sich lange Zeit hinaus-
zogen und zuerst nur die Strecke Heidelberg-Schriesheim. danU
auch diejenige bis Weinheim umfatzten, wurde auf Grund der
unterm 18. Oktober 1889 erteilten Konzession von dem Kon-
soriirim: Bank für Handel und Jndustrie in Darmstadt, Rheini-
sche Kreditbank Mannhcim, Bankhaus W. H. Ladenburg und
Söhne in Mannheim rmd Generalunternehmer Hermann Backft
srein in Berlin die Lokalbahn von Weinheim nach Heidelbcrg
erbaut, welche ihren Betrieb im nächsten Jahre eröffnete.

Die Erwartungen, welche man bis zu einonr gewisseu
Grade erne Zeit lang wenigstens in örese neue Anlage glaubte
setzen zu dürsen, haben sich nicht erfüllt.

Bei der Größe dcs Verkehrs, wie er auf dem südlichen
Terle der Bergstraße statrhat, mutzre es von vorn, herein schon
als nrcht unbedenklrch erscheinen, dah die Schienen dcr neuen
Bahir zum weitaus grötzteu Teile rn die Landstratze gelegt
wurden. Dre Fuhrleute, welche die Straße passieren, klagteu
deshalb auch sofort bitter über die sich aus der Geleiseanlage
ergebendeu Unzuftäglichkciten die auch bei schärfster Nebcr-
wachung der Geleiseaulage nicht verhindert werden können.
Glerches gilt von den zahlreichen Radfahrern, die zum großen
Terl der Arbeiterbevölkerung angehören, ebenso von den Rei-
tcrn usw.

Besonders empfindlich ist aber der Bahnverkehr auf der
Stratze da, wo dre Bahn durch die bebauten Oftschaften
ganz drcht an den Häusern entlang zieU, wie in WcinheirN'
Grotz,achsen, Schrresheim und anch Doffcnheim. von Herdelberg
tvo dre Bahn mehrere Kilometer innerhalb Ortsetters liegt und
zwar auf den bedeutendsten Stratzen, hier ganz zu schwcigen.
Jn den durchfahrenen Orten macht sich uicht nur eine grotze
Verkehrsstörung geltend infolge der öfteren Absperrung der
Oftsstraßen (lctzteres gilt übrigens auch für Leutershausen
und Lützelsachsen), sondern bor allem dre Bcläsftgung durch
den Lärm und den keineswegs „verzehften" Rauch. Seit der
Eröffnung des Unternehmens sind diese Mißstände alle in
ganz bedeutendem Matze gestiegen.

Diese Nachteile hätten noch leichtcr gctragen werdcn können,
wenn die neue Bahn wenigstens eine gute und zuverlässige
Verbindung unter den berührten Often geschasfcn haben würde.
Nun ist aber bekannt und in öffentlichen Versammlungen
dcr Jntereffenten bereits hcrvorgehoben, daß die auf der
Sftatze gefühfte Lokalbahn im Winter durch jeden stärkereN
Schneefall aufgehalten wird und bei gröherer Kälte ja gar
nicht.über die leicht gebaute Neckarbrücke bei Heidelberg fahreN
kann. Jm Sommer dagegen erzeugt sic einen für dic- Passa-
grerc höchst unangcnehmcn Staub. Dic Ausstattnng der Peft'o-
nenwagen stcht keineswgs auf dcr Höhc der Ansprüche, wclche
von dcm mitfahrenden Publikum erhobcn werdcn dürfen. Leb-
hafr gcklagt Ivird vor allem über dic schlcchtc Heizbarkffrt.
Auch giebt der Umstand zu Beschwerdcn Anlatz, datz das
Bahndienstpcrsonal nicht in glcicher Weisc tvic die Bedienstcten
dcr Staatsbahn im Stande sei, nnter den Mitfährcndcn dir
nötigeOrdnung anfrecht zu erhalten. Jnfolge davon gehört
das Reisen mit der Lokalbahn nicht zu den AnnehmlichkeiteN
und besonders für drc nach den Städten fahrendcn Schulkinder
crgeben sich biele Unzuträglichkeiten. Endlich ist dic Bahn
arif ihrer nördliche.n Hälfte viel zu dürftig mit Zügcn ausge-
stattet nnd bewcgt sich rm allgemcinen viel zu langsam vor-
ivärts, nm noch als ein zeitgemätzes Kommunikationsmittel
bezeichnet werdcn zrr könnerr, von den üblichen VerspätungeN
gmrz zu schiveigen.

ES dürfte deshalb, nachdcm nun seit der Eröffnnng die;er
Lokalbahn mchr als ein Jahrzehnt ins Land gegangcn, also
znr Sammlung von praktischen Erfahrnngen reichlich Gelegen-
heit gegeben tvar, nicht ungerechfferligt erscheinen, wenn dre
beteiligten Gcmeinden der badischen Bergsftahe von neucrn
auf ihr altes Anliegen znrückkommen und abermals die drin-
gende Bitte aussprcchen, cs nröge das allein ausreichende Ver-
kehrsmittcl endlich zur Ausführung kommcn, um dessen Be-
schaffung sich die beteiligten Krcise schon über ern Menschen-
alter hinaus vergeblich bemüht haben.

Datz die als Lückenbützerin eingetretene Lokalbahn, auch
Ivcnn sie anf cinzelnen Streckcn mit einem normalspurigen
Geleisc verschen werden sollte, den zu stellenden Anforderungeir
nicht zu entsprechen vermag, bcdarf nach dem oben gesagren
keiner weitcren Ausführung. Ebensowenig kann aber anderer-
seits bestritten wcrden, datz der hrer in Frage kommcnde Tcn
nnseres Landcs eili.cn gerechten Anspruch darauf besitzt, endlrck!
diejenrge Berücksichtigrrng durch eine staatlrche Vollbahn zu er-
halterr, die airdereu Landesgegenden dank der Fürsorge der
Grotzherzoglicheu Rcgieruug und der Bereitwilligkeit der hohev
Stände rnzwrschen iu so hohem Matze wrderfahren. Wir haben
früher schon auf die grotze Bedeutung hingewiesen, welche sur
dic beteiligten Gemerndeu. deren Gcmarkungen mrt Frucht-
barkeit so reich gesegriet sürd, vor allem der Han^k mrt Ool
besitzt. Derselbe könnte noch eine ganz andere Entwrckemng
nehmen, wenn die Verkäufer iu der Lage wären, das Obll
au den ernzelnen Erzeugrrngsorten drrekt rn dre Bahn zu vcr.
laden, wclche es seruem Verweudungsgebretc zufuhrt. Statl
desseu sind sie gczwungcn. ihre Früchte mehrere Stunden wett
mittels der nur wenig Schutz bietenden Fuhrwerke nach dew
Bahnhofe Heidelberg zu verbrrngen. von wo dw,ewen
dann in grotzem Bogen wieder an der Erzeugungsstelle vorber
nach Norden weitergeführt werden. Datz erne s°lche Art des
Exports. welche nicht nur mrt ganz erffeblrchen Kosten ver
bunden ist. sondcr» gar oft auch dcn Verderb der mrttels Lxe
transportiertcn Obstmengcn verursacht. wemg geergnet rst, me
Pflege des Obstbaues an der badrschen Bergstratze zu hcbe,,
wird jedem Kenner der Verhältniffe wfort ernleuchtem
dagegen eine zweckmäßige Nusgestaltung des Bahnverkeh
spcziell auf diesem Gebiete zu bcwrrkcn vermag. zergt dre Ent
ivickelung des Obsthandels der Buhler Gegend. Nach den fest
stehcnden Zahlen beträgt die Exportmenge der einzelnen n
Bctracht kommenden Gemernden ,o vrel, datz ganz gut rn de
bctrcffenden Stationen einer Hauptbahn dre notrgen Waggon
gefüllt werden könnten.

Unter ähnlichen Erschwerungen leidet der Vcrkehr nrN
Milch, mit Gartengewächsen und mrt Wcrn. AndererserA uv
bei der Landwirtschaft zu bleiben. wrrd es als hochst uachte S
empfunden. datz der in so hohem Matze statthabcnde Bezug
von landwirtschaftlichen Bedarfsmrtteln der verschredensten Ar
nicht unmittclbar dnrch die Staatsbahn erfolgen kmrn. sonderu
mit der so erheblickien besonderen Umladegebuhr belastet
 
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