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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-74 (1. März 1902 - 29.März 1902)
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Jm übrigen erhebt sich auch gegen diese Position kein W-der- j
spruch.

Schluß der Sitzung s48 Uhr. Nächste Sitzung morgen.
Tagcsordnung: Etat der Hochschuleiu

L 0. Karl'srub e, 1. Män. Die Peti!ions-Kom-
mission der Ziveiten Kammer beantragt, die Eingaben des
Vorstandes des Vereins staatlich geprüfter Werkmeister, der
Ortsbaulontrolleure Roberc Willet in Karlsruhe, Anton
Beck uud Friedrich Nüstedt in Mannbeim beir. die Ver-
staatlichung der Stellen der Bezirksbaukontrolleure der Re<
gierung empfehlend zu überweisen.

L. 0. Karlsruhe'., 3. März. Die Budget-
kommissiou der Zweiten Kammer beantragt, das Budget
des Ministeriums des Jnneru mit Ausnahme dcr Position
sür die Aufbessernng der 7 gröheren Bezirksvorstände und
der 1. Rate für die Erbauung einer Hebammenschule in
Karlsruhe (die einstweile n zurückgestellt wird), zu genehmigen.

Baden.

L.ldl. Karlsruhe, 3. Aiärz. Ueber die Erfahruugen,
welche mit den weiblichen Mitgliedern der Fabrik-
inspektion Frl. Dr. bon Richthofen gemacht wurden,
äußert sich die Großh. Fabrikinspektion u. A. folgender-
maßen: Es kann ausgesprochen werden, daß die Genannte
die Erwartungen, die man auf Grund ihres glünzend be-
standenen Doktorexamens von ihr hegte, auch in der Praxis
vollkommen gerechtfertigt hat. Außer den Betrieben mit ans-
schließlicher Verwendung von Arbeiterinnen ist ihr noch die
Ueberwachung der Zigarrenfabriken und die Besorgung der
zahlreichen schriftlichen Arbeiten, insbesondere die sich auf
die Prüfung der Arbeitsordnungen bezüglicheu Besprechungen
und die sich auf die Neagenehmigung von Zigarrenfabriken
beziehenden Arbeiten übertragen wordeu. Die Gesamtzahl
der von Frl. Dr. v. Richthofen vorgenommenen Revisionen
betrug 557. Bei allen diesen Arbeiten bewies sie eben-
soviel Verständnis wie Bestimmtheit und Takt. Jhre
Vorträge waren kurz und der Gegenstaud erschöpfend. Jn
der letzten Zeit hat sie auch die männlichen Beamten durch
jhr verständiges Eingrcifen ivesentlich nnterstützt. Jhre Art
zu redcn habe nach Mitteilung der Arbeiterpresse sogleich
die Arbeiterinnen gewonnen. Die Großh. Fabrikinspektion
schließt sich diesem Urteil der genannten Presse voll-
kommen an.

Ausland.

Belgien.

Brüssel, 3. März. Jn der Nachmittagssitzung der
Zuckerkonferenz haben die deutschen Dele gierten
dem Wortlaute des mitgeteilten Vertrages zwar grund-
sätzlich beigestimmt, aber über einzelne Punkte Bedenken
geäußert und Aenderungen beantragt, die, obgleich nicht
gerade wesentlicher Natur, dennoch die Unterzeichnung des
Vertrages und den Schluß der Konferenz verzögern.

Krgeönisse der Aröeiterverstcherung

18S4—ISVV.

Arankenkassen

Versicherte

Erkrankungsfälle

Krankbeitsraee

Einnahmen

KrankhettSkosten

A. Krankenversicherung.

1894

21 5S2
7 755 233
2 492 809
43 686 440
^lL 111509 631
^L 99 583 457

1899
22 872
9 739 875
3 476 067
60 406 638
^L 154 711407
^L 145 324 242
^L 152 356 627

Vermögen der Krankenkassen ^L 94 305 641

ö. Unfallversicherung.

Versicherte Personen 18191747 18 892 891

Uniälle 282 982 454 341

Festgestellte Entschädigungsberechtigte 69 619 107 654

Unfälle mtt tötltchem Ausgarge 6 361 8 567

Entschädigte Personen 335 432 699 223

Ausgaben an Versicherte 44 281736 ^L 86 649 916

Ausgaben insgesamt incl. Unter-
suchung, Schtedsgericht.Unfall-
verhütung, Verwaltung, Re-

servefonds ^L 64191977 ^L 101250 425

Einnahmen v. d. Berufsgenossen-
schaften rc. (Arbeilgebsrn) ^L

Vermögensvestand

64 699 1L8

^L 130129 668

^L 102 117 472

169 869 891

0. Jnvalidenversicherung.

Zahl der Versicherten 11 000 000

Einnahme
Ausgabe
Vermögensbesiand

Versicherte Personen
Krankenversicheiung
Unfallversicherung
Jnvalidenversicherung
Leistungen der
Krankenversicherung
Unfallversicherung
Jnvalidenversicherung

Jnsgesamt

inkl. Verwaltungskosten
Davon zahllen die
Versicherten seldst
Vermögensstand
Wohithalen der Versicherung.
Auf ^L 100 dcr eigenen
Beiträge der Veisichcrten
kommen an Leistungen für
die Veisicherten

„<L 101605 053
39 492804
^L 304 312 610

Hauptergebnisse.

1894

^L

^L

^L

^L

7 750 000
18 190 000
11030 000

99590 000
44 280 000
31450 000

13 000 oco

^L 156 3 8 663
^L 119 502 369
^L 847 195 467

1900

^L 10 250 000
18 89OW0
^L 13 000 000

^L 154 000 000
^L 86 650 000
108 260 000

^L 17^320 000

^L 215 210 000

126 000 000
^L 528 750 000

^L 170 80

^L 348 vlo liOO
./L 397 750 WO

^L 172 000 0 00
„/L1177 060 000

^L 13220.

Aus Stadt und Lauö.

Kniserpanorama. Eine hochinteressante Reise von Helgo-
land nach Kiel und Norwegen führt das Kaiserpanorama dem
Besucher diese Woche vor Augen. Wir erblicken zuerst die
Jnsel Helgoland, welche einer Fcstung gleich umgeben . vou
riesigen Maueru, damit sie die Fluten der Nordsee nicht gcinz
wegspüle, vor uns liegt. Sodann erblicken wir vom Strande
Helgolands aus die Uacht Hohenzollern und verschiedene Kricgs-
schiffc usw. Hieraus fahren wir an Bord der Hohenzollern
nach Kiel und besichtigen den Kieler Hafen mit zahlreichen
Kricgsschiffen, sowie eine Segelrcgatta. Wir gelangen dann
nach Norwegen, statten dcm Jnnern des Landes einen Besuch
ab, wo besondcrs die Eisberge und Gebirgslcmdschaften recht
cmziehend wirken. Nüchste Woche wird im Kaiserpcmorama
die dritrs Serie des Burenkrieges ansgestellt, woranf wir jetzt
schon anfmerksam machcn möchten.

0«. Rthletenklub Hcidelberg. Jn dem sestlich dekorierten
Saale Znr Ritterhalle hielt am vergangenen Sonntag Abend
der Athletenklub Heidelberg seine erste Schaustellnng ab. Der
Saal der Ritterhalle hat schwerlich noch so viele Menschen zu-
gleich gesehen, als an dresem Abend. Erschienen waren auher
den Familienangehörigen der Mitglicder viele Jnteressemen
der Athletik; auch Studierende, Angehörige des S. C., D. C.,
V. C. folgten den ganzen Abend der Vorstellnng mit gespann-
ter Ausmerksamkeit. Herr Philipp Schneckenberger, erster Vor-
stand, begrüßte die Anwesenden unter Vorstellung sümtlicher
Mitwirkenden des Klubs. Es begann dann die Schaustellung
mit Vorführungen der dritten, zweiten und ersten Klasse im
Stcmmen imd Hantieren von Gewichten. Der Fnstruktor
Robert Wolf hob nicht weniger als sieben Zentner. Darauf
folgten die Ringkämpfe, ansgeführt von sämtlichen Mitgliedern,
bon denen je zwei zu einem Kampfgegner ausgelost wurden.
Mit Energie ivnrden die Kämpfe ausgeführt. Die gespannten
Muskeln dcr Ringkämpfer legten Zeugnis davon ab, daß
jeder sein Aeußerstes that. um seinen Gegner zu besiegen. Auch
hier zeichnete sich Robert Wolf wieder besonders ans. Die
Sludierenden begannen cin wahres Bombardement mit Oran-
gen anf die Mitwirkenden. Es traten sodann als Ring-
kämpfer ein anderes Mitglicd und der vielfach preisgekrönte
imd gefürchtete Athlct Michael Aöictschler aus Wieblingen auf,
der an diesem Abend eine besonders anerkennenswerte Leistung
im Heben nnd Stemmen der schwersten Gewichte gezeigt hatte.
Leider koimtc der Ringkampf nicht ausgefochten werden, da
dem Mutschler an der Hand ein Unfall zugestoßen war, tvas
allgemein bedauert wurde. Dcr Kamps wird zwischen den
ziveien in der nächsten bald folgenden Vorstellnng ausgefochten
werden. Herr Hammer hielt sodann die Festredc, in tvelcher
er der schweren Kämpfe gedachte, die der Klub durchzufechten
hatte, bis er seine jetzige Stellung errang. Er gedachte der
Gründcr nnd Förderer des Klnbs und überreichte dem Grün-
der des Athletenklubs Heidelbcrg und Bundesprüsidenten
Herrn Lcopold Wimmcr mit dankbaren Worten die Urkunde,
wodurch dcr Klub sein treues nnd bewährtes Mitglied zum
Ehrenmitglied ernannte. Ferner gedachte er der jetzigen
Führnng des Klubs nnd dcmkte dem jetzigen Vorstand Herrn
Schneckenberger für seine bis jetzt so bewährte Fürsorge für
den Klub nnd überrcichte ihm einen Lorbeerkranz mit Schleifen
in den Klnbfarben. Dem Festredner ward lebhafter Beifall
gezollt nnd ein kräftiges „Heill Heil!" schloß die Vorstellung.
Es schloß sich hieran ein Festball, der unter den munteren
Weisen der Teutoniakapelle bis in den frühen Morgen einen
sehr hübschen, dnrch keinen Mißton gestörten Verlanf nahm.

st Mannheim, 3. März. (Die StelVe des Vor-
standes des städtischen Hochbanamtes) soll,
nachdem sie dnrch den im April vorigen Jahres «Dfolgten Aus-
tritt des Hcrrn Uhlmcmn nahezu ein Fahr verwaist !var. wieder
neu besetzt werden. Es werden zu diesem Behufe schon seit
längerer Zcit mit dem 38 Jahre alten Stadtbaninspektor Richard

P errey in Breslau Unterhandlnngen gepflogen. SchV* .
vor ca. vier Wochen hatte sich der hiesige Bürgeraussch'E
m emcr vertraulichen Sitzung mit der Anstellung d'ieses. Herr"
zu beschästigeu. Bei dieser Besprechnng stellte sich aber
aus, daß der Bürgerausschuß mit dem Engagement diest»
Herrn Perrey zwar voll einverstanden war, es jedoch aülehiuc-
ihn sofort auf Lebenszeit anzuftellen. Der Stadtrat knüps!^
hierauf nene Verhandlungen mit Herrn Perrey an, und diest
führten dazu, daß Herr Perrey seine Forderung auf lebens^
längliche Anstellung fallen ließ und sich mit folgender FassiuA
7>es Kündigungsparagraphen einverstanden erklärte: Fall^
der Lckadtrat es für geboten erachten sollte., von dem Kündl(
gungsrecht Gebrauch zu machen, so wird Herrn Perrey nnndlL
stens anderthalb Jahre vor dcm thatsächlichen Ausspruch det
Kündigung vertraulich mitgeteilt werden, dasz eiue KündigunS
seinerseits erwünscht sei. Die Kündigungssrist ist auf scE
Monate festgcsetzt. Herr Perrey erhält einen Anfangsgehast
von 8000 Mark, der von zwei zu zwei Jahren um je 500
bis 11 000 Mark steigt. Auch in Bezug auf die Witwei^
nnd Rnhegehaltsbestimmungen sind Herrn Perrey, der als einc
Antorität auf dem Gebiete des Hochbauwesens gilt, weitgehende
Vergünstigungen eingeräumt worden. — Jnfolge des starkeN
Geldzuflusses bei der hiesigen Städtischen Sparkasse hat det
Stadtrat die Ermäßignng des Zinsfuszes für die Sparkassenein^
lagen beschlossen, und zwar sollen vom 1. April dieses Jahr^
ab für Einlagen von über 500 bis 5000 Mark 3 ProzeN)
(seither 81L Prozent), von über 5000 bis 15 000 Mark
Prozent, seither 3 Prozent Zinsen vergütet werden.

80- Karlsruhe. 3. März. (Um diehalben Kilo-
metcrhefte), die sich von den ganzen beinahe gar nräls
unterscheiden, deutlicher erkennbar zu machen, werden nunmeh^
die Einlagcblätter im grünen Druck hergestellt, ebenso wsr'd
znm Bekleben des Rückens der Hefte zu 500 Kilometer grüas
Leintvaild verwendet. Diese Vcrfügung ist im Jnteressc de>t
Reisenden sehr zu begrühen.

Sdl. Karlsruhe, 3. März. (F l o t t c n b e r e i n.) Jn det
letzten unter dem Ehrenborsitze des Prinzen Karl abgehaltcinR
Hauptversammlung des Badischen Landeskomitees des deutsckM
Flottenvereines erstattete der Vorsitzende des geschäftsleitcN^
den Ausschusses, Oberstleutnant a. D. bon Stabel den Reästn^
schaftsbericht. Ganz besonders wurde in dem Berichte hervoft
gehoben, daß znr Ausgleichung dcr Rllckstände,. wclche dnrä>
die bei der Zentralleitung begangenen Mitzgrisfe veranlatzr
worden waren, nicht ein Pfermig der Mitgliederbeiträge ve^
wcndct werden mnßte und daß überhaupt die neucn Verhältnisi^
des Hanptvereines in Berlin sicki in letzter Zeit so gebesscch
hätten, daß man der Hoffnung Ausdruck gebcn dürfe, der Vereii'
werde nach Ueberwindung der schweren Krisis des VorjahrcZ
wieder Vertrauen finden und so auch wieder befähigt werdew,
cine fruchtbringende Thätigkeit zu entfalten. Nack dem vol>
dem Schatzmeister des Vereins Herrn Oberrechnungsrat Kirsäl
erstattetcn Kasienberichte haben die Einnahmen gegenübcr delü
Jahre 1900 einen nnr unwesentlichen Rückgang, die AusgabcN
dagegen wegen der von den Landesvereincn übernommenen Veft
teilung der Vereipsschrift eine Erhöhung erfahren. Die Rcäsi
nungen des Jahres 1900 sind bon den RechnungsprüfcrN
richtig befunden worden. Bei der Neuwahl des gc(
schäftsleitenden Vorstandes wurdcn die bisherigen Mitgliedes
desselben einstimmig wiedergewählt und sodann Herr Doktw-
Schinzinger-Emmendingen in den Landesansschuß berufcw
Hieranf war die Sitzung beendet.

ödl. Karlsruhe, 3. März. Jn einer heutc abgehaltencil
außerardentlichen Generalversammlung dcr „Gesellschaft f^F
elektrische Fndustrie Karlsrühe" gab die Direktion einen Ueber^
blick über bie Lage der Gesellschaft und legte einen Reorga^
nisationsplan vor, der die Liquidation verhindern nnd Lbcl
die wirtschaftliche Depression hinweghelfen soll. Derselbe be^
zweckt die Ansckaffung von baren Betriebsmitteln, sowie vvis
Reserven zur Tilgung von Untcrbilanzen nnd möglichstek
Konsolidierung der sckwebenden Schnld. Dazu seien 500 ÜOO
Mark neue Mittel erforderlich. Die Reorgcmisation sei si''
reicht, wenn öie Hälfte, also etwa eine Million Mark Uftieü
die vorgescklagene Zuzahlimg und Abnahme von Schuldveft
sckreibung bewirken. Jn der mehrstündigen Debatte sprackcü
sich einige Akkionäre-Vertreter gegcn diesen Scmierungsplaü
aus unsi hielten eine Liguidation für die ricktige Lösung, wcnv
nicht die engagiertcn Banken der Gesellschaft mit weitcreii
Mitteln beispringen wollten. Rcchtsanwalt Dr. Friedr. Weil >
trat für den Reorganisiernngsvlan ein, der geeignet ersckeiiK'
die Verhältnisse der Gesellschaft zu scmieren. Definitive Bc(
schlüsse wnrden nicht gefaßt nnd Anträge. für die nächste Gene^
ralversammlnng, die etwa in vier Wochen stattfindet, vorbc^.
halten.

Wegierungen und Ieitnngen.

Die „Kölnische Zeitung" schreibt: .

Von den Ansprächen, die P r i n z Heinrich bis jcv^
bei seinem Besuche in Amerika gehalten hat, zeigte seine Rcdc
auf dem Mahle derPresseam meisten individuelle Färbnnsi-
Sie tvar außerdem besonders interessant, iveil er üns darv
Anschauungcn seines kaiserlichen Brnders über Zcitnngen nne
Zeitungsschreiber übermittelt hat. Man neigt im allgemcinc?
dazu, Fürsten und Zeitungsschreiber als widerstrebende Polc
zn betrachten, die ihrer Natur nach darauf angewiesen seiew

nicht, wie es ihr Herz ersehnte, auf feinere Weise beglücken,

nun wohl, so tvollte sie es in den materiellen Dingen thun,
aus die er so großes Gewicht legte. Jn der sreudigen Erfüllung
dieser Pflicht hoffte sie allmählich zu jener inneren Befriedi-
gung zu gelangen, die ihr schon so früh in ihrer jungen Ehe
versagt war.

So lagen die Dinge, als ein dunkles Verhängnis jählings
nllen Hoffnungen und Entwürfen ein Ende zu machen drohte.

Die Nachwirknngen der vorjährigen Krisis waren durch
die unverwüstliche Lebenskraft der Hansestadt, von der sie
schon so viele Beispiele gegeben hatte und in späteren Jahren
noch geben sollte, wider alles Erwarten gut überwunden, als
eines Tages eine neue Schreckenskünde anftauchte, die stn
ersten Augenblick große Bestürzung crregte: in einem Hause
der Langenreihe in der Vorstadt Sankt Georg sollten die
Blattern ausgebrochen sein.

Das zuerst nur unbestimmte und mit den üblichen Ueber-
treibungen auftauchende Gerücht war bald offiziell be-
stätigt und die Furcht, daß eine allgemeine Epidimeie auf-
treten Ivürde, bemächtigte sich der Gemüter. Einige Tage
lang hatten die Aerzte von früh bis abends spät kaum etwas
anderes zu thun, als zu impfen und die Patienten, die jeden
leichten Frost- und Hitzanfall für ein Vorspiel der gesürchte-
ten und entstellenden Krankheit hielten, zu beruhigen.

Die cmfängliche Panik legte sich jedoch ebenso rasch
tvieder wie sie gekommen war, als die angeordneten strengen
Absperruiigsinatzregeln eine weitere Ausbreitung der Krank-
heit verhinderten nnd die Erkrankungen auf eine geringe Zahl
beschränkt blreben, Todesfälle kamen höchstens zehn vor, und
innerhalb eines Monats war die Epidemie, wenn von einer
solchen überhaupt/s>ie Rede sein konnte, erloschen.

Als Paul mit jener ersten Nachricht nach Hause kam, ward
sogleich beschlossen, daß auch er und Anna die seit der Jugend-
zeit nicht mehr erneuerte Jmpfung nachholen sollten. Aber
beibe gehörten nicht zu den surchtsamen Naturen. Sie hielten
die Sache nicht für so dringend, und als zwei Tage verflossen
waren, ohne daß die Krankheit nennenswerte Fortschritte
machte, hatten beide vergessen, daß sie sich dcigegen schützen
wollten.

Eine Wvche vcrging, da klagte Anna eines Morgens über

Kopstveh.

Paul, der es nicht leiden konnte, wenn seiner Frau eine
Kleinigkeit fehlte, weil er es dcmn zn Hause unbehaglich fand,
brummte verdrießlich:

„Das ewige Kopftvehl" und ging fort, ohne der Sache
Bedeutung beizulegen.

Aber Mittags war Anna fiebernd und Paul ordnete an,
dah ein Arzt geholt werde. Denn trotz seiner unfreundlichen
Redensart von heute früh wuhte er ganz gut, daß Anna von
einem leichten Unwohlsein niemals viel Aufhebens machte.

Als er Abends nach Hause kam, wurde ihm zu seinem
Schrecken mitgeteilt, daß er nicht zu seiner Frau hinein dürfe,
weil der Arzt einen Anfall der Blaftern tonftatiert habe. Eine
Wärterin war bereits geholt, jede Vorkehrung für eine zweck-
müßige Pflege getroffen worden. Gegen zehn Uhr wollte
Herr Dr. Eberhardt noch einmal vorsprcchen.

Paul setzte sich zum Essen nieder, aber es wollte ihm nicht
schmecken. Fehlte ihm doch am Ende die freundliche Gestalt,
die ihm sonst gegenüber saß? Vermihte er die traute Hand,
die so liebevoll für seine Bedürfnisse sorgte? Nein —
wenigstens redcte er sich ein, daß es nicht das sei; es war,die
Besorgnis um Anna, dte ihm den Appetit raubte. Er täm
sich schr tngendhaft vor, daß ihm die Krankheit einer Frau, die
er doch eigentlich nicht liebte, so nahe ging. Das war für
das Gewstsen so wohlthuend, so beruhigend: nur ein unbe-
haglicher Gedcmke drängte sich in diese angenehmen Erwä-
gungcn ein, die Erinnernng an sein nnfrcundliches Wort von
hente INorgen. Es war das letzte, was die Kranke von ihm
gehört hatte, wenn cs das letzte bliebe?

Cr schüttelte sich und wollte den peinigenden Gedanken
verscheuchen, der wie ein tückischer Dämon immer wieder kam
und alle Bemühnngen, sich in selbstzufriedene Betrachtungen
zu wiegen, störte. Paul ward ärgerlich über sich selbst, erst
über dre Zartheit seines Gewissens, dann äber, da diese Jllu-
sion nicht lcmge vorhielt, Lber seine Rohheit von hcute Morgen.

„Wenn Anna genesen ist, so werde ich nie wieder etwas
sagen", gelobte er sich.

Wennl

Paul sprang aus und ging unruhig stn Zimmer auf und all
* Dies Wenn quälte ihn furchtbar. Wäre er doch sci»cw
ersten Antriebe gefolgt nnd hätte er sich und Anna impfca
lassen. Aber Anna war immer so gleichgiltig, sie hüj^e dasU-
sorgen sollen . . - plötzlich brach er in cin zorniges Lachc"
aus und ricf halblaur: „Schon wiederl" Zum erstemnwc
empfand er, wie häßlich die Gcwohnheit, an allem Widrigcu
Anna direkt oder indirekt die Schnld aufzuladen, seinen Charaft
ter kennzeichnete.

Das Mädchen trat ein, und fragte, ob sie abräumen zolli^

„Nein, lassen Sie stehenl" sagte Paul. Jch werde esscu,
wenn der Doktor dagewesen istl" ^

Früher, als er versprochen, erschien der Arzt und doch tas
es Paul vor, al^ habe er eine Ewigkeit darauf warte>
müssenl ^

Der Arzt blieb ziemlich lange bei der Kranken; ehe e<-
foriqing, sührte er noch eine kurze Unterhaltung mit Paul.

„Jch hoffe, es droht keine Gefahrl" erklärte er. „Di'
Krankheit verläuft im allgemcmen gutartrg und Jhre Fra
Gemahlin hat nur wenig Pusteln. Wenn es so bleibt, hat
nichts zu sagenl"

„Darf ich nicht hinein, zu ihr?" fragte Paul.

„Ja, warum nicht gar!" schalt der Doktor. „Sie wollci
wohl die ganze Wclt anstecken? Nichts dal Uebrigens loa
. ich Sie von Jhrer Frau grüszen. Sie fiebert etwas und oi
quält sie der Gedanke, Sie könnten nicht zu Jhrem Recht koni"
men. Sie hat mich zweimal darnach gefragt." ..

„Wie Sie sehen, fehlt es mir an nichts", sagte Paul stii,
etwas imsicherer Stimme. „Nur dah ich allein am TrM
sitzen muß, ist . . . ." er snchte nach einem passenden Wortb'
ohne eines zu finden; es stand Wein auf dem Tische, er scheini
zwei Gläser voll und bot eines dem Arzte an.

„Hm — guter Rotwein — natürlich! Wo sollte Nia
den gut bekommen, wenn nicht bei Jhnen?" Dr. Eberhar
trank aus und wandte sich zum Gehen.

„Run, hoffentlich wird der Theetisch bei Jhnen nick
lange verödet sein. Morgen früh komme ich wieder. GNi
Nachtl"

(Fortsetzung folgt.)
 
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