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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 101-124 (1. Mai 1902 - 31. Mai 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23860#0878
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dre Lrnsmheilanstalt imd aiich doren hoffentlich recht bald
ins Leben tretende Säuglingsslation unseren Mitbürgern
tion Reuem wärmstens an Herz zu legen,

O Fahrprersermäßiguirg su, ^ic Licmcher der Gewcrbeüu"-
stellung tm Grojzh. Schloß >n Mannheim wuide in der Weise
bewilltgt, daß die bei deu Stationen des Handwerkskammer-
bczirks Mannheim (umfassend die Kie>se Mannheim, Heidelberg
und Mosbach) am Mittwoch jeder Woche gelösten einfachen Fahr-
karten 3. Klasse nach Mannhcim am gleichen und am folgenden
Tage auch znr Rückrcise berechtigen, wenn sie in der Ausstellung
abgestempelt sind,

SL, Offenburg, 6, Mai, (Jtalienischer Messor-
stecher,) Der 34 Jahre alte, vcrheiratete Fabrikarbeiter
Josef Presotto wurde von dem 20 Fahre alten Jtaliener An-
tonio Stimäto aus Venedig mit einem Mctzgermesser durch
vier Stiche in don llnterleib gestocheu und lebensgefährlich ver-
letzt, Dcr Thäter wurde in Griesheim unter Beihilfe eines
beherztc» Radfahrcrs durch hiesige Schutzlcuie cingeholt und
in das Amtsgefängnis hierher eingeliefert,

öO, Schönmald, 6, Mai, (Von eincm schweren
II n g l ü ck ) ist die Ehefrau dcs Taglöhners Lorenz Pfaff
betroffen worden, Dieselbe wolltc auf der Nachtküche für ihr
Leinstes Kind Milch wärmen, verschüttete aber etwas Spiri-
tus, der sich entzündete und ihr Nachtgewand in Brand stcckte,
Statt sich nun in das ncbenstehende Bett zu legen, um die
Flamme zu erstickcn, trat sie unter die Kammerthür, wo der
Luftzug das Feuer noch begünstigte, Sie war ganz in Feuer
gehüllt, als man aus dem anderen Teil des Hauses ihr zur
Hilfe eilte und die noch übrigen Fetzen vom Leibe riß, Es
besteht wenig Hoffnung, für die Erhaltung des Lebens der
erst 24jährigen Frau,

— Personalnachrichten, Aus dem Bereich des Großh. Gen-
darmerie-Korps. Zu provisorisckien Gendarmen wnrden ernannt:
Weinig, Frsin, Serpeant nom 2 Bod. Grenadier-Reaiment
Kaiser Wühelm I.. Nr. 11t). V rietzt: d!e Gendarmen: Zieg-
ler, Friednch, von Gppingen nach Mosbach und Schweizer,
Georp, von Neunkirchen nach Eppingcn.

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Meöer das Kisenöahnunglück öei Afchortau

machte Minister v. T h i e l e n am 6. ds. im Preußischen
Abgeordnetenhause folgende Mitteilungen: Der be-
klagenswerte Unfall, der gestern Morgen gegen 4 Uhr an
der Grenze zwischen Preußen und Sachsen, ganz un-
unttelbar bei der S-tation Zschortau sich sreignet hat, ist
herbeigeführt worden durch den Bruch der letzten Tender-
achse, die 1893 vou der Firma Krupp geliefert wordeu
ist. Die Maschiue ist von 1898, also noch zu deu neuen
Maschinen zu rechnen. Daß die Maschine schon vorher
glühende Eisenteile von sich geworfen haben soll, wie
von Zeitungen borrchtet wird, ist höchst unwahrscheinlich.
Der Unfall hat sich folgendermaßen zugetragen, soweit
bis jetzt hat festgestellt werden können: Der 4>-Zug
München-Berlin, der über Hof und Leipzig geht, ist von
Leipzig abgefcihren, nachdem die Maschine dort gewechselt
lvorden war, in vollkommen betriebsfähigem Zustande.
Etwa 1400 Meter vor der Station Zschortau ist, wie sich
nachträglich herausgestellt hat, die letzte Tenderachse in
ber Nabe, und zwar auf beiden Seiten, gobrochen. Das
herausgebrochene Stück ist vermutlich eine Zeitlang auf
> den Bremsgestängen hängen geblieben nnd dann aus eine
nnerklärliche Weise durch die laufenden Räder hindurch
zwischen dem einen und dem anderen Geleise hingeworfen
worden. Die beiden nicht mehr durch die Achse ver-
bundenen Räder sind zunächst ruhig weitergelaufen, erst
etwa 800 Meter vor der Station, als die Einfahrtsweiche
kam, ist erst das rechte Rad, dann das linke Rad zusam-
mengebrochen, währscheinlich dnrch dsn Einfluß der
Weiche. Die Räder sind nach innen gefallen. Der hinter

dem Tender folgende Gepäckwagen ist ruhig darübcr weg-
gekommen, hat aber wahrscheinlich das rechte Nad in
seiner Lage verändert nnd infolgedessen ist der nachfol-
gende italienische Dreiachser aus dem Geleise geworfen
Ivorden und sofort nmgekippt, weil er wahrscheinlich
dnrch dieses Rad eine einseitige Bewegung nach außen
bekommen hat. Der alsdann folgende Wagen, ein baye-
rischer Dreiachser, ist nach der anderen Seite umgefallen.
Soviel festgestellt ist, hat der Reichstagsabgeoisdnete
FriedeI in seinem Abteil am ofsenen Fenster gestan-
den. Wahrscheinlich ist ihm die schüttclnde Bewegung
des Zuges auffällig geworden; er hat das Fenster geöfs-
net und sich daran gestcllt, nnd als der Wagen zum
Umwerfen gekominen ist, ist er herausgeschleudert und
von dem Wagen erdrückt worden. Anf dieselbe Weise
ist auch vermutlich Frau Hirsch in dem anderen Wagen
vernnglückt. Sie hat nicht in ihrem Abteil, sondern im
Gange am Fenster gestanden, aber auch am geössneten
Fenster. Das sind Vermutungen bezüglich der Vernn-
glückung dieser beiden Personen, die eine hohe Wahr-
scheinlichkeit für sich haben. Der dritte Wagen, ein pren-
ßischer Vierachser, ist auf dm Schienen geblieben, ibm
ist weiter nichts Passiert. Außer den beiden Getöteten
sind sechs Personen verletzt, von denen zwei als schwer
verletzt zu bezeichnen sind, nämlich ein Kausmann aus
Posen, der gine schwärs Gehirnerschütterung erlitten
hat, nnd eine Dame aus Freising, bei der es sich nm
Kniescheibenverlehung handelt. Sie ersehen ans dieser
Darstellnng, wie, soweit es die Ursachen des Unglücks
betrifft, es wohl als unzweifelhaft hingestellt werden
kann, daß irgend eine Verschuldung der Eisenbahnver-
waltung oder eines ihrer Organe nicht vorliegt. Es ist
ein durch elementare Gewalt herbeigeführter Unglücks-
fall. So bedauerlich es ist, daß solche Fälle in der
Eisenbahnverwaltung sich immer noch ereignen, giebt es
doch bei aller Sorgfalt in der Auswalst der Betriebs-
mittel und trotz der gewissenhaften Revision keine Mög-
lichkeit, ihnen vorzubeugen. Jm vorliegenden Fall muß
die Achse einen ganz kleinen Riß gehabt haben, der sich
der Wahrnehmung entzog und den man deshalb nicht
vorher entdecken konnte. Das Material war das beste,
iiber das wir verfügen.

Kleine Zeitung.

— Hochschulnachrichtcn. Jn der Gesamtsitzung der
preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin am
24. April hat, wie wir der „Vossischen Zeitung" ent-
nehmen, die physikalisch-mathematische Klasse bewilligt:
Herrn Pros. Dr. Th. Boveri in Würzburg zur Fortsetz-
nng seiner Untersuchungen über die erste Entwickelung
der tierischen Eies M. 700; Prof. Dr. R. Brauns in
Gießen zu einer Untersuchung der znr Diabasgruppe
gehörenden Gesteine des rheinischen Schiefergebirges
M. 1200; Dozent Dr. O. C o h n h e i m in H e i d e l -
berg zur Fortsetzung seiner Untersuchungen iiber die
Resorption bei Wirbellosen M. 700; Dozent Dr. M.
Rothmann in Berlin zur Untersuchung anthropomorpher
Asfen hinsichtlich der Funktion der Pyramidenbahn Mark
1000; Prof. Dr. AI. Tornqnist in Straßburg zu geo-
logischen Untersuchungen auf der Jnsel Sardinien Mark
1600; Dozent Dr. A. Tschermak in Halle a. S. zu einer
Arbeit über das Binocularsehen der Wirbeltiere M, 300.

— Gcrmershcim (Pfalz), 5. Mai. Ein äußerst ver-
wegener Straßenraub wnrde gestern bei einem
benachbarten Dorfe am hellen Tage ausgeführt. Der
Handelsmann Ferdinand Meyer von Oberlustadt wollte
stch zum Vieheinkauf nach Knittelsheim begeben. Jm
Walde zwischen Zeiskam und der Knittelsbacher Mühle
trat demselben plötzlich ein ungefähr 40 Jahre alter
Unbekannter mit der Frage, welche Zeit es sei, entgegen.
Auf die Antwort Meyers, er habe keine Uhr, riß ihn der
Wegelagerer rücklings nieder und raubte dem Ueber-
fallenen Uhr samt Kette, sowie annähernd 400 Mark
Bargeld und verschwand alsbald wieder im Gebüsch.
Nachdem Meyer etwa eine halbe Stnnde besinnnstgslos
liegen geblieben war, nahm ihn eine des Weges daher
kommende Fuhre mit nach Zeiskam, von wo aus die
hiesige Gendarmerie telegraphisch von dem Ueberfall ver-
ständigt wurde. Bis heute konnte der Thäter noch nicht
srmittelt werden.

— Einc Bcgnadigung. Weil er das Eisenbahnunglück
von Ludwigshafen verschuldet hatte, war der Lokomotiv-
führer Bauer von S>traßburg von der Straskammer zu
Frankenthal zn drei Monaten Gefängnis verurteilt wor-

den. Der Prinzregent hat nun laut „Straßburgei'
Post" die Strafe des Lokomottvführers, der bei deM
Unglück ein Bein verloren hat, im Gnadenwege in drei-
wöchige Festungshaft umgewandelt.

— Das Auftrctcn dcs dcntschcn Kronprinzcn in
Düffeldorf hat aus alle Festteilnehmer einen sehr sympa-
thischen Eindruck gemacht. Die „Neue Zürcher Zeitung"
berichtet über den Kronprinzen: Als der junge Kron-
prinz sich nnter Fanfarenstößen zu seiner Rede auf das
Gedeihen der Ausstellung erhob, stiegen selbst die ältesten
Kommerzienräte auf die Stühle, um besser sehen und
hören zu können. Der Kaisererbe besitzt noch ganz den
Reiz der liebenswürdigen Jugendlichkeit. Als diese
Versammlung meist bejahrter Herren die bekannte Preu-
ßenhymne sang mit dem Refrain: „Liebling des Voltes '
zu sein, Heil Kronprinz dir!" senkte er nttt schüchternem
Vergnügen die Augen und errötete bescheiden bis über
die Ohren, was die allseitige Freude steigerte. Dann
begann er seine eigene Rede, erst leise, dann lauter
und mit wachsender Unbefangenheit vorzulesen. Er er-
regte lebhafte Zustimmnng, als er dann sagte, wie durch
die Verbindung von Jndustrie und Kunst anf dieser Aus-
stellung vor aller Welt betundet werden solle, daß das ^
deutsche Volk trotz energischem Wettbewerb auf materiel-
lem Gebiete nicht daran denke, seine idealen Aufgaben
zu vernachlässigen. Ebenso, als er sein Hoch ausbrachte
auf alle, die an der Ausstellung mitwirkten und zwar
vom ersten Leiter bis zum letzten Arbeiter. Zu der
schmächtigen Jünglingsgestalt nttt liebenswürdig weichen
und milchbärtigen Gesichtszügen machte der bescheidene
Ernst und der Versuch, möglichst bestimnit zu sprechen,
einen sehr artigen und reizvollen Eindruck, so daß wieder-
holtes Händeklatschen und lebhaftes Bravo den jungen
fürstlichen Herrn in seinem ersten größeren oratorischen
Versuch frenndlich ermunterte. Der Kronprinz ähnelt
noch sehr viel seiner Mutter und ist im persönlichen Auf-*
treten sehr sympathisch. Er ma-cht den Eindruck eines
jnngen Herrn, der seine fürstliche Repräsentationspflicht
mit gewissenhaftem Eiser vollzieht, wie ihm überhaupt
ein sttller Ernst und ein starkes Pflichtgesühl von ver-
trauten Kennern seines Charakters nachgerühmt werden.

— Die Hungcrsnot scheint im westlichen Sibirien
fast noch schlimmer zu herrschen als in den südöstlichen
europäischen Gouvernements. Aus Barnanl wird be-
richtet, daß Tausende von verhungerten Tieren als Kä-
daver an den Straßen und bei den Ortschaften herum-
liegen und die Luft verpesten. Die meisten Bauern
haben sast nichts mebr zu essen, da auch die bisherigen
Surrogate sür Mehl usw. ausgehen. Getreide ist zwar
vor Monaten von der Regierung in jene Distrikte gesandt
worden, aber infotge der Uebelstände auf den Eisen-
bahnen noch immer nicht angelangt. Auch dort gärt
es deshalb von Tag zn Tag mehr.

— Empfehlenswcrt. Tochter des Hauses: „Kochen Sic
auch perfekt?" — Köchin: „O gnädiges Fräulcin, ich habe schon
mindestens ein Dutzend Mäüchen unter die Haube gekocht!"

— Ballgespräch. „Nehmen Sie es mir nicht übel, gnädiges
Fräulein, datz ich meine Gefühle nicht wärmer ausdrücken
kcmn — aber ich bin Direktor bei der grotzen Kühlanlage!"


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sich aber unrnhig herum und stöhnte, wie von schweren Träu-
men geplagt, laut aus.

Als sie wieder hinabkam, sah Reiner noch immer »m Tisch,
die Stirne gefnrcht und mitzvergnügt vor sich hinstarrend.

Trude setzte sich zu ihm.

„Bist du böse auf mich, Just?"

„Itein, du kannst ja nichts dafür, datz er nun doch wieder
da istl Aber datz ich mich nicht freue darüber,

Larfst dn mir auch nicht verdenkenl Und datz er so bald wie
möglich weg mutz, wirst du wohl selbst einsehen!"

„So bald als möglich — ja", erwidertc sie. „Aber ein
paar Tage wirst du ihn schon mir zu Liebe dabehalten müssen.
Rausjagen wie einen Hund latz ich meinen Vater nicht. Wes-
halb denn auch? Er hat keinen Diebstahl nnd keinen Mord auf
dem Gewissen."

„Nennst du das keinen Diebftahl, wenn man des Her-
zogs Wild schietzt und heimlich verkauft? Wär's etwa nur
gestohlen, wenn ein halbverhungerter, armer Teufel irgendwo
ein Brot oder ein paar Pfennige mitgehen heißt? Und

keinen Mord-ja, ich will's hoffen, datz niernand durch

ihn um's Leben gckommen ist! Aber kurz und gut, unter meinem
Dach tangt er mir nicht; er mutz fort, je eher, je lieber. Fn
allen Dingen habe ich dir bisher nachgegeben, aber was das
anbelangt — da wahre ich meinen eigenen Willenl"

„Wo soll denn der Vater hin?"

„Das wird sich schon finden. Gleich morgen sehe ich
mich um. Die Erntezeit ist nahe, da werden überall Arbeiter
gebraucht. Sich hinsetzcn und faulenzen, darf er doch nicht.
Auf irgend einem Bauernhof, möglichst weit weg von hier,
wird er schmi unterzubringen sein."

„Zum Vogelschießen willst dn wohl setzt auch nicht mehr
gehen?"

„Jch hab' dir's versprochen nnd darnm bleibt's auch dabei.
datz wir hingehenl"

Aus ihren schwarzen Augen brach es wie Sonnenglanz,
als sie sich auf die Fußspitzen hob nnd ihm die üppigen, kirsch-
roten Lippen zum Kusse bot.

Fünftes Kwp'itel.

Am nächsten Morgen jammerte Marburg, datz er sich wie
zerschlagen fühle, und er sah wirklich sehr clend aus.

„Bleib' nur liegen", sagte Gertrud. „Jn ein paar Tagen
wirst du dich schon erholen und wieder arbeiten körmen. Bist
ja noch nicht so alt, Vater — kaum fünfzig Jahre."

„Ja, das Alter, das wär's wenigste — aber so'n Hunde-
leben, wie ich's geführt hab, üas macht den Menschen vor
üer Zeit kaput. Herr Gott, mancher ist doch auch das reine
Lasttier und hat nichts wie Mühe und Plage. Da heißt's
innner vorwärts, vorwärtsl so lange einer nur noch kriechen
kann. Kaum eine harte Brotkruste wird ihm von denen ge-
gönnt, die mitten im Fett drinnen sitzen. Jch wollte, die
Welt ging unter nnd alles hätt' ein Endel Erbärmliches Leben
— zu schlecht für einen Köter l"

„Wie man's trcibt, so geht's" ertönte dazwischen- die
barsche Stimme der Lore Elzner von der Thüre her. „Wa-
rum bist dn kein ordentlicher Mensch geworden, der was vor
sich bringt? Jetzt kannst bu dir die Jammerei ersparen; sie hilft
nichts mehr. Da hast du einen Teller Suppe, später bring'
ich dir Fleisch, damit du wieder zu Kräften nnd auf die Beine
kommst. Dann schnürst dn aber dein Bündel und machst,
datz du weiter ziehstl"

Wo denn hin?"

„Was geht's mich an? Bist du zwölf Jahre ohne uns
fertig geworden, so wird's ja künstig auch gehen."

Während sie wieder hinabstteg, schüttelte Marburg die
Faust nnd murmelte Flüche. Er ivutzte selbst nicht, wen cr
eigentlich bedrohte, aber im Gefühl seines Elends packte ihn
eine blinde Wnt gegen das ganze Menschengeschlecht. Er
hatzte nnd verwünschte jeden, dem es besser ging, und der
ein behagliches tzeim hatte.

„Hör' anf, Vaterl" sagte Gertrud endlich. „Wenn's
dir hart ergangen ist, so kann doch kein anderer dafnr. Des-
megen brauchst du nicht zu fluchenl"

„So keiner könnt' was dafür? Jch weitz schon einen,
dem ich mein ganzes Unglück berdanke —- und wenn ich's

ihm einmal heimzahlen karm, dann geschieht's mit ZinseN
und Zmseszinsen — und mützt' ich gleich deswegen in die
Hölle runter für alle Ewigkeit!"

„Von wem red'st du denn?"

„Von dem da drüben, vom Oberförster!"

„Still, sttll, Jesus, wenn das der Just hörtel"

Sie pretzte ihm die kleine, braune Hand auf den Mund.

Wütend sttetz Mathias sie zurück. „Na, und wenn er's
hört? Was dann weiter?"

„Um Himmelswillen, da mütztest du gleich anf der Stelle
fort. Der Herr Baron ist ja sein Pflegevater, und auf deN
schwört cr wie auf den lieben Herrgott selbst!"

Sie schlich znr Thür und lauschte.

„Gott sei Dank, er geht schon fort und hat nichts verstaM
den. Aber so was darfst du ihn nicht hören lassen."

„Na, so sag' ich's zu dir! Wegen ein paar Scheite Holz,
die ich in höchster Not heimgeschleppt hab', hat er mich eiw
sperren lassen. Und hernach war's aus mit mir. Keiner hat
mich mehr in Arbeit nehmen wollen und wenn's ja einer ge(
than hat, dann ging die Hänselei los, bis es zu einer Balgerei
kam und ich wieder aus dem Haus geworfen wurde. — Und
dann — na, davon reden wir lieber nicht — dann gab's wiedee
eine lange Untersuchungshaft — aus der hat man mich raus-
lassen müssen, aber jetzt war's ganz vorbei. Daheim lag das
kranke Weib, und dn warst da — so'n kleines, hungriges Ding
— da hab' ich aus reiner Not ein paar Rehböcke und Hasen
geschossen und bin dann wieder ins Gefängnis gewandert, denN
nberall gieb's ja Aufpasser unter dem verwünschten Jägervolk.
Als deine Mntter in ihrem Armensarg endlich eingescharrt war,
da zog ich meiner Wege, und dich hat die Muhme Elzner gc^
nommen. Jch bin in die neue Welt gezogen, weil ich mir eiw
bildete, da giebt's noch was zu verdienen, nnd ich könnte dickl
später gar als reicher Mann nachholen, damit war's nichts-
Mtmchem sitzt eben das Unglück immer im Genick. D!an schleppt
sich halbtot dran und kann's nicht abschütteln. Der Teufel
hole die ganze Welt und was drauf lebt!"

(Fortsetzung folgt.)
 
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