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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Januar bis Juni)

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Nr. 101-124 (1. Mai 1902 - 31. Mai 1902)
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Deutsches Reich

Elsaß-Lothringen.

— Einen interessmilen Prozeß mird. Zeitimgc'ineldnn-
gen zufvlge, nächstenS die R e st a u r i e r u n g der
H o h k ü n i g s b u r g nach sich ziehen. Baurat Wink-
ler aus Colmar beansprucht von der Stadtverwaltung
Schlettstadt sür Ausarbeitung eines Projekttz der Re-
staurierung der Hohkönigsburg ein Honorar bon 1300
Mark. Die Stadtverwaltung bestreitet, Winkler rnit
der Ausarbeitung eines solchen Projekttz beaustragt zu
haben uud verweigert die Auszahlung des HonorarS.
Da Winkler die Stadtverwaltung gerichtlich belangen
will, hat der Gemeinderat den Bürgermeister vou
Schlettstadl ermächtigt, den Prozesz gegen Winkler aus-
Zunehmen. Auf den Ausgang dieser Angelegenhcit ist
man gespannt.

Hesscn.

Dar m st a d t, 26. Mai. Im Finanzaüsschuß ha-
ben die beiden Vertreter der sozialdemokratischen und
der ZentrumSfraktion gegen den Main-Neckar-Bahn-
Vertrag gestimmt;, dafür traten nur die Nationallibe-
ralen und der Ehristlichsoziale Weidncr ein. llnter
diesen llmständen scheint die Genehmigung des Vertra-
geS durch das Plenum der Zweiten Lrammer noch nicht
gesichert zu scin.

Bayern.

M ü n ch e n, 26. Mai. Die Kammcr der
Reichsräte begann heute die Beratung des S ch u l-
b e d a r s g e s e tz e s. Eine lange Erörternng rief Ar-
tikel ü Absatz 3 hervor, wonach die Gemeinden in ge-
wissen Mllen angehaltcn werden können, K o n f e s-
s i o n s s ch n l e n für konfessionelle Minderhciten ein-
znrichten. Der ReichsratsauSschntz beantragt die Strei-
chnng dieses AbsatzeS. Freiherr v. Würtzburg be-
antragt eine ctwas modifizierte Fassung, die verhindern
soll, daß bestehende S i m u l t a n s ch n l e n auf Grund
dieses Absatzes beseitigt werden können. Jm Lanfe der
Debatte wird von vielen Seiten, darunter auch von den
Ministern Graf Crailsheim und Dr. v. L a n d-
m a n n, hervorgehoben, daß voraussichtlich das ganze
Gesetz in der Abgeordnetenkammer scheitern werde, wenn
die Reichsratskamnier diesen Absatz ablehne. Die Fassnng
Würtzburg sei die beste, da dann kein Zweifel bestehe,
daß Simultanschulen nicht ausgeschlossen seien, wenn
auch der Grundsatz der Konfessionsschule die Regel
bleibe. Schlictzlich wurde der A ntrag Würtzb u r g
mit großer Mehrheit angenommen.

Sachscn-Weimar.

W e i m a r, 25. Mai. Der Fall Weingart
hat einen besonders bemerkcnswerten Entschlntz gezei-
tigt: Die Gemeindevertretung Nöda beschlotz, nachdem
der Großherzog von Sachsen-Weimar es endgiltig ab-
gelehnt hatte, den einstimmig gewählten Pastor Wein-
gart zu bestätigen, fortan f r e i r e l i g i ö s e Vo r-
träge einzurichten.

Aus Sladt und Land.

Rastatt, 23. Mai. (Zusammenkunft alter Lyceisten.)
Schöne und genußreiche Stunden wrren es, nach dem Bericht der
«Landesztg.", die gestern wieder eine stattliche Schar alter Ra-
statter Lyceisten in Alt-Rastatts Mauern zu verbringen Gelegen-
tzeit hatte. Wie wohlthuend es wirkt, von Zeit zu Zeit mit alten
Freunden und ehemaligen Studiengenossen wieder zusammen zu
sein und mit ihnen an der Stätte, wo vor vielen Jahren diese
Freundschaften auf der Schulbank geschlossen wurden, alte Er-
innerungen auszutauschen, das beweist die mit jedem Jahr zu-
nehmende Zahl von Leuten aus allen Stellungen uud Berufs-
klassen, denen keine Entfernung zu weit ist, an dem jeweils
öffentlich bekannt gemachten Zusammenkunftstage zu erscheinen.
Und in der That, man empfindet auch heule noch in seinen alten
Philistertagen den ganz eigenen Reiz, den die in Rastatt ver-
drachte Lycealzett auf jeden hervorgebracht hat und dessen Spureu
sich bts ins hohe Greisenalter forterhalten; denn wie wäre es
sonst möglich, daß Greisc bts in dte achtziger Jahre der Zu-
fammenkunst nichr ferne bleiben, und es wäre gewiß interessant,
einmal die Zahl der Semester zusammenzustellen, dte jeweils am
Lycristentage in Rastatt vertreten sind. Die gestrige Feier selbst
betreffend, möge nur kurz die Notiz genügeu, daß nach einem
höchst interessanten Vortrage des Herrn Professor Dr. Krieg-
Freiburg über den Rastatter Gesandtenmord die Teilnehmer stch
gegen 1 Uhr im schön dekorierten Saale des Hotel Kreuz zum
Festmahl versammelten, wo bei dcn Klängen einer Musikkapelle
und gewürzt durch geeignete Tischreden ein lebhafter Gedanken-
austausch der alten Freunde stattfand, der daan nach auf-
gehobcner Tafel in gemeinsamem Spaziergang in und um
Rastatts Mauern sich weiter fortspann. Gegen Abend fand man
sich in dem noch Jedem von früher wohlbekannten Lokale „zur
Linde" ein, wo ein kletnes Bierbankett die alten Genossen und
Fieunde bis zur Abfahrtsstunde bei einem berrlicken Stoffe zu-

sammenhielt. Mit den. Wunsche anf frohes Wiedersehen für
nächstes Iahr und in der Hoffnung, daß man dort alte Freunde
treffen werde, die bisher immer noch vermißt wurden, trennte
man sich, um zu den Penaten zu eilen.

Badenweiler, 27. Mai. (Von der kaiserlicheu
Familie.) Am Samütag Vormittag besuchten die inzwischen
wiedcr nach Plön zurückgekehrtcn Prinzen August Wilhclm
und Oskar noch Fasel und am Nachmittag machte die Kaiserin
mit densclben, sowie mit Prinz Joachim, Prinzessin Viktoria
Luise und mit dem Gefolge eine Wagenfahrt nach Kandern,
wo im Gasthaus zur Krone der Thee eingenommen wurde.
Dies ist schon dcr zweite Besuch, den die Kaiserin mit ihren
Kindcrn dem Städtcheu Kandern gemacht hat. Sonntag Nach-
mittag umcrnahmen dic Herrschaften samt Gefolge eine Aus-
fahrt nach Schwcighof und gegen Sirnitz. Die Meldungen
verschiedcner Blättcr über einc früherc Abreise Jhrer Maje-
stät sind unbegründet, diesclbe gedcnkt viclmchr ihre Kur
dic ihr vortrefflich bekommt, nicht zu unterbrechen und den
hiesigen Aufenrhalt voll und ganz auszunützen. — Die von
mehrercn Zeitungen gebrachte Nachricht, der K'önig !von
Rumänien werdc in Badcnweiler crwartet und es sei für
densclbcn bereits eine Wohnung gemietet, ist aus der Luft
gcgriffen.

Heidelberfler Vereinsangelegenheiten.

--- Dcr Berein bayrischer StaatSangehöriger entfaltct
unter der neuen Leitung cine rührige Vereinsthätigkeit. Am
Sonntag Abcnd fand im Saale dcr Westendhalle eine Abcnd-
unterhallung mit Ball statt, welchc schr gut besucht war. Die
zahlreich erschiencnen eingeladenen Gäste, Vertrctcr von Ver-
cinen u. s. w. begrützte dcr Vorftand, Herr Zahnarzt D i e r-
r i ch, namcns des Vereins, die Landsleute zu engercm An-
cinanderschlietzen auffordernd und zugleich das Programm der
Festlichkeiten für das Sommersemestcr verkündend. So ver-
anstalte der Verein als erste größere Festlichkeit am 1-l. Juni
voranssichtlich im Saale des Bürgerkasinos eine Gedenkfeier
für den verstorbenen König Ludwig II., vevbunden mii
Theatcraufsührungcn, Konzert u. s. w.; es haben bereits
cinige Vereinc ihre Mitwirkung zugcsagt. Die Ausführnn-
gen dcs Herrn Vorstandes fandcn lebhaften Beifall, cbenso
einigc Licdervorträge des Herrn Leiningcr. Ferner erfrenten
einige der ersten nnd berühmteften dcutschen Sänger wie
Kraiiß, Slczak, Nebe u. s. w. durch brillante Liedervorträge
— allerdings lcidcr nur auf dem Grammophon, der nenesten,
vielfach verbcsserten Sprechmaschine, welche die einzelnen
Piccen in vorher nicht erreichter Sjtärke des Tones und frci
von Nebcngeräuschen reproduziertc.. Der Apparat kann bei
Herrn H o ch st e i n, dem der Vertrieb übcrtragcn ist, gehört
wcrdcn. Der Abend vcrlicf auf das Anregendste und cs war
sehr früh, als dic fleißigen Jünger nnd Jüngerinncn Terp-
sichorens dcn Bayernvcrcin verlictzen.

Aer veryungerte Armenyäusler.

Amberg, 24. Mai. Aus der Vcrhandlung, deren
Urt'eil misere Leser im gestrigeu crstcn Blatt findcn, heben
wir nach der „Allgcmeincn Zcitung" noch folgendc Einzel-
heitcn hcrvor: Der erste Angcklagtc, Pfarrer B c r g-
l e r, Vorstand der Armenpflege in Neukirchen, sagt aus:
Nach Rückkehr des Max Graf aus dcr Anstalt wurde für diesen
von dcr Armcnpflege Turnuskost bei den einzelnen Gcmcinde-
mitgliedern bcwilligt und dem Gras auch das sogenannte
Turnusbüchel ausgehändigt. Ob cine Benachrichtigung der
Gemciitdcmitglicder stattgesunden habe, wisse er nicht. Jhm
war bckannt, datz Max Graf von Jugend auf cpileptisch
und schwaehsinnig war und datz solchc Lentc nicht im Turnus
verpflcgt wcrden sollcn. So genau icnne er aber die bestehen-
den Vorschriften nicht. Er selber habe sich rim Graf nichi
gckümmert, dics viclmehr seinem Vertrcter, idem Armen-
pflegschaftsrat Trettenbach, überlassen, ohne diescm aber ge-
sonderte Jnstruktioncn zu erteilen. Vorsitzender: Das war
abcr keine ordnungsmätzige Erfüllung Jhrer Pflichtcn als
Vorstand der Armenpflegc. — Pfarrer Bergler: Jch hatte mit
der Seelsorge vollauf zu thnn. Am 27. Dezembcr wurde
ich zn Graf gcrnfcn, dcr schwcr krank auf eincr Strohschütte
lag. Jch spendcte ihm die letzte Oelung und habe veran-
latzt, datz ihm cine Bettstelle gegebcn wurde. — Vors.:
Nnn, wenn er schwer krank war, da kann er sich doch nicht
sein turnusmähigcs Essen geholt habcn? — Pfarrer Bergler:
Jch habe mich zunüchst um die geistlichen Bedürfnisse des
Krankcn gekümmcrt. — Vorsitzender: Ja, aber die leib-
lichen Bedürfnisse dürfen doch nicht vernachlässigt werden.

Haben Sie nicht wcnigstcnS nach eincm Arzt geschickt? — Pfar-
rer Berglcr: Nein, das habe ich der Mutter des Graf über-
lasscn. — Vorsitzender: Wcnn Sie Herr Pfarrer in schär-
fercr Wcisc Jhrcn Einfluh geltend gemacht hättcn, dann

hätte dieses tranrigc Ereignis nicht eintreten könncn. —

Pfarrcr Bcrgler: Jch habe mich auf meincn Bertreter ver-
lasscn.

Der Angeklagte Bürgermeister Lantenschlager giebt an,
datz Graf mit der Armenhauspflegc autzerordentlich zufrie-
den gcwesen sei. Auf Befragen giebt Angeklagter zu, datz
Glaf in eincm nassen, feuchten Raum, ohne Luft nnterge-
bracht war. Der Raum sci aber sehr gesund, es seien

schon Ortsarme dort nennzig Jahrc alt gcworden. (Heiter-
keit.)

Der Angcklagte Lautenschlager sagt weiter aus, daß er

sich ivenig um dcn Graf gekümmert habe. Von dessen KrariE
hcit habe er durch seinen Sohn erfahren und angeordnet, datz
alles geschehen sollre, was einem Äranken gebührr. Naa!
eincm Arzt habe er nicht geschickt, das habc der Herr Pfarrer
übernommen. Am 4: Dczember vorigen Jahres sei cr vow
BezirkSamtsassessor aufgefordert worden, sich des Graf anz"--
nehmen, er bestreite aber, datz er dem Bezirksamtsasseyvr
gesazt, er hafte für den Graf. Das Armcnhaus habe cr arn
4. Dczemüer bis züm Tode des Graf nichi betretcn, da-
gegen dem Armenpflegschaftsrat Tvettenbach den AufrraS
gegcbcn, sich um Graf zu kümmcrn. Was Trctrenbach lst'
than, wisse er nicht. Er müsse sich auf seine Vertreter vcr-
lassen.

Armenpflegschaftsrat Trcttcnbach: Jch habe nfich um dn
Armenpflege nur dann zu kümmern, wenn der Pfarrcr
krank ist. Jch bcsttwite, datz mir der BLrgermeister Lauten,
schlagcr im Dczemvcr den Auftrag gegeben hat, für dcn Gra
zu svrgcn. Jch habe von dessen Krankheit erst zwei Tage
vor dcm Tode erfahren.

Die Zengin Schcubingcr bewohnt ebenfalls das Arinen"'
haus in Neukirchen. Sie hat gewußt, daß Graf Weizen eM
wender nnd mit den rohen Weizenkörnern seinen Hunger
gesrillt habe; sic hai aber niemand davon Meldung erstar^
tct. — Gendarm stipper bcknnder, datz die Zeugin Bürne
gewutzr habe, datz Graf achr Tage ohne Nahrung sei. ^re
habe geäuhert, sie rhue es der Gcmeinde zum Trotz, wen
ihr bic Gemeinde auch rrotze. — Vvrsitzender: Das rjt dow
cine erbärmliche Handlungsweise, wie sic schauderhafker kauR
gedacht wcrden kann. (Zur Zeugin BLrne): Also Sie haben
gewnßt, datz Graf acht Tage nichts gegessen hatte und es nian
der Mühe wert gehalten, Anzeige zu erstatien? — Zcngns
Bürnc: Gewutzt habe ich cs. — Borsitzender: Das ist dow
nnerhört. Blotz um die Gemeinde zu necken, lassen Sie cincN
Mcnschcn verhungernl

Dcr Sachverständige, Bezirksarztstellvertretcr Dr. Hcw'
lätzt sich dann über den Obduktionsbcfund des Graf auS-
Der Körper des Graf wimmelte von Nngeziefer und TchmnS-
Graf, dcr auf einem neuen Bett lag, war vollständig ab^
gemagert, das Fettpolstcr verschwnndcn, in dcn (Därmcn
wnrden unverdaute Körner und Stvffetzen vorgcfunden, der
Magen war leer und znm Teil eingeschrumpft. Der Tod
fci durch Erschöpfung infolge Hungerns eingetreten. Dev
zweite Sachvcrständige Landgerichtsarzt Dr. Maycr - Ambcr'g
schlietzt sich dcm Gutachten des Dr. Held voll an. Jn de>r
Därmen des Graf sind auher unverdauten Weizenkörnern
Banmwoll- und Leinwandfetzen gefundcn worden,^ Jn dcN
letzten 10 bis 14 Tagen habe Graf sicher nichts anderc--
genossen, da er asier die Weizenkörner nicht verdauen konntc'
sei cr vcrhnngert. Bczirksarzt Dr. Gmeling grebt an, dav
er wiederholl die Aufnahme des Graf in eine Anstalt geforder'
habe.

Staatsanwali Tr. Dames bcgründetc die Anklage: Wri
habcn hier eincn Fall, wic er zum Glück nur seltcn vor^
kommt, der aber durch seine Schauderhaftigkeit allgemein bc^
rcchtigtcs Ilufsehen crregt hat. Man sollte es nicht für möill
lich halten, datz mittcn in Dentschland, mitten in EuropN-
derartiges vorkommen kann, das; ein Mcnsch inmitten u»tfs
andercn Mcnschen in cincm rcichen Dorfc des Hungers stest'
ben kann. Es wirft das cin sehr bedenkliches Licht auf bv'
Einwohncr nnd dcn Behördenapparat dcs wohlhabcnden Orte^
Das Bezirksamt habc seins volle Schnldigkeit gethan; es hvl
dcn Zustand nur für vorübergehend angesehen, was dara»;
hcrvorgeht, datz der Bezirksamtsassessor noch am 4. Dezembcs
sich nach dcr Unterbringung des Graf erkundigte. Die Grrrms
lage des schrecklichc» Ereignisses ist in der Person des Biwj
germerstcrs Lautenschlager zu suchen, der lange genng in bc
Oeffentlickikeir gelebt hat, so daß das Bezirksaint mit Rcw
erwarten konntc, daß er volles Verständnis für die Sache habcj!
nnd das Bezirksarnt nnterstützcn werdc. Das war den Bc>»
Znm Gärtner gcmacht. Lautenschlager kennt nur sein Jnteij
esse nnd wenn dcr Pflegschaftsrat vorher auch einen andere,
Bcschlus; gefaßt hättc, fo entschied dann scin Einfluß,
Mackst dcs Geldsackcs andcrs, die brutale Macht des Rcm).
tums, der sich die anderen Mitglieder beugen mußten.

«c

Ortspfarrer ist nicht weniger schuldig. Er sagt uns,
habe sich nm den lciblickien Zustand des Graf nicht gekürn^
mcrt, weil er mit der Seelsorge bcschäftigt war. Wie kam
uns das von jemand gesagt werdcn, dcr den Kindern NN
dem Pnblikum die cdle Lehre christlicher Näckistenliebe lehsc
solll In eincr entsetzlich leichtfcrtigen Weise hat er dics
Lehre nicht befolgt nnd sich lediglich darauf beschränkt, hr
Seelsorge anszuüben. Der Staatsanwalt beantragt schlicb:
licki gegen Pfarrer Bergler eine Gefängnisstrafe von Zkvc
Monaten, gegen den Bürgermeister Lautenschlager von sca'k
Monaten, gegen Moritz Trettenbach von vier Monaten Up
gegen Kagcrer acht Tage Gefängnis. Das Urteil lautete, w'
schon mitgeteilt: Pfarrer Bergler wird zu etner Woche Gefängrm'
der frühere Zentrnmsabgeordncte Bürgermeister Lautcdj
schlager zu drei Monaten und Armenpflegschaftsrat TrettcU;
bach zu einem Monat Gefängnis verurteilt, der Gemcinbc
dicner Kagerer und dcr Ortsführer Moritz freigesprochcn.

Kleine Zeitung.

— Aus der Pfalz, 24. Mai. Große Ereignissc wc'sj
fen ihre Schatten voraus! Anfang Iuni kommt,
nenlich mitgeteilt, P r i n z L u d w i g in die Pfalz, uN"
überall rüstet man sich, dem ältesten Sohne des Regentstl'

glücklicher als ichl Auf den Händen will ich dich tragen,
und wieder ncu anfleben, wenn du sagst: „Jnst, ich gehör'
dir mit Leib und Secle! Du bist mir gerade so lieb wie ich
drr!" — Na, sag's doch!"

Sie kehrte ihm finster den Nücken und saß stnmm an der
Wiege.

„Sag's dockst" bat er wiedcr, sich zu ihr hernieder beu-
gend, so daß sie den brennenden Hauch seiues Atems wie eine
Flamme über ihre Wangen streifcn fühlte.

„Jch kann's nicht sagcn —" kam es zischend zwischen ihren
ivcitzen Zähnen hervor.

„Weil du nicht willst, weil du trotzig bistl" erwidcrte
Reiner, sie wild umschlingend. „Aber du weitzt ja gar nicht,
was ich dann alles fertig bringen könnte für dich und den
Buben. Sei doch nicht so halsstarrig — sag's! Jch bitte
dich um Gottes Barmherzigkeit willen, sag's!"

Er war vor ihr niedergeglitten und drückte seinen Kopf
in ihren Schotz.

Da sprang sie empor und fast kreischend tönte es durch
das kleine, überheizte Zimmer, von dessen Wänden sich feuch-
ter Modergeruch verbreitete: „Jch kann und will's nicht sagenl
Es wär' gelogenl Du hast dich schon zu arg an mir und dem
.Kind versündigt. Da sieh her, wie schmal und blatz sein Ge-
sicht ist. Andere Kinder in diescm Alter sehen dick und
rotwangig aus. Jch bin stark und gesund und nähre eS
selbst, aber natürlich — wie soll ihm die Nahrung gedeihen?
Jch saug' ja beständig Gift in mich hinein und daran bist du
jHuld — dü — der mich keinen Bissen ruhig hinunter-
schlucken läßt, der — ach, Ivas nützt's denn, darüber zu
reden? Geh' doch, komm mir nicht zu nahel Halie deine
paar Hunderti;r fest, mach damit, was du willst. Jch werd'
schon allein für mein Peterchen sorgenl"

„Gertrud!

„Was denn? Fängst schon wieder Spektakel an? Na,
meinetwegenl Viel ärger kann's ja nimmer kommen."

Jusr fuhr sich mit beiden Hündcn an die Kehle. „Weib,

—- Wcibl" ächzte er.

„Weg da von der Wiege!" schric sie ängstlich auf und
stellte sich mit ausgebreitcten Armen davor.

Da brach er in ein schrilles, schneidendes Lachen aus.
„Meinst wohl, ich drehe dem Kücken den Hals um? Hab'
nur kcine Angst! Haha!"

Wankenden Schritres, wic ein Trnnkencr, ging Reiner
zu seinem Schrank, schlotz ihn auf und snchte einc Weile un-
ruhig und hastig darin hcrum und warf dann mchrere Golü-
stücke auf den Tisch. „Da, kauf, was nötig ist."

„Was willst du denn mit dem andern Geld machen?"
fragte sic, als er einige Banknoten und eine Geldrolle in
scinen brauncn Lederbeutel steckte.

„Unten im Dorf abbezahlen, jedcm etwas, dann warten
die Leute wieder."

„Wie lange denn, wenn nicht ordentlicher Vcrdienft ge-
schafft wird?"

„Ja, soll ich jetzt vielleicht einen ganzen Sack Geld an-
schleppen? Wo denn hernehmen? Da mützt' mir schon der
lcibhaftige Satan zu Hilfe kommen. Dir wär's ja recht, wenn
ich nstch ihm mit Leib und Seele verschreiben thät', nicht
wahr? Und, Gott vcrzeih' mir die Sünde, imstande wäre
ich's wirklich. So weit hast du mich schon gebrachtl"

„Warum nimmst denn das Gewchr mit?"

„Wcil ich's verkaufen will, damit's mir aus den Angen
kommt nnd das ewige Geredc cin Ende hat."

Er schlug die THUre so laut hinter sich zu, daß das Kind
weinend aus dem Schlaf führ.

Ein Weilchen blieb Gertrud unschlüssig stehen, dann eilte
sie hinaus und rief: „Just, Just!"

Vielleicht wollte er diesen Ruf nicht hören, vielleicht ver-
schlang ihn auch das Heulen des eisigen Schneesturms —
Reiner verschwand zwischen den silberflimmernden Tannen
und das junge Weib kehrte, die Schürzc an die nassen Augen
drückend, wieder ins Haus zurück.

„Was giebt's deun nun schon wieder?" brummte die

itiü

td

Jch hätt' u",
Die EinZ^

so'n armes. to

„Wenn ihm nur nichts zustötztl"

„Ach was, der ist nicht zum erstenmale im Unwei
drautzenl"

„Jch hätt' ihm ein gutes Wort sagen sollen."

„Nun hör' aber auf mit dem Gcslennel
ich mützt' -— damit nimmt's ber euch tein Ende.
dic den Kopf noch oben behält, bin ich — sc
müdes Weib! Ja, wcnn's einer schwer haben soll, dann El
ihm immer noch mehr aufgepackt. Na, in Gottesnamen, '
kann mir nicht helfen." Sie hob einen Topf aus der Oftu
röhrc, da man jctzt der Ersparnis wegen im Zimmcr kock>U'
„Die Brotsuppe ist fcrtig. Jtz!" ^

„Der Just hätte doch auch einen Teller voll
müsscn."

„Ja, soll rch rhm damit etwa in dcn Wald hinaus nou
rcnnen?" ,

Gertrud führte den Löffel an die Lippen, legte ihn up
wicder weg und stand aus: „Jch brrng' keinen Brssen dgc
unter, Btuhmc. Mir ist zu Mute, wie wenn's Dach Lber UZ,
einstürzen sollt. Jestls, wenn der Just dem jungen
begegnet — wer weitz — und gewih und wahrhaftig, zwiN>,
nns ist nichts vorgesallen. Aber er glaubt's mir ja
er glcnibt's ja nichtl" ^

„Ob man denn nur eine Viertelstunde in Ruhc und Ass.;
den dasitzen kannl" keifte dre Altc. „Was heißt denn
jetzt schon wieder?" -ll

„Jch hole ihn am Ende noch ein, wenn ich recht sw'H
lanfl" rief die jnnge Frau, ein großes, dickes Umschlag^
über den Kops wcrfend.

„Du bleibst dal" befahl die Karten-Lore, indem si^
Thüre verschloß nnd den Schlüssel in die Tasche steckte-
„Wenn's sein muß, spring' ich durchs Fensterl"

(Fortsetzung folgt.)
 
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