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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 256-280 (01. November 1902 - 29. November 1902)
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MiMmch. 5. Nivcmdkl Zweites Blatt. 44. Jahraalla. — Vr. 2ö9.

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an bcstimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelb. Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

Sozialdemokralie nnd Zenlrum.

Bei den nächstm Wahlkämpfen wird namentlich das
Zentrum den Vorstoß der sozialdemokratie zn fpüren be-
kommen. Hatte die Sozialdemokratic dies schon offen
auf ihrem letzten Parteitage ausgesprochen, fo beginnen
jetzt anch ihre einzelnen Fiihrer gemäß der dort ins Ange
gesaßten Taktik zn verfahren. So hat in den letzten Ta-
gen in Berlin der bayerische Sozialdemokrat v. Vollmar
in einer Volksverfammlnng das Verhältnis von Sozial-
'demokratie nnd Zentrnm eingehend erörtert nnd ift dabei
mit letzterem durchaus nicht glimpflich verfahren. Die-
ses Vorgehen wird umsomehr politisches Jnteresse Lean-
spruchen, als bekanntlich es der Abgeordnete v. Vollmar
gewesen ist, auf welchen das Abkommen zwischen Sozial-
demokratie und Zentrnm betreffs der letzten baherischen
Landtagswahlen znrückzufiihren war. Daraus ist ersicht-
lich, daß irgend ein früheres Abkommen mit dem Zentrnm
die Sozialdemokratie nicht Hindern wird, das letztere zu
bekämpfen, wo fie es nur kann. .Einen Leitfaden für
diese Bekämpfung hat der Abgeordnete v. Vollmar in
seinem Vortrage bereits gegeben. Er schilderte darin
die Entstehung, die Geschichte und das Wesen des Zen-
trums an der Hand der verfchiedensten politischen Vor-
gänge und kam schließlich auf das Gebiet zu fprechen,
auf welchem Zentrum und Sozialdemokratie namentlich
konkurrieren, das sozialpolitische. Wenn man die parla-
mentarischen Vorgänge der letzten Jahre zurückverfolgt,
so wird man darin wie einen roten Faden die Bestrebun-
gen der beiden genannten Parteien fich hindurchziehett
sehen, das Verdienst für die sozialpolitischk Entwicklung
Dentschlands auf die eigene Partei zu lenken. Sowohl
das Zentrum wie die Sozialdemokraten betonen bei jeder
Gelegenheit, daß sie es eigentlich gewesen seien, denen die
'deutsche Arbeiterschaft die Segnungen der sozialpolitifchen
Gesetze verdanke nnd ziehen natürlich beide den Schluß
daraus, daß die Arbeiterschaft ihnen bei den Wahlen ihre
Stimnie zu geben die moralische Verpflichtung hätte. Der
Abgeordnete v. Vollmar wies darauf hin, daß das Zen-
trum durchaus nicht berechtigt sei, den erstrebten Ruhm
für sich in Anspruch zu nehnien. Und er hatte recht, als
er namentlich auf die Vorgänge bei der Entstehung des
Jnvalidenversicherungsgesetzes hinwies. Die Jnvaliden-
bersicherung stellt das bedeutendste fozialpolitische Werk in
Dentschland dar. Wenn es aber zu Stande kam, so ist
dies am wenigsten dem Zentrum zu verdanken, denn die
weitans größte Mehrheit desselben stimmte gegen das-
selbe. Nur ein ganz kleiner Teil nnter Führung des
Abgeordneten Freiherrn v. Franckenstein folgte den
Mahnnngen, welche Fürst Bismarck an die Reichstags-
rnitglieder noch in letzter Stnnde ergehen ließ. Eben-
sowenig aber dürfen auch die Sozialdemokraten das Ver-
'dienst, das sie dem Zentrum mit Recht abstreiten, für sich
in Anspruch nehmen. Ja, sie noch viel weniger als das
Zentrum. Deutschland ist anderen Kultnrländern auf
sozialpolitischem Gebiete weit vorausgeeilt und steht an
der Spitze der Zivilisation, nicht, weil es bloß iin Arbei-
terschutz thätig gewesen ist, sondern in erstec Reihe, weil
es das große Arbeiterversicherungsgebäude aufgeführt
hat. Aber die Sozialdemokratie hat nicht bloß dem Jn-
validenversicherungsgesetze, sondern allen Versicherungs-
gesetzen ihre Zustimmung versagt und sie hat nicht nur
dies gethan, sondern alle Schritte des Fürsten Bismarck

zur Ausführung der .Kaiserlichen Botschaft vom 17. No-
vember 1881 aufs eifrigste bekänipft. Die Sozialdemo-
kratie also wird noch weniger als das Zentrum darauf
Pochen dürfen, in der Sozialpolitik des deutschen Reiches
Hervorragendes geleistet zu haben. Das Beste an der
letzteren ist dem F ü r st e n B i s m a r ck und mit ihm
den so viel geschmähten K a r t e l l p a r t e i e n zn ver-
dank'en. Sie haben den Schöpfer der Arbeiterversicherung
Dentschlands in den entscheidenden Blomenten nicht im
Stich gelassen und sie allein werden deshalb auch bei den
nächsten Wahlen die Arbeiterschast mit Recht daran erin-
nern können, daß si'e es waren, die für jene den beden-
tendsten Teil der sozialpolitischen Gesetzgebung Deutsch-
lands milgeschaffen haben. Sozialdemokratie und Zen-
trum haben beide recht, wenn sie sich gegenseitig vor-
werfen, daß keiner von ihnen in der Sozialpolitik für
die deutsche Arbeiterschaft das Beste gethan. Hieran ist
sowohl die eine wie die andere Partei nnschnldig; sie
werden also beide mit Recht bei den nächsten Wahlen
Verdienste hierfür nicht in Anspruch nehmen dürfen.

Deutsches Reich.

Baden.

— Geh. Rat B r a n n, der Referent über Gewerbe-
wesen, hielt bei der Gauversammlung der mittelbadischen
Gewerbevereine in Durlach eine Rede, die in der „Karls-
rnher Zeitung" eine Spalte kleinen Drucks fiillt, in der
er hervorhob, welche N n z u t r ä g l i ch k e i t e n der
B e f ä h i g u n g s n a ch w e i s zur^Folge haben und
daß er den angestrebten Zweck doch nicht erfüllen werde.
Die Regierung könne daher nicht znstimmen. Da die
Gewerbevereine allezeit Anhänger der Gewerbefreiheit
und des Fortschrittes waren, so fehlte es der Rede an
dem nötigen Widerhall nicht. Von den vier Handwerker-
kammern hat sich die Konstanzer gegen den Befähigungs-
nachweis ansgesprochen, die drei übrigen verlangten ihn
fiir das Baugewerbe. Anch in dieser Beschränkung hält
ihn die Regierung für unzulässig. Die Angelegenheit
war schon seit längerer Zeit die llrsache von Reibungen
zwischen den Gewerbevereinen nnd den Handwerkerver-
einigungen; im Jnteresse der Fortentwickelung unseres
Gewerbewesens ist zu hoffen, daß es nun Ruhe giebt.

Sachsen-Koburg-Gotha.

— Die Großherzogin Viktoria Melita von
Hessen, die nach ihrer Scheidung zunächst bei ihrer
Mntter in Koburg lebte, ist dadurch, daß sie sich unlängst
eine eigene Hofhaltung einrichtete, der Stenerfreiheit,
welche die Btitglieder ües herzoglichen Hauses genießen,
verlustig gegangen und alsbald von der Steuerbehörde
in Koburg zur Veranlagung herangezogen worden. Wie
man sagt, ist ihr steuerpflichtiges Einkommen anf 120 000
Mark festgesetzt, und die Großherzogin ist damit eine der
Höchstbesteuerten des Herzogtums geworden.

Ausland.

England.

A den , 3. Noveniber. Oberst Swahne wurde
zurückberufen, nm vorläufig als Berater des Auswär-
tigen Aiiites thätig zu sein. General M a n n i n g ilber-
nimmt das Oberkümmando über die Somaliexpedition.
Er wird in etwa sechs Wochcn den Vormarsch beginnen..

10)

Das Fischerrnädchen.

Roman von I. E d h o r.

lIvrtsetzung.)

„Verzeihe, baß ich dich durch meine Frage aufgeregt haüe."

„Das Ge'wissen ruft mir schon lange zu, datz ich. schlecht
gehandelt an dem armen Wesen, das ich zu meiner Gattin
gemacht ..."

„Onkel Wikhelni, ich geleite dich auf dcin Zimmer — der
lange Aufenthalt im Freien könnte Lir schädlich sein."

„Noch nicht, Baron Wolfenstcinl" Eine energische Müdchen-
llimme rief es und oben auf der Terrasse erschien Brigitta
Heise. Sie wendete sich sogleich an dcn alten Hern im Kran-
leiistuhl. „Jch häbe Jhren Worten dort rmten gelauscht, als
Uiich der Zufall hier vorüberführte. Jch kann nicht schweigen,
b>o ich Jhnen so viel zu sagen habe; ich spreche ini Auftrage
äieiner Mutter. Wutzten Sie, Freiherr von Wallissen, datz
-ähnen ei'ne Tochter geboren worden ist von Jhrer GattinB'

„Eine Tochter — mir?" Eine jähe Bestürzung malte sich
^ dem bleichen Greisenantlitz. Ein vielsagender Blick tras
Vn Baron Wolfgang, der stnmm neben dem Stuhl seines
^nkels an der Balustrade lehnte.

. „Sie wutzten es nicht? Jhncn ist in tjer Zelt der schreck-
"fchen Qual, in herber Gefangenschaft von Brigitta eine Tochtcr
geboren. Dnrch güte Leute wurde die Aermste nach langer
Zeit aus ihrem Kerker befreit, halb verschmachtet nnd d-es
^erstandes beraubt — ja, des Verstandes, hören Sie mich,
strciherw? Fhr schmählicher Vcrrat an der -Gattin, die Gran-
nimkeit des Kerkermeisters hatten d-as arme junge Wesen in

Wähnfinn getriebcnl"

^ Ein herzzerreihcndes Stöhnen drang aus der Greisenürust.

Mbleichte Haupt mit dem Silberhaar sank langsam zu-

„Halten Sie ein, Brigitta, halten Sie einl Sehen sie

nicht, dah Sie den alten Mann mit Jhren Worten töten?"
rief Baron Wolfgang.

Brigitta hörte nichts; erbarmungslos fuhr sie fort: „Mit
blutenden Fühen, ihr haibverschmachtetes Kind in den Armen,
mit vcrwirrtem Hirn, mit in Fetzen gerissrnen Kleidern hat
man sie vor dem Hause ihrer Eltern gefnnde-n —"

„Erbarmcn, grotzer Gott — Erbarmenl" schrie der entsetzte
Greis. Er streckte bittend die Hände nach dem blühenden
jungen Mädchen aus.

J-n diesem Moment erschien die hohe Gestalt des alten
Wolfensteiner auf der Terrasse.

„Was geht hier vor?" donnerte cr, als er die grenzenlose
Erregung seines HaWruders sah. „Entfernen Sic sichl Sagte
ich Jhnen nicht schon einmal, -oaß der Kranke Jhren Anblick
nicht ertragen kann?" Dte hohe greise Gestalt näherte sich
drostcnd der Stelle, wo Gitta stand, aber sie wich nicht znrück,
sonbern stand wie ein Marmorbild.

„Lasse sie reden —o >ch will endlich die ganze Wahrheit
hören," gebot der Wallisser mit starker Stimme.

„Häbe ich dir etwa nicht die Wahrheit gesagt? Hilpmann
hat mir eidlich bersichert, datz sich das leichtsinnige Geschöpf,
die Brigitta, leicht beru-higt und die Geldentschädigung gern
angenommcn hat, die ich ihr geben ließ."

Gitta stieß ein Hohngelächter ans. „Jhr sanberer Hilp-
mann hatte gewisse Gründe, in Jhren Farb-en arell zu malen
. . . Ein Hilpmann, auf dessen Bericht män sich beimfen kann,
ist unbezahibar."

Die blaue Stirnader schwoll -an der Stirn dcs Wolfen-
steiner Freiherrn. „Wer ist das Mädchcn?" fragte er seinen
Sohm

Dieser schüttelte verneinend mit dem Kopf. Seine Aug-en
ruhten wie geb-annt auf den schön-en Zügen des jnngen Mäd-
chens.

„Wer ich bin, fragen Sie?" Gittas Gestalt schien zn
wachsen. „Jch bin die Enkelin dicses Mamies, un-d der ver-
stotzencn Freifrau von Wallissen, die man der Willkür eines

Asien.

Der „Tiines" wird aus Peking gemeldet: Ein
k a i rlichesDe k r e t voin 25. AuLttjt 1901 verbot
dem Friedensprotokoll gemäß den tzohen Provinzialbe-
amten die Einfnhr von Waffen oder von Material zur
Herstelliing von Waffen auf zwei Johre. Trotz dieses
Verbotes sind aber inzwis-ch-m in fast jedeni chinesi -
s ch e n A rsenake mit voller Energie Waffen aller
Art fabriziert worden. Jn Ver „Pek'ing Gazette"
vom 23. Okt. bringt niin der Gouvernenr von Kwangsi
dem Throne zur Kenntnis, daß ein Beamter vierten Gra-
des wahren patriotischen Geist gezeigt habe, indem er
kürzlich 1000 Maiisergewehre und 300 000 Patronen in
die Provinz gebracht habe. Diesekben seien der Regierung
zur Unterdrückimg der Rebellen zur Verfügung geskellt
worden. Dec Goiiverneur von Kwangsi fügt hinzu, die
Schwierigkeit, Wafsen zn erlangen, sei um so größec
gewesen wegen des kaiserlichcn Verbots vom letzten Jahre
nnd er ersucht daher den Beamten, dadurch zu belohnen,
daß er zum Mandariu ersten Ranges ernannt wird.
Eiu kaiserliches Dekret dessetben Datnms verleiht dem
erfolgreichen Sch m nggler diese A u s-
z e i ch n u n g.

Aus Stadt und Land.

X Dossenheim, 3. November. (S p a r v e r e i 11.) Der
im vorigen Jahre dahier ins Leben getretene Sparverein,
System Raiffeisen, hat in der kurzen Zeit seines Bestehcns schon
einen namhaften Umsatz zu verzeichnen. Bei der gestern in der
Brauerci Merkel dahicr abgeha-ltenen Generalversammlung
brachte dcr Vorstand verschiedene Anträge zur Sprache, welche
von 'dcn Mitgliedern in Zukunft.beachtet werden möchten und
betonte noch besonders, dah noch vicle außerhalb des Vereins
stehende Einwohner dem Verein beitreten möchten, denn gerade
barnm habe man denselben ja gegründet, um den hiesigen
Bewohnern Gclcgenheit zu geben, ihre Spareinlagen hier an-
zulegcn und densclben fleitzig zu bemrtzen. Zugleich teilte
dcr Vorstand mit, daß dcm Verein bis jetzt üereits 180 Mit-
glicder iveigetreten seien nnd derselbe einen tzlmsatz von etwa
80 000 Mark zu verzcichnen habe. Der Verein öcfatzt sich aber
nicht bloß mit -Geldumsatz, sondern auch mit dem Absatz von
Kcmsnmartikcln, wie Kohlen, Futtermehl, Kleie, Kraut, Hafer,
Thornasmehl und dergleichen und gsebt Aadurch seinen Mit-
gliedem Gelegenhcit, bei gutcr Ware billig einzukaufen. Er
iiimmt abcr anch seinen Mitgliedern ihre erzeugten Produüe
um erhöhte Preise ab nnd liefert dieselben an die Hauptfiliale
ab, so daß kcin Mitglied besondere Auslagen hat. Der Vortetl
ist also noch der, datz der Uckcrschuß dcs Verkaufs, sowie des
Einkaufs jedcm einzelnen Mitgliede zu Gute kommt. Die
Spareinlagen an Geld wcrden den Mitgliedern zu 4 Prozent
verzinst, so daß gewiß niemand Anlaß hat, seine Crsparnisse
answärts bei anderen Kasfen anznlegen. Möge der Verein,
wie bisher, anch fernerhm solche Fortschritte zu berzeichnen
haben und mögen dcmsclben immer mehr neue Mitglieder bei-
treten, dann w-ird die Kasse znm -Scgen der Gemeinde wer-
den.

Bruchsal, 4. Novcmber. (Explosion.) Dnrch den
Heizer Walburg der Latrinenabfuhr wurde, der „Kraichg.
Ztg." zufolge, gcstarn Mittag gegcn halb 12 Uhr in der Dnr-
lacherstraße, vor der Restauration „Pring Max", em Tags
borher zum Gastransport benützter Kesselwagen dadürch zur
Explosion gebracht, daß Walburg trotz erhaltener Warmmgen
seitens seiner Mirarbciter imd des Herrn Nagel selbst, bren-
nende Putzwolle an den geöffneten Abflußschieber hielt. Diese
Handlnng verdient nmsomehr als Leichtsinn bezeichnet zu wer-
den, als Walburg wnßte, däß dieser Wagen znm Gastransport
benützt wordcn war — wobci er sogar sclbst mitgeholfen hatte

tcuflischen Menschen überlassen, g-egen den sie kämpfen niutzte,
wie das Lamm gegen den Geier, der ihm das Herz ans der
Brust zieht", — sie schwieg plötzlich.

Der Wallisser Freiherr war lautlos aus seinen Stuhl zn-
rückgesunken — — —

Jetzt ergriff Baron Wolfgang Gittas Arm und zog sie die
Steinstufen hinäb ins Thal.

„Jn dieser Weise durften Sie nicht mit dem alten M-aim
reden . . tadelte er streng.

„Mit ihm, der sein unschuldiges Weib nnd Kind dem Ver-
derben preisgegeben?" sprudelte Gitta hervor.

Wolfang schüttelte langsam den Kopf. „So schuldig sind
dic beiden Greise nicht; sie sind gctäuscht worden dnrch Hilp-
mann, dem sie allerdings zu viel gctraut haben. Lcider kann
er nicht mehr zur Rcchenschaft gezogcn wcrden, er ist schon
seit Fahren tot. Uebrigens kann ich mrt dem Onkel denken
und fühlcn, aber ich kann nicht begreifen, datz er ein Weib
genommeu, das nicht vermochtc, sem gluhendcs Herz auszu-
füllenl Jch kcnne keine Nachsicht, freilich mag das Alter ihn
gemildcrt nnd gcsänftigt haben! Es mnß eine furchtbare Um-
-wälzung seincs Jnnersten geschehen sein, cin sogenanntes mo-
ralisches Erdbebeü. Wir red-cten oft stimdenlang miteinander
unö sachtc, ganz sachte ging ein Thor nach dem andern vor
den inncrcn Bildersälen auf. Jch kemi-e jedes darin, das Bild
eincr Frau sah ich niemals."

„War es nicht seine Pflicht, sich nm das Wohl imd. Wehe
der Verlassenen zu kümmern?"

„O freilich — nnd niemand dnrfte ihm zuverlässiger
sein, wie er selbst. Aber er hatte eine noch viel ernstere
Pflicht; er durfte sich Lberhaupt nicht von seiiier Gattin
tremicn. Gehen Sie j-etzt hcim, Brigitta, ich mnß zu ihm
zurück. Jch kenne sein Herz, ich sah ihn vorhin zittern - ich
sah es wobl, von seinem Kinde wuhte er nichts. Ein wilder
Schmerz erfaßte ihn bei Jhren schonungslosen Worten —-
die leiseste Andcutimg hätte ihm genügt. Er besitzt das
zarteste Gemüt . . . Sehcn Sie, Brigitta, drüben leuchtet
 
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