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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 305 (01. Dezember 1902 - 31. Dezember 1902)
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1A12.

Zweites Btatt

44. IMWW — 288.

Dienstaa 9.

Soziate Mechtspflege.

Nachdruck verboten.

8. Ik. H a s l u n g sür unzulüssige Ei n-
1 ragungeu in d ie I n v a l i ü e n t' a r t e. Nach
Paragraph lstll drs Invalidenversiüieruugsgesetzes sind
Eintraguiigcn unö Vermerke in und an der Quittungs-
karte, soweit solche nichl durch das Gesetz vorgesehen
sind, unzulnssig. Ein Arbeiter, der anc 15. Iuli ord-
nungomätzig das Arbeitsverhältnis verließ, erhiell dabei
seine Jnoalidenkarte, in welcher aus eiuem der Marken-
felder der Vermerk „Gestreikt" sland. No-ch ain selbeni
Adend wurde die .Äarte von eiuem Polizeikoimnissar, dein
sie zu Gesicht t'am, beschlagnahnü, wozu derselbe iibri-
gens nach Paragraph lüü deS Invalidenversicheruugs-
gesetzes verpflichtet war. Eine neue .A'arte erhielt der
Mäger erst ain 24. Iuli. Er behauptete uuu, dasz er
inangels einer Invalidenkarte voin 16. bis 24. Iuli
keine Arbeil habe erhalten könneu uud verlangte infolge-
dessen von seinein bisherigen Arbeitgeber 24 Mk. «chia»
denersatz. DaS F-rankfurten Gewerbegericht hat öÄn
Kläger diese «umine zugesprochen. Die Besriiiumiug
über die iinzulüssigen Eintragungen iu die QuirtuugS-
karre sei osfeubar getroffen, niu den Arbeiter dapor zu
schützen, datz eiues.seinec uotweudigeu Legitiinativns-
papiere zu einer Tchädigung in seiuein ssortkoinmen
diene. Datz Kläger iu Eriiiangelung einer Karte keine
Arbeit sinden konute, uahm das llstwicht auch ohne Be-
weisaufnahme als zweifellos an, da es bekannt sei, datz
es die meislen Arbeitgeber ohne WeüereS ablehuen, L-eute
einzusrellen, dereu.ü'arte nicht in Ordnung ist, uin §che-
rereien zu mrmeiden, eine Erfahruug, die ja iiberall
gemacht worden isr. Freilich verlangeu andere Geuvrbe-
gerichle in solchen F-ällen vom Arbeiter den diachweis,
datz er Arbeit erhalten hätte, wenn er im Besitze seiner
Invalidenkarte gewesen wäre.

- Psändu n g bei s ch w a u keuden Lo h n-
forderunge n. Das Lohneint'omnien pines Ar-
beiters ist nach deni Gesetze nur insoweit Pfäudbar, als es
den Betrag von 1500 Mark jäbrlich iibersteigt. Nun ift
dieses Ein'kommeu häufig ein von Woche zu Woche oder
Monat zu Monat schwankendes. Aiigenommen, eS iiber-
steigt eine Zeit lang den Betrag von M. >25.— mo-
natüch, und es kann für wahrscheinlich gelten, datz uach
Ablauf mnes IahreS ein Belrag von mehr als lüOO Nkk.
herauskommt. Biutz dann der Gläubiger den Ablauf
des Iahres abwarten, oder darf er von dem M v n a t s-
lohn soviel psänden lassen, wie der Lchuldner mehr als
l2i> Mark empsängl? DaS Nammergericht hat sich kürz-
lich für die letztere Ausicht entschieden. Wollte man, heitzt
es in seiner Begrüiidung. „die Pfändung bei s-chwan-
kenden Lohnsorderungen davo» abhängig machen, datz
sich am Ende des Iahres ein Einkommeii von über 1500
Mark zuguiifren des Schuldners ergeben hat, so würde
dies in den weitaus meisten Iällen solcher Art die
W i r k s a m keit der P fä n d u n g völlig er -
folglos gestallen! Wie aber, wenn sich am Jah-
resschluß ergiebr, datz weuiger als ll>00 Mark ver-
dient worden sind? Dann knuii der --rchuldner von seinem
Gläubiger die zuviel gepsändete Tuiiime zurückforderii.
Man wird gegen diese Rechtsgruudsätze wenig einzuwen-
den haben, wenn die Gerichte es nur mit der Feststellung
der Psraussetzuiig chs ganzen Perfahrens genau nehmen,
uämlich mit der Entscheidung der Frage, ob es wirklich

wahrscheinlich ist, datz der Schnldner im Iahre mehr als
1500 Mark bezieht. Sie dürsen 'si-ch natürlich uicht init
dem Nachweis begnügen, datz der Lohn in ein oder zwei
üNonaten 125 Mark überftiegen hat, sondern werden
diesen Nachweis sür eine läugere Periode forderu müssen.

- - Die Ne s o r m d e s a m t s g e r i ch t l i ch e u
V e r s a h r e n s fordert Landgerichtsrat Schifser als
sozialpoütische Notwc'ndigkeit in der zweiten N'ovember-
dtummer der „Teutschen Iiiristen-Zeitung". Er geht
davon aus, datz mau in unserer Zivilprozeßordiiuiig neben
dem Landgerichtsversahren, welcheS anf dem Zusammen-
ivirken von Richtern und Anivälten bernht und auf Pro-
zesse der besitzenden Klasseii berechnet ist, bei deu Amts-
gerichten für alle geringfügigen Sachen ein beschleunig-
teS und wohIseilereS Ve'rfahren liaben schafseu wollen.
Dieser -sweck wurde jedo-ch niclit erreicht, weil die Zivil-
prozetzordniing das Versahren vor den Amtügerichten
uicht geiiügLnd eigenartig aus diesen Gruudgedaiiken
herausgestaltet, sondern nur alS eiuen „verdünnt'.m Auf-
gutz deS landgerichtlicheii 'IuristeimrozesseH". Iu 'der
That sind die Abweichnngen von diesem nicht eben sehr
erheblich, mit AuSiiahme der einen, datz die Parteien vor
dem AmlSgericht ohne Auwalt verhandeln können. Aber
der AnüSgerichtsProzetz isl weder so billig noch so schleu-
nig, wie er auS ökonomischen und sozialpolitischeu Griin-
deii sein sollte. Tatz man im Volke dieS empsindet, geht
nach Schissers Ansicht auS dem weitverbreiteteu Streben
nach Sondergerichten (Gewerbegeri-chten, Kaufmännischen
Schiedtzgerichten u. s. w.) hervor. Er befürwortet daher
eine Neugestaltung des Verfahrens vor den Amtsge-
richten. und schlägt alS Muster hierfür daS gewerbege-
richtliche Verfahren vor, jedvch ohne den AuSschlutz der
Rechtsanwälte und der Bernsung. ES isc sehr bedeut-
sam, datz der Geiverbegerichtsprozetz, in welclMi inan
ausangs nur eine notgedrnngene AiiSnahine voin ainks-
gerichtlichen Versahren sah. ietzt von Inristen diesem als
Muster hingestellt wird. Wie sehr die Geiverbegerich-
ten den vrdentliäLn Gerichte» an Schnelligkeit iiberlegen
sind, geht daraus hervor, datz nach 'Iastrow (Sozialpoli-
tik und Verwaltungswissenschast Berlin 1002, Georg
Reimer) von den Gewerbegerichtsprozessen deS IahreS
1ÜOO 57 Prozent in iveniger als einer Woche, 24,1 Pro-
zent in weniger als zwei Wocl>en erledigt wurben. Dem-
gegenüber ist eü bezeichnend, datz die Statistik der ordmt-
iichen Gerichte Z-älle, die weniger als drei Moiiate dau-
ern, überhaupt uicht aufweist.

Deutsches Reich.

DieBreslauer Z r e i s i n n i g e u beabsich-
tigen, den F-ührer der Arbeiterabordiiung beim lllaiser,
Z-eder'schnüed Ulainmt, entspreckiend dem ausdrücklichen
Vorschlag deL Laisers, nichtsozialistische Arbeitervertreter
zn wühlen, bei den nächsten Reichstags- und Landtags-
wahlen als Landidateu aufziistellen in der Erwartung,
datz auch die Lonservativen auf Griind der Kaiserrede
diese Laudidatnr iinterstützen miissen. Klamnü ist seit
Iahren ein bekaunter rühriger Anhänger der Freisnni-
! gen VolkSPartei iri Breslau.

In eiuer am 7. ds. SNtS. in Berliu uuter dem
Vorsitz des Geheimen Qberbaurates Särasiu abgehal-
teuen Sitznug des GesamtvorstaudeS des deutscheu
«prachvereiiis, zu d'er Vertreter aus nlleu Teileu Deutsch- I

- laiids erschieneu waren, wurde beschlossen, dem Plaue
der Errichtuug eineS R e i ch s amtesfür deutsche
L P r a ch e näher zu treten uud dieserhalb bei den zu-
stäiidigeu Behordeu vorstellig zu werdeu. Die uächst-
jährige Hauptversammluug svll in Berlin stattfiuben.
Iu deu Vorstaud wurdeii neu gewählt Professor Doktor
Bruiiuer-Müiicheii uud Geh. Regienmgsrat Dr. Wal-
deher-Berlin.

Badcn.

o ii st a u z , 7. Dezember. Gesreru sprach im
Schwedensteiusaale, in einer vom Volksverem einberu-
seueu Versammluug der Laudtagsabgeo'rdnete,' Muser
über die politische Lage und die Kloster -
f r a g e i u B a d e n. Die Versammlung war gut be-
sucht. Bezüglich der Klosterfrage erklärte der Redner,
nach dem Berichte der „Landeszeitung", seine Partei sei
nicht gegen Zuiassuiig der Mäuuerorden, und zwär des-
halb, weil es sich blotz um eiue' Kostüiusrage haudle.
Die Ordeusleute, welche ihr Touüzil im Auslande oder
zlim Beispiel im Elsatz hätteu, dürfteu alleuthalbeu im
badischeu Laude über ihre Gruudsätze predigen, ebeuso
sei es deu Weltgeistlicheu nickst uur gestatcht, die gleicheu
uud von dcni Liberaleu für staatsgefährlich angeseheneu
Lehreu, der llnsehsbarkeit z. B., zu verküudeu, ja die
geuauiite Partei bewillige ihnen sogar Gelder fiir Kon-
vitte, Schuleii usw., wo die glercheu Gnmdsätze der
Iugend eingeimpft würden. Es bleibe sich also gleich,
ob so eiu Prediger eiuen schwarzen Frack oder eiue braune
Lutte aiihabe. Er empfehle Tre u n u n g der Kirche
vom S t a a t. Herr Rechtsauwalt Venedey erklärte
hieraus: „Seiue Partei sei mit deUi Zentnnu Haud in
Haud gegaiigen, ivo beide Parteieu die gleicheu Gnmd-
sätze verfolgr hätteu. Nachdem aber das Zeutrum sich
in jeder Beziehung zu einer reaktiouäreu Partei ent-
wickelt habe, köime für die Zukunst chon einer Ge-
m e i u s chaft t' e i n -e R e de mehr sein." Von sozial-
demokratischer Teite ertlärte Herr Krohu sich uüt beideu
Redncni eiiiverstauden. Alle drei Redner ernteteu Bei-
sall. Dauüt wäre das Tischtuch zwis-ck)eii deu Schwarzen
u»d den Roteu durchschuitteu. Da die Deniokrateu für
sich alleiu t'einen Abgeordneteu durchLriugeu, bedeutet
diese Absage den Verzicht Venedeys auf das Laudtags-
mandat.

ki(' LarlSru'he, 7. Dezember. Wie aus dem
achteu badischen Reichstagswahlkreis Badeu-Rastatt-Bühl
gnneldet wird, beabsichtiat das Zeutrum, an Stelle des
jetzigeu Abgeordueteu dieses K'reises, Geistl. Rat Leuder
Hc-rrn W a ck e r als Kaiididateu für die uächste Reichs-
ta-gswahl aufzustelleii. >Die> Nationchlliberaleu 'habeu
das letztemal sür Leuder gestimint. Diesmal werden sie
eiueu eigeneu Liandidateu aufftellen. Sozialdemokrati-
s-cher Kandidat ist A'Potheker Theodor Lutz-Badeu.

Bayern.

A u g s b u r g, 8. Dezember. Iu eiuer gestern ab-
gehalteneu Versam.mluug der liberaleu Arbei-
kerv e r e i n i g u u g zu Augsburg wurde die Absen-
duiig iiachsolgeiiden Telegramms an deu Kaiser beschlos-
sen: „Die liberale Arbeitervereiiüauug Augsburg, um-
sasseud 900 rei-chstreu gesümte Arbeiter, svricht für die
herrlichen Worte, die Em. Majestät iu Esseu und Breslau
au die Arbeitervertretimgeii zu richteu geruhten, tief-
gefühltesten. ehrsurchtsvolisten Dank aus."

Mräludien

zur Kinkeitung in die UHikosophie. *)

Der Schreiber dieser Jeileii hattc bis'her noch keine dec
Schriften Windelbands gelesen. llm so mehr freute er sich,
aus der ihm kürzlich zur Hand gekommenen zweiten Auflage
eincr Sammlung kleiuerer Schristen des Stratzburger Hoch
schullehrers D-enkart und Auffassung des Gelckhrten ken-
nen zu lernen, der berusen ist, vom Ȋchstcn Semester ab
hier neben einem Kuno Fischer Philosophie vorzutmgen. „Prä-
ludien" nennt sie der Verfasser, Aufsätze und Reden zur Ein-
lcitnng in die Philosophie.

Philosophie — was ist das? Hören wir, wie W'indelband
gleich im ersten seiner Aufsätze diese Frage bcantwortet:
Die Geschlchte zeigt, datz im llmt'reise dessen, worailf sich
die Erkenntnis richten kann, nichts ist, was nicht schon
einmal in die Philosop'hie hineingczogen, u»d ebenso nichts,
was uichi schon cinmal von ihr ansgeschlosscn worden wäre.
Mcm hat dann versucht, die Philosophie uichr »ach ihrem
Gcgenstaude, souderu nach threr Methode zu bestimmeu! Ver-
geblichl Man hat sie in allgemcine Welterkemitiiis, in Lebens-
kunst, in Erkenntniskririk, tn eine Theorie der Wissenschaft ver-
waudeln wollen. Man hat ihr Wesen in der Formulierung
religiöser Ueberzeugungen gesucht. Jin Wechsel dicser Ver-
suche prägt sich die Veräuderuug der Wertschätzung aus, welche in
der Entwickluug der europäischen Kultnr der wtssenschaftlichen
Erkenntnis zuteil gewordcu ist. Bei Kant erscheiut die Philo-
sophie als die Wisseuschaft von dcn allgemeiu giltig-eu uud
notweudigeu Wertbestimmungeu. Fhm schlietzt sich Windel-
band an, indem er sie als die kritische Wisfenschast von deu all-

*) „Präludieu, Aufsätze und Reden zur Emleitung in die
Philosophic", von Wilhelm Wiudelband. 2. vcrmehrte
Auflagc. Verlag von I. B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen
u,id Leipzig. Preis 6,00 Mark, geb. 7,00 Mark.

gemein gilrigeii Werteu bezeichuet. Wissenschaft von deu all-
gcmcin giltigen Wertcn: das üezeichnet de» Gegcnstand; kci-
tisch, das bczeichnct die Aiethode der Philosophie. Bei der
Temonstraüon diescr Definition hebt Wiudelüand mit
grotzem Glück n»f 'den llnterschied zwischen llrteil imd
Beurteiliing ab, der, knrz gefaht, darin liegt, datz
das Ilrtcil auf Erkcnutuis, dagegen aber die Beurteiluug auf
Bilügung odcr Mihbilliguug geht. Auf ihm beruht
die Möglichkeit, die Philosophie als eiue besondere,
schvn durch dcu Gegeiistand scharf vou den übrigeu
sich abgrenzende Wissenschaft zu bcstimmen. Die Philo-
sophie ist also dlc Reaktiou eiues wollendeu uud fühlendeu
Judividuums gcgen eiueu bcstimmteu VorstelluugZiuhalt. Sic
prüft, welche logische, ethische und nsthctische Beurteiluugeu
Auspruch auf Allgenieiugiltigkeit erhebeu dürfcu. Deshalb
kauu mau sie auch kurz die Wissenschaft vom Normalüewutzt-
seiu bezeichnen. Die Anerkcnnnng des normalen Bewntztseins
ist die Vvraiissetzung der Philosophie.

Wie man schon ans dieser klcinen Skizze ersicht, geht
durch das Deuken WindclbandS eiu praktischer Zug, der sehr
förderlich für die llmgrenzimg der Aufgabeu der Philosophie
uud für dereu Lösuug tst.

Der viertS Aufsatz ist der Philosophie Kants geimdmet.
Jhre Be-deutung findet der Vcrfasser darin, datz Kant die
Vorstellung übevwunden hat, als sei die meuschliche Wissen-
schaft bestimmt und als habe sie darin ihr Regnlativ, eine
nnabhängig von ihr bestehende Welt abzubilden. Man hat
osi gesagt, die Seclc sei ein Spiegel der Wclt. Nun gehört zu
einem Spiegelbild ein Spiegel, ein Gegenstand und ein Auge,
das das Spiegclbild wahruimmt. Also soll die Seele zugleich
Spicgel und Augc sein! Nein, was uach der gewöhulicheu Vor-
aussetzuug ei» Gegenstand ist, der im Denken abgebildet wer-
den soll, das ist iu voraussetzungsloser Betrachtuug cine Regel
der Vorstellungsverknüpfuiig. Ob es autzerdem uoch etwas ist,
das wissen wir uicht, uud das brnuchen wir nicht zu wissen.
Wir köunen es, auch wenu es dcr Fall ist, uicht wissen. Der

Uuterschied vou Wahrheit uud Falschheit beruht darauf, dah
die als wahr zu erkenueudeu Pvrstelluugsverbiuduugeu uach
eiuer Regel gescheheu, dic für alle gelieu soll.

Eiue weittrageude Nussühruug über Normen auf ethischem
Gebiet bildet der Anfsatz, üer sich Normeu uud Natnrgesetze
betitelt. Fu ihm wird das Problcm der Vereiniguug von
Notweudigkeü uud Verauüvortlichkeü behaudclt. Alles, was
geschieht, geschieht uotwendig, audererseits fühlt sich der Mcnsch
fiir sciii Haudelu veraiüwortlich. Wie ist das zu vcreinigeii?
Hier dcr Zwaug des Wisseus, dorr das Gebot des Sollcus. Die
populüre Betrachtuugsweise schiebt da deu Begriff der Willens-
sreiheit eiu, die imsraude sei, deu Prozetz vou Ursache uud Wir-
kuug zu beeiuflussen. Vor der philosophischen Betrachtuug be-
steht die Willeiisfreiheü läugst uicht mehr, auch dcr Verfasser
bez-eichnet sie als unmöglich; vorhanden ist aber ueben der
Notweiidigkeü, die- sich im Kausalüätsgesetz ausspricht, die
Norm für das Sollen, die unser Haudelu bewertet. Wir
steheu ebeu uuter eiuer doppelten Gesetzgebuug. Aus den
Naiurgesetzen begreifen Ivir die Thatsachen, nach den Normen
habcn'ioir sie zu billigeu oder zu mitzbillrgen. Wcrdeu wir
uus der Nvrmeu bcwutzt, so köuueu sie zrr einem Elemeiü der
Kausalitnt wcrden. Werdeu sie es wirküch, so kommeu wir von
der Macht der eiuzcluen Motive, vou deu Affekteu uud Letdeu-
schafteu los; wir erlaugcu die sittliche Freiheü, die uichts
anderes ist, als die Hcrrschaft des Gewisseus. Diese Frei-
hcit ist uicht etwa ciu geheimiüsvollcs Vermögeu, etwas zu
thuu, wozu keine Ursache vorhanden ist, sie verlangt teiue Aus-
nahme Vvn dem uaturgesetzlicheu Zusammenhang der Erschei-
uungcu, soudern sie ist viclmehr das reifste Produkt der Natur-
notwendigkeit, dasjenige, wodurch das Einzei'beivutztseiii sich
selbst uuter das Gesetz des Normalbewutztseins stcllt. Vcrant-
wortlich zu machen ist dcr Mensch im philosophischen Sinne
nicht sür seine Handlnng, sondern für sein Wesen, scinc Per-
sönlichkeit, darans dic Handlung enlsprang. Ueber die Per-
sönlichkeit hinanszugchen, hat keincn Siun, deuu der Zweck
der Vernuiwortlichkeit ist, die Nvrm zur Herrschaft zu briugen.
 
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