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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 281 - 305 (01. Dezember 1902 - 31. Dezember 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23861#1304
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V

Gricchcnlnnd,

A t i) c » , 2 l. Tczembcr. Tcr gestrigen Eröfsiiung
ber Teputlcrtenkaimner und der Veclesnng der Thron-
i cde waren sehr st ii r in ische Szen e n vorausge-
gangein Zwischen den Anhängern von Delyannis und
Theotokis hatte sich schon vorher über die Arage, mer
AlterSpräsident sei, ein Streit erhoben. Nun weigertcn
sich Angestetlte, die zur Partei de'r Theotokisten gehören,
die Schlüsscl zur Teputicrtent'aniiner dem Vlinisteriuin
anSzuhändigen, übergaben sie vielniehr eineiii frühereii
Vizepräsidenten der aufgelösten Knimner, indein sie sich
dabei auf die Bestimmnng stühten, dasz bis znr Bildung
eincr ncuen 5lanimer die Präsidenten dcr alten die Ob-
hut iibcr dic iiamincrgegcnstände ansüben. Tie Theo-
tokisten wollten nun, da sie im Besitzc der Schlüssel iva-
ren, eine Sitznng peranstalten, um einen AlterSpräsiüen-
ten aus ihrer Vkitte eiiiznsetzen, Ein nach Mitternacht
einbernfener auszerordent'licher Vlinisterrat beschlosz, das
Thor der itammer mit Gewalt öfsnen zu lassen. Früh
nm 7 Uhr war die Viammer von bemaffneter Vlacht be-
setzl nnd der delyaniftische Alterspräsident Zarlambas
bereits anf dem Präsidentensitze. Eine Anzähl Theo-
tokisten, die gleichzeitig erschienen waren, nmringtcn ihn.
Als der B,etropolit das übliche Gebet zn sprcchen an-
fing, erklärte ein theotokistischer Abgeordneter das Vor-
gehen der Pcgierung für einc Beleidigung der .chanimer.
Es entstand ein heftiger T n m n l t, bei dein meh-
rere Abgeordnete handgemein mnrden. Einer warf mit
einein Tintenfasz, das in' einen Weihmasserkessel fiel.
Taranf folgte eine allgc m eine S ch lägere i. 'Zin
Saale iind von dcn Tribünen ertönten Nnfe: ttlicder
mit den Theotokisten! Letztcre zogen sich schlieszlich nntcr
Nnfen, mit denen sic gegen das Verhalten des Ministe-
rinms protestierten, znrück. Tie Ruhe wnrde wieder
hergestetlt. Ter Eönig erschien im Hanse nnd verlas
die Thronrede.

Afrika.

T a n g c r, 2u. Tezcmber. Tcr Snttan hat dem
Brnder des Kriegsinnisters (5l Vlehnebi» den Befehl über
die TrnPpe n anvertraut, welchc gegen den P räte n-
dent e n in der Gegenb von Tazza vorgehen sollen.
Tie Anzahl der zur Bekämpfnng dcs Anfstandes ins Feld
gestetlten Trnppen beträgt nngefähr lO l>00 Mann.

Zwangseingemeindnng der Weöengemeinde
Wheinau.

Zn der schon t'nrz gemeldeten Verfügnng übec die
Zivaiigseingemeindnng der Nheinan in Mannheim be-
richten dortige Blätter folgendes N'ähere:

Viit minislerieller Entschliesznng vom 7. Tezember
d. I. wnrde verfügt, das; die Zst'ebengemeinde Rheinan
mit Wirknng vom 1. Iannar l!>0:> von Lccken-
heim abgetrennt nnd der Stadt ManNheim zngeteilt
wcrde.

Tie Bedingungen des tlebergangs werden in erster
Linie vom Bczirksrat nnd in letzter Znstanz vom Ver-
walkungsgerichtshof festgesept.

Ter Üebcrgang ist deshälb 'anf einen so kurzcn Ter-
min verlegt worden, um es dcn beiden beteiligten Ge-
meinden Mannheim n»d 'Seckenheim zn ermöglichen,
in ihren Bndgets fi'ir das Iahr l!>03 die erforderlichen
Vlasznabmeii treffe» zn können.

Znr Sachc selbst erfährt die „N'eue Bad. Ldsztg.":
Tie Gcmeiiiden Seckenheim nnd Blannheiin wnrden ge-
fragt, welche Stellnng sie zn der Eingemeiiidnngsfrage
nehmen. Beide erklärten, t'einen Antrag stelten zn mol-^
len. Seckenheim sagte: Es wäre nüt den bcstehenden
Verhältnissen znfrieden nnd nnirde allen berechtigten
Wünschen, die seitens der Rheinan geänszert würden,
nachkommeii. Tie menigen noch ansstehenden Arbeiten
- eigeiitlich iiuc die .Eanalisation - mürden sofort nach
Geiiehmignng in Angriff genommen werden. Vlannheim
erklärte, ebenfalls keinen Antrag stellen zn Mollen nnd
anf 'd-ie weitere ?srage, ob die Stadt bereit sei, die Nhei-
nau zn übernehmen, falls fie ihr zwangsmeise znerteilt
werde, ert'lärte sie sich ciiiverstanden, vorbehältlich der
näher zu vereinbarenden Bedingungen. Nachdem das
dN'inisterinm aus den frühercn Verhandlungen den Ein-
drnck gemonnen hatte, das; mündliche Verhandlnngen
wahrscheinlich doch wieder zn keinern Ziele führen dürf-
ten, verfngte es in einern Erlasz weiteiz dasz jede inünd-
liche Vcrhandlnng zu nnterbleiben häbc, sedoch die Be-
teiligten aufznfordern seien, ihre Anträge schriftlich zn
formnlieren.

Ter „Mannh. Gen.-Anz." schreibt: Was die Frage
anbelangh, ob die stadt Mannheim gezwnngen werden
tänn, die Nebcngemeiiide Rhcinan zu den vom Bezirks-
'rat, respektive dem Verwaltungsgerichtshof sestznsctzenden
Bedingnngen zu übernehmen, so erscheint diese als sehr
strittig. Uns crscheint es als ein nnbcdingtes Erforder-
nis, dasz öer Bürgerausschnsz zucrst über seine Meinung
befragt nnd von seiner .Znstimmung die Einverlei'bung
abhägig gemacht wird. Eine Meinungsäuszerung des
Bürgerauss-chnsses dürfte aber vor Ende Ianuar taum
herbeiznführen sein. In dem vom badifchen Landtag in
seiner vorleMn Session angenoinmenen, vom Großher-
zog unterm stO. Vlai 1800 genehmigten Gesetz mird in
Paragraph 3 Ziffer 10 Folgendes bestiinmt: „Der Ver-
maltungsgerichtshof erkennt in erster nnd letzter Jnstanz
auf Klagen gegen Entscheidungen der Verwaltnngsbe-
hörden in Ltreitigkeiten, öie bei Verändernngen im Be-
stande vün GemeMden, Gemarknngen u. s. w., insbeson-
dere Gcmarkungsverändernngen entstehen, ob, in welchem
Umfange nnd in welcher Weise dem einen Gemarknngs-
inhaber von dem andercn für dnrch gegenü'berstehende
Vorteile nicht aufgewogenc Vcrmindernng der Steuer-
kapitalien ein Ansgleich zn gewähren ist." Wir be-
schränken nns für hcnte anf diese kurzen Mittcilungen.
Tiese Angelegenhcit wird das Hauptinteresse der nächsten
Tage beansprnchen. Zn nnserer Stadtverwaltnng haben
wir das Vertrancn, dasz sie die Znteressen Akannheims m
dicser Angelegcnheit in dcr richtigen Weise mahrnehmen
wird.

Aus Stadt und Land.

Einc fiir Hausbcsitzcr uirti Mictcr gleich wichtige Enrschei-
kung hac nach der neuesreu Numm-er der juriscischen steitschrifi
„Das Recht" das AeichSgericht gefällt, indcm es folgcudeTi
Rechtssatz ausstelltc: Wird dcm Vermietcr das Vorhandensein
vou Mäugelu öurch de» Mieter angezeigt, so dars er nichr
eiufach uuthätig bleibeu, wenn 'er selbst nicht beurteilen
kauu, ob die Beicitigung Lieser Mänget ihm oder dem Mieter
obtrcgt. Er mutz viclmehc, um nicht gcgen scine Verpflichtun-
gcu als Vermierer zu bcrstotzeu, ru eiuem derartigeu Falle
ourch cinen Sachbcrständigeu crmitreln lasseu, welches d.is
Ursachc dcr hervurgetretenen Mängel ist.

Arbcitcr-Wochcnkarten. Eine tlleueruug auf den badischen
Bahucn soll mit dcm 1. Ianuai: für dic Jnhaber von Arbeirer-
ivucheickartcn cintrctcn. stüuftighin soll bci Lösung der Ar-
beitcrwochcnkartcn dic Vorlage eurer Bescheinigung dcs Ar-
beltsgebers erfordcrüch scin.

jiarlsruhc, Tezember. (D i c O b c r r h e i u i s ch e
Bauk), die auf 1. "Januar kkmftigen Jahrcs das Bankhai^s
E .Äöllcr übernehmen wird, hat das am Rondellplatz gelegens
Haus dieser Bank um 800 000 Mark samt Juvenrar ange-
kauft.

IZL starlsruhc, 27. Tezember. (Behinderung der
Radfahrcr.) Vor etwa 2 Aahrcn hat die Oberdirekrion
'oeS Wasser- uud Llratzenbaues cine Verfügung erlassen, in
wclcher drs lliadfahren als cin modernes Vertehrsmitrel an-
erkaunt und den Bczirksbehordeii aiifgcgeben ivurde, Streifen
zu bcideil Seitcn der Fahrbahn aller Stratzen für dic Rad-
fahrer frei u»d hinlänglich cben zu halten. Die Uchrichlhaufen
jollieu nichl diese Nadbahn vercngen. Tie Verordnung isl
mehr odcr wenigcr simigemätz aitsgeführt worden, zum Teil
aber auch cin torer Buchstabe gcblicben. Wer sich von der
Wahrheit dcr lctzreren Behauptung übcrzeugen will, braucht
nist von Turlach nach Ertlingen zu fahren. Die Srratze ift
flickweife bcschottcrt, u»d zwar so, datz die Schotterflächen
vald rechts, bald links an das Rasenbankcrt stotzen. Man mutz
bci hellem Tage wie ein Betrunkcner im Zickzack fahren und
'taim dennoch Bcschädigungcn der Nadreifen nicht vcrmeiden.
Bekanittlich fahren nichr blotz reiche Leute, sondern viele solche,
denen die Anschaffung eineS neucn Radmantels cinc erheb-
liche Ausgabc ist. Man mutz sich nur über die namcnlose Ge-
^duld der-rÄarlsruher Radfahrer imd ihrer Vcreiue wunderu,
datz sie die Richtberücksichtigung ruhig hinnchmcn. Jn anderen
StäctTcn ivürdo sich Lbcr eine svlche, von der technischen Bchörde
geduldetc Vcrkchrsstörung cin allgemeincr Entrüstungsschrei er-
heben iind die Sache würde andcrs wcrden. Es ist schon
lange einc berechtigie stlagc, datz die Stratzcn geradc in der
Umgcbung bon Äarlsruhe uicht ücn Auforderungen des mo-
berncn Bcrkchrs, wozu auch dcr Radfährerverkehr gehört, ent-
sprechcn. und datz keine Abhilfe geschicht.

80 stnrlsriihe, 27. Dezeinber. (Zur Sonntags-
stuhe in den ApotheLc n) 'har das Ministerium dcs
Jimern zuiiächst vcrsuchsiveise genehmigt, daß Apothekern,
ivelche ihre Apotheke ohne Gehilfen betreiben, auf ihren An-
trag widerruflich gestattet werde, sich an Sonn- und Festtagen
während bestimmter Stunden aus dcr Apotheke zu entfernen,
sofern Fürsorge getroffen ist, datz im Bedarfsfalle der Apothe-
ker innerhalb X>ier Stunde zurückgerufcii werdcn kami und
durch Bercinbaruiig mit dcm Ortsarzt diesem die Möglichkeir
gebotcii'wird, die für dringcnde Fälle etiva nötigen Arzßei-
mittel aus der Apothckc auch iu Abwesen'heit des Apothekers
zu «mtnehmeii. Weiicr gciiehmigte daö Miuisterium des

Deutsches Reich.

- - Eiu Mitarbcitcr der „Basler Nachrichten" hat
1'ürzlich in Mannhcim nnt dem Reichstagsabgeorduetcn
B a s s e r in a n n eine politische Nnterrednng gehabt,
über öeren Pnhalt er einige Mitteilnngen macht, Nach-
dem Bassermann die von der Obstrnktion unfrciwillig
gefördertc glückliche Erledignng deS ZolltarifS inid daS
Verhallen der Parteien in dieser Sache besprochen hatte,
bemerkte er nnter andercm, die Hanptarbeit des ReichS-
tags werde si-ch jetzt dem Abschlnsz der Handelsverträge
zmvend-en. Däbei werde jetzt dcr schweizerische Handels-
vertrag, der ja überhanpt nicht zn den eigentlich schwie-
rigen Vereinbarnngen gehöre, tänm Sorge mache»: ge-
stützt gnf den nenen Zolltarif nnd dessen hohe Positioneit
werde ja fognr der Abschlnsz des schnsterigstcn, des rnssi-
jchen HandelsvertragS, keine nniiberwindlichen Hinder-
nisse mehr lsteten. Noch dem fetzigen Reichstag werde
poraiisfichtlich der rnssis-che Handelsvertrag vorgelegt
werden, nnd sodann ebenso der leichteste, der belgische mit
der Mseitignng des nnsinnigen Quebrachoholzzotles.
Tann werde felbst der Handelsvertragsverein einsehen,
wie schlecht er geleitet gewesen sei. Gothein sei ein ganz
und gar nngeeigneter Nachfotger von Siemens. Ueber-
haupt sci es zn bedaner», das; die Handelstämmersekre-
türe attzii sehr zn Stimmführern der Haiidelskammern
gewordeu seien, an Stelle der Präsidenten dieser Kam-
mern, die niclst so freihändlerisch verrannt seicn, wie deren
Sekretäre.

Tie „Post" veröffentlicht eine Znschrift des Ab-
geordnetcn v. .st a rdorff vom 21. d. 2N., in der sein
A n srritt a n s de m B » n d e der L a n d-
wirte damit begründet nstrd, dasz, nachdem die Lei-
timg des BniidcS der ReichSPartei offen den Krieg cr-
klärt hat, nichts auderes übrig lstieb, als den Ä a m P f
aufz n n e h m e n, obschon er aus allgemeinen wirt-
schaftlichen nnd politischen Interessen hättc permieden
werden follen. Gleichzeitg ging der „Post" die Erklä-
- rung v. Kardorffs zn: „Gegenüber der Kriegserklärung,
die der Vorsitzende deS Bundes der Landwirte gegen die
Reichspartci ertassen hat, können scine Parteigenosse»
selbstperständlich dem Bnnde nicht mchr angehören.

Baden.

K a r l s r u h e, 20. Dezember. Die Zahl der j n -
g e n d l i ch V e r n r t e i l t e n ist in Baden von 1890
bis 1899 von 1625 mif 1661 hiiianfgegangen. Bei der
Bevölkeriingsvermehrung von 1 057 085 im Jahre
1890 auf 1 807 941 im Iahre 19l)0 bedentet dies eine
kleine Ermäszigung von 0,092 Prozent anf 0,088 Proz.
Tie Zahl der vernrtcilteii Erwachseiien ist in der gleichen
Zeit von 0,55 Prozent anf 0,72 Prozent der Bevölkerung
gestiegcn. Tie Vergehen gegen das Vermögen behmipten
immer noch die bedentende Neberzabl. Die Zalst der in
'die Zeittral-Strafanstalten aufgenommenen Vernrtcitteii
unter 18 Zahren ist seit 1890 mit 289 in ständigem
ttiückgang. Sie betrng 1899 nnr noch 100, darnnter
150 mäniiliche nnd 10 weiblickL'.

Ausland.

Nußland

R o st o w a. D o n, 25. Tezember. Tie G ä h r n n g
unter den A r beit e r n in den Werkstätten der Wladi-
täwkas-Eisenbahn dmwrt mi: es mird jedoch weiter ge-
arbeilet. Polizei nnd Militär beobachten die Arbeiter.
In den letzten Tagen beganne» jugendtiche Arbeiter die
bei den Wertsiätten Wachc stehenden Kosaten zu betäsri-
gen. Sie warjen mit Eisenstücken uach ihneii nnd ver-
nmndeten einen Kosaken.

PeterSbnrg, 25. Dezember. Ter „Regiernngs-
bote" veröffentlicht ein längeres Handschreiben des Kai-
sers an die llniverfität D o r p a t ans Anlas; des 100-
jährigen Bestehens derselben. In dem Hmidfchreiben
sprickn der Kaiser der Ilniversität seine Nnerkennnng für
d-as von ihr bisher Geleistete aus nnd verfi-chert den Lehr-
körper nnd dic Studierenden seineS WohlwollenS. (!)

Türkci.

K o n st a n t i n o p e l. 24. Dezember. Tcr M n -
tejfirif von B njazie (Vilajet Erzernin), der am
NamenStage des rnssischcn KaiserS nicht ge-
fIaggt hatte, wnrde anf Bes-chwerde der rnssischen Bot-
schafr a b g e s e tz t. (!) Anch wurde der Minister des
Innern migewicsen, an den Botschafter Lstnowjew eine
Entschuldignng zu richten.

rcnd bcr cngli'schcn llntcrrichtsstundc: „shokinff, shokrng, shotingl
— cs fruchtcte gar uichts.

Nur Olga, „Grotzmüttcrchen", Ivic sie ivcgcn ihrer zwanzig
Jährc vvu -cu jüngercn Genossinnen genannt wurde, sonst
He Lustigste uisd Mutwilligste vou alle», uähm au der Streit-
st-age kcstien Autcil. Auch für sic war ein Schreiben estige-
taufcn, mid nachdcm fie cs gclesen hatrc, verstummte ihr
'Mund, sie Ivurdc träumcrisch und seltsam bewcgt^

Was mochtc dcr Bricf nur ent'haltcn? Sollte „Grotz-
mürtcrchcn" schlimmc Nachrichlen erhalten habcn?

Als die Dämmerstnnde anbrach, schlich sie sich still aus dcm
munrcreii ärcise der Freimdiiineu in Len Park hinaus. Rasch
eilre sie durch die vcrschneite Allce bis an das Gitter und
spähie iii die Fcrne. Nichts rcgte sich 'drautzcn. Sie zog ein
Briefchen aus dem Buseu — dasselbe, das sic am Morgcn
erhatreii hatte — uud las:

„Geliebtc, komm' hcute Abcnd in den Park —"

Da hörrc sie plötzlich den rascheu Schlag flüchtiger Rosses-
hufe, welchc dc» hartgcfrorcne» Bodcn stampften .... schon
Ivard dcr llieitcr sichtbar: scin Ticr greift weit aus — wcnige
Galoppsprüngc, und cr hält am Gitter.

Fm Nu springt dcr junge Mcvm aus dc>» Sattel, wirft
die Zügcl übcr ciiie der Gitterzacken, schwingt sich selbst mit
lcichter Mühc über das Hindcrnis, welches dcn Park bon der
Antzemvclt trciint, und zieht das Mädchcn an scine Brust.

„Mcsti LicbchcuI

..Mcin Heinrich!"

Cün langcr, seliger Kutz.

Die schrille Stimme Miezcs schrcckt die Liebcnden plötzlich
auf.

„Olga, Olga!"

„Um Gottcswillen!"

Zu Tode erschrockcn drängt das jungc Mädchen den Ge-
licbten fort, cr schimngt ft'ch in den Sattcl, grüßt noch mit
der Hand und sprengt davon, während Olga in Windeseile dem
Haiife Zuflicgt.

Mit gerötcten Wangcn, hochklopfcndcn Herzcns betritt sie
das Gescllschaftszstnmer, iu dem allc Pensionatfräuleiu vcr-
'famnielt sind. Knapp hintcr ihr stürmt Mieze herem.

„Olga", sprudcltc sic hervor, währcnd sie hiister sich dic
Thür zuschlug, daß die Feusterscheibcu klirrte», „Olga, möch-
test du uns gcfälligst sagcu, was cin Kuß ist?"

„Jch?" stammcltc Olga iu argcr Vcrwirrung, „ich?"

„Natürlich du", antwortcte Mi'eze kichernd, „wer denn
sonst? Denkt Euch nur", ricf dcr schreckliche Naseweis der durch'
oicscn Auftritt höchlichst überraschtcn Versammlung zu, „denkt
Euch uur, was geschehen ist —"

Mieze hiclt ciiicn Augenblick atemlos inne, ivährend diö
andcrcn verwundcrt: „Nnn, ivas denn, was ist demi gesche'hen?"
sragtcu.

„Grotzmütiercheu miitz wisse», was ciu Kuß ist," rief Mieze
mit währcm Triumphgcschrci, „sie mutz es wissen, denn sie
hat socben einen im Park bck'ommenl Noch dazu von einem sehr
'hübschcu Offizicr, und sie hat ihn wiedergegcbcn — o, es ist
wahrl Jch bin ihr nachgcschlichen, als sie sich hcimlich in den
Iparck stahl, und hab's gesc'hcnl Also ivciß sie nun, was cin
Kutz ist, und niutz cs uns sagcnl"

„Ja, das mutz sic! Jawöhl, jawöhl!" stimmtcn mit lautem
Hallo die anderen bei.

Die Ertapptc stand crst ctwas beschämt mit niedergeschla-
gencn Augen da, dami ab'cr hob sie das Haupt und sprach
leuchrcnden Blickes, dic Hand auf den wogenden Busen ge-
drürkk:

„Kindcr, das lätzt sich nicht sagcn, uicht beschreibcn-

cs ist cin gehestmnsvollcs Wstnder — — mau m-utz es fühlen
-cmpfindcn — —"

Eincn Augenblick herrschte lautlose Stillc, dann ricf Mieze
resölut:

„So?" — Da»n —- dami wöllckn wir bei nächster Gelegen-
heit das Ding selber probierenl"

„Ja, das wollen wir, das wollcn wir, je früher, je besserl"
riefen die andcreu im Kreise.

Ilnd gcwitz sagen die frcundlichen Leserinnen dasselüe
falls sie die große Frage noch nicht gelöst haben, denn:
„Der Kutz kamr nur durch einen Kutz erklärt werdenl"

LttterartscbkS.

—* Estie ueue Spczialtartc vom Grojjhcrzogtum Hesseil

vou W. Licbennow, Geh. Regicrungsrat uud Prosessor, isk so-
ebcn in L. Ravcnsteius Verlage, Fraukfurt a. Ä>d, crschienen.
Tic Karte ist im Matzstabe 1: 300 000 gezeichuet, reicht von
Marburg im Nordcn bis Wimpfen am Ncckar im Süden, von
Fulda im Osteu bis Krcuznach im Westen. Jm feiustcn Stein-
stich bringt dic Karte: Alle Wohnplätze bis zum Wciler herab
mit Namen, die Schrift uach Bcdcutuug »nd Bcwohuerzähl der
Ortc grötzer oder kleincr; alle Bahncu mit Stakioneu, Flüsse,
Stratzeu bis zu Landwcgcu hcrab. Kleiuc Siguaruren bezeich-
ncu Häuser, Gasthäuser, Schlotz, Forsthäuscr usw. Gebirge
siud mit feincn graucu schraffcn dargcstellt, um die politische
Gliedcruug dcs Karteubildes' uicht zurückzudräugeu. Provstiz
Oberhcsscn ift mit Orange, Starkeuburg Rosa, Rhcinhessen
mit gckbcm Bande abgegrcuzt. Die Kreisgreuzen iu allen drei
Proviuzeu sind rot kräftig hervorgehoben. Tie schr exakt uud
gcuau ausgcführte Karte ist auch äutzerlich elcgaut" äusge-
stattet. Sie kostct gcfalzt nuc 2 Mk., aufgezogen 3 Mk.
Dic Korrckturmaterialieu zu derselben wurdcn vou Seiten
dcs Gcueralstabcs iu Berlin gclicfert; die Eiseubahnen durch
Vermittlung des Reichseiseubahuamtcs ergäuzt. Allen Mili-
tärs, Reiscudcu, Bcanitcn usw. sei die 5karte bestens em-
pföhleu. Sie ist in allen Buchhandlungcn zu habcu. Wegcn
'ihrer geiiauen Ausführung bei dcm billigcu Preise ist ihr grotze
Verbrciiung sichcr.

—" Ferner crschieu: K-mpotttmchlei,, von Frau Luise
Rchse. Ueber 60 gesunde, wohlschmeckende Kompotte für den
täglichen Gebrauch. Nebst' ,einem Anhang: Das Ein-
machen. 32 Seiten. Preis 30 Pf. Portofrei zu beziehen
von Adolf Rchsc, Handelslehrer in Hannober.
 
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