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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.11498#0761
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Freit.G 17 April 1903 ZwLitrs Mstt- ^ ^ 45. Jchlgsyg. — ssr. 89

krfcheint täglich, Sormtag» «mSgensMMen. P«iS «8 KrmMeMMern »wnatkich 60 Pfg. in'» Hau» gebrnchL. bei der Exp«dttr-m mch d«n ZweigmOaüe« abgehott 40 Pfx.. D«ch

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«m bestimmten Lagen wird lein« BerantwortlichkeÜ Wernommen. — Anschlag der Fnserate auf den Platattafeln -er Heideld. Zeirung mrd den stLdt. Anschlagsteüen. Aernsvrrcher 88.

Briefe Bismarcks an seine Gattin.

Die ,/GartenIaube" setzt in ihrem neuesten Hefte die
^eröffentlichung von Briefen Bismarcks an seine Gattin
aus dem Kriege von 1870—1871 fort. Jn einem aus
^ersailles. 8. Oktober 1870, datierten Briefe heißt es in
^ezug auf die Kavallerie-Attacke bei Mars-la-tur, an der
^etde Söhne Bismarcks im 1. Garde-Dragoner-Regiment
Eeilgenommcn hatten:

Das Kreuz haben die Dragoner, die mit unseren
foungen ritten, jeder einzelne verdient, und wir alle hier
wi Hauptquartier gehn ohne Schaam und Gram damit
Uinher; nnd in der Garde-Kavallerie sind' die Kreuze nicht
Uach den Erlebnissen, sondern nach dm Regimentern ver-
Eeilt worden, z. B. 4 Stück für die 1. G.-Drag., eben-
!oviele für die Gardes du Corps, die sich gewiß Sbenso
^rav wie die Dragoner geschlagen haben würden, wenn
Uian ihnen Gelegenheit dazu gegeben hätte, die aber nur
öei Sedan ins Feuer kamen, dort 2 leicht Verwundete
^atten, und nun mit ihren 4 Kreuzen diese beiden und
2 andre brave Leute schmückten. Dafür kann der König
U>enig; er tut nach dem Antrage der Mvision (Goltz)
Uud die Tragoncr hatten eben niemand, der Anträge für
^ie stellte, weil ihre Stabsoffiziere und Rittmeister tot wa-
^en. Jch für mein Teil kann für metne Söhne nichts for-
E>ern, verdient haben sie es ohne Zweifel.

Dann erzählt er, wie ihn stin Sohn Wilhelm, der in-
SUsischen zum Leutnant befördert worden war, „am 2. im
^ette, mit Blumenthals Uniform und fremden Hosen an,"
iiberfallen hatte;

„dazu hängte er Carl's Landwehr-Cartvuche nm,
i^tzte meinen, nur in der Spitze nicht richtigen, Generals-
^elm auf, und so nahm ich ihn mit zur Kirche, wo er sich
dor Sr. M. meldete, der über den Anzug nichts sagte.
?»u Tisch tranken wir Sekt, aus Rothschilds Keller ge-
wuft, bis Dein Sohn einen roten Sattel auf der Nase
uatte, und dann ritt er mit Phitipp über Lagny und Claye
Usieder in sein 3 Meilen entferntes Quartier, nicht ohne
Uiir mein Gold aus der Westentasche und 2 P. Hand-
^chuh abgenommm zu häben, auch mit Cognac und Ci-
Äarren versehn."

Weiter erzählt der Reichskanzler von einem Spazier-
Utte

„um in der weichen stillen Herbstluft durch Louis XIV.
>ange grade Parkgänge, dnrch rauschendes Laub und ge-
'chnittene Hecken, an ssillen Teichflächen und Marmor-
^Ätern vorbei, Röschen eine Stunde zu galoppieren,
Usid nichts Menschliches als Joseph's klappernden Train-
Usbel hinter mir zn hören und dem Heimweh nachzu-
^angen, wie es der Btätterfall und die Einsamkeit in der
'arenide mit sich bringen niit Kindererinnerungen an ge-
Nchorue Hecken, die nicht mehr sind."

„Dieses Vergniigen werde ich mir in dem verlassenen
^önigsgarten nun wohl täglich machen, bei Regen und
^onnenschein, um den vermittelnden DiploiMten zu ent-
Urhen; die Briefe kann ich leider nicht abweisen, sie kom-
^Uen aus Berltn oft lästiger wie aus der Fremde, Land-

^ Wilde Wogen.

Roman von Ewald August König.

(Fortsehung.)

Der Affessor zog die Brauen znsammen, hinter seinen
riffengläsern blitzte eS zornig auf, er hatte offenbar eine
"dere Antwort erwartet.

k ^ „Was soll diese Verstellung?" erwiderte er. „Sie wiffen
genau, wie Jhr Neffe sein Leben vertoren hat. Den Ab-
r^Uck Jhres Daumens haben wir an seinem Halse noch ge-
siUsden. es ist also auch erwiesen, das; Sie gewaltsam ihn hin-
»sisirgestürzt haben; von eincm unglücklichen Zufall kann keine
^de mehr sein."

y, Hugo Röder schütteltc d«s graue Haupt, ein schwerer
^wzüg cntrang sich seiner Brust.

„Jch verstehe das alles nicht," erwiderte er, „ich kanu nur
^derholen, was ich Jhnen früher gesagt habe."
ej "Und ich kann das, was Sie mir früher sagten, nur als
Märchen betrachten, das nicht den mindesten Glauben ver-
^Ut! Kennen Sie diesen Ring?"

„Nein," erwiderte Röder, als er einen prüfenden Blick auf
" Sicgelring geworfen hatte.

„Jch habe ihn von der Hand der Leiche abgezogen."

„Das mag sciu, aber ich kenne ihn nicht."
hj „Wie? Sie sollten an der Hand Jhres Neffen diesen Ring
>>l v Uesehen haben? Zeugen, deren Glaubwürdigkeit nicht
Zweifel gezogen werden darf, habeu ihn al». das Eigentum
"Ain Grimms anerkannt.

1j..„Martin Grimm besaß einen ähnlichen Ring, aber nicht
sagte Röder mit einer Sicherheit, die unter anderen
h^dältniffen ihren überzeugenden Eindruck nicht verfehlt
würde.

Sie geben also zu, das; er einen ähnlichen Ring ge-
le^^.^hat? Wie wollen Sie nun seinen Ring von diesem un-

tagswahlen und Papstbeschwerden, deutsche Verfassung und
Persoilenstreit in Elsaß-Lothringen oder Rheims, wo jetzt
der Grhrzg von Schwerin Gouverneur ist und Gerhard
mit iüm.

Rußtand nimmt stch sehr tiebenswürdig, England
außer dem Waffenhandel nicht schlimm, Beust unsicher wie
immer, und unsre amerikanischen Freunde wissen seit
Frankreich Republik geworden ist, nicht mehr genau mit
welcher Seite des Gesichtes sie wohlwollender tächeln sol-
len. fSie lieben uns nach wie vor, aber Republik! sie ver-
mögen den Franzosen nicht mehr zu hassen."

Jn dem zweiten Briefe aus Versailles, 7. Dezember
1871, kommt Msmarck auf die damalige Lage vor Paris
zu sprecken und schreibt:

„Nach den glänzenden Siegen an Loire und im Nordmr
sttzt unsre große Pariser Armee nach wie vor still, oö
fest „gemauert", oder ob ihr wie Thor „ein weiblich Ge-
wand die Knie umwallt" und am 'Göhn hindert, Gott
weiß es, aber betrübend ist es, und Menschen kostet es
mehr wie jeder Sturm. Itnsre guten Pommern, 9 und
49 Rgt. haben den Sieg vom 2. mit vielem Blute be-
zahlt, ebenso die braven Würtemberger. Auch Mottks ist,
und natürlich mit entscheidender Stimme, gegen den An-
griff und für alle Waffenstillstände; der Sturm werde
uns 1000 Mann kosten; das gtaube ich nicht. Das defen-
sive Abwarten feindlicher Ausfälle, die täglichen kteiilell
Verluste, die Krankheiten, haben aber seit 2 Monaten
etwa 10 000 gekostet. Jch enthalte mich natürlich meine
civilissische Anstcht solchen Autoritäten gegenüber geltend
machen zu wollen; Ler gute Roon aber ist vor Aerger über
nniere Passivität und seine vergeblichen Versuche, uns zum
ringeil, recht krank gewesen, jetzt Lesser, resig-
niert, nur darf man nicht von der Sache reden, er wird
gleich unwohl vor Bitterkeit. Er bleibt eigentsich nur mir
zu Gefallen hier, weil ich sonst positisch und gemütlich ganz
vereinsame. Jch meine nicht, daß ich Widerstand Allsr
auf politischem Gebiete zu bekämpfen hätte, im Gegenteil,
aber ich habe keine menschliche Seele hier zunl Reden
über Zukunft oder Vergangenheit. Wenn man zu lange
Minister ist, irnd dabei nach Gottes Fügung Erfolge hat,
so fühlt man deutlich tvie der kalte Sumpf von Mißgunst
und' Haß einem allmählich höher und höher bis ans Herz
steigt; man gewinnt keine neuen Freunde, die alten sterben
oder treten in verstinrmter Bescheidenheit zurück, lind die
Kälte von oben wächst, wie das die Naturgeschichte der
Fürsten, auch der bssten, so mit stch bringt; alle Zunei-
gungen aber bedürfen der Gegenseisigkeit wenn sie dauern
sollen. Kurz mich friert, geissig, und ich sehne mich bei
Dir zu sein und mit Dir in Elnsamkeit auf dem Lande.
Dreses Hofleben erträgt kein gesundes Herz auf die
Dauer."

Deutsches Reich.

— Dis „National-Zeitung" bringt über die bekann-
ten Vorgänge in der d e n t s ch e n Botschaft zu
Washington fotgende Darstellung: „Nach ameri-

„Dieser Ring hat einen brnunen Stein, der Stein in dem
Ring meines Neffen war grün."

„Nnd damit glauben Tie wirklich meinc Behauptung wider-
legen zu können?" fragte der Assessor. „Sie haben ja keine
Gelegenheit gehabt, den Ring Jhres Neffen so genau zu be-
trachten! Braun oder grün, es ist kein großcr tlnterschied
zwischen diesen beiden Farben, und Sie - wollen nun be-
haupten —"

„Herr Assessor, ich habe die Hoffnung, die Anklage wider-
legen zu können, längst verloren," unterbrach Röder ihn, das
Haupt trohig erhebend. „Sie haben eine Kette von scheinbaren
Beweisen geschmiedet, die mich verderben mutz; dennoch be-
harre ich bei meiner Behauptung, datz ich völlig schuldlos bin.
Jch hoffe zu Gott, daß meine Schuldlosigkeit im Laufe der Zeit
an den Tag kommen wird; so rätselhaft das Verschwinden mei-
nes Neffen auch erscheineen mag, ich kann nicht glauben, daß
er nicht mehr unter den Lebenden weilen soll. Es würde mich
erschreckt haben, wenn ich in diesem Ring das Eigentum mei-
nes Neffen erkannt hätte, meiner Hoffnung wäre dadurch der
Todesstoß versetzt worden; nun aber darf ich doch immer noch
an dem Glauben festhalten, daß er doch noch unter den Leben-
den weilt."

„Wenn er es wäre, mntzte er meine Aufforderung gelesen
und sich gemeldet haben," sagte der Untersuchungsrichter
achselzuckend. „Mit all diesen Ünschuldsbeteuerungen werden
Sie mich nicht irre führen, Sie täten besser, wenn Sie sich zu
einem offenen Geständnis bequemen würden. Zeugen, die
Martin Grimm genügend kannten, haben die Leiche rekog-
nosziert. Jhr Neffe ist tot, ermordet, ein Zweifel an dieser
Tatsache kann gar nicht obwalten."

„Dann hat eine andere Psrson diesen unerklärlichen Mord
begcmgen. Es ist ja möglich, daß mein Neffe an jenem Abend
den Zug versäumt hat und zur Umkehr gezwungen wurde. Es
ist ferner möglich, daß er auf dem Rückwege zur Stadt über-
fallen und ermordet wurde, aber ich glaube es nicht."

„Jch ebenfalls nicht, denn der Hilferuf auf der Brücke

kanischen Blättern sinh» nach dem Eintreffen des deut-
schen Gejandten Freiherrn Speck von Sternburg die
Streitigkeiten im deutschen diplomatischen Korps in Wa-
shingtvn entstanden. Zunächst wurde damats kundgege-
ben, daß es sich bei diesen Streitigkeiten nicht um polisische,
sondern um Etikettv-Zwischenfälle handelte. Nach den für
das diplomatische Korps festgesetzten Gebräuchen durfte
der neneintreffende Chef für seine Gattin beanspruchen,
daß ihv die nbrigen Darnen des diptomatlschen Korps
den erstenl Besuch abstatteten. Jm Hinbsick darauf, daß
kurz Lanach Abberufungen erfolgt stnd, erfahren wir,
daß dtese Wberufungen früher schon im Prinzip beschlossen
waren, aber durch die Vorgänge wohl beschleunigt worden
sind. Die Schuld an der Veröffentlichung der Vorgänge
darf aber nicht dem Gesandten Freiherrn Speck von Stern-
burg zur Last gelegt werden."

— Der Beirat für die A r b ei t e r st a t i st i k wird
voraussichtlich in nächster Zeit zu einer kurzen Tagung
zusammentreten, um den bereits von uns erwähnten schrift-
lichen Bericht über die Erhebungen zu den Arbeitsver-
hältnissen im Fleischergewerbe entgegen zu nehmen und
zn beraten.

Prcllsien.

S. R. F ü r d a s H a I t e n v o n L e h r I i n g e n ist
ein Erlaß des preußischen Ministers für Handel und Ge»
werbe von Bedeutung. Der Erlaß wendet sich gegen die
schematische Festsetzung der Höchstzahl von Lehrlingen in
Handwerksmäßigen Betrieben durch Zwangsinnungen und'
Handwerkskammcrn. Es wird darin betont, daß derartige
Festsetzungen besonders eingehender Prüfungen bedürfen
und daß sie nicht allgemein für alle Handwerker eines
Beztrkes, sondern nur für ^eijnzelne Gewerbszweige ge-
troffen werden sollten. Jm übrigen dürfe man mit der
Elnschräntüng der Lehrsingshaltung durch Sonderbessim-
mnngen nicht zn weit gehen, nmsomehr als durch Z 128
Abs. 1 der Gewerbeordnung bereits eine ausreichende
Handhabe zur Bekämpfnng der sogenannten Lehrlings-
züchterei geboten sei, 8ie zugteich den Vorteil biete, daß
ihre Anwendnng den besonderen Verhältntssen des Einzel-
falles angepaßt werden könne.

Ausland.

Holland.

— Mt lebhaftester Spannüng hat man in Deutsch-
land die Entwicklung un'd den Ausgang der großen hol-
ländischen Stveikbewegung verfolgt. Der Verlauf des
Streiks war der bet fast allen Generalstceiks in den euro-
Päischen Staaten typisch gewordene: der Sonderstreik der
Eisenbahner begegnete einer mehr oder minder ausge-
sprochenen Sympathie des Publikums. Als aber der
Proklamierte Generalstreik alle anderen Arbeiter-
und Erwerbsklasssn, sogar die Bäcker, tn diesen Parsikula-
ren Ausstand mtt hineinziehen wollte, da versagte der
von den sozialdemokratischen Führern nnr theoretisch
konstruierte Mechanismus; der Generalstreik fieI rasch,

wurde in derselben Zeit gehört, in der Sie sich mit Jhrem Nef-
fen auf der Brücke befanden."

„Jch erkläre noch immer, daß die Anklage anf Jrrtum be-
ruhen mutz."

„Schwerlich, und Sie selbst wissen, wie das ja auch -
aus dem Versuch hervorgeht, den Sie machten, um den Zen-
gen zu bestechen."

„Es war eine Torheit, daß ich dies tat, eine Torheit, die
ich nun bitter bereuen mnß, aber damals in der ersten Ver-
tsirrung über den Verdacht, von dem ich keinc Ahnung gehabt
hatte."

„Wenn Sie mit dieser Verwirrung den Bestechungsversuch
entschuldigen wollen, so werden Tie auch damit nicht durch-
kommen. Der Tragweite dieses Versuchs mußten Sie sich be-
wußt sein, und Sie waren es. Sie glaubten, der arme Brncken-
knecht würde ein weites Gewissen haben und sich zu dem Mein-
eid verleiten lassen."

„Jch habe keinen Meineid von ihm gesordert, ich verlangt?
nur, daß er seine Anssagen znrücknehmen sollte, die meiner
Meinung nach nicht richtig sein konnten. Jch selbst erinnerte
mich in jenem Augcnbsicke nicht, den Hilfernf vernommen zu
haben, und icb hätts ihn doch sehr dentlich hören müssen, wenn
die Behanptung des Knechtes richtig gewesen wäre."

„Sie wollen also auch jetzt nicht gestehen?" fragte der
Affessor kalt.

„Jch würde lügen, wenn icb mich schuldig bekennen wollte."

„Sie verschlimmern dadurch nur Jhre Sache. Wenn Sie
ein offenes Geständnis ablegten, so würde man annehmen kön-
nen, daß Sie oyne Ueberlegung im Affekt die Tat begangen
haben könnten; diese Annahme würde auch den Urteilsspruch
immerhin noch mildern."

„Dem Urteilsspruch muß ich mich unterwerfen, so unrecht
er «uch lauten mag," sagte Röder mit einem tiefen Seufzer.
„Jch habe nichts zu gestehen." Setzen Sie Jhre Nachforschungen
fort, ich bitte Nicht allein darum, ich fordere es von Jhnen, ich
erkenne den Ring nicht als das Eigentum des Verschwundenckn
 
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