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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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Dicnstag, 1-!. Mai 1903.

Liweites Blatt.

Erscheint täglich, Sonntags ausgenommen. Preis mit Famiiienblättern monatlich 50 Pfg. in's Hans gebracht, bei der Expeditlon nnd dcn Zweigstationen abgeholt 40 Pfg. Dnrch die Post

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Hansjakob und die Freiheit der Katholiken.

Jüngst veröffentlichte der demokraüsche „Neue Alb-
bote" einen Aufruf mehrerer KathoIiken zur Unter-
lüitzung der freigesinnten Presse. Daraufhin ging ihm
^ne zustimmende Zuschrift zu, welche folgendenl Satz

enthielt:

„Mr sind doch freie M ä n n e r, die wohl auch so
biel Recht haben werden, sich ihr Blatt selbst auszuwählen,
^nd so viel Mut und Energie, dieses Recht zu verteidigen
^nd anzuwenden. Wer sich Vorschreiben läßt, was er
iksen darf, verdient gar nicht, ein Mann zu heitzen."

„ Der bekannte katholische Pfarrer Hansjakob hat
uber g e i st i g e B e v o r m u nd u n g der Katho-
iiken auch einige Sätze geschrieben, an die wir erinnern
^ollen; er schreibt in seinen „Erinnerungen einer alten
^chwarzwälderin":

„Auch das weiß ich, daß es Leute gibt, die mich für
uicht gut katholisch halten, weil ich noch eine eigene
^leinung habe in Dingen, über welche jeder Ka-
Eholik frei denken und frei reden kann und darf.
>rch lasse mich nicht bevormunden von diesen oder jmen
^arteiführern oder von diesen und jenen Zeitungsschrei-
bErn, die Tag für Tag unzähligen Katholiken vorsagen,
ivas sie reden und wie sie zu denken haben über Tages-
I^agen, Zeitbedürfnisse und Zeitverhältnisse. Zu diesen
Hvmündigen, die heute so, morgen anders reden und an-
^rs denken, wie es ihnen eben vorgemacht wird, gehöre
ich nicht und will ich nicht gehören. . . . Allerdings ist
"wn heutzutage in den Augen vieler Leute nicht mehr ka-
cholisch, wenn man nicht zu jenen Unmündigen, blind Ge-
borsamen und alles geduldig Hinnehmenden gehört. Jch
Mbe aber vom Katholizismus eine andere und bessere
^uffassung. Er soll und will nicht unmündige Sklaven
^»anziehen, sondern freie, selbstbewußte Kinder Gottes.
^enn das echte Christentum ist Wahrheit und Freiheit
bud nicht Knechtsinn und Geistlosigkeit. . . . Es Wäre so
^icht in unseren Tagen, einer echt christlichen und echt ka-
wolischen Weltanschauung eine Gasse zu machen, wenn man
bch Gläubigen nicht taxieren und behandeln wollte nach
^Ul Grad ihrer llnterwürfigkeit und ihres Gehorsams in
^iugen, die nicht zum Wesen des Christentums gehören.
biud ich meine, daß nicht jene die guten Katholiken sind,
iuelche^zu allem Ja unli Amen sagen, sondern jene, welche
Erciuern, daß in unseren Tagen so manches geschieht, was
"en wahren Jnteressen der Religion und der Kirche
Ichadet."

Roon und das neue Reich.

^, Als vor einiger Zeit ein neuer Brief Roons über
> smarck veröffentlicht wurde, worin die Verstimmung
^ovns megen der liberalen Politik Bismarcks zum Aus-
^uck kam, ist dazu bemerkt worden: jener Brief sei ein
lleuer Beweis dafür, wie wenig der leidenschaftliche konser-
dative Roon die Zugeständnisse Bismarcks an den ge-
^uißigten Liberalismus begreifen konnte. Jn wesent-

58)

WiLde Wogen.

Roman von Ewald August König.

(Fortsetzung.)

z, Es war keine angcnehme Aufgabe sür sie, und sie machte
u»> auch eincn großen Umweg, ehe sie in die Schänke
"»»uckkehrte.

^ Brenn auch die Neugier und eine gewisse Schadenfreude ihr
c^ll Wunsch nahe legten, bei der Verhaftung zugegen zu scin,
kz lUrchtete gx doch, datz Kaspar Strick ihren Verrat erraten
u»e; stx kannte ja seinen scharfen Blick und sein Mitztrauen.
^i Der Polizeibeamte stand schon vor der Tür; er trat für
nen M^ment in den Lichtkreis einer Gaslaterne, um sich ihr
öügen, und verschwand dann wieder in der Dunkelheit.
ängstlich pochendem Herzen trat Sie Kellnerin in das
GÄonkzimmer; sie fand die Beiden in eifrigcr Unterhaltung,
lste waren nicht anwesend.

dg."He, was wollen Sie noch hier?" rief er, als er aufblickend
^ Mädchen erkannte.

warte auf den Boten, der meinen Koffer holen soll,"
ejZvortete sie mit erzwungener Ruhe, dann ließ sie sich an
^ln andern Tische in der Nähe der Tür nieder.
s^j "^>e häten den Mann mitbringen sollen!" sagte Strick und
lsiell lchlüender Blick ruhte dabei lauernd auf ihr, „hoffen Sie
lslcht, wieder hier in Gnaden aufgenommen zu werden?"
übü'^ch ^uffe es schon deshalb nicht, weil ich es nicht wünsche;
löens habe ich auch schon eine andere Stelle."

„AZo?" fragte Steinthal ungläubig.

"2M1 Roten Ochsen, wenn Sie das Haus kennen."

St"^ck ich die Leute im Roten Ochsen nicht," spot-

Hausknecht wird gleich kommen und meinen Koffer
Sj-sZ' .unn können Sie es ihm selbst sagen," entgegnete die
llnerm achselzuckend.

"Kann ich für mein Geld ein Glas Bier haben?" . >

licher Uebereinsümmung hiermit äutzert sich der Heidel-
berger Historiker Erich MarckS in einer Studie über
Roous Persönlichkeit und geschichtlichc Stellung. Jn die-
ser Studie, die das jüngst erschienene Maiheft der Deut-
schöni Rundschau enthält, sührüMarcks u. a. aus:

„Kaiser Wilhelni lebte sich im neuen Reiche ein, Roon
hat das nicht mehr vermocht. Er war fast siebzigjährig;
er war krank und verstimmt, aber er war auch einsei -
tiger, prinzipiell gebundener als sein jün-
gerer Freund (Bismarck). Und es geschah: alle Verhält-
nisse verschoben sich von 1871 ab, eine zweite neue Aera
brach jetzt vollends durch, liberal und bürgerlich — es
war nicht anders möglich. Die zweite Gewalt, die neben
Heer und Preußentum Roons Lebensgang begleitet hatte,
dieses deutsche Bürgertum, lebte all ihre Kräfte siegreich
aus, das wirtschaftliche Leben entfaltete sich breit, der
Reichstag stand in seinen glänzendsten Zeiten. Freilich,
es war zugleich die Epoche der Gründer und ihres Zu-
sammenbruches; und der vierte Stand regte sich und
drängte nach . . . Roon hatte nicht mehr die Frische, das
alles zu überwinden,"

Mit der Wendung von 1848 ivar Roon, wie Marcks
im Anschluß an einen Ausruf Roons aus dem März 1848
sagt, sertig geworden; mit der von 1867 und gar der von
1871 konnte er es nicht mehr.

Deutsches Neich.

— Für die n e u e n W a h l k 0 u v e r t s zur Sicher-
ung des Wahlgeheimnisses ist, wie die „Nat.-Ztg." schreibt,
das Papier bereits den mit der Aussührung der Brief-
umschläge betrauten Firmen zugestellt worden. Es sind
nicht wenigcr als 70 Tonnen gleichartigen Papiers ange-
fertigt worden, welches auf 12 Waggons uach dem Be-
stimmungsort gebracht, zur Herstellung von 18 Millionen
Kouverts genügt. Diese Zahl entspricht derjenigen der
eingeschriebenen Wähler, und jede Gemeinde erhält so viel
Umschläge, als in derselben wahlberechtigte Personeu an-
sässig sind.

Baden.

Karlsruhe, 10. Mäi. Herr M arbe hat end-
lich auf die Anschuldigung des „Volksfreund", er habe auf
einer Eisenbahnfahrt geäußert: „Der Zolltarif nützt der
Lan'dwirtschaft keinen Teutü" eine Antwort gefunden.
Jm „Freib. Bot." lesen wir:

Herr Marbe hatte sich auf dem Wege zum Bahnhof
unterhalten und seinen Begleitern auseinandergesetzt,
daß hinsichtlich des Getreidebaues die Verhältnisse der
süddeutschen Landwirtschast ganz anders seien als jene
der norddeutschcn, und daß speziell in unserem fünften
Reichstagswahlkreis der Getreidebau keine besonders
große Rolle mehr spielt, weil die Landwirte sich bereits
vielfach anderen Kulturarten zugewendet hätten. Jm
Anschluß daran sprach dann Herr Marbe im Eisen-
bahnwagen, belauscht von einigen Sozialdemokraten,
seine Ueberzeugung dahin aus, daß der Zolltarif unsern
Bauern, speziell den Landwirten des fünften Wahl-

Steinthal warf seinem Verbündeten einen raschen, fragen-
den Blick zu, seine Stirn hatte sich schon in Falten gezogen,
eine grobe Antwort schwebte ihm auf der Zunge.

„Weshalb nicht?" erwiderte Strick, indem er sich erhob,
„wir wünschen nur, datz Sie uns sobald wie möglich von ihrer
Gegenwart befreien."

„Sobald der Hausknecht aus dem Roten Ochsen kommt."
Kaspar Strick stellte das Glas bor sie hin und nahm das
Geld in Empfang, dann kehrte er zu seinem Verbündeten
zurück.

„Wir müssen uns das gesallen lassen", brummte Steinthal,
nach der Branntweinflasche greifend, „gebt Acht, gleich kommt
auch der alte Spion, aber dem werde ich heute heimleuchten."

„Unsinn! Er hat Euch bis jetzt noch nichts getan, zeigt Jhr
ihm die Tür, so beweist Jhr damit nur, datz Jhr ihn fürchtet!
Was geht es Euch weiter an? Jn einigen Stunden —"

„Still, sie horcht wieder."

Sie hefteten nun Beide ihre Blicke auf das Mädchen, das
sehr schweigend vor seinem Glase satz.

„Der Hausknecht bleibt lange", sagte Steinthal unwirsch.
„Er kommt, sobald er Zeit hat", erwiderte sie.

„Darüber könnte es Mittsrnacht werden!"

„Das fürchte ich nicht, solange würde ich auch nicht warten."
Steinthal holte seine Uhr aus der Tasche und legte sie vor
sich auf den Tisch.

„Jch will Jhnen was sagen", versetzte er in seiner bekann-
ten rohen Weise. „Wenn der Kerl nicht binnen einer Viertel-
stunde hier ist, werfe ich Sie samt Jhren Lumpen zum Hause
hinaus."

„Das werden Sie nicht wagen", antwortete das Mädchen.
„Jch habe schon einen Advokaten gefunden, der meinen Prozeß
gegen Sie übernehmen will."

„Teufel, das hat rasch gegangen!" höhnte Strick. „Jn der
kurzen Zeit schon einen neuen Dienst gefunden und mit einem
Rechtsverdreher beraten? Das ist denn doch nicht gut möglich!"

„Der Advokat war im Roten Ochsen, er hat mir Recht ge-
gcbcn, ich darf die Entschädigung fordern."

kreises, nichts nütze. Er meinte damit, wie sich für die
Teilnehmer des vorhergegangenen Gesprächs aus dem
vorher Besprochenen ohne weiteres ergab, nicht den
ganzen Zolltarif und namentlich nicht die Viehzölle,
sondern nur die Getreidezölle und auch bezüglich dieser
hatte er nur die Landwirte seines eigenen Wahlbezirks
im Auge.

Eine gute Ansrede ist iin gewöhnlichen Leben drei
Batzen wert. Als eine solche wird man aber dieses
rührende Eingeständnis eines Mannes, der
am Adventmorgen des 14. Dezember sich aus dem Reichs-
tag geraden Weges in den Fvühgottesdienst begab, um
dem Schöpfer für die glückliche Verabschiedung des Zoll-
gesetzes zu danken, mit dem besten Willen nicht betrachten
können. Wir empfehlen die köstliche Aüslegung zur all-
gemeinen Beachtung. Jm Breisgau dürfte es nichr
schwer fallen, die Landwirte über die „Bauernfreundlich-
keit" des Herrn Marbe aufzuklären.

Aus der Karlsruhev Zeitung.

— Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog habew
dem Königlich Preutzischen Obersten a. D. Hermann v. Brü n-
neck in Wiesbaden das Kommandeurkreuz zweiter Klasse deK
Ordens Berthold des Ersten, sowie den Königlich Preutzischen
Oberstleutnants a. D. Kanstantin Freiherr v. Rotberg iw
Rheinweiler und Emil Freiherrn Böcklin von Böcklins-
a u in Freiburg das Kommandeurkreuz zweiter Klasse des Or-
dens vom Zähringer Löwen verliehen.

— Seine Königliche Hoheit haben den nachgenannten An--
gehörigen des 1. Badischen Leib-Dragonerregiments Nr. 20 die
folgenden Auszeichnungen vcrliehen, und zwar:

vom Orden vom Zähringer Löwen:

1. das Ritterkreuz erster Klasse:
dem Major beim Stabe des Regimentes Julius bon Skop-
n i k;

2. das Nitterkreuz zweiter Klasse mit Eichenlaub:

dem Rittmeister und Eskadronschef Adolf v. Maltzan, Frei«
herr zu Wartenberg und Penzlin und dem Regi-
mentszahlmeister, Oberzahlmeister August Fackler;

3. das Ritterkreuz zweiter Klassc:
den Oberleutnants Adalbert Freiherrn von Fichard gen.,
Baur von Ehsseneck und Karl Eduard Freiherrn von
Racknitz;

S. das Verdienstkrcuz vom Zähringer Löwen:
dem Rcgimentsbüchsenmacher Hubert Schnautz;

L. Berdicnstmedaillen:

1. die klcine goldene:

dem Oberfahnenschmied, Vizewachtmeister Karl Christiarvp

2. die silberne:

dem Stabstrompeter Friedrich Köhn, dem etatmäßigerr
Zahlmeister-Aspiranten, Wachtmeister Heinrich M 0 chel, dem
Wachtmeister Paul Biallas, dem Bizewachtmeister Robert
Burow und dem Regimentssattler Hermann Zorn.

Zur Wahlbewegung.

Bayern ist, wie die „Köln. Ztg." hervorhebt, neberr
Rheinland-Westfalen und Oberschlesien das wichtigste
Rekrutiernngsgebiet des Zentrums. Aber obwohl Bayerrr
nahezu ein Drittel aller Zentrumsmitglieder des Reichs-
tags stellt, wäre dennoch nichts irriger, als die Mehrheit
der bayerischen Bevölkerung zu den Ultramontanen zrr
rechnen. Die letzte Reichstagswahl ergab, datz 38,8 Pro-

Steinthal wollte von seinem Sitz hervorspringen, Kaspar
Strick legte die Hand mit festem Druck auf seinen Arm und
hielt ihn zurück.

„Soll ich mir das in meinem eigenen Hause gefallen las-
sen?" brauste der Wirt auf. „Wenn mein Gestnde spioniert
oder untreu ist, so darf ich es vor die Tür werfen. Dann ist
von Entschädigung keine Rede weiter."

„Keinc Unbesonnenheit!" sagte Strick leise, „latzt ihr doch
das Vergnügen, mit dem Prozetz zu drohen, sie kann ja nicht
einmal den Advokaten bezahlen."

Die Kellnerin konnte der inneren wachscnden Unruhe kaum
noch gebieten, die Stunde, die der Jnspektor sich ausbedungerr
hatte, war beinahe abgelanfen, die Polizei lietz sich noch immer
nicht blicken.

„Nur noch 5 Minuten!" sagte Steinthal nach einer langerr
Pause, indem er auf seine Uhr blickte.

„Was hat das Fräuenzimmer nöttg, hier zu sttzen? Derr
Koffer steht hier sicher; wenn der Hausknecht kommt, kann er
ihn mitnehmen "

Jn diesem Augenblick hörte man das Rollen eines Wagens.
er hielt vor dem Hause still.

„Was ist das?" fragte Strick mißtrauisch, indem er sich
erhob und den Blick auf die Tür heftete, „man wird das Mäd--
chen doch nicht in einem Wagen abholen?"

Ein Wutgeschrei entfuhr den Lippen Steinthals, auf der
Schwelle des Zimmers erschien ein Polizeikommissär, zwei Be-
amte folgten ihm und blieben an der Türe stehen.

„Der Untersuchungsrichter wünscht augenblicklich mit Jhnen
zu sprechen", wandte der Kommissär sich zu dem Wirt, „Sie
werden mich ohne Verzug begleiten."

Gerhard Steinthal blickte starr die Beamten an, er hatte
eher den Einsturz des Himmels als das erwartet.

„Was soll das?" fuhr er auf. Aber so sehr er sich auch-
bemühte, seine Fassung zu bewahren, konnte er doch seine Angst
nicht verbergen. „Wenn der Untersuchungsrichter von mir
etwas wissen will, kann er hierher kommen; ich bin ein ehr.»
licher unbescholtener Bürger."
 
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