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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150 - 176 (1. Juli 1903 - 31. Juli 1903)
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15 auf 20, 25 und jetzt, nach Emführung der Arbeitslosen-
Unterstützung, auf ,35) Psg. Pro Moche und Mitglied. Ter
Verband hat während seines' ÄHehens eine große Anzahl
Streiks, ungefähr 800, durMechten müssen, wübei mehr als
150 000 Arbeiter beteiligt waren. Für 70 000 wurde dabei
eine Verkürzung der Arbeitszeit, für W-ÜOOr Line Crhöhung
des Lohnes von durchschnittlich 10 Proz. erreicht. Roch grötzere
-Erfolge wrikden aber erzielt durch gütliches Uebereinkom-
men mit den Unternehmern, an 200 Orten wurden dadurch
für die Berufsgenossen bessere Arbeitsverhältniffe geschaffen.
Während aber für die bei Streiks erzielten Erfolge im ganzen
ungefähr 2 200 000 Mk. an Streikunterstützung bezahlt wer-
den mußten, betrugen die Ausgaben für die durch gütliches
Uebereiitzkommen erreichten Erfolge nur rund 600 Mk. Autzer
der. StrÜkunterstützung wurden noch bezahlt für Gematzregel-
tenunterstützung 41 000, für Notfallunterstützung 64 000, für
Rechtsschutz 54 000, für Umzugskosten 18 000 Mk. Die Ge-
samteinnahmrn während des Jahrzehnts beliefen sich auf 5s4
Millionen Mark, die Gesamtausgaben 414 Millionen, sodaß
Ler Verband jetzt einen Vermögensbestand von ungefähr
1 Million Mark besitzt.

Kleine Zeitung

— Vom XIV. Deutschen Bundesschicßcn in Hannober.

Msher ward auf 300 Meter- und 176 Meter-Scheiben
ferner auf laufendes Wild und 60 Meter-Pistolenscheiben
geschossM. Unter dxn benutzten Gewehren sah man be-
sonders viel das neue Militärgewehr, doch dürfen Mantel-
geschosse nicht verwendet werden. Am Montag ALend
verteilte Stabt^irektor Tramm die zwanzig goldenen
Ehrenbecher "der Stadt Hannover an die besten Schützen.
Msher sind dieMüddeutschen Iveitcms an der Spitze. Die
Resultate bei der Konkurrenz um die Ehrenber sind fol-
gende: 1. Standscheibe: Hirsch-Wien-Neustadt, Scheufert-
Weißenfels, Bartels- Wies'baden, >Jung-Frankfurt a. M.,
Knese-Eldagsen, Ternüjgo-Wien, Lenz-Äudwigshafen,
Dorner-Nürnberg, Schmitz-Köln, Opitz-Berlin. — 2. Feld-
scheibe: Villfarth-Eßlingen, Heinze-Leipzig, Frenzel-Leip-
zig, Rösel-Jena, Bankel-Lauff bei Nürnberg, Werner-
Hannover, Zllig-Bockenheim, BruberEasel, Bock-Frank-
furt a. M., Holzapfel-München. — Aber die Schützen
treffen nicht nur gut, sie haben auch einen brillanten Appe-
tit. Zn der Ockisenbraterei auf dem Festplatz, wo starke
Ochsen am Spieß geröstet werden, war der Andrang sehr
stark. Ein Ochse von 810 Pfund Schlachtgewicht, der
gestexn um 6 Uhr äbends angeschnitten wurde, war um
7 lHr schon verzehrt, ein zweiter Ochse von 860 Pfund
folgte ebenso schnell nach.

— Jch bin ein Preuße! Ein Freund der „Köln. Ztg."
fchreibt ihr: „Neulich führte mich eine Wanderung in
die schön gelegene Hauptstadt eines westfälischen Regie-
rnngsbezirks. Aus den Fenstern eines Schulhauses in der
Vorstadt klang frischer Kindergesang, und ein vielstim-
miger Chor trug die schöne Weise des Preußenliedes an
mein Ohr. „Sei's trüber Tag, seit's' heit'rer Sonnen-
schein", so sang ich die alte, traute Melobie für mich mit;
doch was war das? Nicht „ichbineinPreuße, will
einPreußesei n", sondern „i ch b i n k a t h o l i s ch,
wiIl katholisch sei n" schmekterten die jngendlichen
Stimmen weiter. J-ch traute meinen Ohren nicht. Noch
zwei Verse wartete ich ab und jedesmal klang es: „I chbin
kathoIisch, wilI kathoIisch sei n".

— Vtzrdcn, 7. Juli. EineigenartigesFuhr-
werk passierte heute früh die Stadt; es war, wie das
„Verd. Anzgbl." berichtet, ein zweirädriger Karren, auf
welchem stch ein kofferähnlicher Kasten befindet. Dieser
dient dem Besitzer, der eine Reise durch Enropa macht,
üls Schlafstelle. An irgend einer Stelle wird abends Halt
gemacht; morgens spannt stch der sonderbare Reisende
dann wieder vor den Karren, und so gehts von einem Ort
zum andern. Der Sonderling ist mit einem derben An-
zug bek'leidet und trägt eine blaue Schutzbrille; sein ein-
ziger Begleiter ist ein grauer Spitz, der angekettet nsben der
Karre herlänft.

— Bozen, 10. Juli. Vom Monte Gardone im Cimbern-
tal st ürzt e Anton Corradini aus Molina ab. 'Er wur-de
in einer tiefen Schlucht t o t aufgefnnden.

— Ncwstork, 10. Juli. Die Hitze hat hier 30 Grad
Celsius erreicht. Zwanzig Personen stnd bereits gestorben,
sechzig erkrankt.

— Dic Spcisckarte fnr das F-estmahl zu Ehren Loubets
in der Guildhall zeigte die folgenden Gerichte: Schild-
krötensuppe. Lachsmayonnaise. Seezungen-Filets in aspic.
Hummern. Seegarnele in Aspic. Gefüllte Tomaten.
Wachteln und Kirschen. Hammelkoteletten ü In printa-

nicht irgend wo anders hingchen, wo Aerzte und Gasthof-
besitzer sie als Frau Gibbons empsangen werden, und wo sie,
wenn ihre Todesstunde schlägt, auch als Frau Gibbons be-
grabcn werden kann?" Durchschauen Sic jetzt dcn betrügc-
rischcn Anschlag, Herr von Desmond?"

„Ja. Jch bedauere, haß man sich so viele Mühe gegeben
hat, mich zu täuschen; meine Freiheit würde ich mit fünfzehn-
'hundert Pfund sährlich mit tausend Frcuden bezahlt habcn.
Mir wäre kein Preis dafür zu hoch gewesen."

„Das konnten wir leider nicht wiffen. Unser Plan ließ sich
sehr leicht durchsühren. Die Schwestern siedelten nach Neapel
über. Eveline war so schwach, datz sie das Zimmer nicht mehr
verlaffen konnte. Leonore pflegte sie mit der aufopferndsten
Licbe, trug aber Sorge, die behandelnden Aerzte und ihre
ganze Umgebung in dem Glauben zu erhalten, daß die Kranke
Leonorc Gibbons heiße und die Witwe eines ostindischen Offi-
ziers seO Vierzehn Tage nach ihrer Ankunft in Neapel starü
Eveline «nd wurde dort unter dem Namen Lconore Gibbons
begraben. Unnnttelbar nach ihrcm Tode verlietz die Schwester
die Stadt, ängstlich die Ortc vermeidend, wo man sie zPammen
gesehen hattc."

„Aber, mein Gott!" rief Georg von Desmond, „die Narbe
an Evelinens Arm, die furchtbare Narbe, dcren ich mich so
genau erinnere. Als ich eincs Tages in diesem Schlossc mit
der Person sprach, die vorgab, meine Frau zu sein, glaubte
ich einen kaum wahrnehmbaren Unterschied in der Betonung
-eines Wortes zu bemerken. Einen Augenblick tauchte der Ge-
danke in mir auf, datz ich betrogen worden sei, doch als ich den
Arm der Abentenrerin ergriff, sah ich die Narbe, die ich so oft
an dem Arme nieiner Frau gesehen habe."

niöre. EntenbraLsn un>d Erbscn. Geröstete Hühner.
Lerchenpasteten. Roast beef. Schinken, Znnge. Kompot,
Creme. Möringnes, Frnchtsalat. Eis. Pfirsisch-e.
Trauben. Erdbeeren und AnanaS..

wt.Vürokratius als Schuhenqel der Kindev

oder „Babys erste Reise" oder „O, diese Dlenstboten!" oder
„Di-e Reise wider Willen" (nach dem berühmten Muster
von Zschokkes Novelle) würde ich diese Geschi-chte benennen,
wenn ich daraus ein Zugstück für die -großs Massejzder sen-
sationsbedürftigen Leser machen wollte, jedenfalls Ner mit
dem Zusatz „Eine währe Geschichte," denn der Tatbestand
wird durch leinen Bericht des „Gießener Anzeigers" ver-
bürgt. Jm Grunde ist diese Geschichte von Babys enster
unfreiwilliger Reise und seiner Rettung durch S. Büro-
kratius schr einfach. Baby war in eimjm oberhessischen
Landstädtchen geboren und gedieh bei seinem Fläschchen
und unter Mamas und des Dienstmädchens Lieschen
Aufficht vortrefflich. Seine Welt war einstweilen noch sein
Kinderwagen, in dem das kleine Wesen an schönen Nachmii-
tagen unter dem Schatten der Landstraße oder der An-
lagen ums Kriegerdenkmal einige Stunden herumgefahren
wurde. Als eines Tages Mama mit der oberhessischen
Eisenbahn nach der großen Provinzialhauptstadt Gießen
reisen wollte, um dort ihre Eltern zu besnchen, und aller-
hand Sachen einzukaufen, die in dem kleinen LändstädtchM
nicht zu haben waren, durfte Baby mit an den Bahnhof
sahren. Diese Auszeichnung war ihm jedoch sehr gleich-
gültig, sast als ob es gewußt hätte, daß sie gar nicht ihm
selber galt, sondern dem Kinderwagen, der zuglei-ch als
Fuhrwerk für ein Handköfferchen, ein Handtäschchen, ein
Schirmfutteral, eine Hutschachtel und drei kleinere Paket-
chen dienen mußte. Baby ließ es ruhig geschehen, daß man
alle diese Sachen zu ihm in den Wagen Ind^was sonst
noch mit ihm fuhr, war ihm völlig Wurst; hatte es doch
sein Fläschchen mit vollen 16 Nümmerchen. Das war fnr
Baby die Hauptsache, und daran trank es sich die erforder-
liche Bettschwers an, um den Rest des Tages gemütlich zu
verschlafen. Als Mama, Lieschen und der Kinderlvägen
den Bahnhof erreichten, lag Bäby in den letzten Zügen,
>d. h. es h-atte nicht lange mehr an seinem Fläschchen zu
ziehen. Der Zug der oberhessischen Bahni r-yKte heran,
Mama suchte fich einen Platz, Lieschen brachte ihr aus dem
Kmderwagen, der auf dem Bahnsteig unter dem Schatten
des Güterschoppens ftand, das vielerlei Kleingepäck an den
Wagen, dann hatte ste im letzten Augenblick vor Abgang des
Zuges ihve Madame noch hunbert Sachen zu fragen: was
sie morgen Mittag dem Herrn kochen sollte, ob sie in der
guten Stübe auch die Fenster putzen, das Bett ber Madame
im Garten lüften, ob ste 'die Milch fürs Baby noch weiter
niit Kalkwasser mischen sollte, und was dergleichen kleine
Haushaltssorgen mehr waren, über die ste von der Ma-
bame schon Dutzende Mal gründlichst angewiesen worden
war. Endlich pfiff der Zug und setzte stch in Beipegung,
Lieschen trabte noch ein Stückchen nebenher, immer noch
mit der Madame verhandelnd, dann blieb sie ste-hen und
winkte ihr zum Äbschied nach, bis der Zug hinter den
Bäumen verschwand.' Als Lieschen aus den Bahnsteig zu-
rückkehrte, war auch ihr Kinderwagen verschwunden. Sie
rannte verzweifelt hin und her, schaute in alle Ecken, hinter
jede Tür und Mauer, aber vergebens. Dann wußte sie
nichts Besseres zn tun, als gottsjämmerlich zu weinen. Da
es mittlerweile wieder völlig still auf dem kleinen Bahn-
hof gewor-den war, klangen ihre Klagetöne bis ins Bureau
des Mannes mit der roten Mütze; der kam hervör und
fragte unwirsch, was das für eine unverschämte Brüllsrei
sei. Es dauerte natürlich eine gute Werle, bis Lieschen -stch
verständlich machen und den Verlust des Kinderwagens
mit Jnhalt berichten konnte, dann gingi wieder einige Zeit
hin mit gemeinsamem Suchen unb Ueberlegen, unb schon
war mehr als eine halbe Stunde verstrichen, bis ber Sta-
tions-vorsteher auf den Gedanken kam, seinen einzigen
Untergebenen, der zugleich Weichenwarter, Saaldiener,
Lampenanzünder, Packträger usw. war, zu fragen, ob er
den Kinderwagen nicht gesehen habe. Der Mann, der ge-
rade damit beschäftigt war, frisches Petroleum auf einige
Lampen zu gießen, ließ sich in seiner Arbeit nicht stören
und brummte nur, er wisse von nichts, er könne stch auch
um die Kinderwagen von den fremden Leuten nicht küm-
mern, das sollten bie Kindermädchen Mbst tun. Diese
Antwort war das Zeichen zum Beginn einer neuen Tränen-

„Leicht möglich", erwiderte Arthur Holborn achselzuckend.
„Leonore ist eine zu tluge Frau, um durch solch eine Kleinig-
keit, wie eine Narbe, ihre Pläne vereiteln zu lassen. — Wollen
Sie mir nun wenigstens diesen Betrug, der auf mein Anraten
vcrübt worden ist, verzeihen?"

„Möge Gott Jhnen so vollständig verzeihen, wie ich Jhnen
verzeihe", lautete die Antwort.

Noch bevor die Finsternis dieser Nacht durch das Grauen
des Tages verscheucht wurde, hatte Arthnr Holborn seinen letz-
ten Atemzug getan.

Der Baron und Georg von Desmond satzen allein mit-
cinander im Wohnzimmcr.

Georg hatte dem Vater Mollys die Geschichte seines Ehe-
standes erzählt und ihm den Charatter der Dame geschilderl,
die als Gast in seinem Schlosse wrilte. „Jch warnte Sie schon
früher vor dieser Person", sagte er, als er mit der Geschichte
von dem durch Leonore verübten Betrug zu Cnde war.

„Ja", crwiderte der Baron, „nnd ich lietz Jhre Warnung
unbeachtet; jetzt sammeln Sie fcurigr Kohlen auf mein Haupt,
indem Sie zum zweitenmale Jhre Stimme erheben, um mich
vor den Folgen meiner eigenen Verblendung zu bewahren.
Sie wissen gar nicht, was sür ein Dummkopf ich gewesen bin.
Ich stand im Brgriff, diese Frau zu heiraten. Jch wutzte, daß
sie nicht besonders gut war, aber sie gefiel mir, sie plaudertr
schr angenehm und verstcmd es, sich allen meinen Launen an>
zupassen. Sie haben mich von einem verhängnisvollen Schritt
zurückgehalten, und ich bin Jhnen unendlich dankbar dafür;
sie soll uns nun nicht mehr lange belästigen."

Frau von Harding oder richtiger Leonore Gibbons wartete
nicht, bis der Baron ihr dcn Laufpatz gab; sie hattc kaum er-

flut; Lieschen sank hilf- und ratlos auf eine Bank niw
erklärte zwischen dem Schlnchzen, es bleibe ihr jetzt nicht-'
stbrig, als in ben Ästühltei-ch zn -gehen. Der vielseitige
Bähnbedienstete hatteflnzwischen seine Lampen fertig aus-
gesüllt, und dabei schien ihm selb-st eine-Lämpe aufgcgan-
gen zu sein. Als er mit seiner Petrolenmkannc an dec
jammernden Liese vorüberkam, blieb er stehen nnd sragw-
„War das vielleicht en Kinnerwage mit blaue Vorhäng'
Lieschen bejahte schluchzend. „Na, ben han se spedierl-
— Wie, spediert? wurbe nnn gefragt, nnö da stellte s>ch
herans, daß das Stationsfaktotum gesehen hatte, wie^der
Kinderwagen mit einem Korb voll Hühnern nnd eineni Sack
Kartoffeln, neben denen er vor dem Güterschoppen stand,
in den Packwagen des abgegangenen Zuges gehoben wordeu
war. Diese Enthüllung beruhigte das Mädchen nicht nnr,
sondern erfüllte sie überraschender Weise sogar mit lauter
Freude. „Nun ist ja alles gnt, dann hat ja die Madawe
ihr Kind gleich bei sich, wenn sie nach Gießen kommt und
t'ann es den Großeltern zeigen. Na, die wird sich frenen!
Es wurde dem Stationsvorsteher nicht ganz leicht, Liescheu
klar zu machen, baß sie ganz im Jrrtum sei, daß Madawe
bei der Anknnft in Gießen ihr Kind gar niW zu seheu
bekomme, unb daß dieses im dnnk'len GütermaWMn mnltei-
los warten müsse, bis es jemanb abhole, wentlM' sstcht al^
unbestellbar Vovher schon an irgenb einer Station ausge-
setzt worden sei. A'ber nun wisse man wenignens. was zu
tuil sei, schloß der Stationsvorsteher, er weröe jetzt hinter
dem Zug drein telegraphieren. Wie däs' zu geschehen
hatte unb-was damit eigentlich bezmeckl wnrde. ivar Lies'
chen ganz; schleierhast, aber es beruhigte sie,zu hören, delff
das Telegramm schneller ging als der Zng. Sie setzte sia>
daher anf eine Bank anf dem stillen Bahnsteig. lrocknete
ihre Träiien mit ber weißen Klnderwädchenschürze uud
wartete geduldig, bis das Telegramm ihr anvertrautes
Baby mitsamt bem Kinderwagen zurückbringe. - Jetzt hatte
sie keine Sorgen mähr; vor 7 Uhr abends brauchte sie mit
dem Baby nicht zu Hause zu sein, sher kam auch der Herr
nicht zum Wendessen, so konnte die gänze 'böse Geschichte
noch gut gehen. Dem Baby war es mittlerweile in ber
Tat ganz gut gegangen. Es war noch-aus dem Bahnstetg
nach Leerung seines Fläschchens eingeschlafen iind merkte
daher nicht, wie es samt seinem Wägelchen in den Pack-
wagen gehoben wurbe, und' bie Zugbeamten merkten anch
nichts von Bäbys Anwesenheit, derm'ös,verhielt sich mäus-
chenstill hinter den zugezogenen blauEBorhängen. Auch
i'st ja die Vecsendung von Kinderrönaeii als Eflgnt keiu
nngewöhnlichcr Fall, nur sind sie dänil immer leer. Daß
der vorliegeilde bewohnt war, ähnte und merkte man nicht,
und so wäre es ruhig bis an die Endstation Gießen nstt-
gefahren un-d wäre dort im Güterschuppen geendet, wen«
nicht S. Bürokratius über dem Baby gewacht hätte. Dec
Packmeister nämlich prüfte als gewissenhafter Beamter
während der Fahrt den Jnhalt seines Wagens und ver-
glich ihn nstt seinen Papieren; wie früher kein Mensch ohue
Papiere reisen konnte, so reist auch heute noch kein Packstück
ohne Papier. Daher erschien der Kinderwagen dem Pack-
meister sofort verdächtig. als stch kein -Schein dazu vorfand:
er 'besah den Wagen links und rechts, oben und unteis
unb fanb, baß auch das Gepäckstück selbst nicht -bezettelr
war. Mit solch Vorschriftswidrigem Reisegut will natür-
lich öin braver Packmeister nichts zn tnn haben, nnd schou
an der nächstsn Station ließ er das Stück aussetzen, niit
d'em Bemerken, es müsse nach L. zuMckc' -So stand Baby
mit seinem Wägelchen wieder auf en«n?anbern Bahnsteig'
viele Kilometer von seiner Heimat bsttferstt, ohne Vater,
Mntter unb Lieschen, aber es machle sich nichts oaraus,
denn es schlief seinen gesnnden Verdauiings-schlaf weirer.
llnd niemanb auf der fremben Statron ahnte hintec deu
blauen Vorhängen Babys Anwesenheit mit AusnalnuE
einiger Fliegen, die die Milchreste am Fläschchen nnd aul
dem Kissen aufsaugten unb dann auf Babys warmen roten
Bäckchen herunlspazierten. Aus einmäl wnrde die StiÜb
des Bahnhofs durch das -Klinglingling deS TelegrapbeU
unterbrochen, und der Draht erzählte dem Stastonsoor-
st-eher bas Abhandenkommen des Kinderwägens. Eiue
Viertelstunde später kam ein Zug in umgekehrter Richtung
durch, der Wagen wurde hineingesetzt uild'fu'hr wieder der
Heimat.1'. zn. Dort stand Lieschen in banger, sroher Er-
wartung anf dem Bahnsteig, und als das Wägelchen au»
dem Packwagen gehoben wnrde, rief sie nur: „Fsr deiN
Kin-d anch nichts Passiert?" — „Welchem Kinch?" srngte bec
Packmeister znriick, denn auch er hatte von Bgbys Anwesen

fchren, datz Arthur Holborn ihren Schwager Gcorg Teörnonr
zu einer Unterredung bei sich empfangen habe, ais iie. vvr>
bereitet wie sie war, das Schlotz verließ, um mit dem nächsteU
Zuge von Crennnen nach London abzufahren.

Beim Frühstück wurde dem Baron von seinem„Diener ciu
Brief übcrreicht, dessen Aufschrift dic Hand der Jntrigantiu
vcrriet; sie schricb:

„Mcin sehr vcrehrter Herr Baron!

Jch verlasse Sie heute mit dem Gcfühl der tiefstcn Tant-'
barkeit im Herzen. Jch habe Feinde, erbitterte Feinde, dercU
boshaftes Ränkespiel zu erklären, verlorene Liebesmühe wäre;
es wird viclleicht besser sein, datz ich ruhig in dcm SckiatieU-
verharre, den diese Feinde um mich ausbreiten. Die Erinner^
ung an Sie wird mir ein unvergänglicher Schatz sein. Me>u
Gepäck bitte ich nach dem Briston-Hotel bringen zu lasseU'
wcil ich für den Augenblick nicht wciß, wohin ich mich wcndeu
wcrde.

Jn sietcr Tankbarkeit
Jhre trcu ergcbene Nuth von Harding.", .

An diesem Margcn wurde noch ein zwcitcr Bricf ini isciilo!'
Rosedale abgegeben, aber den trug eines drr Dienstmädcheu
in das Zimmer der Baronetz.

(Schlutz folgt.)

Populäre Wissenschaft. „Meine Hcrren, der positive Strou
vcrhält sich zuni negativen wie der Geldbriefträger zum
richtsvollziehcr."

Abncnlos. „Was sür einc Rasse ist dsnn Ihr Hündchen -
— „Ach, der ist ja erst vicr Monate alt. . Rasse hat cr uua)
kcine."
 
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