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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 35 - No. 43 (2. Mai - 30. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43704#0147
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— 139 —

„Wirths⸗Jakob!“ rief einer der Bauern, „ſchick doch
Deinen Buben zum Schulzen, der muß ja alle Geſetze
kennen; wofür hätten wir ihn, wenn er das nicht

wüßte 2“

genommen und ein Bote an den Dorfdespoten entſandt.
Da nun aber die Sitten naturwüchſig einfach, die Wege
kurz ſind auf dem platten Lande, ſo ging keine Viertel-
ſtunde hin, bis der Gewünſchte erſchien. Des Wirths-
Jakob's Jünſter hatte ihn ohne alle weiteren Formalitä-
ten über einige Zäune und Gärten hinweg, aus ſeinem Ge-
hoͤfte herausgerufen und in Hemdärmeln, die kurze Pfeife
im Munde, trat er in die Verſammlung; ein großer,
wohlbeleibter Mann mit hellblonden Haaren, glotzenden
waſſerblauen Augen; den Stempel eines ſelbſt Bauern-
begriffe überſteigenden Phlegma's, auf allen Zügen. Sein
Geweſe lag weit ab von der projectirten Bahnlinie und
daher hatte er noch keinen Gedanken, deren er überhaupt
außerordentlich wenig beſaß, an dieſe Angelegenheit ver-
ſchwendet; jetzt tönten ihm Fragen und Ausrufungen von
allen Seiten entgegen. ö
„Schulze, kann man uns zwingen, unſer Hab und
Gut zu verkaufen, wenn wir nicht wollen, kann man
das 2“
„Haben ſie Dir auch ſo heilloſen Unſinn vorge-
ſchwatzt?“ ö ö
„Schulze, hältſt Du mit uns oder mit den Städ-
tern?“ ö
„Haſt Du mit dem Landmeſſer geſprochen? — ſo
antworte doch einmal!“ ö
Der ſanftmüthige Dorfpaſcha nahm die Pfeife aus
dem Mund und ſah Jeden einzeln an, ehe er die breiten
Lippen öffnete und ſeine obrigkeitliche Weisheit leuch-
ten ließ.
was meint Ihr denn Kinder?“ frage er äußerſt
gelaſſen; „ich weiß gar nichts!“ꝰ ö
„Du kannſt uns alſo nicht ſagen ob wir unſer Land
hergeben müͤſſen, wenn die Leute in der Stadt eine Eiſen-
bahn durch das Dorf bauen wollen?“
„Land hergeben? — ich gebe gar nichts her!“
„Alſo Du hältſt zu uns? Du thuſt es auch nicht?“
„Ei bewahre, ich gebe nichts her!“ ö
Das war Alles, was ſich aus dem Mann des Ge-
ſetzes herauslocken ließ, aber es befriedigte die erbitterten
Bauern dennoch vollſtändig. Wenn ſelbſt der Schulze
nichts von ſolchem räuberiſchen Geſetze, ſolcher unglaub-
lichen Vergewaltigung wußte, dann exiſtirte nichts der-
gleichen und eine einhellige Weigerung mußte zum Sieg
führen. ‚

(Fortiſetzung folgt.)

§ Dr. Bronners ſilberne Boch;zeit.
Bradford, 35. April.

In England im Kreiſe Horkſhire liegt eine Stadt
mit Namen Bradford, die ſich durch Induſtrie und Han-
del in der ganzen Welt einen Ruf erworben hat. In
dieſer Stadt leben eine größere Anzahl Deutſcher und
bilden heute eine deutſche Colonie, deren Geſchichte zur
Gründung dieſer Colonie, wohl mehr Raum einnehmen
würde, als Sie mir geſtatten. Vor einer Reihe von Jah-
ren kam auch ein Bürger Wiesloch's nach längerem un-
ſtetem Ziehen in Folge der 48er Erhebung hierher und
gründete ſich hier ſein Haus. Derſelbe gewann bald die
Liebe und Achtung ſeiner Landsleute und wurde der

ſident er bis zum Beginne dieſes Jahres war.

Der Vorſchlag wurde mit lebhafter Acclamation auf-

Menſur wiedergaben.

Gründer des jetzigen Schiller-Vereins, deſſen Prä-
Der Ver-
ein wurde bald zahlreicher und die Geſchäfte gewannen
an Umfang, ſo daß der Präſident die Ehrenſtelle ablegen
mußte, weil er als gewiſſenhafter, allgemein beliebter Arzt
der Berufsflichten zu viel hat. Dieſer theuere Freund
hat heute ſeine ſilberne Hochzeit gefeiert und zwar im
Kreiſe aller ſeiner zahlreichen Freunde und Bekannten
im feſtlich geſchmückten Saale des Schiller-Vereins. Wohl
200 gute deutſche Frauen und Männer waren verſam-
melt um beim herrlichen Mahle, das durch Geſänge und
Toaſte, zu dieſer Gelegenheit gedichtet, geſchmückt, ihren
Herzen und Gefühlen Ausdruck zu geben. Am Vorabend
brachte die Bradforder Liedertafel, ein Zweig-Verein des
Schiller Vereins, dem glücklichen Paar ein Ständchen und
am Morgen des ſilbernen Hochzeitstages wurde unſer
Jubilar ſo zu ſagen belagert in ſeiner Wohnung. Sämmt-
liche Deutſche brachten ihre Wünſche und Gratulationen
dar und Zeichen der allgemeinen Liebe wurden dem feſt-

lichen Paare in herrlichſter Weiſe kund. Nicht nur, daß

ſein Haus in einen Garten umgewandelt war, über-
reichte ihm auch einer der älteſten Deutſchen hier ein
Geſchenk von Deutſchen, beſtehend in einer Brieftaſche,‚
die einen Cheque von Lire 1000 enthielt, nebſt einem
prachtvollen ſilbernen Thee-und Kaffee⸗-Servis im Werthe
von Lire 300.
Am Abend kamen die Feſtlichkeiten im Schiller⸗-Verein,
wo beim Eintritt in den feſtlich geſchmückten Saal der
Braut und des Bräutigams Mendelsſohn's Hochzeits-
marſch geſpielt wurde; während das Comitee die Braut-
leute nach ihren Plätzen geleitete, ſtreuten zwei junge
Mädchen Blumen auf ihrem Wege voraus. Ein Trau-
ungslied von Hauptmann wurde darauf vom gemiſchten
Chore (Damen und Herren) geſungen, worauf der jetzige
Präſident eine beglückwünſchende Anſprache an das Paar
hielt und dann durch zwei weißgekleidete Mädchen dem
Paare die Inſignien der Hochzeit überreichen ließ. Frau
Dr. Bronner einrn ſilbernen Kranz, ihrem Gatten,
ein ſilbernes Bouquet. Während dieſer Zeit wurde
eine herrlich ausgeführte Adreſſe des Schiller-Vereins an
das Paar illuminirt. Dieſelbe war ein Meiſterwerk und

zeigte am Rande Schillers Bildniß, die deutſchen Farben,

den deutſchen Adler und Wiesloch.
Viele Toaſte folgten nach einem gemüthlichen Abend-
eſſen, worunter die Geſundheit des feſtlichen Paares, vom
Vicepräſidenten vorgeſchlagen, wohl der ſchönſte und denk-
würdigſte iſt. Geſänge und Dankſagungsrede des Dr.
reihten ſich an, worauf ein humoriſtiſch abgefaßtes Ge-
dicht von einem unſerer hieſigen Deutſchen gefertigt „Dr.
Bronner's Lebenslauf,“ vorgetragen wurde. Das-
ſelbe war durch vortrefflich gelungene Schattenbilddr be-
gleitet, die einzelne Scenen des Dr. und stud. auf der
Unter Anderm auch ſein Vater-
haus in Wiesloch und das hier gegründete Augen⸗ und
Ohrenhoſpital. ö ö ö
Die Geſellſchaft ſang noch lange bis zum frühen
Morgen und wohl alle hieſigen Deutſchen werden ſich
dieſes Tages mit unſerem lieben Dr., deſſen Frau, die
ſo manchem deutſchen Armen bekannt, und deſſen herr-
lichen vier Kindern erinnen.
Dies ſollte aber nicht der Schluß des Feſtes ſein,
denn ein alter Studioſes der Heidelberger Allemania muß
auch einen tüchtigen Commers bei einer ſolchen Gelegen-
heit wieder mitfeiern und am Samſtag Abend verſam-
melten ſich alle kneipluſtigen Deutſchen im Feſtſaale des
Schiller⸗Vereins, wo nicht ſchlecht gezecht wurde. Wahr-
ſcheinlich hat der arme Dr. die Folgen verſpürt und heute,

am Sonntage, jedoch wieder viele deutſche Freunde be-

ſich geſehen — um ein Mittelchen gegen „Kater“ zu bei
kommen —. Trinkſprüche, Toaſte und ein anderes hu-
 
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