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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 35 - No. 43 (2. Mai - 30. Mai)
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.— 138 —

„Alſo Herr Steffen, Sie beordern ihre Leute, mir

keinerlei Hinderniß in den Weg zu legen, die Arbeit hier
an Ort und Stelle wird Zeit rauben, der Flußarme und
der Anhöhen wegen.“ 2
„Werde ich mein Herr Landmeſſer, kenne Ihren wer-
then Namen nicht — ſage Ihnen aber, daß Sie ganz
unnützer Weiſe auf meinen Stoppelfeldern herumtrampeln
werden; ich verſteuere ja jeden fußreit Boden, bin über-
haupt Niemand etwas ſchuldig, den König inbegriffen
was ſoll alſo das neue Vermeſſen?“
„Sie haben mich nicht verſtanden, mein guter Mann,“
verſetzte etwas piquirt der Fremde. „Es iſt eine projec-
tirte Bahnlinie, zu deren Anlage die Terainvermeſſungen
angeordnet ſind, keine Steuerangelegenheiten.“
Der „gute Mann“ erbitterte den Müller noch mehr.
„Sie ſcheinen fremd hier zu Lande, das hört man an
Dialect und Redeweiſe,“ ſagte er trocken; „na, wieder
auf die Sache zu kommen, von der wir ſprachen —
was geht denn mich und mein Grundſtück die Bahnlinie
an? Ich will mir keine Bahn bauen laſſen!“
„Das vermuthe ich; indeſſen wird die Anlage wahl-
ſcheinlich einen Theil Ihres Grund und Bodens erfor-
dern, möglicherweiſe ſogar den Abbruch der Mühle.“
„Ha, ha, ha, das iſt luſtig! Wirklich, Sie ſind

beſcheiden, mein Herr Landmeſſer, alſo nur die Mühle

ſoll ich abbrechen laſſen, weiter Nichts? in der That,
das iſt billig gedacht!“ rief funkelnden Auges der Mül-
ler, „wollen Sie gleich heute beginnen oder darf ich vor-
her meine Siebenſachen unter Gottes freien Himmel hin-
austranspirtiren, wie?“
Der Ingenieur erhob ſich und zog den abgelegten
Handſchuh der Rechten gelaſſen wieder an. „Sie ſchei-
nen in bedauerlichen Irrthümern befangen, Herr Steffen!
ſagte er ruhigen Tones, obgleich die Bläſſe ſeines Ge-
ſichtes den inneren Aerger deutlich verrieth — „Unſere
Converſation wird am Beſten hier aufhören. Ich bin
nicht Ambaſſadeur der Eiſenbahngeſellſchaft; nicht bei Ih-
nen, um über den Verkauf Ihres Grundſtückes zu unter-

handeln; ſondern Staatsangeſtellter, mit Terainvermeſ-

ſungen beauftragter Ingenieur und habe nicht etwa die
Erlaubniß zum Betreten Ihrer Felder von Ihnen erbit-
ten wollen, ſondern nur als gebildeter Mann vorher
da eine Art Viſite gemacht, wo ich beſchwerlich wer-
den muß. Das iſt das Lange und Kurze von der
Sache!“
„Danke, danke beſtens fuͤr die gütige Belehrung!“
rief der Müllerr, „und für den gehabten Spaß! ich bin
ja nur ein ganz ungebildeter Bauer; wiſſen Sie, muß
noch viel Lebensart lernen; da iſt es dann immer von
Nutzen, wenn ab und zu ſo ein Großſtädter, ein feiner
Mann der die Welt kennt, in meinem armen Hauſe vor-
ſpricht! — na, nun fallen Sie nicht in den Mühlbach;
wo das Rad läuft, iſt er ſehr tief; verſinken ſie nicht in
meinem Moor da unten weiter rechts und wenn Sie mir
möglicherweiſe noch einen Abſchiedsbeſuch zugedacht haben,
genieren Sie ſich nicht! ich erführe wirklich gern, ob mir
ein Plätzchen bleiben wird, wo ich mein Haupt betten
kann, ha, ha, ha. —* ö
Der Landmeſſer hatte ſich mit einem kalten Gruße
und ohne weitere Worte entfernt, während der Müller
noch ſprach. Dieſer begleitete ihn lachend bis zur Haus-
thür und beſah ſich die Berge von Ketten und Pfählen
auf der Brücke. In ſtreitluſtigſter Stimmung ging er
hinab zum Dorfe, um unter den Bauern nachzuforſchen,

ob auch bei ihnen Anſtalten zu Vermeſſungen getroffen

würden; überall hörte er das Gefürchtete. Die reicheren
Grundbeſitzer waren außer ſich bei dem Gedanken, von
dem langjährigen Heim, dem Hauſe in welchem ſie ge-
boren und dereinſt zu ſterben hofften, nun vielleicht jäh-

lings vertrieben zu werden. Hier ſollte ein Wohngebäude

fallen, da ging es quer durch den Garten; an dritter
Stelle erforderte die Anlage des Bahnwalles die beſten
fruchtbarſten Aecker und machte ſo das ganze Bauerngut

werthlos.

Einſtimmig erklärten ſich die Betroffenen gegen das
Project und der Müller ging von Einem zum Anderen,
hetzte wo er konnte, erhöhte durch ſeinen, des reichſten
Mannes Einfluß, die Widerſetzlichkeit der ohnehin ſo zä-
hen, ſtarrſinnigen Bauern; überredete die Leute, ſich durch
keinen Vortheil beſtechen zu laſſen, ſondern Alle für Einen
zuſammenzuhalten und die verhaßte Neuerung zu Waſſer
zu machen. ö
Was ſind uns ein Paar lumpige tauſend Thaler?“
rief er in der Schenke und ſchlug mit der geballten Fauſt
auf den Tiſch, daß die langen röhrenförmigen Biergläſer
tanzten; „das laßt ſie den armen Schluckern in der
Stadt bieten, die dreimal wöchentlich auf den Daumen
ſaugen müſſen, wenn ſie Fleiſch im Munde ſpüren wol-
len, aber nicht uns Bauern! wir brauchen keine Eiſen-
bahnen, wir lauern nicht auf einen Biſſen Brod, unſer
Recht wollen wir behaupten!“ ö
Die Menge ſchrie raſenden Beifall zu dieſer gehar-
niſchten Rede und faſt alle Köpfe waren mehr oder min-
der erhitzt; nur wenig Beſonnene meinten, daß es nicht
ganz klug gehandelt ſei, ſo gewaltſam gegen den Willen
der Herren aus der Stadt zu opponiren. „Fett ſchwimmt
oben!“ ſagten ſie bedenklich, und die kommen dann mit
lateiniſchen Brocken und beweiſen uns, daß wir im eige-
nen Hauſe nichts zu ſagen haben.“
„Mir hat ſogar der Landmeſſer erzählt, daß es ein
Geſetz gebe, was uns zum Verkauf zwingen könne, wir
mögen nun wollen oder nicht!“ warf eine ſchüchterne
Stimme ein.
2er Augen ſuchten den Sprecher. „Wer ſagt
as 2“
„Ach, das warſt Du, Schmid! — möchteſt wohl
gern bei guter Gelegenheit losſchlagen, wie? ſteckſt
mit dem Ingenieur unter einer Decke, mit dem Hand-
ſchuhmann, dem Parlezvous?“

„Kannſt Du keinen Groſchen mehr auf das alte
Oir 2⸗ bekommen, Schmid? ſteht's ſo ſchlecht mir
ir 2* —
„Der mir von ſolchem Geſetz in meinem Hauſe re-
det, dem will ich gratuliren; der ſoll glauben, daß in
dieſem Jahre Oſtern und Pfingſten auf einen Tag
fallen!“ ö
„dich zwingen?“ überſchrie hohnlachend der Müller
den Tumult, „Conrad Steffen zwingen? ha, ha, ha, da
hat eine Eule geſeſſen!“ ö
So ſchwirrten von allen Seiten die Ausbrüche der
Empörung durcheinander. Der Schmid ließ ruhig den
Sturm austoben. „Es bleibt dabei!“ ſagte er gelaſſen,
„der Ingenieur hat es behauptet. Er wußte ſogar Fälle,
wo Militär einrückte, als ſich die Bauern den Vermeſ-
ſungen mit Gewalt widerſetzten.“
Jetzt folgte aber doch eine allgemeine Stille. Der
Schmid ſprach ſo zuverſichtlich, daß ſeine Worte keine
müſſige Erfindung ſein konnten, ob freilich Niemand die
Sache ſelbſt für wahr, ſondern lediglich für einen Schreck-
ſchuß hielt, den Landmeſſer angewendet um die Bauern
fügſam zu machen. ö
„Wenn Du nicht auch ſo ein hergelaufener Städter,
ein landfremder Beſſerwiſſer wärſt, ſo würdeſt Du dem
großſprecheriſchen Ingenieur mit ſeinen kuhlrothen Hand-
ſchuhen, Deine ſchwarzen Fäuſte gezeigt und ihn gelehrt
haben, rechtſchaffene Bauern zu verſpotten!“ rief erboſt
der Müller, „aber Du ſcheinſt ja richtige Freundſchaft
mit ihm geſchloſſen zu haben, wenn er Dir ſchon gar Ge-
ſchichten erzählt von ſeinen früheren Heldenthaten “.
 
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