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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 52 - No. 60 (1. Juli - 29. Juli)
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Heidelberger Kamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 59.

Samſtag, den 25. Juli.

1874.

Nach ſieben Zahren.

Novelle von Ludwig Harder.

(Fortſetzung.)

„Und würden von drunten Verderben über Schiff
und Schiffer ſenden. — Eine zu ſchaurige Drohung, als
daß man ſie nicht beherzigen ſollte! Beruhigen Sie ſich
Madame, ich will Sie führen, wohin Ihr Herz begehrt,“
fügte er hinzu, indem er ſich Ulriken gegenüber ſetzte und
die Ruder taktmäßig aufzog und niederfallen ließ, die
Prinzeſſin erwiderte Nichts; ſie betrachtete nur faſt neu-
gierig ihr vis-A-vis. Es war ein junger Mann von etwa
zweiunddreißig Jahren, und den Eindruck, welchen er auf
ſie machte, ein außerordentlich günſtiger. Selbſt die
Spuren eines raſchen Lebens, welche unverkennbar auf
dem leichtgebräunten Antlitz lagen, waren nicht fähig ge-
weſen, den Ausdruck von Geiſt und Edelmuth zu ver-
drängen, welcher dieſes Geſicht ſo anziehend machte. —
Das Schweigen begann Ulrike drückend zu werden. Sie
brach es daher mit der Frage: „ob Herr Braun fremd
in der Gegend, da er ſich Schloß Rüſing mit ſo regem
Intereſſe betrachtet habe?“ ö ö

„Nicht das Schloß, nur die Ruine daneben, und das

herrliche Abendroth, betrachtete ich. Sehen Sie es ſteht
noch am Himmel, und leuchtet, wie es Jahrtaͤuſende ge-
leuchtet, und weckt doch ſtets einen neuen Gedanken, ein
neues Gefühl in den alten Herzen und der greiſen
Welt.“
„Ich dachte,“ bemerkte die Prinzeſſin achſelzuckend,
„die ſtete Gewohnheit müſſe das lebhafte Intereſſe für
täglich wiederkehrende Naturſchönheiten abſtumpfen.“
„Sie haben Recht! Man geht an ſo Vielem vorbei,
ohne es zu beachten; man gewöhnt ſich an Schönheit
eben ſo wohl, wie an das Gemeine; warum ſollte man
auch nicht? Das Abendroth jedoch, — das iſt mir ein
theurer Freund! Wie oft ſtarrte ich als Knabe in das
leuchtende Glutmeer und gelobte — —.“ Er brach ab.
„Das Abendroth ſteht noch; die Gelübde aber — Sie
lachen über meine Schwärmerei, ſchöne Nixe, ich ſehe es
trotz Ihres Schleiers, — nun wohl! Ich habe ein ſehr
unangenehmes Rencontre gehabt, und das brachte mich
zum Nachdenken und das Nachdenken brachte mich in dieſe
abſcheuliche Stimmung, die —
„Nein, ich lache nicht, unterbrach Ulrike nicht ohne
Ironie, „ich freue mich über Ihr kindliches Gemüth, das
noch fähig iſt, in ſo reinem Glück für das Abenroth zu
ſchwärmen.“ ö ö
„Schwärmte ich denn glücklich? Wer ſagt Ihnen,
daß ich nicht im Gegentheil einen ziemlich bittern Ver-
gleich machte, den Vergleich der ewigen Sonne mit den
blaſſen Balllampen in den Salons unſerer großen Welt.“
„Ein Förſter ſollte dieſe Balllampen in dem Grade
kennen, um ſie zu haſſen?! Oder irrte ich, als ich Ih-
nen den Namen Braun gab?“ ö
„„een irren nicht!“

„Diesmal zweifle ich an meiner Macht. Wenn ich
mich aber täuſchte, ſo nennen Sie mir Ihren wahren
Namen, damit die Fee ihren Dank in feenhafter Weiſe
abtragen kann.“
„Reden Sie im Ernſt? Sie wollten mir einen
Wunſch gewähren?“
„Das hab' ich nicht geſagt!“ erwiderte Ulrike, ſcheu
vor ſeiner Lebhaftigkeit zurückweichend. ö
„Sie ſagten, daß Sie mich feenhaft belohnen wür-
den, wohlan! ich habe nur einen Wunſch! Unverhüllt
das Antlitz meiner ́Göttin —“
„Ach, nimmermehr!“
„Seien Sie nicht grauſam; an welchem Merkmal
ſoll ich Sie erkennen, wenn unſere Wege ſich abermals
kreuzen.“ ö ö
„Wir werden uns nie wieder begegnen,“ ſagte Ulrike
heftig. „Meine Eltern ſind engliſche Kaufleute, ſie er-
warten mich in Langen, und in einer Stunde werden wir
die Reiſe nach unſerer Heimath antreten, — — doch
weshalb lächeln Sie? Halten Sie meine Erklärungen
für falſch?“ ö
„Madame, Erklärungen zu fordern, habe ich nicht
das mindeſte Recht. Halten Sie es trotzdem für noth-
wendig, mir ſolche zu geben, ſo erlauben Sie mir wohl
die ſchrankenloſeſte — Gedankenfreiheit.“ ö
„Mein Herr ich verſichere —“
„Hier iſt das Ufer von Barendorf; zwiſchen dieſen
Weiden können wir anlegen. — Ihren Arm, Madame,
ich werde Sie an den Ort Ihrer Beſtimmung führen.“
„Nein, nein, Sie werden das nicht thun und mir
auch nicht folgen, verſprechen Sie es mir.“
„Für letzteres kann ich nicht einſtehen,“ erwiderte
der Fremde. Das Boot legte an.
„Wie danke ich Ihnen Herr Braun,“ flüſterte Ulrike,
das Fahrzeug verlaſſend, „mehr als Worte auszudrücken
vermögen, glauben Sie mir! Ich darf nicht einmal ſa-

gen, was ich Ihnen alles ſchulde, aber einſt werde ich

meine Schuld abzutragen ſuchen.“
„Nicht bald, hoffentlich,“ meinte der Förſter, ihre
weiße Hand an die Lippen drückend. Gönnen Sie mir
erſt noch das hohe Glück, Götter zu meinen Schuldnern
zu zählen.“
Sie reichte ihm herzlich beide Hände. „Leben Sie
wohl,“ flüſterte das junge Mädchen, „leben Sie wohl.“
Sie rang ſichtlich mit einem Entſchluß, dann mit feſter
Hand den Schleier zurückſchlagend, fuhr ſie leiſe fort:
„Sie ſind ein Ehrenmann, Herr Braun, Sie werden mich
nicht verrathen; werden auch nicht verrathen, daß Sie
eine verſchleierte Dame über den Fluß geleiteten, geben
Sie mir Ihr Wort darauf.“ ö
„Wie ſchön Sie ſind, Waldfee,“ flüſterte der Fremde,
indem er verſuchte, Sie näher an ſich zu ziehen. Die
Prinzeſſin erbebte: „Vergeſſen Sie mich,“ ſagte ſie haſtig,
„o vergeſſen Sie mich, und — ſollten wir uns dennoch
wiederſehen ſo — ſo — beten Sie zu Gott für uns
Beide! Adieu, adieu!“ ö ö
Sie riß ſich mit dieſen Worten los und eilte, den

Schleier vorziehend, raſch durch das Ufergebüſch. Ihr

Begleiter folgte ihr in einer Entfernuug von etwa dreißig
 
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