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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 70 - No. 78 (2. September - 30. September)
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Beletrifiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung. ö

elberger Familienblätter.

AV27S.

vsch, v S0. Stna.

Srüder.

Hovellette von Eduard Heſtermann.

Nachdruck verboten. Geſ. v. I1. V. 70.

Prächtig lag das Haus am Ufer der Elbe, da, wo
der Fluß bereits mächtiger wallend, ſeine Wogen dem
Meere, der finſteren, ſtürmiſchen Nordſee zutreibt. Amphi-

theatraliſch breiten ſich die Wohnungen am Geſtade des

Ufers aus; — das Haus, von dem wir reden, hatte hoch

oben in dieſem Amphitheater ſeinen Platz, und ſchaute
gar vergnüglich mit ſeinen hellen blitzenden Fenſteraugen

aus dem grünen Laubwerk hervor, über die rothen Ziegel-
dächer der andern Häuſer hinweg in den majeſtätiſchen
Strom, dem die ſtolze Metropole Hamburg — die alte,
ewig junge Handelsfreiſtadt — es vorzüglich verdankt,
daß ihr dreithürmiges Wappen geehrt und geachtet wird

von einem Pol der Erde bis zum andern.

Das Haus enthielt ein einziges großes Parterre,
weiter überall keine Räumlichkeiten. Hart über den Fen-
ſtergeſimſen deſſelben ſchon beſchattete das Strohdach einen
Theil der weiß getünchten Mauer, was dem Ganzen ein
recht behagliches und trauliches Ausſehen verlieh. Die
Fenſterrähme waren hellgrün angeſtrichen, ebenſo die, mit
allerhand Schnörkeln verzierte, altmodiſche Thür und der
niedere Zaun, der den Garten des Hauſes umgab. Groß
war dieſer Garten nicht — eigentlich nur ein Gärtchen
zu nennen — aber die ſchönſten Blümchen blühten darin;
im Frühlinge Hyacinthen, im Sommer Roſen und Nelken,

im Herbſte prächtige Georginen. Trotz der geringen Aus-
dehnung des Gartens war für eine Laube Raum geſchafft!

ein anmuthiges Plätzchen, von dem aus man die herrlichſte
Fernſicht in das Elbthal geno5s. ö

Noch eine Zierde beſaß das Haus, auf welche ſich

der Eigner nicht wenig zu Gute that; Wein — aber
nicht etwa wilder — umrankte die Mauern des Häus-
chens, im Herbſte, nichts von dem weißen Anſtrich ſehen
laſſend, ſo mächtig bedeckten dann die ſchön gezackten
Blätter die Front. Da der Beſitzer mit unendlicher Sorg-
falt das launige Pflanzenkind einer wärmeren Gegend
pflegte, ſo gelang es ihn manches Jahr, — zumal wenn
Auguſt und September ihre Schuldigkeit gethan — drei

oder vier Trauben zur Reife zu bringen. Das rief: dänn

jedes Mal großen Jubel hervor. An einem, vorher dazu

beſtimmten Tage —.gewönhlich einem Sonntage — wur-
den die Trauben mit ſcharfem Meſſer vom Stengel ge-

trennt; die beiden blonden Jungen des Hausherrn nah-

men dann eine Birkenſtange, befeſtigten die ſeltene Früchte
daran und trugen ſie im Triumphe fort, gleichwie einſt

Joſua und Caleb aus dem gelobten Lande einen Trauben-

Goliath ihrem Heerführer Moſes heimbrachten. Die Haus-
frau nahm die Gabe Pomona's feierlichſt in Empfang-

und zum Schluß der Feſtlichkeit gab es Chocolade und
Butterkuchen, letzteren ſehr delicat, und von „Mutter“ eigens
zur würdigen Begehung des wichtigeu Tages gebacken. Die

Kinder nannten das ihr Weinleſefeſt! Leider kounte das-

Schulter.

ſelbe nich
ſind eben nicht die des Rheins.

Nun waren viele Jahre verfloſſen, ſeitdem ein ſol-

ches Feſt zum letzten Male begangen worden. Aus den
blondhaarigen Rangen, die zum großen Verdruß der
Mutter jeden Abend faſt mit zerriſſenen Jäckchen oder

Hoſen vom Elbeſtrand heraufkamen, um den „Beſten aller

Köche“ zu befriedigen, — waren zwei ſtattliche Jünglinge
geworden, der Schule längſt entwachſen und bereits eine
nützliche Stellung im bürgerlichen Leben einnehmend. Auf

jene Weinleſefeſte blickten ſie nun vielleicht mit mitleidigem

Lächeln zurück! Der eine, Hugo, haite ſeitdem der Trauben ſo

viele, ſo große und prächtige in Spanien und Italien ge-
ſehen, daß ihn die drei vom Papa mit Angſt und Noth
gezogenen krüppehaften Exemplare wenig mehr intereſſiren

konnten, und der andere Theodor, gewann überall den
Trauben nur da ein Intereſſe ab, wo ſie als Roſinen
und Corinthen gewinnbringend auf den Markt, an die
Börſe gebracht werden konnten. Hugo war Seemann,
Theodor Kaufmann geworden. ———
Es war an einem Sonntagmorgen im Frühlinge.
Blau, wolkenlos dehnte ſich der ſonnige Himmel über
dem glitzernden Elbſtrome und der lieblichen Landſchaft,

die im erſten Grün ihres Landſchmuckes prangte. Leiſe

Odemzüge nur gingen durch Flur und Feld und über

den breiten Fluß, ſein fluthendes Waſſer kaum zu leich-
ten Wellen kräuſelnd. Leiſe auch nur ſchwankten die
Zweige des Goldregens und der Syringe unter ihrem
Hauche — und wohl mochten ſich über die Lippen der
alten Dame mit dem würdigen Geſichte, die mit gefalte-
nen Händen am Gartenzaun ſtand und zum Fluſſe nie-

derſah, die Worte Ludwig Uhland's drängen:
ö — — O ſüßes Graun, geheimes Weh'ꝛn!
ö Als knieten Viele ungeſehn ö
Unnd beteten mit mir.
Der Himmel nah und fern,
Er iſt ſo klar, ſo feierlich,
So ganz, als wollt er öffnen ſich:
Das iſt der Tag des Herrn. —
Ein hoher ernſter Mann trat an die Matrone
heran und legte leiſe ſeine gebräunte Hand auf ihre
„Nun Mutter,“ ſagte er liebevoll, „ſo in Gedanken
verſunken? Ein prachtvoller Morgen, nicht wahr? für
Dich, meine ich. Für einen alten Seebären, wie ich, iſt
dieſe Briſe denn doch mehr wie überflüſſig flau. Sieh
nur, wie träg die Schiffe auf dem Strome liegen! Die

Thetis da unten — wenn Du ein wenig rechts ſehen
willſt — die ſchlanke Brigg möchte wohl, aber ſie kann

nicht, es geht ihr, wie mirr.
lächelte trübe.

„plagt Dich der Schmerz wieder?“

„Nun, Du weißt ja, Mutter, das Andenken aus
den chineſiſchen Gewäſſern bringt ſich jeden Frühling wie-

der in gütige Erinnerung.

„HUnd doch weißt Du, mein Mann, daß ich mitunter,

wenn ich mich ſo unausſprechlich glücklich fühle, der Kugel

iedes Jahr gefeiert werden, die Ufer der Elbe

„WMein armer, lieber Mann,“ erwiderte die Frau in
beſorgtem: Tone, und ihren Arm um ſeine Schulter legend,
 
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