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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 44 - No. 51 (3. Juni - 27. Juni)
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heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Samſtag, den 13. Juni. 1874.

Anter den Puritanern.

Aus den Erinnerungen des engliſchen Schauſpielers Preſton.

Von Georg Hilll.

Nachdruck verboten. Geſ. v. 11. VI. 70.

Ich erzähle hier Begebenheiten aus meinem vielbe-
wegten Leben, die für Manchen nicht ohne Intereſſe ſein
werden. Nicht nur das Zuſammentreffen unſerer in jenen
Zeiten ſich keiner Werthſchätzung erfreuenden Geſellſchaft
— ſie war gerade ſo verachtet, als die dramatiſche
Kunſt überhaupt — mit großen, unglücklichen, hiſtoriſch
berühmten Perſonen iſt es, was für dieſe. Aufzeichnung
vielleicht ein beſonderes Intereſſe erweckt, ſie wirft auch
ein Streiflicht auſ die theatraliſchen Zuſtände jener be-
wegten Epoche. ö
Damals — ich ſpreche vom Auguſtmonat des Jah-
res 1651 — war ich ein junger, friſcher und luſtiger
Burſche. Ich war ſchon ſehr frühe zum Theater gekom-
men und verdankte meine Aufnahme unter die Truppe
des Maſters Fletcher dem Umſtande, daß meine Mutter
auf dem langen, dunkeln Flure oder Gange, welcher zu
dem Bühnenraume des kleinen City-Theaters führte, Er-
friſchungen aller Art verkaufen durfte. ö
Ob Fletcher ein Verwandter des Dichters, haben wir
nie recht erfahren, er rühmte ſich deſſen, und da er ſich
„Director der königlichen Schauſpieler“ nennen durfte,
glaubte Jedermann daran. Fletcher war ein Nachkomme
jenes Lawrence Fletcher, der von Jakob dem Erſten das
Patent zur Theaterführung neben Shakeſpeare erhalten
hatte. Man ließ nur ſelten Frauenzimmer auf die Bühne
treten, weil der Lordmayor ſtreng in Anſehung der guten
Sitten war, und ſo kam es denn, daß hübſch ausſehende
junge Burſche die Damenrollen, wie in älteren Zeiten
ſpielen mußten.

Meine Perſönlichkeit berechtigte mich zu ſolchen Dar-

ſtellungen weiblicher Charactere und ich war ein gern
geſehenes „Hirtenmädchen“ in „der treuen Schäferin,“

eine Hofdame im „Ritter von der brennenden Mörſer-

keule“ und anderen Stücken, welche damals unſer Reper-
torium bildeten.
In der Zeit, die als Uebergangsepoche zu den großen
Staatsumwälzungen Englands betrachtet werden muß,
hatten wir viele gute Tage. Die Leute waren es müde,
ſich fortwährend mit der Politik zu befaſſen und ſuchten
Erholung auf den Bänken des Theaters. Allmälig jedoch
verfinſterte ſich der heitere Himmel. Die Blitze entluden
ſich mit furchtbarer Gewalt, und als König Carl I. im
Jahre 1642 die Stadt London verließ, waren alle Ge-
müther ſo voll Angſt und Sorgen, daß die Bänke unſeres
Zuſchauerraums faſt leer blieben.
Je weiter das Parlament in ſeinen Urtheilen und
Siegen über die königliche Partei ſchritt, deſto mehr

drückte die finſtere Anſchauungsweiſe der puritaniſchen

Gewalthaber auf die Mitglieder der Londoner Theater.
Alle Welt hoffte noch immer, daß der Bürgerkrieg
nicht zum Ausbruch kommen werde, aber nachdem bei

Newbury die erſten Schüſſe gefallen waren, ſchwand die
Hoffnung auf Erhaltung des Friedens und mit ihr die
Ausſicht für uns Schauſpieler, in London bleiben zu
können.
Die Puritaner, welche ſchon früh genug im Stillen
und in ihren Verſammlungen gegen das Theater gemurrt
hatten, traten nun öffentlich auf, predigten an den Stra-
ßenecken, brandmarkten durch abſcheuliche Erzählungen die
Angehörigen der Bühne und erklärten die Schauſpiele
für Baalsdienſt.
Gleichwohl gab es noch Menſchen genug, welche die
harmloſe Aufführung eines Theaterſtückes allen übrigen Ver-
gnügungen vorzogen. Sie wagten jedoch nicht in ein Haus
zu gehen, deſſen eigentliche Bewohner in öffentlichen Kund-
gebungen als ſittengefährliche Menſchen geſchildert wurden.
Das Leben war für uns Alle ein höchſt trauriges. Nicht
nur, daß die Einnahmen verloren gingen — es entſtan-
den auch bei der Gewalt der politiſchen Erregungen, un-
ter den Mitgliedern der verſchiedenen Theater Partei-
ſpaltungen. Einige traten auf die Seite des Königs —
Andere ſchlugen ſich auf die Seite des Parlamentes und
ich erinnere mich noch einer Scene während der Probe der
„Citydame,“ wo die beiden Liebhaber mit den Degen in
der Fauſt auf einander losgingen, weil ſie ſich im politi-
ſchen Streite heftig ausgeſcholten hatten. ö
ö Unter fortwährenden Trübſalen kam das Jahr 1647

heran, wo denn das Unheil für die Schauſpieler den

höchſten Grad erreichte — indem ein Parlamentsbeſchluß
die Spieler und Zuſchauer „als gemeine Böſewichte in
das Hundeloch zu werfen“ befahl. ö
Nun war keine Möglichkeit mehr, in London zu
bleiben. Fletcher hatte mit großer Energie ſeine Truppe
zuſammengehalten, aber die Lücken, welche beſonders da-
durch veranlaßt wurden, daß Mehrere von uns Dienſte
in den verſchiedenen Armeen nahmen, machten ein Zu-
ſammenſpiel faſt unmöglich — ſelbſt wenn wir den Muth
gehabt hätten, unſere Vorſtellungen fortzuſetzen. Da ſich
das Kriegsungewitter von London fort und mehr gegen
die Grenzen zog, wagten wir zuweilen auf den einſam

liegenden Herrenſitzen Vorſtellungen zu geben, was daun

immer ein Feſtſtag für die Lords und ihren Anhang war,
als jedoch das Unternehmen rüchig ward, mußten wir
über Hals und Kopf flüchten, um nicht gefangen abge-
führt und mit puritaniſcher Strenge gerichtet zu werden.
Unter unſerer, bis auf eine geringe Zahl zuſammen-
geſchmolzenen Truppe waren aber einige beſonders pfif-
fige, rührige und nachdenkliche Leute. Sie machten uns
eines Tages den Vorſchlag: das durch den Bürgerkrieg,
durch puritaniſchen Fanatismus und Verachtung alles
Schönen ſich ſelbſt mordende England zu verlaſſen, die
wenigen Flitterlumpen, Couliſſenfetzen und falſchen Bärte,
welche noch geblieben waren, einzupacken und nach Schott-
land zu gehen, wohin die Wuth der Puritaner noch nicht
ähnliche Verbote tragen konnte.
Da Niemand von uns viel zu verlieren hatte, die
Ausſichten immer ſchlechter wurden und ſelbſt unſere Per-

ſonen bedroht waren, willigten wir nach kurzem Bedenken

ein. Die Abreiſe von London, wohin wir noch einmal
gezogen waren, glich einer Flucht. Endlich gelangten wir
durch die aufgeregten Ortſchaften an die Grenze. An
 
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