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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 17 - No. 25 (1. März - 29. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0083
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Eine Hoch zeit in Peking.
(Fortſetzung und Schluß.)

Bald ertönt eine lärmende Muſik vor dem Hauſe.
Sie rührt von dem Hochzeitsgefolge her.
„Kind! Kind!“ rufen die Eltern der Braut, „es
iſt Zeit zur Toilette.“ Nun ſind alle Hände beſchäftigt,
die kleinen Füße der Verlobten mit ſchwarzen Bändern
zu bebinden, ſte in rothſeidene Schuhe mit zwei in bun-
ten Perlen geſtickten Phönixen zu ſtecken. Man legt ihr
ein weißſeidenes Untergewand an und bekleidet ſie mit
einem karmoiſinrothen Seidenkleide, vorn und hinten
ebenfalls mit einem goldenen Phönix — dem Sinnbild
der Frauenſchaft — geziert. Die langen herabhängenden
Flechten — die Haartracht der Jungfrau — werden
hochaufgebunden und hinten über den Ohren zuſammen-
gerollt. Zwei ſcepterartige Nadeln von hartem Stein,
welche ſtets paarweiſe gebraucht werden und die Sym-
pathie verſinnbildlichen, halten die Flechten zuſammen.
Manchmal fügt man auch dieſer Coiffüre Gold⸗ und
Perlenfäden, deren Franzen über das Geſicht hernieder-
fallen, hinzu.
Jetzt läßt ſich die Muſik zum zweiten Male ver-
nehmen. Auf dieſes Signal brechen alle im Zimmer
Anweſenden, die Braut ſowohl wie ihre Freundinnen,
in convulſiviſches Schluchzen aus.
A — ya — a — ya!“ jammert die Verlobte,
„wer weiß, ob mein Mann zu mir gut oder ſchlecht
ſein wird! ob er mich lieben, ob verachten wird 21⸗
„Das iſt Himmelsfügung!“ tröſten ſie die Freun-
innen.
Zum dritten Mal erſchallt die Muſik.
„Die Zeit iſt gekommen!“ ruft man ihr von allen
Seiten zu. „Höre auf, Deine ſchönen Augen mit Thränen
zu röthen!“ ö
Die Verlobte fällt nunmehr vor Vater und Mutter
nieder und richtet an ſie, indem ſie mehrere Male den
Boden mit der Stirn berührt, den letzten Gruß von
Ko⸗tou aus. Sobald ſie ſich wieder erhebt, gibt man
ihr in die linke Hand einen Apfel, in die rechte ein
Fläſchchen, gefüllt mit Gold⸗, Silber⸗ und Samenkörnern.
Sodann verhüllt ihr Haupt ein dichter rothſeidener
Schleier. Hierauf tritt ihr älteſter Bruder, in Er-
mangelung deſſen ein naher Verwandter, in das Toilette-
gemach, ergreift die ſich heftig ſträubende und Ver-
zweiflungsſchreie ausſtoßende Braut mit kräftigem Arme
und trägt ſie hinaus. Dieſelbe nimmt nunmehr ein mit
Purpurſeide ausgeſchlagener Palankin auf. Er iſt mit
vielfarbigen geſtickten Blumen und einem die Flügel öff-
nenden Phönix geſchmückt und ſchließt die Braut herme-
tiſch von aller Außenwelt ab. Die Träger erheben ihn
und laſſen denſelben, damit der Schmerzensſchrei der
darin Sitzenden noch volltönender erſchalle, tüchtig hin-
und herſchwanken. Sobald ſie ihn niederſetzen, ſtellt
man unter ihn eine große Schale voll Fleiſch. Freſſen
die umherſchweifenden Hunde daſſelbe gierig, ſo iſt das
eine günſtige Vorbedeutung.
Endlich nun ſetzt ſich das Gefolge in Bewegung.
Dem Zuge voran ſchreitet ein Mann mit einer Peitſche
in der Hand, der die Schaar der Neugierigen auseinan-
der treibt. Hinter dem Palankin marſchiren die Muſi-
kanten, in zwei Reihen geordnet. Viele mit rothen Schär-
pen geſchmückte Männee tragen den auf lackirten Tiſchen
ausgebreiteten Brautſchatz hinterher. Dann folgt das
Mobiliar, das Tafelgeſchirr, Räucherwerk von Bronce
und viele oft ganz leere und nur zu dem Zwecke ge-
miethete Koffer. Ein kleiner Knabe trägt einen Korb,
in welchem zwei Mandarinen⸗Enten — Sinnbilder ehr-

licher Liebe — eingeſchloſſen ſind; dann kommen die ge-
laͤdenen Gäſte in Palankins oder zu Pferde und eine
große Zahl von Laternen⸗ und Bannerträgern bildet den
Schluß.
So wie der Zug vor dem Hauſe des Bräutigams
angelangt iſt, läßt man Kanonenſchüſſe abfeuern und
Raketen aufſteigen. Sogleich verläßt der Verlobte in
blauſeidenem Gewand und einem ſchwarzſeidenem Ueber-
wurf, ſein Haus. Iſt er Mandarine, ſo trägt er die
Abzeichen ſeines Grades. Er klopft an den Palankin:
erſt auf das dritte Mal öffnet die Braut, welcher dann
die vier Freundinnen beim Ausſteigen behilflich ſind.
Alle ſchreiten ſodann auf rothſeidenen Teppichen, welche
von der Straße ſich bis zum Hochzeitsgemach ausdehnen,

dem Hauſe zu.

In dem Augenblick, in welchem der neue Eheherr
wieder ſein Haus betritt, taucht eine der Heirathsvermitt-
lerinnen ihre Hand in ein mit fünf Arten von Getreide-
körnern gefülltes Gefäß und wirft ihm eine Handvoll
davon ins Geſicht. Dies gilt als ein Schutzmittel gegen
Ungemach. Quer vor der Schwelle des von Wohlgerüchen
erfüllten Gemachs liegt ein koſtbarer Pferdeſattel. In-
dem die junge Frau denſelben überſchreitet, muß ſie zu
gleicher Zeit den Apfel in das Zimmer werfen, den ſie
in der Hand hält. Das iſt ein dramatiſches chineſiſches
Wortſpiel, welches bedeutet, daß die junge Frau Frieden
in ihr neues Haus bringt. Ordnung und Ueberfluß
werden durch das koſtbare Fläſchchen in ihrer rechten
Hand ſymboliſirt.
Nunmehr ſetzen ſich die Neuvermählten auf einen
durch einen Tiſch getheilten Doppeldivan, und alle Gäſte
betreten das Gemach. Jetzt naht der feierliche Augen-
blick: Ter Verlobte darf endlich das Antlitz Derjenigen
ſchauen, welche ihm ihr Leben weiht; ein leichter Fächer-
ſchlag von ſeiner Hand theilt den Schleier, der ſie ſeinen
Blicken verhüllte, und auch ſie darf nun zum erſten Male
Denjenigen ſehen, welchem ſie immer angehören ſoll.
Wie mag das Herz der beiden Gatten in gepreßten
Schlägen in dieſer ſchrecklichen Minute pochen, die über
ihr Glück entſcheidet! Welche Enttäuſchungen führt ſie
oft herbei, wie grauſam vernichtet ſie nicht häufig Hoff-
nungen und Träume und erfüllt die Herzen mit bitterem
Gram, den die Höflichkeit zu maskiren gebietet!
Inzwiſchen muſtern auch die Gäſte die junge Frau
mit dreiſten Blicken und machen über ſie auf Rechnung
des Eheherrn Bemerkungen, welche nicht immer ſehr lie-
benswürdiger Natur ſind. Erträgt ſie dieſelben mit
Geduld und Würde, ſo iſt ihr der Ruf einer wohlerzo-
genen Frau geſichert.
Man trägt zwei mit einander durch Ketten ver-
bundene Schalen herbei; die eine wird mit goldenem, die
andere mit ſilbernem Wein, d. h. Wein von Reis und
Wein von Hirſe, welche die Neuvermählten gleichzeitig
trinken müſſen, gefüllt. Hierauf ſtellt man eine andere
große Schale vor ſie auf den Tiſch. Sie enthält den
Teig der langen Lebensdauer. Es ſind dies lange Faden-
nudeln, welche die Gatten, jeder von ſeinem Ende, mit-
ſammen eſſen müſſen. Darauf theilen ſie ſich in kleine
Kuchen, die Aſeu⸗ſoun po-po — genannt werden. Je-
mehr ſie davon eſſen, um ſo größere Zahl verſpricht ihre
Nachkommenſchaft zu erreichen. Während dieſer ſymbo-
liſchen Mahlzeit dürfen die Vermählten unter einander
alle erdenkbaren Glückwünſche austauſchen. Indeſſen,
weil es unbehaglich iſt, mit vollem Munde zu ſprechen,
verbergen ſich gewöhnlich zwei Perſonen verſchiedenen Ge-
ſchlechts hinter einer ſpaniſchen Wand und bilden für die
ſo angenehm Beſchäftigten den Dolmetſcher ihrer Gefühle.
„Möge Dein Ruhm ſich erheben, wie die Sonne
bei ihrem Aufgang!“
 
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