Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI chapter:
No. 26 - No. 34 (1. April - 29. April)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0109
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Heidelberger

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

26.

Samſtag, den 1. April

1876.

Zwei Tibelle.
Eine Hofgeſchichte von Georg Hiltl.
(Fortſetzung.)

Der König war ſogleich nach dem Verlaſſen des
Saales in ſein Cabinet geſchritten. Er entließ die Pagen
und die dienſtthuenden Kammerherren und befahl, den
Hofmarſchall Herrn von Wenſen zu rufen. Wenſen, der
noch flüchtig mit den Verſchworenen geſprochen hatte, er-
ſchien, nicht ohne einige Unruhe, denn Allen war der
ganze Vorfall höchſt räthſelhaft und beängſtigend geweſen.
Das Erſcheinen zweier Libelle oder Pamphlete verſetzte
die Gegner Wartenbergs in die größte Beſorgniß. Man
hatte ſich nicht verhehlt, daß die ganze Art und die Form
der beiden Gedichte übereinſtimmend waren; wie das
Letzte, gegen König und Königin, aufgetaucht war, konnte
nicht in der Eile ermittelt werden.
Wenſen fand den König noch vollſtändig angekleidet.
Er ſchritt im Zimmer auf und nieder. Der Empfang,
welcher dem Hofmarſchall zu Theil ward, war ein ſehr
ungnädiger, denn der König wälzte alle Schuld auf
ihn. Wenſen hörte mit gebeugter Haltung die Straf-
predigt an.
„Was ſagen Sie denn überhaupt zu dieſer Infamie,“
ſchloß der König. „Iſt ein ſolches Ereigniß nicht eine
Bläme für meinen Hofſtaat? Sprechen Sie, mein Herr.“
Wenſen hatte ſich mit der möglichſten Ruhe gewaff-
net. Er hielt den Moment für gekommen, wo er den
direkten Angriff auf Wartenberg eröffnen konnte.
„Majeſtät,“ ſagte er, „was der Libell gegen Euer
Majeſtät betrifft, ſo wage ich nicht, darüber meine An-
ſicht auszuſprechen. Das erſte Gedicht anlangend, ſo
meine ich, daß dieſe Verſe aus dem Volke kommen. Die
öffentliche Stimmung iſt eine gereizte gegen den Grafen
und die Gräfin Wartenberg. Man ſpricht in der Stadt
— ja im ganzen Lande — mit Beſorgniß von der Gnade,
die Euer Majeſtät dem gräflichen Ehepaare angedeihen
laſſen. Es iſt bekannt, wie der Graf, ſich hinter dieſer
Gnade verbergend, die größten Ungerechtigkeiten ſich zu
Schulden kommen läßt, wie er ſich bereichert, ohne Rechen-
ſchaft abzulegen. Gewiſſe Anzeichen deuten darauf hin,
daß Graf Wartenberg ſeine Schätze in die Pfalz — daß
ſeine Gattin große Summen nach England ſchaffen läßt.
— Während Beide hier im Lande geringe Ausgaben
machen, halten ſie ſich an Euer Majeſtät Hofe frei. Ich
kann durch Rechnungen des Küchenſchreibers beweiſen,
daß die Tafel des Grafen mehr koſtet, als die Euer
Majeſtät — die Anmaßungen der Gräfin ſind faſt ſprüch-
wörtlich geworden und es iſt begreiflich, daß der neueſte
Vorfall im Parke, der Königin gegenüber, bekannt wurde
— die Folge davon iſt: daß man im Volke äußerſt miß-
muthig wird, daß man der Königin eine Genugthuung
geben will und durch jenes Gedicht wollte man auf Euer
Majeſtät wirken — man hofft vielleicht, daß Euer Majeſtät
der öffentlichen Stimme Gehör ſchenken.“
Der König hatte ſchweigend und aufmerkſam zugehört.

Flügel des Schloſſes gelegen war.

„Und Sie könnten das, was Sie geſagt, beweiſen?“
fragte er dann.
„Ja, Euer Majeſtät,“ antwortete Wenſen. „Ich
weiß, daß ich verloren bin, wenn der Graf Wartenberg
das Geringſte von dem erfährt, was ich Euer Majeſtät
jetzt ſagte — aber ich habe es für meine Pflicht gehalten,
zu ſprechen.“ ö
Der König ſtieß einen tiefen Seufzer aus und winkte
dem Hofmaͤrſchall mit gnädiger Geberde, ihn zu verlaſſen.
Wenſen gehorchte, er war bald aus dem Cabinete des
Königs und traf im Vorzimmer auf Lottum. ö
„Ich habe gehandelt,“ flüſterte er ihm zu. „Und
ich hoffe, der Streich iſt mit vernichtender Sicherheit ge-
führt worden.“
Wenſen eilte in ſein Quartier, welches im linken
Hier fand er Hart-
wig, der den Herrn erwartete. ö
„He, Alter,“ rief ihm Wenſen zu. „Unſer Tränk-
chen hat gewirkt — welchen Teufelsſpuk hat die Grafin
beſchworen? es iſt ein ſeltſames Zuſammentreffen, aber
es hat uns nur geholfen, die Königin iſt ſicher im höchſten
Zorne, der König nicht minder, wegen des zweiten Ge-
dichtes. Dieſes Mal haben die Wartenbergs ſchlecht ge-
ſpielt — ich gäbe tauſend Thaler darum, wüßte ich, wer
ſie auf den Gedanken gebracht hat, zu derſelben Zeit, als
wir unſere Angriffe in Form des Libells machten, ein
gleiches auszuſtreuen — bah — der Teufel der Warten-
bergs war uns günſtig.“ Er hatte während dieſer Reden
begonnen, ſich zu entkleiden. Hartwig blieb ſtumm.
„Nun? ſo ſprich doch. Dein Poet hat ſeine Sache
gut gemacht, er ſoll noch extra belohnt werden.“ Hartwig
trat einen Schritt zurück.
„Ich wünſche, gnädiger Herr,“ ſagte er, „daß
Alles gut verlaufen moͤge, aber mir ahnt Unheil.“ Wen-
ſen fuhr empor.
„Und weswegen? Du haſt ja Alles ſicher ge-
macht?“ —
„Freilich, aber ich habe Ihnen eine Entdeckung ver-
ſchwiegen. Ich fürchte, der Poet hat einen ſchlimmen
Streich geſpielt — er iſt im Solde der Wartenbergs.“
Der Hofmarſchall that einen Luftſprung.
„Wie? rede — woher dieſer Verdacht?“
Hartwig begann nun dem Hofmarſchall ſein Begeg-
nen mit der Wartenberg zu melden, je länger er ſprach,
deſto betretner ward der Gebieter, er warf ſich faſt er-
ſchöpft in den Seſſel. „Ich bin verloren,“ ſagte er.
„Wenn Wartenberg erfährt, daß wir jenes Gedicht be-
ſtellten — Faſſung — Ruhe“ fuhr er fort. „Die Gräfin.
hat ja auch ein Libell gegen die Königin fabriciren laſſen,
der Graf wird ſich hüten, die Sache aufzurühren —
nein, nein — ich habe Nichts zu fürchten — und den-
noch — was thue ich nur — wir müſſen dieſen Menſchen,
dieſen Dichter ſprechen, er muß Auskunft geben.
„Thun Sie keinen vorſchnellen Schritt,“ mahnte
Hartwig. „Warten Sie ab. Vielleicht bleibt Alles in
gehörigem Geleiſe — die nächſten Stunden müſſen Ent-
ſcheidung bringen.“ ö
 
Annotationen