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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 79 - No. 86 (4. October - 28. October)
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elber

Famili

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

⁴ 81.

Mittwoch, den 11. October

1876.

Meiſter Pietro Panucci und ſeine Geſellen.
Von Robert Avé-Lallemant.
CFortſetzung.)

Woher kommt das, wie war das möglich? möchte
man ausrufen. Nun es gibt ja eben gottgebenedeite Na-
turen, die ſo zu ſagen aus einem einzigen Hauch ent-
nanden, gleich von vornherein fertig ſind, bevor ſie ſich
ſelbſt erkannt haben. Und vor Tauſenden von Künſt-
lern war Rafael Santi eine ſolche Natur, eine bis da-
zin faſt noch unbewußte, jetzt aber urplötzlich zum vollſten
Bewußtſein, und damit zum vollſten Willen erwachte. —
Dieſes Wunder der Erweckung war ihm gerade im Palaſt
der Frau Atalanta gekommen; ſein Verkündigungsengel
war Zenobia, die heilige Madonna aus Siena, wie er
zie ſich immer im Stillen nannte. — Und nun malte
er ſo ganz in ihrer Nähe, recht eigentlich unter ihren
Augen. Oft, ja manchmal öfter an einem Tage, kam
ſie ſelbſt, ſah dem fleißigen Kunſttreiben der Maler zu.
— Wirkliche Erdenſeligkeit fühlte Rafael dann in ſich,
wenn ſie auch bei ſeinen Bildungen dann ſtille ſtand
und ſie ſinnig anſchaute. Der junge Künſtler trat dann
zur Seite und während ſie betrachtete, betrachtete Rafael
das Mädchen mit unausſprechlicher Wonne. Und wenn
ſe nun gar lachte, nun gar mit ihrem lieblichen Siene-
ſiſchen Sprachton etwas Freundliches ſagte und dann ſich

gütig verneigend weiter wandelte, ſo glaubte der Künſtler

wirklich eine Erſcheinung von oben geſehen und gehört
zu haben, wie er denn einmal ſeinem Buſenfreunde lo
Spagna am Abend nach einem ſolchen Tage mit Sehnen
zurief: „O, daß ich malen könnte, wie ſie redet!“
Als ſo durch die Kunſt der vereinten Maler von
Perugia der Palaſt der Frau Atalanta Baglione zu einem
wirklichen Kunſttempel geworden war und auch alle ſon-
ſtigen Vorbereitungen beendet waren, konnte die Ver-
mählungsfeier Griffone's mit Zenobia feſtgeſetzt werden.
Es war ein Sonntag. Schon früh am Morgen
wehten Standarten und bunte Flaggen von den Zinnen
der Stadtmauer und verkündeten in die Ferne hinaus,
daß heute in Perugia ein allgemeines Feſt gefeiert würde.
Aus den Fenſtern ſämmilicher Häuſer um die Piazza am
Lorenzdom hingen purpurrothe, blaue und gelbe Teppiche.
Vom Palaſt der Frau Atalanta bis zu den Stufen der
Kirche waren Teppiche gelegt, längs welcher ſich das Volk
dicht zuſammendrängte und des Augenblicks harrte, wo
der Hochzeitszug aus der offenen Thuͤr hervor zur Kirche
wallen würde. — Alles war Spannung und frohe Er-
wartung.
Und nun kam dieſer Augenblick. — Acht Hellebar-
diere eröffneten den Zug. Ihnen folgten Pfeifer, Trom-
peter und Pauker. Dann erſchien das prächtig angethane
jugendliche Brautpaar, deſſen Erſcheinen mit einſtimmigem
langen Jubelruf begrüßt ward. Frau Atalanta mit drei
vornehmen Matronen folgte ihnen zunächſt. Dieſen reihte
ſich eine große Schaar weiß gekleideter junger Mädchen

aus Perugia, dem nahen Aſſiſi. und ſelbſt dem ſchon

ferner gelegenen Siena an. Die jungen Baglioni mit
ihren jungen Kampfgenoſſen, Alle in prachtvollem Koſtüm
und mannigfaltigen Farben ganz nach der Sitte der Zeit
geputzt, bildeten die Nachhut. Das Ganze bildete ein
wirklich reizendes Schauſpiel. ö
An der Thür des Domes ward das jugendliche Paar

von der Geiſtlichkeit empfangen und in Prozeſſion zum

Altar geführt, wo Alle eine Weile im ſtillen Gebet knieend
lagen. Dann folgte die nicht lange dauernde Einſegnung.
der Brautleute, welche mit dem ganzen Zuge dem Hoch-
amt und der Meſſe beiwohnten. Endlich ergoß ſich der
Menſchenſtrom aus dem Haupteingang des Domes wieder
die hohen Stufen herab und über die Piazza hin. We-
niger ſtrenge geordnet und vielmehr in einer freuzigen
Durcheinandermiſchung der Einzelnen kam dann auch der
Hochzeitszug aus der Kirche und begab ſich wieder in
den Palaſt der Frau Atalanta, in welchen nunmehr die
Frau Zenobia als jugendliche Gebieterin eingeſetzt ward.

Das geſchah wirklich mit einem förmlichen Akte. Im
feſtlich geſchmückten Saale ſtand Frau Atalanta etwas
erhöht; ringsum im Kreiſe die Familienmitglieder und
zahlreiche Freunde des Hauſes Baglione. Begeiſtert und
durchdrungen von der Weihe des Augenblicks verſand
die edle Frau es vollkommen, gemeſſene und feſte Worte
an die Verſammlung zu richten, in faſt ſcharfer Rede die
Söhne zur Eintracht zu mahnen und ſie mit dem mütter-
lichen Zorn zu bedrohen, wenn ſie es etwa wagen
ſollten, jemals den Frieden zu brechen. — Dann
aber wandte ſie ſich mit ihrer ganzen Liebe zu
Frau Zenobia, übertrug ihr halb ſcherzend und doch un-
ter vielen Thränen die Sorgen des Hauſes, bis ihr in
mütterlicher Rührung die Stimme verging und ſie zurück-
ſank in itzren Prachtſeſſel. Und da konnte ſich denn auch
Frau Zenobig nicht mehr halten. Sie brach in lautes
Schluchzen aus, fiel der Schwiegermutter um den Hals,
ſie herzend und küſſend, und ſank neben ihr auf die
Kniee. Frau Atalanta legte ſegnend beide Hände auf
das blonde Haupt der Tochter. Da boten ſich denn
auch die Söhne gegenſeitig die tapferen Hände zu blei-
bender Treue und ewigem Frieden und noch einmal ſchien
das Haus der Baglioni zu Perugia unerſchütterlich feſt
für alle Zeiten ſtehen zu ſollen wie die cyclopiſchen
Feſtungsmauern der Etruskerſtadt.

Der ernſten Seite des Vermählungsfeſtes reihte ſich
dann auch die heitere an. Bald ſaß eine ſtattliche Reihe
fröhlicher Gäſte um den vornehm geſchmückten Speiſetiſch.
Die erſten Momente einer gewiſſen wortkargen Förmlich-
keit, womit ſolche Feſtmahle in der Regel eingeleitet wer-
den, waren längſt vorüber. Die Weine von Orvieto und
Montepulciano und der ſpäter durch den ſelig entſchlaͤ⸗

fenen Domherrn Fugger von Augsburg ſo berühmt ge-

wordene Montefiascone waren ſchon damals hoch ange-

ſehen und unverfälſchter als man ſie jetzt bekommt, und

ihr Feuer loderte in hellen Flammen auf bei den Gäſten
der Frau Atalanta. Gar viele geflügelte Worte wurden
hin und her gewechſelt, aber die Gegenwart der Frauen
zügelte den Uebermuth der Männer, namentlich der ſtreit-
 
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