Hiittenrckstt un6 Kunrt
Ser Sickter beutet bie Zett
Born Brunnenfrosch und der Schlldkröte —
Sichtbarkeit und wahre Wirklichkeit
In den früheren Jahrhunderten (heute höch-
stes noch hier und da auf d^m Lande und bei
Dichtersleutenh las man täglich die Bibel, Le-
ben und Legenden der Heiligen, wie man heute
die Zeitung liest. Damit war jene Zeit im Ewi-
gen und Uebevsinnlichen beheimatet und zu
Hause, wie eine heutige vielfach nur noch im
Platten Alltag. Sie gleicht damit dem Frosch
trn Brunnenloch, der, nach einem uralten chine-
sisch Gleichnis, seine Wasserpfütze für die Welt
hält und halb mißtrauisch, halb selbstsicher über-
logen die ^Schildkröte belächelt, als diese ihm
Naht und erzählt, -daß es außerdem noch ein
Meer gibt, dem sie enttaucht ist. Aehnlich mit-
leidig — und aufgeblasen wie jener Brunnen-
frosch — Pflegt ein Totenkopf-Jntellektualismus
der Zeit, pochend auf seine „Sachlichkeit", seinen
»Wirklichkeitsfinn", vielfack -den Dichter als
-^Weltfernen" Phantasten oder „Romantiker" zu
belächeln, wenn er — auch heute noch tief be-
heimatet wissend in den ewigen Meere —
fremdartig und schwerfällig wie eine Schildkröte
sich Tagesbezirken nähert, um von dem Geheim-
nis purpurner Tiefen zu raunen. Welcher Jam-
wer und welches Elend ist -es aber um den
»DirklichkeitSsinn" eines Geschlechts, dem wie
der Milbe der Punkt -der Käserinde, auf dem sie
sich schmarotzend eingenistet, oder dem Maul-
wurf der finstere Erdgang, in dem er nach Wür-
mern und feisten Engerlingen wühlt, der Raum
der Sinnlichkeit und der Sichtbarkeit die ganze
Wirklichkeit bedeutet! In dem es mit unersätt-
lichen Erwerbsstreben, zur Befriedigung körper-
licher 'Selbsterhaltung- und G-enußinstinkte, völ-
lig aufzugehen pflegt. Und dies selbst dann,
wenn es sich christlich und gläubig nennt,
wo doch der Materialismus der Zeit in einer
Weife in die Bezirke des Religiösen, das Tiefste
Mrd .Heiligste selbst verfälschend, eing-edrungen
ist, wie es im vollen Umfang von uns Heutigen
Noch gar nicht zu ermessen ist! Da uns d^r
Maube, statt wie im Mittelalter die kindliche,
wehr oder minder unmittelbare Erlebnis-
weise, -der gerade Weg und Zugang zu den
Miv-ergänglichen und -eigentlichen, den
sth ersinn lichen Wirklichkeiten, weiter
nichts ist und gelehrt wird als ein jDdanklich-
WNenmäßi-ges „Fü rwah r ha lte n" (!) von
Dingen, die dem Allbeherrscher Verstand ihrer
Natur nach schlechthin fremdartig sind und des-
HM in ein weltfernes, luftleeres „Jenseits"
E«s irdisch Erleb- und Erfaßbaren verwiesen
werden.
So nur erklärt sich auch die beschämende Min-
devbowertung, ja die öfter hervortretende un-
b-erhohlene Mißachtung und Ablehnung der My-
stik selbst in den maßgebenden christlichen, katho-
lischen Kreisen — und man steht nicht an, sich
Mrf solche Blöße und Armseligkeit noch etwas
Zugute zu tun! -So wahr aber echte Mystik die
wgentliche Wi r k l i ch ke i t s le h re, das heißt
di« Kunde von -wahrhaften Begegnungen kind-
lich gläubiger, begnadeter Herzen mit den ewi-
gen übersinnlichen Wirklichkeiten und Wesenh-ei-
An ist, so wahr ist es, daß alle>t echte, tiefere
dichterische und künstlerische Schau gleichfalls —
vus ihre besondere Werfe — ein begnadetes H:n-
lwrchstoßen wie eine Kunde von jenen Wirk-
lichkeiten bedeutet. Welche, nach dem Bibelwort,
den Klugen: d. h. dem Hochmut, der Anmaßung
des zur Alleinherrschaft erhobenen Intellektes,
verschlossen -bleiben, -dagegen au-f-getan sind den
Kindern und den Toren.
Zu ihnen aber zählt die Gegenwart, welche
-die grobe Nutzbarkeit zu ihrem Maßstab erho-
ben, bekanntermaßen auch den Dichter! Wie
die sich aufblasende ärmliche Sicherheit des
Brunnenfrosches, die vom grenzenlosen Meer
kündende -Schildkröte, der lichtblinde, gierig nach
Atzung wühlende Mauwurf, die leicht über -ihm
aufschweb-ende Lerche, wenn sie aus süßer Kehle
singt und jubiliert von dem unermeßbaren,
blauen und lichten Gewölbe über der Finsternis
und Enge seines armseligen Erdlochs. — Es
bedarf zwar -der Flügel, um in der Höhe zu
House zu sein, und da bekanntlich auch das Was-
ser keine Balken hat, bleibt man besser — so
lautet -die bekannte Moral und -Schlußfolgerung
jener Kümmerlinge — „mit festen Füßen auf
der Erde". —
Ein wogendes Meer, blaue -Seligkeit und
lichte Höhensicht, flügelsta-rk über aller Trauer,
in der Brust, hieße es doch bei aller Liebe sein,
seine Fülle geizend zu verschließen, satt sie aus-
strömen zu'lassen, voll des Tankes für jeden,
den sie beschenken -darf, der sich belebend von ihr
-angerührt fühlt und sich ihr öffnen möchte. So
spottet denn nicht länger, vom Rande umfriede-
ter Brunnen aus, der Schildkröte, ihrer unbe-
hol'stnen Schwere und Fremdartigkeit, wenn sie
euch naht: sie kommt von den Meeren! Hört -den
Dichter, wenn er, aus seiner ergriffenen Schau,
die Zeit deuten möchte, sie deuten möchte :m
Spiegel seiner Werke; seine Stunde ist gekom-
men!
Katholische Kirche und deutsches Volkstum
Erich Peterson kommt im Laufe fei-
ner Erörterungen über „Die neueste Entwick-
lung der protestantischen Kirche in Deutsch-
land" („Hochland", Okt. und Nov.) in sehr
bedeutungsvoller Weise auch auf die Frage
zu sprechen, wie sich die katholische Kirche
Deutschlands vor gewissen Aussprüchen und
Ansprüchen von protestantischer Seite heute
zu rechtfertigen habe. Wir geben diese Aus-
führungen hier wieder, müssen aber unsere
Leser zuvor mit denjenigen Tatsachen bekannt
machen, die den Anlaß dazu gegeben haben.
Einer der meistgenannten protestantischen
Schriftsteller von heute, Stapel, hat in seiner
Broschüre „Die Kirche Christi und der Staat
Hitlers" den Satz geschrieben: „Die lutheri-
sche Kirche ist die besondere Leistung des deut-
schen Volkes. Diese Leistung steht in vor-
fehungsmäßiger Verbindung mit der Art des
deutschen Volkes. Die Reformation ist
also der BerufderDeutscheninder
H e i l s g e s ch i ch t e". Eine große Rolle
spielt in den Proklamationen der offiziellen
Führer der neuen Evangelischen Neichskirche
die Forderungnacheinerde m Volk
gemäßenSprache beider Verkün-
digung des Evangeliums; ihre Be-
deutung geht daraus hervor, daß durch sie so-
gar die Einführung des Arierparagraphen in
die protestantische Kirche gerechtfertigt wird
(„Die Verkünder des Evangeliums und die
Verwalter der Kirche müssen auf deutschem
Boden deutschen Blutes sein", Reichsbischof
Müller). Hierher gehören auch wahrhaft er-
staunliche Aeußerungen über die sprach-
liche Arbeit Luthers; z. V.: Luther
habe die zehn Gebote des Alten Testamentes
als Haken benutzt, um daran die deutsche Sitt-
lichkeit seines heidenchristlichen Herzens auf-
zuhängen (Stapel); oder: Niemand sei sich
der Notwendigkeit, das uns aufgetra-
geneWortnocheinmalaufDeutsch
zugebären, es in deutscher Art und deut-
schem Leben konkret werden zu lassen, so be-
wußt gewesen wie Martin Luther (Em.
Hirsch). Eine Erklärung der „Deutschen Chri-
sten" auf der Altpreußischen Eeneralsynode
enthielt den Satz: es sei nicht die Absicht, mit
der Errichtung des Bischofsamtes irgendeine
Lehrinstanz öder ein fremdes Recht
neben dem deutschen Recht zu schaf-
fen, darin unterscheide man sich auf das
schärfste von der katholischen Kirche. Ergän-
zend dazu erklärte Bischof Peter ebendaselbst:
Die evangelischen Bischöfe hätten es nicht
nötig, einen Treueid in die Hände der Reichs-
statthalter abzulegen, wie es das Reichskon-
kordat den katholischen Bischöfen vorschreibe,
denn die evangelischen Bischöfe seien lebendige
Glieder des Dritten Reiches. Eine führende
Persönlichkeit der „Deutschen Christen" ent-
wickelte als Grundidee des Deutschen Luther-
tages, daß Wittenberg und Braunau (der Ge-
burtsort Hitlers) eine geistige Linie dar-
stellten, daß es gelte, den 10. N o me m b e r
1933 unter dein Motto: „Luther, der
d e u t s ch e C h r i st" zu feiern.
Wie steht angesichts solcher Aeußerungen, so
fragt Peterson, „di e katholische Kir-
che Deutschlands vor den Augen
der Nation da, deren Verfassung nicht
deutschem, sondern apostolischem Rechte ent-
stammt und deren Sprache in Kultus und
Recht die lateinische ist?" Hier seine Antwort:
„In dieser Auseinandersetzung nützt es uns
nichts, wenn apologetischer Eifer auf „germa-
nische Bestandteile" des kanonischen Rechts
verweist, oder wenn wir im Volkstum der
kirchlichen Bräuche auf unsere Verbundenheit
mit dem Volke Hinweisen. Nein, wir müssen
auch theologisch zeigen können, warum
wir neben dem staatl. Recht noch das Recht
der Apostel und das der Kirche anerkennen,
warum wir unsere Kirche nicht aufgeben kön-
nen an den Wandel staatlichen Lebens und
staatlicher Verfassungsformen, warum wir bei
aller Liebe zu unserer Muttersprache doch aus
theologischen Gründen genötigt sind, am
Lateinischen als der Sprache unserer Kirche
festzuhalten. Wir müssen die theologischen,
aus dem wahren Verständnis der-Offen-
barung kommenden Gründe aufzeigen, warum
für uns Volk nicht nur etwas ist, was im
Gefolge eines Führers da ist, und was dann
vor der Kanzel des lutherischen Prädikanten
stehend für die politischen Kämpfe „heimlich
durchglüht" wird (Hirsch), d. h. von dort her
seine moralische Kraft empfängt. Nein, wir
müssen auch zeigen, daß für uns Volk etwas
ist, daß seine Formung durch die Kirche erhält
— durch diese Kirche, die andern Rechts ist als
der Staat —, daß für uns Volk immer etwas
von dem „wilden Oelbaum" (Röm. 11, 18)
an sich hat, der durch die Uebernatur in eine
andere Sphäre des Seins erhoben werden
muß, daß die Weihen, die wir dem Brot und
dem Salz, dem Werkzeug und den Feldern,
dem Vieh und den Menschen geben, im Dienst
dieses Volkstumsgedankens stehen,, wonach
kein Volk in sich selber und in seiner
eigenen Natur zu bestehen vermag, wenn es
nicht durch die Gnade in seinem Sein über
sich selber hinausgehoben wird, wenn es
nicht vor dem Altar Gottes steht. Wir müssen
aber zugleich auch zeigen, daß wir, wenn für
uns „Volk" nicht um die Kanzel, sondern um
den Altar herum sich konstituiert, damit nicht
nur die im christlich-theologischen
Sinne richtigere Auffassung vom Volk haben,
sondern auch eine echtere und tiefere Auffas-
sung von dem, was „Volk" überhaupt ist. Es
ist doch einfach nicht wahr, daß sich um die
Kanzeln der protestantischen Prediger „Volk"
konstituiert. Was sich dort sammelt, ist letzt-
hin Bürgerschaft, eine „Gemeinde" von Leu-
ten, deren Ohr, Verstand und HeiH vielleicht
von einer Predigt getroffen werden mag, die
indes niemals in ihrem ganzen „Sein", in
ihrer Verknüpfung mit Acker und Landschaft,
Werkzeug und Vieh für den protestantischen
Prediger da ist. So aber wird das Volk vom
Altar der katholischen Kirche aus gesehen.
Vom Altar stammen die Weihungen, die das
ganze Sein des Menschen zu treffen ver-
mögen, von den Sakramenten gehen die Sa-
kramentalien aus, die einst das Leben des
katholischen Volkes formten, und wenn der
Rationalismus in der Theologie des 18, und
19. Jahrhunderts die Bedeutung der Sakra-
mentalien für das katholische Leben zurück-
treten ließ, so scheint mir jetzt die Stunde
gekommen zu sein, in der die katholische Kirche
in der ihr gemäßen Art dem Volkstumwer-
den des deutschen Volkes zu dienen hat. Mö-
gen die Protestanten und Rationalisten dieses
unser Tun auch „Volksaberglauben" nennen,
mögen sie von der klugen Anpassung unserer
Kirche an das alte Heidentum fabeln, wir
wissen besser, daß das, was wir tun, aus den
Quellen der Offenbarung stammt und dem
Volkstum tausendmal nähersteht als alle Pre-
digten, mit denen die protestantische Kirche
ein Volk zu formen hofft, während sie es tat-
sächlich doch nur im Bereich seines natürlichen
Seins beläßt, unfähig es in eine höhere Ord-
nung des Seins heraufzuführen. Ein Gleiches
werden wir aber auch von unserem Verhält-
nis zur deutschen Sprache zu zeigen haben,
daß nämlich Weihe und Adelung unsere»
Muttersprache für uns von jenem Latein her
bestimmt ist, in dem unsere Mutter, unsere
Kirche lehrt und betet, daß dieses Deutsch,
das unsere Väter im Mittelalter gesprochen
haben, in seiner Transparenz und Reinheit
im Grunde doch jenem Deutsch, das Luther
gesprochen hat, überlegen ist, weil es nicht in
sich selber gerundet ist und aus sich selber
seine Kraft nimmt, sondern von der „heiligen
Sprache" her Glanz und Formung gewonnen
hat, von ihr her erst „entbunden" worben
ist. Wenn wir in diesem theologischen
Sinne, als Katholiken, unser Verhältnis zu
Volk und Volkstum überdenken und danach
Segen die „üra Linda Lhrvnik"
Die Professoren des Deutschen Instituts der
Universität Breslau veröffentlichen folgende
Erklärung über die von Hermann Wirth her-
ausgegebene sogenannte „Ura Linda Chro-
nik":
2n dem Verlage von Koehler und Amelang
Leipzig) ist soeben erschienen: „Die UraLinda
^hronik", übersetzt und mit einer einfllhren-
'"'N geschichtlichen Untersuchung herausgegeben
"»N Herman Wirth.
Auf dem Umschläge ist gesagt: „Die Ura Linda
Uronik, das älteste Zeugnis germanischer Ge-
richte, wurde vor 60 Jahren in Holland aufge-
mnden. Die zunächst bezweifelte Echtheit wird
von Herman Wirth überzeugend nachgewie-
Das Werk berichtet von Kriegszügen und
Entdeckungsfahrten, von Not- und Elückszeiten un-
Vorfahren zurück bis 2193 v. Chr., von hei-
len Gesetzen unserer Ahnen, staatlichen Einrich-
tungen, Sitten und Gebräuchen. Die Ura Linda
^hronik vermittelt damit ein eindrucksvolles Bild
p°lzer Kulturhöhe unserer Vorfahren und gibt
^nr deutschen Volke sein geistiges Ahnenerbe wie-
/*> in einer Zeit, die reif wurde für solche Offen-
"rungen."
^Das durch diese Worte und durch eine prächtige
Iti^stattung angepriesene Buch gibt eine — freilich
Lückenhafte — deutsche Uebersetzung des von Dr.
' E. Ottema 1872 in Leeuwarden herausgegebe-
.Buches „Thet Oera Linda Bok", das eine an-
j^lich im 13. Jahrhundert geschriebene „Chronik"
? altfriesischer Sprache nebst holländischer Ueber-
L^SUng enthält. Freilich ist diese „Chronik", die
^agsblich von einem Manne namens „over de Lin-
. a' (Mer Linden) geschrieben und von Nach-
^Men dieses Namens aufbewahrt worden sein
soll, mit Recht von keinem Kenner des Altfriefi-
schen ernst genommen worden.
Tatsächlich muß sie (unseres Erachtens wohl
nach 1840) von einem in den Niederlanden leben-
den Manne verfaßt sein, der eine nicht geringe
Bildung und Belesenheit hatte, der von fremden
Völkern und Rassen, von antiker Dichtung und
Philosophie wußte, der einen gesunden Verstand
und Humor genug besaß, daß man selbst eine sa-
tirische Absicht seiner sonderbaren Arbeit nicht für
ausgeschlossen halten möchte. Dieser Mann hat in
ganz laienhafter Weise einen niederländischen
Text in eine den alten altfriesischen Rechtsquellen
ähnliche Sprache zu übertragen versucht. Der In-
halt ist zumeist ein törichtes Gemisch teils bekann-
ter, teils erfundener mythischer Erzählungen mit
sagenhaften heimischen und fremden Motiven. Das
alles wird den Friesen zugewiesen; die geschichtliche
Kunde beginnt mit dem Jahre 2193 (!) vor Christi
Geburt.
Der Herausgeber teilt mit, er habe im Jahre
1925 das Papier derHandschrift untersu-
chen lassen, und man habe sestgestellt, daß es aus
der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts stamme. Für den Wert der Handschrift
ist damit nichts erwiesen. Notwendig aber in erster
Linie und unumgänglich wäre eine Anfrage bei
einem Kenner des Altfriesischen oder der germani-
schen Sprachen gewesen; sie hätte die ganz eindeu-
tige Auskunft zur Folge gehabt, daß von einem
zu Grunde liegenden Original in altfriesischer
Sprache garkeüneRede sein könne. Der Her-
ausgeber war nicht einmal im Stande, den Wert
des von Ottema veröffentlichten angeblich altfrie-
sischen Textes selber zu beurteilen und hat wohl
daher seiner deutschen Uebersetzung den niederlän-
dischen Text zu Grunde gelegt.
Wenn wir der ganz wertlosen Fäl-
schung so viel Beachtung geschenkt haben, so ist
es im Interesse der bedeutsamen Wissenschaft deut-
scher Vorgeschichte geschehen, deren Ergebnisse un-
berechtigterweise von dem Herausgeber mit diesem
„Oera Linda Bok" in Verbindung gebracht worden
sind. Es erschien uns als unsere Pflicht, auf diese
Irreführung des deutschen Volkes hinzuweisen, ehe
vielleicht einige Leichtgläubige das Buch nach dem
Wortlaut des Umschlages als „Offenbarung" hin-
nehmen und die deutsche Wissenschaft sich im Jn-
und Auslande lächerlich macht.
Gerade in einer Zeit, die sich zu unser aller
Freude wieder den Werten der germanischen Vor-
zeit in allen Schichten des Volkes mit Begeisterung
zuwendet, kann eine solche Erweckung falscher Vor-
stellungen durch die notwendig darauf folgende
Enttäuschung besonders gefährlich werden und er-
fordert schnelleAbwehr.um eine Schä-
digung des nationalen Gedankens
zuverhllten.
Das Deutsche Institut der Universität Breslau:
(gez.) Prof. Dr. P. Merker, Prof. Dr. F.
Ranke, Eeh.-Rat Prof. Dr. Th. Siebs, Prof.
Dr. W. S t e l I e r.
Auch in Lolland als Fälschung
betrachtet
DieUraL in d a - Lh ro n i k, die sogenannte
„V ib e l d e r F r i e s e n", hat, wie der „Vossischen
Zeitung" aus Amsterdam gemeldet wird, auch in
Holland bereits zu lebhaften Diskussionen Anlaß
gegeben. Schon bald nach dem Erscheinen der Erst-
ausgabe (1872) erhoben sich die Stimmen friesi-
scher Altertumsforscher, die sich auf Grund sprach-
licher Kriterien gegen das Buch aussprachen.
Die Erörterung kam hier aufs neue in Gang,
als Hermann Wirth 1923 nach einem Aufenthalt
in Friesland das Programm seiner künftigen
Forschungen im „Nieuwe Rotterdamsche Courant"
mitteilte. Daraufhin veröffentlichte Dr. WLin-
kes, Bibliothekar an der Provinzialbibliothek
Leeuwarden, im gleichen Jahre eine Streitschrift,
in der er zu den gleichen Ergebnissen wie Dr. Bek-
kering Vinckers kam, der bereits 1876 die Echt-
heit des Ura-Linda-Buches angefochten hatte. Nach
Wümkes hat man es mit einem alten Frei-
maurerdokument zu tun, »wie denn auch
Vinckers die Meinung vertreten hatte, das Buch
trage freimaurerischen Charakter und sei ange-
fertigt worden, umder damaligen libe-
ralen Politik in Holland Beistand zu
l e i st e n.
Im Januar 1927 begann Dr. M. de Jong,
Privatdozent für niederländische Geschichte an der
Amsterdamer Hochschule, seinen Feldzug mit dem
Aufsatz: „Ottemas (des ersten holländischen
Herausgebers) Fälschung" im Leeuwarder
Nieuwsblad. Seine Ergebnisse faßte er in der An-
klage einer „wohlbewutzten und absicht-
lichen Fälschung" zusammen. In der Hand-
schrift Les Originals sei unmittelbar der moderne
Kalligraph zu erkennen. Schließlich ist noch der
Historiker Dr. H. Brugmans zu nennen, der
am 13. November 1928 in der Akademie der Wis-
senschaften zu Amsterdam eine Uebersicht über alle
bisher erzielten Forschungsergebnisse gab und sich
dabei den Zweiflern anschloß. So besteht denn
über die Unechtheit der Chronik bei den holländi-
schen Kennern durchaus Meinungseinheit; nur
über die Person des Fälschers und seine
mit der Fälschung verfolgten Absichten herrscht
noch Meinungsverschiedenheit.
Das Dokument befindet sich noch heute im Besitze
der Familie over de Linden, bei der es 1867 in
dem Städtchen den Helder zum ersten Male auf-
tauchte. Die Familie ist inzwischen nach Amster-
dam llbergestedelt. Das heutige Familienober-
haupt C. over de Linden ist Polizeiinspektor in die-
ser Stadt und bewahrt das Werk in seinem Bank-
safe.
Ser Sickter beutet bie Zett
Born Brunnenfrosch und der Schlldkröte —
Sichtbarkeit und wahre Wirklichkeit
In den früheren Jahrhunderten (heute höch-
stes noch hier und da auf d^m Lande und bei
Dichtersleutenh las man täglich die Bibel, Le-
ben und Legenden der Heiligen, wie man heute
die Zeitung liest. Damit war jene Zeit im Ewi-
gen und Uebevsinnlichen beheimatet und zu
Hause, wie eine heutige vielfach nur noch im
Platten Alltag. Sie gleicht damit dem Frosch
trn Brunnenloch, der, nach einem uralten chine-
sisch Gleichnis, seine Wasserpfütze für die Welt
hält und halb mißtrauisch, halb selbstsicher über-
logen die ^Schildkröte belächelt, als diese ihm
Naht und erzählt, -daß es außerdem noch ein
Meer gibt, dem sie enttaucht ist. Aehnlich mit-
leidig — und aufgeblasen wie jener Brunnen-
frosch — Pflegt ein Totenkopf-Jntellektualismus
der Zeit, pochend auf seine „Sachlichkeit", seinen
»Wirklichkeitsfinn", vielfack -den Dichter als
-^Weltfernen" Phantasten oder „Romantiker" zu
belächeln, wenn er — auch heute noch tief be-
heimatet wissend in den ewigen Meere —
fremdartig und schwerfällig wie eine Schildkröte
sich Tagesbezirken nähert, um von dem Geheim-
nis purpurner Tiefen zu raunen. Welcher Jam-
wer und welches Elend ist -es aber um den
»DirklichkeitSsinn" eines Geschlechts, dem wie
der Milbe der Punkt -der Käserinde, auf dem sie
sich schmarotzend eingenistet, oder dem Maul-
wurf der finstere Erdgang, in dem er nach Wür-
mern und feisten Engerlingen wühlt, der Raum
der Sinnlichkeit und der Sichtbarkeit die ganze
Wirklichkeit bedeutet! In dem es mit unersätt-
lichen Erwerbsstreben, zur Befriedigung körper-
licher 'Selbsterhaltung- und G-enußinstinkte, völ-
lig aufzugehen pflegt. Und dies selbst dann,
wenn es sich christlich und gläubig nennt,
wo doch der Materialismus der Zeit in einer
Weife in die Bezirke des Religiösen, das Tiefste
Mrd .Heiligste selbst verfälschend, eing-edrungen
ist, wie es im vollen Umfang von uns Heutigen
Noch gar nicht zu ermessen ist! Da uns d^r
Maube, statt wie im Mittelalter die kindliche,
wehr oder minder unmittelbare Erlebnis-
weise, -der gerade Weg und Zugang zu den
Miv-ergänglichen und -eigentlichen, den
sth ersinn lichen Wirklichkeiten, weiter
nichts ist und gelehrt wird als ein jDdanklich-
WNenmäßi-ges „Fü rwah r ha lte n" (!) von
Dingen, die dem Allbeherrscher Verstand ihrer
Natur nach schlechthin fremdartig sind und des-
HM in ein weltfernes, luftleeres „Jenseits"
E«s irdisch Erleb- und Erfaßbaren verwiesen
werden.
So nur erklärt sich auch die beschämende Min-
devbowertung, ja die öfter hervortretende un-
b-erhohlene Mißachtung und Ablehnung der My-
stik selbst in den maßgebenden christlichen, katho-
lischen Kreisen — und man steht nicht an, sich
Mrf solche Blöße und Armseligkeit noch etwas
Zugute zu tun! -So wahr aber echte Mystik die
wgentliche Wi r k l i ch ke i t s le h re, das heißt
di« Kunde von -wahrhaften Begegnungen kind-
lich gläubiger, begnadeter Herzen mit den ewi-
gen übersinnlichen Wirklichkeiten und Wesenh-ei-
An ist, so wahr ist es, daß alle>t echte, tiefere
dichterische und künstlerische Schau gleichfalls —
vus ihre besondere Werfe — ein begnadetes H:n-
lwrchstoßen wie eine Kunde von jenen Wirk-
lichkeiten bedeutet. Welche, nach dem Bibelwort,
den Klugen: d. h. dem Hochmut, der Anmaßung
des zur Alleinherrschaft erhobenen Intellektes,
verschlossen -bleiben, -dagegen au-f-getan sind den
Kindern und den Toren.
Zu ihnen aber zählt die Gegenwart, welche
-die grobe Nutzbarkeit zu ihrem Maßstab erho-
ben, bekanntermaßen auch den Dichter! Wie
die sich aufblasende ärmliche Sicherheit des
Brunnenfrosches, die vom grenzenlosen Meer
kündende -Schildkröte, der lichtblinde, gierig nach
Atzung wühlende Mauwurf, die leicht über -ihm
aufschweb-ende Lerche, wenn sie aus süßer Kehle
singt und jubiliert von dem unermeßbaren,
blauen und lichten Gewölbe über der Finsternis
und Enge seines armseligen Erdlochs. — Es
bedarf zwar -der Flügel, um in der Höhe zu
House zu sein, und da bekanntlich auch das Was-
ser keine Balken hat, bleibt man besser — so
lautet -die bekannte Moral und -Schlußfolgerung
jener Kümmerlinge — „mit festen Füßen auf
der Erde". —
Ein wogendes Meer, blaue -Seligkeit und
lichte Höhensicht, flügelsta-rk über aller Trauer,
in der Brust, hieße es doch bei aller Liebe sein,
seine Fülle geizend zu verschließen, satt sie aus-
strömen zu'lassen, voll des Tankes für jeden,
den sie beschenken -darf, der sich belebend von ihr
-angerührt fühlt und sich ihr öffnen möchte. So
spottet denn nicht länger, vom Rande umfriede-
ter Brunnen aus, der Schildkröte, ihrer unbe-
hol'stnen Schwere und Fremdartigkeit, wenn sie
euch naht: sie kommt von den Meeren! Hört -den
Dichter, wenn er, aus seiner ergriffenen Schau,
die Zeit deuten möchte, sie deuten möchte :m
Spiegel seiner Werke; seine Stunde ist gekom-
men!
Katholische Kirche und deutsches Volkstum
Erich Peterson kommt im Laufe fei-
ner Erörterungen über „Die neueste Entwick-
lung der protestantischen Kirche in Deutsch-
land" („Hochland", Okt. und Nov.) in sehr
bedeutungsvoller Weise auch auf die Frage
zu sprechen, wie sich die katholische Kirche
Deutschlands vor gewissen Aussprüchen und
Ansprüchen von protestantischer Seite heute
zu rechtfertigen habe. Wir geben diese Aus-
führungen hier wieder, müssen aber unsere
Leser zuvor mit denjenigen Tatsachen bekannt
machen, die den Anlaß dazu gegeben haben.
Einer der meistgenannten protestantischen
Schriftsteller von heute, Stapel, hat in seiner
Broschüre „Die Kirche Christi und der Staat
Hitlers" den Satz geschrieben: „Die lutheri-
sche Kirche ist die besondere Leistung des deut-
schen Volkes. Diese Leistung steht in vor-
fehungsmäßiger Verbindung mit der Art des
deutschen Volkes. Die Reformation ist
also der BerufderDeutscheninder
H e i l s g e s ch i ch t e". Eine große Rolle
spielt in den Proklamationen der offiziellen
Führer der neuen Evangelischen Neichskirche
die Forderungnacheinerde m Volk
gemäßenSprache beider Verkün-
digung des Evangeliums; ihre Be-
deutung geht daraus hervor, daß durch sie so-
gar die Einführung des Arierparagraphen in
die protestantische Kirche gerechtfertigt wird
(„Die Verkünder des Evangeliums und die
Verwalter der Kirche müssen auf deutschem
Boden deutschen Blutes sein", Reichsbischof
Müller). Hierher gehören auch wahrhaft er-
staunliche Aeußerungen über die sprach-
liche Arbeit Luthers; z. V.: Luther
habe die zehn Gebote des Alten Testamentes
als Haken benutzt, um daran die deutsche Sitt-
lichkeit seines heidenchristlichen Herzens auf-
zuhängen (Stapel); oder: Niemand sei sich
der Notwendigkeit, das uns aufgetra-
geneWortnocheinmalaufDeutsch
zugebären, es in deutscher Art und deut-
schem Leben konkret werden zu lassen, so be-
wußt gewesen wie Martin Luther (Em.
Hirsch). Eine Erklärung der „Deutschen Chri-
sten" auf der Altpreußischen Eeneralsynode
enthielt den Satz: es sei nicht die Absicht, mit
der Errichtung des Bischofsamtes irgendeine
Lehrinstanz öder ein fremdes Recht
neben dem deutschen Recht zu schaf-
fen, darin unterscheide man sich auf das
schärfste von der katholischen Kirche. Ergän-
zend dazu erklärte Bischof Peter ebendaselbst:
Die evangelischen Bischöfe hätten es nicht
nötig, einen Treueid in die Hände der Reichs-
statthalter abzulegen, wie es das Reichskon-
kordat den katholischen Bischöfen vorschreibe,
denn die evangelischen Bischöfe seien lebendige
Glieder des Dritten Reiches. Eine führende
Persönlichkeit der „Deutschen Christen" ent-
wickelte als Grundidee des Deutschen Luther-
tages, daß Wittenberg und Braunau (der Ge-
burtsort Hitlers) eine geistige Linie dar-
stellten, daß es gelte, den 10. N o me m b e r
1933 unter dein Motto: „Luther, der
d e u t s ch e C h r i st" zu feiern.
Wie steht angesichts solcher Aeußerungen, so
fragt Peterson, „di e katholische Kir-
che Deutschlands vor den Augen
der Nation da, deren Verfassung nicht
deutschem, sondern apostolischem Rechte ent-
stammt und deren Sprache in Kultus und
Recht die lateinische ist?" Hier seine Antwort:
„In dieser Auseinandersetzung nützt es uns
nichts, wenn apologetischer Eifer auf „germa-
nische Bestandteile" des kanonischen Rechts
verweist, oder wenn wir im Volkstum der
kirchlichen Bräuche auf unsere Verbundenheit
mit dem Volke Hinweisen. Nein, wir müssen
auch theologisch zeigen können, warum
wir neben dem staatl. Recht noch das Recht
der Apostel und das der Kirche anerkennen,
warum wir unsere Kirche nicht aufgeben kön-
nen an den Wandel staatlichen Lebens und
staatlicher Verfassungsformen, warum wir bei
aller Liebe zu unserer Muttersprache doch aus
theologischen Gründen genötigt sind, am
Lateinischen als der Sprache unserer Kirche
festzuhalten. Wir müssen die theologischen,
aus dem wahren Verständnis der-Offen-
barung kommenden Gründe aufzeigen, warum
für uns Volk nicht nur etwas ist, was im
Gefolge eines Führers da ist, und was dann
vor der Kanzel des lutherischen Prädikanten
stehend für die politischen Kämpfe „heimlich
durchglüht" wird (Hirsch), d. h. von dort her
seine moralische Kraft empfängt. Nein, wir
müssen auch zeigen, daß für uns Volk etwas
ist, daß seine Formung durch die Kirche erhält
— durch diese Kirche, die andern Rechts ist als
der Staat —, daß für uns Volk immer etwas
von dem „wilden Oelbaum" (Röm. 11, 18)
an sich hat, der durch die Uebernatur in eine
andere Sphäre des Seins erhoben werden
muß, daß die Weihen, die wir dem Brot und
dem Salz, dem Werkzeug und den Feldern,
dem Vieh und den Menschen geben, im Dienst
dieses Volkstumsgedankens stehen,, wonach
kein Volk in sich selber und in seiner
eigenen Natur zu bestehen vermag, wenn es
nicht durch die Gnade in seinem Sein über
sich selber hinausgehoben wird, wenn es
nicht vor dem Altar Gottes steht. Wir müssen
aber zugleich auch zeigen, daß wir, wenn für
uns „Volk" nicht um die Kanzel, sondern um
den Altar herum sich konstituiert, damit nicht
nur die im christlich-theologischen
Sinne richtigere Auffassung vom Volk haben,
sondern auch eine echtere und tiefere Auffas-
sung von dem, was „Volk" überhaupt ist. Es
ist doch einfach nicht wahr, daß sich um die
Kanzeln der protestantischen Prediger „Volk"
konstituiert. Was sich dort sammelt, ist letzt-
hin Bürgerschaft, eine „Gemeinde" von Leu-
ten, deren Ohr, Verstand und HeiH vielleicht
von einer Predigt getroffen werden mag, die
indes niemals in ihrem ganzen „Sein", in
ihrer Verknüpfung mit Acker und Landschaft,
Werkzeug und Vieh für den protestantischen
Prediger da ist. So aber wird das Volk vom
Altar der katholischen Kirche aus gesehen.
Vom Altar stammen die Weihungen, die das
ganze Sein des Menschen zu treffen ver-
mögen, von den Sakramenten gehen die Sa-
kramentalien aus, die einst das Leben des
katholischen Volkes formten, und wenn der
Rationalismus in der Theologie des 18, und
19. Jahrhunderts die Bedeutung der Sakra-
mentalien für das katholische Leben zurück-
treten ließ, so scheint mir jetzt die Stunde
gekommen zu sein, in der die katholische Kirche
in der ihr gemäßen Art dem Volkstumwer-
den des deutschen Volkes zu dienen hat. Mö-
gen die Protestanten und Rationalisten dieses
unser Tun auch „Volksaberglauben" nennen,
mögen sie von der klugen Anpassung unserer
Kirche an das alte Heidentum fabeln, wir
wissen besser, daß das, was wir tun, aus den
Quellen der Offenbarung stammt und dem
Volkstum tausendmal nähersteht als alle Pre-
digten, mit denen die protestantische Kirche
ein Volk zu formen hofft, während sie es tat-
sächlich doch nur im Bereich seines natürlichen
Seins beläßt, unfähig es in eine höhere Ord-
nung des Seins heraufzuführen. Ein Gleiches
werden wir aber auch von unserem Verhält-
nis zur deutschen Sprache zu zeigen haben,
daß nämlich Weihe und Adelung unsere»
Muttersprache für uns von jenem Latein her
bestimmt ist, in dem unsere Mutter, unsere
Kirche lehrt und betet, daß dieses Deutsch,
das unsere Väter im Mittelalter gesprochen
haben, in seiner Transparenz und Reinheit
im Grunde doch jenem Deutsch, das Luther
gesprochen hat, überlegen ist, weil es nicht in
sich selber gerundet ist und aus sich selber
seine Kraft nimmt, sondern von der „heiligen
Sprache" her Glanz und Formung gewonnen
hat, von ihr her erst „entbunden" worben
ist. Wenn wir in diesem theologischen
Sinne, als Katholiken, unser Verhältnis zu
Volk und Volkstum überdenken und danach
Segen die „üra Linda Lhrvnik"
Die Professoren des Deutschen Instituts der
Universität Breslau veröffentlichen folgende
Erklärung über die von Hermann Wirth her-
ausgegebene sogenannte „Ura Linda Chro-
nik":
2n dem Verlage von Koehler und Amelang
Leipzig) ist soeben erschienen: „Die UraLinda
^hronik", übersetzt und mit einer einfllhren-
'"'N geschichtlichen Untersuchung herausgegeben
"»N Herman Wirth.
Auf dem Umschläge ist gesagt: „Die Ura Linda
Uronik, das älteste Zeugnis germanischer Ge-
richte, wurde vor 60 Jahren in Holland aufge-
mnden. Die zunächst bezweifelte Echtheit wird
von Herman Wirth überzeugend nachgewie-
Das Werk berichtet von Kriegszügen und
Entdeckungsfahrten, von Not- und Elückszeiten un-
Vorfahren zurück bis 2193 v. Chr., von hei-
len Gesetzen unserer Ahnen, staatlichen Einrich-
tungen, Sitten und Gebräuchen. Die Ura Linda
^hronik vermittelt damit ein eindrucksvolles Bild
p°lzer Kulturhöhe unserer Vorfahren und gibt
^nr deutschen Volke sein geistiges Ahnenerbe wie-
/*> in einer Zeit, die reif wurde für solche Offen-
"rungen."
^Das durch diese Worte und durch eine prächtige
Iti^stattung angepriesene Buch gibt eine — freilich
Lückenhafte — deutsche Uebersetzung des von Dr.
' E. Ottema 1872 in Leeuwarden herausgegebe-
.Buches „Thet Oera Linda Bok", das eine an-
j^lich im 13. Jahrhundert geschriebene „Chronik"
? altfriesischer Sprache nebst holländischer Ueber-
L^SUng enthält. Freilich ist diese „Chronik", die
^agsblich von einem Manne namens „over de Lin-
. a' (Mer Linden) geschrieben und von Nach-
^Men dieses Namens aufbewahrt worden sein
soll, mit Recht von keinem Kenner des Altfriefi-
schen ernst genommen worden.
Tatsächlich muß sie (unseres Erachtens wohl
nach 1840) von einem in den Niederlanden leben-
den Manne verfaßt sein, der eine nicht geringe
Bildung und Belesenheit hatte, der von fremden
Völkern und Rassen, von antiker Dichtung und
Philosophie wußte, der einen gesunden Verstand
und Humor genug besaß, daß man selbst eine sa-
tirische Absicht seiner sonderbaren Arbeit nicht für
ausgeschlossen halten möchte. Dieser Mann hat in
ganz laienhafter Weise einen niederländischen
Text in eine den alten altfriesischen Rechtsquellen
ähnliche Sprache zu übertragen versucht. Der In-
halt ist zumeist ein törichtes Gemisch teils bekann-
ter, teils erfundener mythischer Erzählungen mit
sagenhaften heimischen und fremden Motiven. Das
alles wird den Friesen zugewiesen; die geschichtliche
Kunde beginnt mit dem Jahre 2193 (!) vor Christi
Geburt.
Der Herausgeber teilt mit, er habe im Jahre
1925 das Papier derHandschrift untersu-
chen lassen, und man habe sestgestellt, daß es aus
der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts stamme. Für den Wert der Handschrift
ist damit nichts erwiesen. Notwendig aber in erster
Linie und unumgänglich wäre eine Anfrage bei
einem Kenner des Altfriesischen oder der germani-
schen Sprachen gewesen; sie hätte die ganz eindeu-
tige Auskunft zur Folge gehabt, daß von einem
zu Grunde liegenden Original in altfriesischer
Sprache garkeüneRede sein könne. Der Her-
ausgeber war nicht einmal im Stande, den Wert
des von Ottema veröffentlichten angeblich altfrie-
sischen Textes selber zu beurteilen und hat wohl
daher seiner deutschen Uebersetzung den niederlän-
dischen Text zu Grunde gelegt.
Wenn wir der ganz wertlosen Fäl-
schung so viel Beachtung geschenkt haben, so ist
es im Interesse der bedeutsamen Wissenschaft deut-
scher Vorgeschichte geschehen, deren Ergebnisse un-
berechtigterweise von dem Herausgeber mit diesem
„Oera Linda Bok" in Verbindung gebracht worden
sind. Es erschien uns als unsere Pflicht, auf diese
Irreführung des deutschen Volkes hinzuweisen, ehe
vielleicht einige Leichtgläubige das Buch nach dem
Wortlaut des Umschlages als „Offenbarung" hin-
nehmen und die deutsche Wissenschaft sich im Jn-
und Auslande lächerlich macht.
Gerade in einer Zeit, die sich zu unser aller
Freude wieder den Werten der germanischen Vor-
zeit in allen Schichten des Volkes mit Begeisterung
zuwendet, kann eine solche Erweckung falscher Vor-
stellungen durch die notwendig darauf folgende
Enttäuschung besonders gefährlich werden und er-
fordert schnelleAbwehr.um eine Schä-
digung des nationalen Gedankens
zuverhllten.
Das Deutsche Institut der Universität Breslau:
(gez.) Prof. Dr. P. Merker, Prof. Dr. F.
Ranke, Eeh.-Rat Prof. Dr. Th. Siebs, Prof.
Dr. W. S t e l I e r.
Auch in Lolland als Fälschung
betrachtet
DieUraL in d a - Lh ro n i k, die sogenannte
„V ib e l d e r F r i e s e n", hat, wie der „Vossischen
Zeitung" aus Amsterdam gemeldet wird, auch in
Holland bereits zu lebhaften Diskussionen Anlaß
gegeben. Schon bald nach dem Erscheinen der Erst-
ausgabe (1872) erhoben sich die Stimmen friesi-
scher Altertumsforscher, die sich auf Grund sprach-
licher Kriterien gegen das Buch aussprachen.
Die Erörterung kam hier aufs neue in Gang,
als Hermann Wirth 1923 nach einem Aufenthalt
in Friesland das Programm seiner künftigen
Forschungen im „Nieuwe Rotterdamsche Courant"
mitteilte. Daraufhin veröffentlichte Dr. WLin-
kes, Bibliothekar an der Provinzialbibliothek
Leeuwarden, im gleichen Jahre eine Streitschrift,
in der er zu den gleichen Ergebnissen wie Dr. Bek-
kering Vinckers kam, der bereits 1876 die Echt-
heit des Ura-Linda-Buches angefochten hatte. Nach
Wümkes hat man es mit einem alten Frei-
maurerdokument zu tun, »wie denn auch
Vinckers die Meinung vertreten hatte, das Buch
trage freimaurerischen Charakter und sei ange-
fertigt worden, umder damaligen libe-
ralen Politik in Holland Beistand zu
l e i st e n.
Im Januar 1927 begann Dr. M. de Jong,
Privatdozent für niederländische Geschichte an der
Amsterdamer Hochschule, seinen Feldzug mit dem
Aufsatz: „Ottemas (des ersten holländischen
Herausgebers) Fälschung" im Leeuwarder
Nieuwsblad. Seine Ergebnisse faßte er in der An-
klage einer „wohlbewutzten und absicht-
lichen Fälschung" zusammen. In der Hand-
schrift Les Originals sei unmittelbar der moderne
Kalligraph zu erkennen. Schließlich ist noch der
Historiker Dr. H. Brugmans zu nennen, der
am 13. November 1928 in der Akademie der Wis-
senschaften zu Amsterdam eine Uebersicht über alle
bisher erzielten Forschungsergebnisse gab und sich
dabei den Zweiflern anschloß. So besteht denn
über die Unechtheit der Chronik bei den holländi-
schen Kennern durchaus Meinungseinheit; nur
über die Person des Fälschers und seine
mit der Fälschung verfolgten Absichten herrscht
noch Meinungsverschiedenheit.
Das Dokument befindet sich noch heute im Besitze
der Familie over de Linden, bei der es 1867 in
dem Städtchen den Helder zum ersten Male auf-
tauchte. Die Familie ist inzwischen nach Amster-
dam llbergestedelt. Das heutige Familienober-
haupt C. over de Linden ist Polizeiinspektor in die-
ser Stadt und bewahrt das Werk in seinem Bank-
safe.