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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3716 III F - 458,5
Hartlaub, Gustav Friedrich; Radbruch, Gustav [Adr.]
(Heid. Hs. 3716 III F - 458,5): Brief von Gustav Friedrich Hartlaub an Gustav Radbruch — Heidelberg-Schlierbach, 3. März 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.29889#0001
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Dr. G. F. Hartlaub

Heidelberg^Schlierbach,
Sch[oß=Wolfst>rtinncnwcg ÖS 3.III. 42

Lieber Herr Radbruch

UO HeidüSbsrg

Diese Nacht habe ich mir noch einmal die Frage Ihres Sammelwerkes
"Die Religio# der Ungläubigen" durch den Kopf gehen lassen.Ich glaube^
man muss zwei Richtungen unterscheiden: erstens die von Ihnen ins
Auge gefasste,bei der das Christentum trotz der Abkehr von aller kon~
fessionellen Bindung doch unverlierbar in Fleisch und Blut bleibt,
und zweitens diejenige,die an die Stelle des überkommenen Christentums
bewusst eine überdogmatische " pansophische" Weltreligion setzt,fiir
die alle historischen Ausprägungen der Glaubensformen nur wandelbare
"Symbole" sind.Zu der letztgenannten Richtung gehört z.B. ausgespro-
chen Morgenstern,van Gogh,auch Rilke.Ich glaube Ihre Fragestellung
-eine der aller aktuellsten,dringlichsten unserer Zeit!- würde manches
wichtigste,was zum Glauben der Ungläubigen heute gehört,ausklammern,
wenn man sich auf diejenigen Fälle beschränken wöllte,bei denen die Tr
^dition der christlichen Kirche in sublimierter Form weiterwirkt.Bei
vielen Menschen unserer Zeit ist es ja gerade der Protest gegen die
uberlieferte Glaubensform und das Ausweichen in die"welt«religiösey
gnostische Mysterienlehre,was ihren Glauben ausmacht. Natürlich gibt
es zwischen der von Ihnen bezeichneten und der von mir angedeuteten
Haltung viele Übergänge und Zwischenformen,die in einzelnen Fällen
deutlich zu machen ,eine höchst reizvölle und lohnende Aufgabe wäre.

Dann noch ein Wort zum Fall Rilke.Sie sagten mir selbst ge-
legentlich ,dass Sie bisher persönlich kein inneres Verhältnis zur
Jaspersjchen Existenzphilosophie gewonnen hätten.Trotzdem wünschen Sie
seine Mitarbeit -und mit höchstem Recht,wie mir scheint,denn wenn ir-
gend eine denkerische und " religiöse" Haltung,so kommt die von Jas-
pers für Ihre Sammlung in Betracht, zumal hier auch das protestaati-
sche Element sehr deutlich im Hintergrund bleibt. Nun meine ich aber,
dass;was einem Jaspers recht ist,auch einem Rilke billig sein sollte.
Sehr viele Menschen,die den Titel Ihres Werkes lesen werden,werden
dabei sogleich und in erster Linie an Rilke denken.Und sie werden
m.~E» mit grossem Recht enttäuscht sein.wenn gerade diese zentralste
und unbedingt typische Persönlichkeit,die so zahlreichen Menschen heutE
ein Führer in der Dunkelheit ist,nicht vertreten sein sollte.Kreist
doch das ganze Denken und Trachten dieses Dichters um den "Glauben

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der Ungläubigen" oder die^Religiosität ohne Religion!

Herzliche Grüsse Ihres getreuen

S
 
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