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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,430
Lask, Emil; Heyfelder, Viktor [Recp.]
(Heid. Hs. 3820,430): Brief von Emil Lask an Dr. Viktor Heyfelder — Falkenberg, 1903 Dezember 30

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https://doi.org/10.11588/diglit.26734#0001
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Brief an Dr.Viktor Hevfelder.

3&lO, lt30

Falkenberg, den 30.12.1905.

Lieber Herr Doktor !

.Im Januar erscheint noch ein anderes Buch, auf das ich Sie

besonders aufmerksam machen aoehte, nämlich die zweite Auflage von
Rickerts »Gegenstand der Erkenntnis». In dieser Auflage stehen sehr in-
teressante Veranderungen, und ausserdem ist ihjrfr ein ganz neues umfang-
reiches Kapitel beigefügt. Ich weiss Ja, dass Rickerts ganzes Denken
dem Ihrigen schroff entgegengesetzt ist; aber ich glaube bemerkt zu ha-
ben, dass Sie dem Typus des Rickertschen Philosophierens dennoch ein ge-
wisses Interesse entgegenbringen. Dann aber werden Sie vielleicht gerade
in diesem Boch das gesamte erkenntnistheoretische Weltbild einer solchen
Philosophie zur grössten Klarheit herausgearbeitet finden. Insbesondere
scheint mir hier einer der entscheidendsten Schritte über Kant hinaus
suf theoretischem Gebiet gemacht zu sein. Bei Kant und allen, die an ihn
anknüpften, blieb das Verhaltnis der »Wirklichkeit», der »objektiben»
»Gegenständlichkeit usw.zur mathematisch-naturwissenschaftliciaen Welt
verschwcmmen. Die Wirklichkeit, objektirfiUritviert und kategorial geformt,
scheint mit der naturwissenschaftlich gedachten Welt zusammenzufallen.
Rickert ist vielleicht der Einzige, der folgendes Beides vereinigt;
einerseits die »Wirklichkeit» antipositivistisch als Produkt gbsolutgil-
tiger Erkenntniskategorien zu fassen und andererseits diesen Objektivi-
tätscharakter positivistisch an die unmittelbare, unreduzierte Konkret-
heitsfülle der gegebenen Inhaltllchkeit zu heften. Selbst Schuppw hat
dieses nicht geleistet, da er - was sich nachweisen lässt - in letzter
Linie doch platdmiseher Begriffsrealist geblieben ist. Durch die Festlegung
dieses Wirklichkeitsbegriff$s erlangt Rickert eine siehere Basis auch
für alle, über die allgemelne E rkenntnistheorie hinausgehende Methodologie.
Die ganze Methodologie selbst muss natürlich innerhalb einer einheitlichen
erkenntnistheoretischen Grundauffessung immer noch mit Erkenntnistheorie
durchwachsen sein. Besonders wird es - das ist auch meine Ansicht - die
Aufgabe einer zukünftigen Wissensehaftslogik sein, den scg. Kulturwlssen-
schefteß (im weitesten Sinne) ihren logischen und erkenntnistheoretischen
Ort anzuweisen. Bei Rickert wird der Begriff der Kulturwissenschaften zu
einseitig nur autf Geschichte im engsten Sinne besehränkt.
 
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