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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,435
Lask, Emil; Kroner, Richard [Adr.]
(Heid. Hs. 3820,435): Brief von Emil Lask an Richard Kroner — Heidelberg, 1912 November 20

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https://doi.org/10.11588/diglit.27960#0001
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- 88

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Brief an Professor Richard Kroner ! Heidelberg, den 20.11.1912.

Lieber Herr Kroner !

Ich habe Jetzt erst in Ruhe Ihren Logos-Aufsatz gelesen. Ich finde
ihn wundervoll geschrieben und sehr tief. Es ist das Schwerste und letzte
Problem, das Sie da anrühren. Sie sind darin unendlich, weiter als ich
im Verstehen davon. Ob meine Kraft ausreichen wird, mich ie zur Be-
wältigung, wenn auch nur polemischen Bewältigung dieser höchsten Auf-
gaben gelangen zu lassen, bezweifle ich. Von allen Seiten wird man Ja
Jgzt darauf gestossen. Ich habe in den üebungen einen Marburger, sodass
die Diskussionen auch dieses Gebiet streifen. Denn Marburg ist Ja gleich-
falls Hegelianismus (im weiteren Sinne). Ich habe bisher den Anfang von
Natorps »Grundlagen», seinen Aufsatz im Cohenheft der Kantstudien,
Asters Aufsatz in den Münchener Abhandlungen, Sesemanns (der übrigens
vorzüglich ist) im Logos gelesen.
Ich fühle mich also ausserstande, über die Sache zu reden. Sondern
ich will mich heute auf einen kleinen Hinweis beschränken. Bei der Zu-
grundelegung, meiner Ansicht in Ihrem Aufsatz ist, wie mir scheint, ein
Irrtum unterlaufen, der aber, wie ich gleieh bemerken will, für die
ganze Frage garnichts Entscheidendes ausmacht. Sie stellen es so dar,
als wenn nach^meiner Lehre die Form aus dem logisch nackten, formlosen
Inhalt abstraktiv herausanalysiert werde. Entsprechend fassen Sie meine
Bedeutungsdifferenzierungslehre so, dass der Inhalt den Formen seine Be-
deutung so bestimmt wie das Konkrete eben als Abstraktionsfundament das
Abstrakte potentiell in sich enthält (S.224, i.Abs.). Allein das ist
meine Ansicht keineswegs. Vielmehr ausser dem formnackten Inhalt muss-
es als eine »Welt für sich» das unsinnliche hingeltende Etwas geben.
Dies »Hin» (natürlich nur ein stammelnder Audruck) ist der Formcharakter
als solcher, das Hin zum bestimmten einzelnen Material ist die Einzel-
form, deren Bedeutungsbestimmtheit lediglich der Ausdruck einer solchen
Hinbezogenheit des Geltenden zum bestimmten Material. Keineswegs ist
darum das Formnackte als Abstraktionsfundament die »Ursprungsstätte»
der Form, sondern als BeZiehungsftlied ist es determinierend lediglich
für die Bedeutungsbestimmtheit der Form. Aber in der Form steckt etwas
in -leder Hinsicht vom Material Unabhängiges.Ausser dem Bedeutungsfrem-
den muss Jenes Unsinnlichgeltende dasein, dann ergibt sieh erst alles
andere. Und alles dies ist an sich. Dadurch fällt aber all das fort,
was Sie behaupten, dass nämlich das Formnackte das Unanalysierte, Unver-
künstelte, die Operationsbasis sei für die Zerlegung in Form und Inhalt,
die infolgedessen eine künstliche Operation sei, dass das Denken »im»
Inhalt Formen »entdeckt» (221) usw. Ich sehe im Inhalt garnicht das Ur-
sprüngliche Volle, die »Ursprungsstätte», den»formlosen Grund» (222 ob.)
der Formen usw. Ich erkläre infolgedessen weder Inhalt noch Formt für
Kunstprodukte, was Sie von Neuem in meiner Urteilslehre bestätigt finden,
in der angegeben wird, wo erst für mich die Künstlichkeit beginnt.
Ich weiss sehr wohl, dass man in meiner soeben dargestellten Ansicht
neue und vielleicht grössere »Widersprüche» finden kann, aber ich wollte
vorläufig nur meine Ansicht feststellen.
In meinem Erkenntnisbegriff gibt es garnicht das Trennen, künst-
liche Zerlegen usw., von dem Sie gleich auf S.217 reden. Bei mir ist das
Erkennen ausgezeichnet durch kategoriale Betroffenheit im Gegensatz zu
logischer Nacktheit. Was Sie dagegen 219 über das Nichtdurehdrinfeen des
Inhalts sagen, gebe ich Ihnen alles zu. S.221 weisen Sie auf den unver-
meidlichen von mir Log.d.Ph.S.50 erwähnten Umstand hin, dass das logisch
 
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