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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,442
Lask, Emil; Weber, Max [Adr.]
(Heid. Hs. 3820,442): Brief von Emil Lask an Max Weber — o.O., 1906 Dezember 31

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https://doi.org/10.11588/diglit.27964#0001
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Lieber Herr Professor !

Ich habe heute noch einmal I^ren Aufsatz über Stammler gelesen und
mich von Heuern nicht nur an den ausgezeichneten Scherzen, sondern auch
an der scharf treffenden Polemik gefreut. Ich stimme so sehr mit allmm
uberein, dass ich kritisch fast nichts vorzubringen habe. Das Einzige,
was in Betracht käme, ist für die polemischen Zwecke nicht praktisch. Es
betrifft Ihre* Ansicht, dass juristisch (im engeren Sinne) und empirisch
in einem Gegensatz stehen. Da ich in diesem Tagen garnicht frisch bin,
morgen nach Berlin muss und übermorgen reise, will ich lieber, da ich
Sie ja so bald sehe, mündlich sagen, was ich meine, zumal es sich ja
ausserdem um eine Angelegenheit ganz doktrinärer Hatur handelt. Ich
billige die Jellineksche Spaltung in soziale Seinswissenschaft vom Recht
und dogmatische Horrawissenschaft vom Recht, behaupte aber, dass die
Rechtsdogmatik eine empirische Normwissenschaft ist. Die Rechtsnorm ist
etwas ganz anderes als das, was man in der Philosophie Norm nennt, näm-
lich nicht etwas jarj sich gütiges, um ihrer sachlichen Bedeutsamkeit
willen Gesolltes, sondern lediglich auf Grund empirischer Gemeinsehafts-
autorität, also um seiner tatsächlichen Gewolltheit willen Gesolltes.
Allerdings etwas Gesolltes und daher nicht etwas Seiendes. Darum tritt
die Jurisprudenz allerdings in Gegensatz zu den empirischen Seins-
wissenschaften, nämlich als empirische Giltigkeitswissenscheft. Gewiss
ist zu unterscheiden zwischen der Rechtsregel als Bestandteil des dog-
matisch gedachten Systems und als Bestandteil der kausal wirksamen
»Maximen-Realität? Recht. Rtoer wenn Sie die dogmatische Betrachtung der
empirischen einfach entgegensetzen, so muss man dabei doch bedenken,dasd
das Sollen im Sinne der Dogmatik dem Empirischen anders gegenübersteht
als das Sollen der Weltanschauungslehre. »Sollen» hat beidemal einen
verschiedenen Sinn. Und in der Tat auch bei Ihnen muss doch das »Sein-
sollende» auf der letzten Fahne (4?) etwas anderes bedeuten als vorher,
wo es bei der Erläuterung des dogmatischen gebraucht wurde. Ich muss noch
etwas genauer definieren. Auch die »empirischen» (Jellineks soziale)
Rechtsdisziplinen sind qua »Kulturwissenschaften» nicht einfach als
Seinswissenschaften, sondern präziser als KulturrealitStswissenschaften
zu charakterisieren»oder als Wissenschaften von den auf Kulturwerte be-
zogenen Realitäten. Diesen tritt gegenüber die Jurisprudenz als empiri-
sche Giltigkeitswissenschaft. Die Vermengung von Sein und Sollen als
Fehler Stammlers kann nur zweierlei umfassen: 1) kann empirische Kultur-
realltst und empirische Giltigkeit vermengt sein (davon handeln Ihre
letzten Fahnen) 2) kann wertbezogene Kulturrealität und direktes Werten
nach Weltanschauungsgiltigkeiten ineinanderlaufen. (8ür »Giltigkeit» kann
man ja »Sollen» einsetzen.) Auf die&~ Zweite weist ja der Schluss Ihres
Artikels hin. Das ist ja auch die Ansicht Stammlers. Er glaubt: wo Kul-
turrealitäten Irgendwie in Betrachtkommen, vollendet und befriedigt sieh
die Untersuchung nur in den höchsten Weltanschauungswerten. Der Weg dahin
Ist allerdings Stufe für Stufe mit Rattenkönigen von Sophismen gepflastert
(um im Wippchenstil zu reden.)
ZUm juristischen Gelten darf ich vielleicht noch bemerken, dass
nach meiner Ansicht das Gelten eines Rechtssatzes keineswegs ein Gelten
für das wissenschaftliche Gewissen ( Fahne 59) bedeutet. Vielmehr
stellt es ein Gelten für die dar, an 1 deren Adresse es sich wendet. Diese
Geltung für den Normadöessaten (wer der auch sein mag) ist eine ebenso
rein empirische wie rein dogmatisch betrachtete Qualität des Rechts. Die
 
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