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Heid.Hs. 4071

ANHANG ü

248 Nachrufe

kohlenhydrats der Pflanze, mit methanolischem Chlorwasserstoff ge-
langte Freudenberg zu 2,3-Dimethylglucose neben der überwiegenden
2,3,6-Trimethylglucose. Damit war das 6-Hydroxyl als Stelle der Ketten-
verzweigung im Amylopectin aufgezeigt. Während die Amylase vom Ket-
tenende her das Disaccharid Maltose Einheit um Einheit abschneidet,
baut das Enzym aus Bacillus macerans die Amylose zu den „Schardinger-
Dextrinen“ ab, die von Freudenberg als große Ringe aus 6, 7 und 8 Glu-
cose-Einheiten erkannt wurden. Die mit Amylose gemeinsame Fähigkeit,
schwarzblaue Jodkomplexe zu bilden, führte schon 1939 zur Annahme
einer Helix-Struktur der Amylose; 8 Jahre später fand dies von anderer
Seite eine röntgenographische Bestätigung. Die Fähigkeit der erwähnten
Cycloglucane, Einschlußverbindungen zu bilden, wurde später von Freu-
denbergs Schüler F. Cramer weiterverfolgt.

Die Chemie des gleichfalls makromolekularen Lignins beanspruchte
Freudenbergs Aktivität mehr als 40 Jahre lang. Die schwere Abtrennbar-
keit von anderen Inhaltsstoffen des Holzes und die mangelnde Einheit-
lichkeit hatten Kontroversen über den Bau des Lignins zur Folge. Eine
Reihe von Abbauprodukten ließ Freudenberg die aromatischen Ringe des
Lignins erkennen. Erst 1952 kam der Durchbruch, als im Heidelberger
Laboratorium der niedermolekulare Coniferylalkohol mit dem Pilzfer-
ment Laccase zu einem Lignin-ähnlichen Produkt dehydriert wurde. Die
Zwischenprodukte, die man nach kurzzeitiger Einwirkung erhielt, gaben
Aufschluß über die Art der Verknüpfung. p-Chinon-methide spielen eine
entscheidende Rolle und Freudenbergs Studien bieten einen gewichtigen
Beitrag zur noch heute aktuellen biologischen Frage der oxidativen
Kupplung von Phenolen. Versuche mit Radiomarkierung lehrten 1958,
daß der Proteinbaustein Phenylalanin in der Fichte über Coniferin in
Lignin übergeführt wird.

Neben den Hauptlinien von Freudenbergs Forschung, die vorstehend
knapp angedeutet wurden, liefen Seitenlinien einher. Unter diesen seien
die menschlichen Blutgruppen-Substanzen erwähnt, als deren Bestand-
teil 1938 Aminozucker erkannt wurde. Ein kurzer Ausflug galt dem
Pankreas-Hormon Insulin. Freudenberg machte mit Reduktionsversuchen
wahrscheinlich, daß zwei Polypeptidketten durch drei Disulfidbrücken
zusammengehalten werden.

Freudenbergs wissenschaftliches Werk verrät die Faszination durch
die Welt der Naturstoffe. Mit der klärenden Bearbeitung von Cellulose,
Stärke, Lignin und Gerbstoffen — diese bilden mengenmäßig den Haupt-
bestand des Pflanzenreichs — hat sich Freudenberg bedeutenden Pro-
blemen gewidmet. Hohe Experimentierkunst und Beobachtungsgabe,
Phantasie, Geduld und Willenskraft verbürgten den Erfolg, von dem mehr

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