Einleitung
Auf einer meiner Wanderungen im Kanton Schwyz begegnete mir einmal
ein Gelehrter aus Zürich. Als ich ihm sagte, daß ich Trachtenstudien mache,
fragte er mich erstaunt, wie man in einer Gegend solche Studien machen könne,
wo doch nichts mehr von Trachten zu sehen sei. Allerdings, wenn der Reisende
zu Fuß oder gar noch flüchtiger mit der Eisenbahn durchs Land reist und nicht
vom besonderen Zufall begünstigt in ein Kirchenfest, eine Prozession, eine
Hochzeit oder Beerdigung, in eine Landsgemeinde, in eine Alplerchilbe oder in
die Fastnacht hineingerät, so sieht er wenig oder nichts von den volkstümlich
merkwürdigen und interessanten Dingen und Vorgängen, denen die Forscher
Wochen, Monate, sogar Jahre lang auf einsamen, oft beschwerlichen, oft ver-
geblichen Pfaden nachgehen und nachspüren. Denn auch dort, wo scheinbar
nichts mehr oder nur noch Reste der verschwundenen oder verblassenden
Volkseigentümlichkeiten der Trachten im Gebrauche sind, wäre es nicht mög-
lich, sie geschichtlich wahr und richtig für die Nachwelt zusammenzustellen,
ohne Land und Leute selber kennen gelernt zu haben.
Im Gespräch mit den Einwohnern wird manches hervorgeholt, was man längst
verloren glaubte. Alte Anschauungen und Begriffe kommen bei der Gelegenheit
wieder zum Vorschein, damit zusammenhängende Gewohnheiten und Sitten
lassen unerklärliche Verwendungen dieses oder jenes Trachtenstückes begreif-
lich werden, man erfährt alte Eigennamen, auch ehemalige Gebräuche, die einst
damit zusammenhingen. Es gab in der Innerschweiz sehr originelle Eigenarten,
die meines Wissens noch nie Beachtung gefunden haben. Ich bemerke jedoch
ausdrücklich, daß es sehr am Platze ist, Aussagen alter Leute Vorsicht entgegen-
zubringen, da sie Sage und Wirklichkeit nur zu oft vermengen. Wir dürfen solche
Erzählungen nicht ohne mehrfache Beweise hinnehmen.
Die absolut sichere Kenntnis der Schweizer Trachten vom Ende des 18. Jahr-
hunderts ist hauptsächlich dem Maler Joseph Reinhardt aus Luzern zu verdanken,
der eine Anzahl Bewohner der Schweiz als »Ganzfiguren« sowohl in Sonntags-
wie auch in Werktagskleidern porträtierte und Namen und Wohnort der Betreffen-
den davon vormerkte.
Die Entwicklung der Bekleidungsart im Anfang des 19. Jahrhunderts ergibt sich
aus den gewissenhaften Skizzen und Bildern des Zürcher Malers Ludwig Vogel.
Er zeichnete diese zum Zwecke der Erstellung von historischen Gemälden
zwischen 1809—40 bei öfteren Besuchen und Aufenthalten in der Innerschweiz.
Sein Gemälde eines Gottesdienstes bei derTellskapelle anläßlich des dreiörtigen
Schützenfestes 1832,1) das er um 1846 fertigstellte, zeigt eine Zusammen-
9
Auf einer meiner Wanderungen im Kanton Schwyz begegnete mir einmal
ein Gelehrter aus Zürich. Als ich ihm sagte, daß ich Trachtenstudien mache,
fragte er mich erstaunt, wie man in einer Gegend solche Studien machen könne,
wo doch nichts mehr von Trachten zu sehen sei. Allerdings, wenn der Reisende
zu Fuß oder gar noch flüchtiger mit der Eisenbahn durchs Land reist und nicht
vom besonderen Zufall begünstigt in ein Kirchenfest, eine Prozession, eine
Hochzeit oder Beerdigung, in eine Landsgemeinde, in eine Alplerchilbe oder in
die Fastnacht hineingerät, so sieht er wenig oder nichts von den volkstümlich
merkwürdigen und interessanten Dingen und Vorgängen, denen die Forscher
Wochen, Monate, sogar Jahre lang auf einsamen, oft beschwerlichen, oft ver-
geblichen Pfaden nachgehen und nachspüren. Denn auch dort, wo scheinbar
nichts mehr oder nur noch Reste der verschwundenen oder verblassenden
Volkseigentümlichkeiten der Trachten im Gebrauche sind, wäre es nicht mög-
lich, sie geschichtlich wahr und richtig für die Nachwelt zusammenzustellen,
ohne Land und Leute selber kennen gelernt zu haben.
Im Gespräch mit den Einwohnern wird manches hervorgeholt, was man längst
verloren glaubte. Alte Anschauungen und Begriffe kommen bei der Gelegenheit
wieder zum Vorschein, damit zusammenhängende Gewohnheiten und Sitten
lassen unerklärliche Verwendungen dieses oder jenes Trachtenstückes begreif-
lich werden, man erfährt alte Eigennamen, auch ehemalige Gebräuche, die einst
damit zusammenhingen. Es gab in der Innerschweiz sehr originelle Eigenarten,
die meines Wissens noch nie Beachtung gefunden haben. Ich bemerke jedoch
ausdrücklich, daß es sehr am Platze ist, Aussagen alter Leute Vorsicht entgegen-
zubringen, da sie Sage und Wirklichkeit nur zu oft vermengen. Wir dürfen solche
Erzählungen nicht ohne mehrfache Beweise hinnehmen.
Die absolut sichere Kenntnis der Schweizer Trachten vom Ende des 18. Jahr-
hunderts ist hauptsächlich dem Maler Joseph Reinhardt aus Luzern zu verdanken,
der eine Anzahl Bewohner der Schweiz als »Ganzfiguren« sowohl in Sonntags-
wie auch in Werktagskleidern porträtierte und Namen und Wohnort der Betreffen-
den davon vormerkte.
Die Entwicklung der Bekleidungsart im Anfang des 19. Jahrhunderts ergibt sich
aus den gewissenhaften Skizzen und Bildern des Zürcher Malers Ludwig Vogel.
Er zeichnete diese zum Zwecke der Erstellung von historischen Gemälden
zwischen 1809—40 bei öfteren Besuchen und Aufenthalten in der Innerschweiz.
Sein Gemälde eines Gottesdienstes bei derTellskapelle anläßlich des dreiörtigen
Schützenfestes 1832,1) das er um 1846 fertigstellte, zeigt eine Zusammen-
9