4- Die Standes- oder Sonntagstracht
Zur Zeit als ich auf dem Hasliberg weilte, wäre niemand mit einem Rock aus weißem
Wollentuch ausgegangen. Die Röcke der Standes- oder Sonntagstracht bestanden aus
dunkelblauem schwerem Tuch. Wie die frühem weißen Röcke einen schwarzen Saum
hatten, so waren nun alle blauen mit einem roten Saum geschmückt. Das Sonntags-
gloschli bildete ein Paradestück. Es war unten herum mit schwarzem Sammet besetzt,
dem sich meist ein blaues Seidenband zugesellte. In dichten Falten war der aus einem
geraden Stück bestehende Rock in das Brisli gefaßt. Die Krinoline aus den 1860er
Jahren hatte bei der Haslitracht keine Aufnahme gefunden, aber alle ihre Röcke und
Gloschli hatten von jener Mode her in ein viertel Höhe ein bis drei Aufschlägli erhalten.
Zur Schonung bei Hausgeschäften, wie zum Bergauf und -abgehen wurde der Rock
meistens vorn bis zur Taille auf geschlagen; rückwärts abfallend wurde er einfach in-
einandergedreht (Taf. 19), später mit einer Schließnadel in halber Höhe derart zu-
sammengeheftet, daß der rote Saum zwei gleiche nebeneinander, bis zum Saum des
Gloschli abfallende Bogen bildete. Zur Kirchentracht gehörte, wie zu allen Volkstrach-
ten unbedingt die Jacke, der »Schlufi«, dasBrüstli, das Göller und die schwarze Schürze.
Ob warmes oder kaltes Wetter herrschte, kam nicht in Betracht, so und nicht anders
war man es gewohnt und so mußte es sein.
Wenn so ein paar Frauen in einer Reihe auf der breiten Landstraße nach Meiringen
hinunter zur Kirche pilgerten, erfreuten wir uns an dem hübschen Anblick, den sie uns
boten mit ihren eigenartig aufgeschürzten Röcken, ihren hellen, buntblumigen Wollen-
oder Seiden-Halstüchern, deren Zipfel tief auf den Rücken der schwarzen Jacken
herunterreichten, den rot und blau karierten Kopftüchern, auf denen der gelbliche,
mit schwarzen Bändern geschmückte Strohhut sich so originell abzeichnete.
a. Der Rock, d’r Chittu mit dem angesetzten Mieder (Abb. 128, 129)
Von den weißen Röcken haben wir gehört. Die spätem von blauem Tuch wurden wie
jene am Mieder, das seit mehr als hundert Jahren sich gleich geblieben war, angesetzt.
Die Bezeichnung Mieder ist zwar fragwürdig, indem der Rücken an allen Originalen
(Museen Bern, Burgdorf, Zürich) stets nur 10 bis 12 cm breit ist. Dieses Rückenstück
verbreitert sich nach oben, teilt sich dort, um als Achselstreifen von 3 bis 4 cm Breite
mit den Vorderteilen verbunden zu werden. Nach unten verbreitert es sich, um 5 bis
6 cm breit unter den Armen durchgehend an die Vorderteile anzuschließen, die nur
3 bis 4 cm breit zu den Achseln aufsteigen. Die Weite des Mieders beträgt unten nie
mehr als 60 cm, reicht also vorn nie zusammen. Der in dichten Falten an dieses Mieder
angesetzte Rock ließ sein Vorderblatt vorstehen, um es über den Leib übergreifend an
Heierli, Bern 7
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Zur Zeit als ich auf dem Hasliberg weilte, wäre niemand mit einem Rock aus weißem
Wollentuch ausgegangen. Die Röcke der Standes- oder Sonntagstracht bestanden aus
dunkelblauem schwerem Tuch. Wie die frühem weißen Röcke einen schwarzen Saum
hatten, so waren nun alle blauen mit einem roten Saum geschmückt. Das Sonntags-
gloschli bildete ein Paradestück. Es war unten herum mit schwarzem Sammet besetzt,
dem sich meist ein blaues Seidenband zugesellte. In dichten Falten war der aus einem
geraden Stück bestehende Rock in das Brisli gefaßt. Die Krinoline aus den 1860er
Jahren hatte bei der Haslitracht keine Aufnahme gefunden, aber alle ihre Röcke und
Gloschli hatten von jener Mode her in ein viertel Höhe ein bis drei Aufschlägli erhalten.
Zur Schonung bei Hausgeschäften, wie zum Bergauf und -abgehen wurde der Rock
meistens vorn bis zur Taille auf geschlagen; rückwärts abfallend wurde er einfach in-
einandergedreht (Taf. 19), später mit einer Schließnadel in halber Höhe derart zu-
sammengeheftet, daß der rote Saum zwei gleiche nebeneinander, bis zum Saum des
Gloschli abfallende Bogen bildete. Zur Kirchentracht gehörte, wie zu allen Volkstrach-
ten unbedingt die Jacke, der »Schlufi«, dasBrüstli, das Göller und die schwarze Schürze.
Ob warmes oder kaltes Wetter herrschte, kam nicht in Betracht, so und nicht anders
war man es gewohnt und so mußte es sein.
Wenn so ein paar Frauen in einer Reihe auf der breiten Landstraße nach Meiringen
hinunter zur Kirche pilgerten, erfreuten wir uns an dem hübschen Anblick, den sie uns
boten mit ihren eigenartig aufgeschürzten Röcken, ihren hellen, buntblumigen Wollen-
oder Seiden-Halstüchern, deren Zipfel tief auf den Rücken der schwarzen Jacken
herunterreichten, den rot und blau karierten Kopftüchern, auf denen der gelbliche,
mit schwarzen Bändern geschmückte Strohhut sich so originell abzeichnete.
a. Der Rock, d’r Chittu mit dem angesetzten Mieder (Abb. 128, 129)
Von den weißen Röcken haben wir gehört. Die spätem von blauem Tuch wurden wie
jene am Mieder, das seit mehr als hundert Jahren sich gleich geblieben war, angesetzt.
Die Bezeichnung Mieder ist zwar fragwürdig, indem der Rücken an allen Originalen
(Museen Bern, Burgdorf, Zürich) stets nur 10 bis 12 cm breit ist. Dieses Rückenstück
verbreitert sich nach oben, teilt sich dort, um als Achselstreifen von 3 bis 4 cm Breite
mit den Vorderteilen verbunden zu werden. Nach unten verbreitert es sich, um 5 bis
6 cm breit unter den Armen durchgehend an die Vorderteile anzuschließen, die nur
3 bis 4 cm breit zu den Achseln aufsteigen. Die Weite des Mieders beträgt unten nie
mehr als 60 cm, reicht also vorn nie zusammen. Der in dichten Falten an dieses Mieder
angesetzte Rock ließ sein Vorderblatt vorstehen, um es über den Leib übergreifend an
Heierli, Bern 7
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