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Hugo Helbing <München> [Hrsg.]
Katalog einer Uhrensammlung aus süddeutschem Privatbesitz: vorwiegend Taschenuhren und Halsuhren des XVI. - XIX. Jahrhunderts ; [Versteigerung in der Galerie Helbing in München, 22. November 1917] — München, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.23032#0007
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VORWORT

Die Uhrensammlung, die hier beschrieben wird, gibt einen Überblick über die gesamte Ge-
schichte der tragbaren Räderuhr. Den Anfang machen die in Augsburg ums Jahr 1570
hergestellten runden dosenförmigen Halsuhren, die ihre Verwandtschaft mit dem an starker Zierkette
getragenen Gnadenpfennig nicht verleugnen, dieselben Uhren wohl, auf die sich schon Paul
von Stettens Notiz zum Jahre 1558 bezieht, dass elegante junge Herren in Augsburg kleine runde
Schlaguhren vorn auf der Brust hängend trugen. Dann zeigt die Sammlung in gewählten
Stücken den Widerstreit derber Sackuhren gegen die zarte Halsuhr der Wende vom 16. zum 17.
und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Aus dieser ersten Blütezeit der tragbaren Uhren
sind die besten damaligen Uhrmacherländer und Uhrmacherstädte mit schönen und charakte-
ristischen Proben vertreten: wir finden hier deutsche und französische kreuzförmige Halsuhren,
eine ausgezeichnete silberne Sackuhr des berühmten Meisters Abraham Gribelin in Blois, über
dessen Uhrmacherwerkstätten im 16. und 17. Jahrhundert unlängst De veile helles Licht verbreitete,
England ist mit einer Totenkopfuhr des Londoner Meisters Edward East, Hofuhrmacher König
Karls I., vertreten, nach den Niederlanden scheint die ovale dosenförmige Halsuhr Nr. 4 zu weisen.
Dem Ende dieser Epoche, der Mitte des 17. Jahrhunderts, gehört eine köstliche Halsuhr von
Urban Druckenbrodt in Straßburg an, jener Stadt, auf deren Bedeutung für die ältere
Uhrmacherei — ganz abgesehen von der Familie Habrecht und ihrer weltberühmten astro-
nomischen Münsteruhr — Walther L. Müller kürzlich durch wertvolle Forschungen aufmerksam
machte. Den Einfluß der europäischen Kleinuhrmacherei auf die Türkei, die sich schon wegen
Beibehaltung der ungleichen Temporalstunden ablehnend gegen Räderuhren verhielt, beweisen
zwei schöne Halsuhren zwitterhaften Stils.

Die technischen Neuerungen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind auch für die
tragbaren Uhren formbildend geworden, die Uhr kann dadurch dem Streben des Rokokostiles
nach Erleichterung, Verzierlichung, Auflösung und Aufhellung aller Formen im 18. Jahrhundert
nach schwerer und barocker Pracht der Dekorationen ohne Mühe folgen. Neben dem Email treten
Perlen, vierfarbiges Gold und edle Steine in ihre Rechte.

Dieser zweiten Epoche der Geschichte unserer Taschenuhr gehören weitaus die meisten
der hier beschriebenen Stücke an. Teils sind es Uhren, die als Schmuck offen an der Chätelaine
getragen wurden und deshalb auch mit hochgetriebenen Reliefs oder mit Steinbesatz verziert sein
konnten, teils sind es Uhren, die in der Tasche geborgen wurden und deshalb eine flache, glatte
Gehäusedekoration verlangten. Hierfür war das Email, dem eine Fernwirkung abgeht, besonders
günstig. Beginnend mit einer Arbeit, noch des ausgehenden 17. Jahrhunderts, aus der Werkstatt
der Gebrüder Huaut von Chätellerault, der frühesten und besten Meister, die neben Jean Toutin
die neu aufgekommene Technik der Malerei auf Email für die Gehäusedekoration verwendeten,
zeigt die vorliegende Sammlung in glänzender lückenloser Reihe die Geschichte der Email-
gehäuse, vor allem der Goldemailuhren.
 
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