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Es gibt so viele Arten von Sammlern wie Sammler. In einem Jeden sind andere Motive
wirksam wie in jedem Anderen. Die Beweggründe sind jedesmal anders dosiert und ge-
mischt. Dennoch lassen sich Typen aufstellen. Herrn von Nemes aber, dessen Nachlaß in
diesem Kataloge verzeichnet ist, als einem Typus zugehörig zu betrachten, dürfte schwer fal-
len. Nicht Überfluß an Geldmitteln hat ihn zu dem sublimen Luxus gelockt, er hat nicht
müßige Stunden mit dem geistigen Sport ausgefüllt, sich nicht aus der harten und nüch-
ternen Gegenwart zu der stillen und neutralen Vergangenheit geflüchtet: eine Leidenschaft
bestimmte seine Lebensführung, seinen Beruf und zehrte sonstige Interessen, Wünsche und
Bedürfnisse auf. Andere entschließen sich dazu zu sammeln, wie sie sich entschließen, in
einen Klub einzutreten und manchmal werden sie von Kunsthändlern zu Sammlern gemacht;
er hat unter Sorgen und Opfern einem übermächtigen Triebe folgend, zugegriffen, hat
fahren lassen müssen, wieder angefangen und nie aufgehört. „Produktiv" war sein Lieblings-
wort. In seiner aktiven Natur waren Besitz und Kunstgenuß unlösbar miteinander verbun-
den. Seine Bilder sprachen anders zu ihm als diejenigen in den Museen. Er betrachtete sein
Eigentum nicht wie ein Ehemann seine Gattin sondern wie ein Liebhaber seine Geliebte.
Seine Begeisterung war zumeist am Tage der Wahl auf der Höhe. Alles war provisorisch in
seinen Hausern. Nie ganz zufrieden mit dem, was ihn umgab, entwarf er Pläne, ließ er bauen
und pflanzen. Sein Talent war dem des schöpferischen Künstlers enge verwandt. Die Kunst-
werke, die er sammelte, waren ihm stachelnder und erregender Ersatz — für Kunstwerke,
die er zu erschaffen sich sehnte.

Als Herr von Nemes zum ersten Male Venedig besuchte, kaufte er einen Palast am Canale
Grande, und zwar einen unfertigen, den einzigen unfertigen, den es dort gibt. Viele träumen
davon, ein Haus in Venedig zu besitzen, hin und wieder siedelt sich jemand wirklich dort an,
aber nur er konnte auf die Idee verfallen, in Venedig zu bauen, das erstarrte Antlitz dieser
Stadt zu verändern. Der romantische Gedanke wurde nicht verwirklicht, der Stumpf des Pa-
lastes steht, wird stehen wie ein Denkmal für den phantasievollen Kunstfreund und Symbol
für sein Schicksal.

Herr von Nemes war 1866 in Ungarn zur Welt gekommen und ist in Ungarn gestorben.
Treue und Anhänglichkeit hat er der Heimat stets bewahrt und mäzenatenhafte Beziehungen
gepflegt zu Künstlern seines Landes. Früh und oft kam er nach Deutschland, bewegte sich
hier mit Sicherheit und siedelte sich schließlich in München an. Diese Stadt sagte ihm zu mit
Luft und Licht, mit unfesten, unbürgerlichen Gesellschaftsformen und dem traditionellen Re-
spekte vor der Kunst, ohne daß ihn die zweite Heimat von nomadenhafter Unrast erlöste.
Ich habe diesen Sammler gekannt, mich oft erfrischt an seiner arglosen und kraftvollen Na-
tur, stets gestaunt über sein unbeirrbares Urteil, das nicht aus Buchwissen tröpfelte, sondern
aus dem Blickerlebnis hervorbrach. Ich glaube auch, um die Richtung seines Geschmacks zu
wissen. Alles Weiträumige, stark und gesund Gewachsene zog ihn an, das verschwenderisch
 
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