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Karl W. Hiersemann (Firma); Karl W. Hiersemann; Olmeda, Federico [Bearb.]
Katalog (Nr. 392): Musik und Liturgie: darunter besonders alte Originalmanuscripte, seltene Drucke des 16. Jahrhunderts, eine Abteilung spanische Musik, Original-Tonwerke von Beethoven und Wagner etc. : zum Teil aus der Bibliothek des Don. Federico Olmeda (presbitero y maestro de la capilla de Burgos) und einiger anderer Sammlungen — Leipzig: Karl W. Hiersemann, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.69568#0040
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Musik und Liturgie.

Kirche die für die spezielle Diözese geltenden Festtags-Lektionen und sonstige
Zusätze umfaßt. Als solches ist die Handschrift von seltener Vollständigkeit
und ungewöhnlichem Umfange. Die 556 Seiten bilden ein wohlgeordnetes,
unteilbares Ganzes, trotz der verschiedenen Hände, die daran gearbeitet haben.
Der Canon missae, der die Mitte des Bandes einnimmt, ist, wie immer, in
größerer Schrift ausgeführt und hebt sich auch durch seine reichere künstlerische
Ausschmückung vom übrigen Text ab. Man kann bemerken, daß alle größeren
Anfangsbuchstaben, abgesehen von den drei zum Kanon gehörigen, durchaus
demselben scharf charakterisierten Stil angehören. Der Text ist in der Haupt-
sache als von zwei Schreibern herrührend zu bezeichnen, von denen der eine
den ersten Teil bis zum Kanon geschrieben hat; fremde Zusätze von späteren
Händen finden sich hier nur auf den ursprünglich weiß gebliebenen ersten und
letzten Blatt des Kalendariums; von dem anderen Schreiber, dessen Schrift
im Verfolg der Arbeit allmählich kleiner und eleganter wird, rührt der zweite,
hinter dem Kanon beginnende Teil des Manuskripts her, in welchem die mit
XLII, XLVIIII und LVI bezifferten Blättern spätere Zusätze aufweisen, ebenso
in dem mit Neumen versehenen Exultet, gleich hinter dem Kanon, und in
einigen daran anstoßenden Partien. Beide Schriften liegen jedoch kaum einige
Jahrzehnte auseinander, und sind jedenfalls am gleichen Orte entstanden.
1. Bl. 1—8 unnumeriert): Kalendarium. Auf der Eingangsseite, wahrscheinlich noch
von der Hand des ersten Schreibers: De sancta et gloriosa virgine Katherina
und drei Zeilen Neumen. Darauf eine Sequenz mit roten Neumen von wenig
späterer Hand. Unten eine Sequenz auf die hl. Dorothea, Zusatz des XIV. Jahr-
hunders. Auf der letzten Seite, zweispaltig: Ad communionem corporis Christi,
oratio B. Ambrosii; gleichfalls späterer Zusatz. Daran anschliessend das große
Kanonbild.
2. Fol. I—XXIII. Die Gesangsteile der Messen für alle Tage und Feste vom
1. Advent bis Pfingsten und Trinitatis, mit vielen Evovae und mehreren Tropi,
durchweg neumiert. Hervorzuheben sind: Fol. I, der Satz: Dominus ....
fructum suum, vom 2. Advent: Stantes evant pedes nostri in atriis, die Antiphonen
Ad processionem (dom. Palmarum) und Super fontem, der Tractus zur Parasceve,
die griechische Doxologie, fol. XVII: Ayos otheos, ayos yschiros, ayos athanathos
eleyson ymas, u. a. m. Schluß: In dedicatione ecclesiae.
3. Fol. XXIIIb—XXXIb. Proprium Sanctorum, von Silvester bis Lucia, also für
das ganze Jahr; bemerkenswert Processus et Martinianus, 2. Juli. Durchweg
neumiert
4. Fortsetzung der sonntäglichen Cantica nach Pfingsten bis 23. Trinitatis, dann das
Commune sanctorum. Schluß: Gloria in excelsis, Kyrie, ein zweites Gloria und
Alleluia (letzteres späterer Zusatz). Durchgehends neumiert.
5. 12 Blatt unnumeriert; der Text regelmäßig fortlaufend: Landes und einzelne
Hymnen, untermischt mit einigen neumierten Sequenzen (größere Stücke: S.
Maria Magdalena, S. Afra u. S. Nicolaus). Interessant ein Hymnus von späterer
Hand: Spe mercedis et corone Stetit martyr in agone.
6. Canon missae (7 Blatt) für die Hauptfeste und die Cottidiana.
7. Schlußteil, 213 Blatt, von denen Bll. 30 bis 190 mit I bis CLXIII beziffert sind
(die Bll. LXIII u. LXIV fehlen). Orationes, Episteln, Evangelien und die alt-
testamentlichen Lektionen für das ganze Jahr.
Das ältere Kanonbild, auf Blatt 3a des Kanon, unten Iß^XW cm, zeigt auf
dem etwas abgeriebenen Goldgründe in blauem, roten und grünen Rahmen
Christus am Kreuze mit Maria und Johannes in prächtiger Ausführung. Unge-
wöhnlicher Weise hat das Kreuz die Gestalt eines grünen Baumstammes mit
zwei herabgebogenen und abgeschnittenen Ästen. Die Heiligenscheine sind, um
sie vom Goldgrund abzuheben, in Farben gehalten, die Gewänder in wundervoll
matten und gegeneinander abgestimmten Tönen. Maria in wasserfarbenem,
grünbläulichen Untergewand mit Goldsaum, über welches ein matt-fleischfarbener,
innen hellgrüner Mantel herabfällt. Der Mantel ist auf dem Kopfe über einen
Hut von altgriechischer Form (wie bei den Tanagraflguren) gezogen, sodaß er
nicht nur das ganze Gesicht, sondern auch das blonde Haar, welches in Wellen
auf die Schultern fällt, sehen läßt. Maria blickt mit gefalteten Händen zu dem
Gekreuzigten auf. Johannes trägt ein langes, hellgrünes, goldbordiertes Gewand,
mit einem kurzen wasserfarbenen, innen hochroten Mantel darüber; er hält den
Kopf geneigt, doch ist seine Geberde lebhaft schmerzerfüllt, fast leidenschaft-
lich. Während Gewandung und Faltenwurf bei beiden Figuren an die Antike
erinnern, ist den Gesichtern in sehr realistischer Weise der Ausdruck der Trauer
durch stark hervorgehobene Stirnrunzeln verliehen worden, die als schmale,
belichtete Bögen direkt an den Nasenrücken ansetzen. Realistisch, in etwas
harten Formen ist auch der Körper des Gekreuzigten modelliert, mit heraus-
gedrückter Hüfte und mageren Gliedmassen, die Beine in der Stellung etwas
verdreht, wie man dies gerade in den deutschen Schulen der Zeit findet. Christus
trägt ein grünes, innen matt-fleischfarbenes Lendentuch. Neben der Pracht-
initiale T (Te igitur) findet sich am Rande eine zweite Miniatur, 71/2 cm hoch:
ein kniender Geistlicher in der Tonsur, in weißem, gelb schattierten Kleide und
rotem, hellgrün gefütterten Überwurf, mit betend erhobenen Händen; auch
dieses Bild von ungemein sorgsamer und gelungener Ausführung. — Ein zweites
Kanonbild, wenig später als das erste und wohl am selben Orte entstanden,
findet sich zwischen dem Kalendarium und den neumierten Messen und mißt
ßSXSO’/a cm. Dieses hervorragende Stück altdeutscher Malerei hat zunächst

Karl W. Hiersemann in Leipzig, Königstrasse 29. Katalog 392.
 
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