Als ein solches abgeschlossenes Werk bietet sich diese Sammlung dar.
Von Gryphius und Simon Dach über Goethe bis zu Rilke und Hof-
mannsthal reichend, stellt sie eine beinahe lückenlose deutsche Literatur-
geschichte in Handschriften dar. Aber nicht nur in dieser Vollzähligkeit
liegt ihre Bedeutung, sondern vor allem in der Qualität, denn nicht nur
den Namen der Dichter und Gelehrten bringt sie optisch zur Geltung,
sondern sie erweckt fast immer gleichzeitig Erinnerung an ihr wesent-
lichstes Werk. Immer ist die höchste Form der Versinnlichung des Künst-
lers angestrebt durch die Wahl einer entscheidenden Handschrift und
indem man diese Blätter anblickt, ist man gleichzeitig unvergänglichen
Augenblicken deutscher Literatur verbunden. Denn wie könnte Goethe
schöner repräsentiert sein als etwa durch sein unsterbliches „Maylied"
und Proben aus dem „Westöstlichen Divan", Schiller durch Blätter aus
„Don Carlos" und „Wilhelm Teil", Hölderlin durch Hyperionfragmente
und seine großen Gedichte, Novalis durch Teile des „Heinrich von
Ofterdingen"? Kann sinnfälliger der leidenschaftliche Patriotismus Klei-
stens in Erscheinung treten als durch sein Gedicht „An Friedrich Wil-
helm", Höltys Innigkeit durch das „Maylied", Nietzsches Tragik durch
das „Antichrist"-Manifest? Lenaus „Schilflieder", Hebbels Vorspiel zu
den „Nibelungen", Bürgers „Hohes Lied", Fontanes „Alter Derffling",
Grabbes „Hermannsschlacht"-Fragmente, Heines berühmteste Strophen
aus „Deutschland ein Wintermärchen", Hofmannsthals „Reiselied", Rai-
munds Paralipomena zum „Bauer als Millionär" und Stifters zum „Witi-
ko", Storms „Die Rote Rose Leidenschaft", Hebel im „Rheinischen
Hausfreund", Droste-Hülshoff im „Sylvesterlied", sie alle zeigen ihre
Dichter auf den Höhepunkten ihrer Inspiration. Aber auch die kleineren
Dichter, die poetae minores, sind meist in solchen Proben veranschau-
licht, wo sie ihr eigenes Maß überschritten und Unvergängliches gestal-
tet haben, Freiligrath in „Die Trompete von Gravelotte", jedem Kinde
schon vertraut, Justinus Kerner im „Wanderer in der Sägemühle", Ma-
thisson in dem von Beethoven vertonten „Opferlied". Viele Werkhand-
schriften liegen hier Blatt neben Blatt, die weder bisher in privaten
Sammlungen zu sehen waren noch je wieder zu sehen sein werden, etwa
ein Sonett von Gryphius, ein Manuskript von Hamann, eine astrono-
mische Untersuchung Keplers mit Erwähnung von Kopernikus, ein Re-
chenproblem Eulers, des größten deutschen Mathematikers und vor
allem der einzige und nicht wiederkehrende „Angelus Silesius", von dem
seine Heimat sonst kein Autograph besitzt. Wie repräsentativ hier die
deutsche Literatur versammelt ist, läßt zur Probe ein Blick auf das ver-
hältnismäßig kleine Gebiet der Schweiz erkennen, die in einem (sel-
tensten) Gedicht von Albrecht von Haller, einem vollunterzeichneten
Manuskript von Gotthelf, einem Romanfragment Pestalozzis, einem Ge-
Von Gryphius und Simon Dach über Goethe bis zu Rilke und Hof-
mannsthal reichend, stellt sie eine beinahe lückenlose deutsche Literatur-
geschichte in Handschriften dar. Aber nicht nur in dieser Vollzähligkeit
liegt ihre Bedeutung, sondern vor allem in der Qualität, denn nicht nur
den Namen der Dichter und Gelehrten bringt sie optisch zur Geltung,
sondern sie erweckt fast immer gleichzeitig Erinnerung an ihr wesent-
lichstes Werk. Immer ist die höchste Form der Versinnlichung des Künst-
lers angestrebt durch die Wahl einer entscheidenden Handschrift und
indem man diese Blätter anblickt, ist man gleichzeitig unvergänglichen
Augenblicken deutscher Literatur verbunden. Denn wie könnte Goethe
schöner repräsentiert sein als etwa durch sein unsterbliches „Maylied"
und Proben aus dem „Westöstlichen Divan", Schiller durch Blätter aus
„Don Carlos" und „Wilhelm Teil", Hölderlin durch Hyperionfragmente
und seine großen Gedichte, Novalis durch Teile des „Heinrich von
Ofterdingen"? Kann sinnfälliger der leidenschaftliche Patriotismus Klei-
stens in Erscheinung treten als durch sein Gedicht „An Friedrich Wil-
helm", Höltys Innigkeit durch das „Maylied", Nietzsches Tragik durch
das „Antichrist"-Manifest? Lenaus „Schilflieder", Hebbels Vorspiel zu
den „Nibelungen", Bürgers „Hohes Lied", Fontanes „Alter Derffling",
Grabbes „Hermannsschlacht"-Fragmente, Heines berühmteste Strophen
aus „Deutschland ein Wintermärchen", Hofmannsthals „Reiselied", Rai-
munds Paralipomena zum „Bauer als Millionär" und Stifters zum „Witi-
ko", Storms „Die Rote Rose Leidenschaft", Hebel im „Rheinischen
Hausfreund", Droste-Hülshoff im „Sylvesterlied", sie alle zeigen ihre
Dichter auf den Höhepunkten ihrer Inspiration. Aber auch die kleineren
Dichter, die poetae minores, sind meist in solchen Proben veranschau-
licht, wo sie ihr eigenes Maß überschritten und Unvergängliches gestal-
tet haben, Freiligrath in „Die Trompete von Gravelotte", jedem Kinde
schon vertraut, Justinus Kerner im „Wanderer in der Sägemühle", Ma-
thisson in dem von Beethoven vertonten „Opferlied". Viele Werkhand-
schriften liegen hier Blatt neben Blatt, die weder bisher in privaten
Sammlungen zu sehen waren noch je wieder zu sehen sein werden, etwa
ein Sonett von Gryphius, ein Manuskript von Hamann, eine astrono-
mische Untersuchung Keplers mit Erwähnung von Kopernikus, ein Re-
chenproblem Eulers, des größten deutschen Mathematikers und vor
allem der einzige und nicht wiederkehrende „Angelus Silesius", von dem
seine Heimat sonst kein Autograph besitzt. Wie repräsentativ hier die
deutsche Literatur versammelt ist, läßt zur Probe ein Blick auf das ver-
hältnismäßig kleine Gebiet der Schweiz erkennen, die in einem (sel-
tensten) Gedicht von Albrecht von Haller, einem vollunterzeichneten
Manuskript von Gotthelf, einem Romanfragment Pestalozzis, einem Ge-